Montag, 4. März 2019


Ensemble Modern, Konzertabend in der Alten Oper Frankfurt, 03.03.2019

George Benjamin (Fotos: Wonge Bergmann)


Ein musikdramatisches Spiel mit Klängen


Energiegeladen, gefühlsbetont, atmosphärisch, sprachgewaltig: All diese Attribute charakterisierten diesen musikalisch-dramatischen Abend, wozu das Ensemble Modern Kompositionen alter Weggefährten und Freunde auswählte, die die gegenseitige Entwicklung beförderten und die Kraftfelder der gemeinsamen Arbeit zu ganz besonderen Werken inspirierte. Da sind zu nennen, Layers of Love (2015) von Christian Mason (*1984), Bright Rings (2019) von Cathy Milliken (geb. im australischen Brisbane), Eine kleine Nachtmusik (1961) von Luigi Dallapiccola (1904-1975) sowie Into The Little Hill (2015) von George Benjamin (*1960).


Letztgenannter, ein langjähriger Freund des Ensemble Modern (unter anderem widmete er ihm Into The Little Hill), übernahm auch den Taktstock und führte durch die schillernde Welt unterschiedlichster musikalischer Stile und Klangspektren.

Christian Mason liebt die „Flüchtigkeit der Klänge, ihre Nichtgreifbarkeit“. Mit dem Ensemble Modern realisierte er bereits 2016 sein Stück In the Midst of sonorous Islands, das im Rahmen des Projekts Connect im Frankfurt LAB mit Publikumsbeteiligung uraufgeführt wurde.
Bei Layers of Love experimentiert er mit verschiedenen Klangschichten und verteilt zu diesem Zweck die Instrumentalisten in eigenwilligen Positionen auf der Bühne. Außen zwei Violinen (mit solistischen Partien), dazwischen im Halbkreis sieben Streicher und Bläser, darunter Bassklarinette, Trompete, Horn und Flöte (mit flächigem Anteil), und dahinter vier Bläser, Fagott, Tuba, Oboe und Posaune (mit rhythmischem und motivischem Schwerpunkt).

Eine atmosphärische, eher sphärische Angelegenheit, voller struktureller Wechsel, ohne aber Struktur erkennen und hörbar werden zu lassen. Der Versuch Klangräume zu eröffnen, Transzendenzen musikalisch wirksam werden zu lassen, blieb weitgehend im Versuchsstadium stecken.

Mit prickelnder Energie geladen dagegen Cathy Millikens Uraufführung Bright Rings. Sie spielte bereits in den 1980er Jahren im neu gegründeten Ensemble Modern die Oboe, ehe sie sich in den frühen 1990er Jahren für die Komposition entschied. Mit diesem Auftragswerk des Ensemble Modern kehrte sie quasi zu ihren musikalischen Wurzeln zurück. Ein mit 15 Instrumentalisten besetztes Ensemble versetzte das Publikum in die Welt des Planeten Saturn mit seinen zwei Monden, Pandora und Prometheus, indem sie, eigenen Aussagen zufolge, Sounddaten, die ein Satellit in der Nähe des Planeten aufgezeichnet hat, auf das instrumentale Zusammenspiel übertrug, und damit unglaubliche Klangfarben und Resonanzen erzeugte. 
Man fühlte sich zeitweise in den chaotischen Wellensalat des Kosmos versetzt, voller Cluster, endlosen Glissandi, spektralen Farbspielereien. Deklamatorisch schoss es aus allen instrumentalen Quellen, mal unisono, dann wieder akkordisch oder in einfachen Quart-, Sekund- oder Septintervallen, um dann in der endlosen Weite des Alls zu verschwinden. Lange Atempausen gaben diesem gewaltigen Kraftfeld die nötige Entspannung, um erneut dem Fluss des Kosmos folgen zu können.

Luigi Dallapiccolas Piccola Musica Notturna (Kleine Nachtmusik) kam da gerade recht, um den Puls auf Normalmaß zurückzuschrauben. Mit acht Akteuren, darunter Celesta und Harfe, versetzte diese Musik in eine laue Sommernacht, eine Barkarole in venezianischen Gewässern. Trotz zwölftöniger Schreibweise ein melodienreiches, siebenminütiges Kleinod, das George Benjamin im Vorgespräch mit Verena Mogl als eines seiner besten Stücke bezeichnete, und das mit Recht.

vorne v.l.: George Benjamin, Anu Komsi, Helena Rasker, dahinter: Ensemble Modern

Ein lyrische Erzählung mit Aufklärungscharakter

Into the little Hill ist George Benjamins erste Oper, die er, neben zwei anderen Werken, für das Ensemble Modern im Jahre 2006 geschrieben hat. Das Libretto von Martin Crimp (*1956), nach der Legende des Rattenfängers von Hameln und angelehnt an den historischen Kinderkreuzzug 1212, unterteilt diese in fünf Abschnitte und erzählt mittels zweier Sängerinnen, die in verschiedene Rollen zu schlüpfen haben, vom Verschwinden der Kinder von Hameln, weil der Minister einem Fremden – ohne Augen, ohne Ohren und ohne Gesicht –, nachdem er erfolgreich die Rattenplage beseitigt hat, seinen versprochenen Salär verweigert, und dieser dann die Kinder der Stadt entführt: „Unsere Heimat ist unter er Erde“, lautet der apokalyptische Ruf der Kinder, denn „umso tiefer wir in die Erde vordringen, umso heller wird es.“ Erinnern wir uns an den sogenannten Kinderkreuzzug, wo tausende junger Leute, durch religiöse Heilsversprechungen verblendet, in das Heilige Land aufbrachen und nie wieder zurückkehrten.

Im Sinne des Kinderkreuzzugs versteht sich das Libretto von Crimp, das Benjamin kongenial für 15 Instrumentalisten und zwei Sängerinnen zu einer Oper – angemessener aber wäre es, von lyrischen Erzählung oder gar einem Oratorium zu sprechen – ausarbeitete. Die Altistin, Helena Rasker, und die Sopranistin, Anu Komsi, (Rasker schlüpfte in die Rollen des Ministers und der Mutter, Komsi in die des Fremden und der Kinder, beide zusammen gestalteten den narrativen Part) glänzten vor allem durch ihren stimmlichen Umfang und ihre rollenspezifische Diktion. Ihr canto deklamato war herausragend und ihre Duette von großer Dichte und sprachlicher Prägnanz.

Rasker, in dunkelbraunem Kostüm, überzeugte durch ihre dunkle Resonanz und ihren virilen Akzent und Komsi, in giftgrüner Robe, durch metallische Höhen bis zum dreigestrichenen e, aber auch durch sanftes Timbre in der Rolle der Kinder. Ein Zweiergespann der Extraklasse, das, in Begleitung der höchst sensitiven Musiker, die Klangwelten zur Sprache wie die Sprache zum Klangerlebnis werden ließ.

Benjamin ist mit dieser Aufführung ein 40-minütiges Opus gelungen, wo Partitur, Libretto und künstlerische Zusammensetzung  in der richtigen, stimmigen Weise zusammengeführt wurden. Sein „Rattenfänger“ geriet (in englischer Sprache und ohne Übersetzung gesungen) zu einer Mahnung an die labilen Seelen, sich nicht den täglichen Verführungen auszuliefern und dabei den Blendern und Glücksversprechern auf den Leim zu gehen.

Begeisterter, lang anhaltender Beifall gebührte nicht allein den Akteuren, sondern auch den Komponisten und dem umsichtigen Leiter George Benjamin.

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