Montag, 11. März 2019


Martha Argerich und Sergei Babayan in der Alten Oper Frankfurt, 10.03.2019 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Sergei Babayan, Martha Argerich (dahinter jeweils die Umblätterer) Fotos: Paul Sklorz/PRO ARTE

Nicht gegenüber, sondern nebeneinander


Zwei Pianisten, Martha Argerich (*1941) und Sergei Babayan (*1961), über die es an Lobeshymnen in der Weltpresse nur so von Superlativen wimmelt, und dem es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen gibt, spielten in dem sehr gut besetzten Großen Saal der Alten Frankfurt Transkriptionen von Babayan über verschiedene Werke von Sergej Prokofjew (18911-1953), und als Kontrast dazu die Sonate für zwei Klaviere in D-Dur (KV 448) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791).


Zwölf Klavierstücke aus dem Ballett Romeo und Julia (1935/36), das erste Werk, das Prokofjew sozusagen als Einstieg zur Rückkehr in seine Heimat schrieb, nachdem er sich zwischen 1918 und 1936 überwiegend in den USA und Frankreich aufhielt. Das Ballett führte seinerzeit zwar nicht zu dem erhofften Erfolg (es galt als untanzbar, und die sowjetische Kulturelite kritisierte es vordergründig als Verrat an William Shakespeare, meinte aber vor allem die Abweichungen vom sozialistischen Realismus), dennoch aber steckt darin aus heutiger Sicht das gesamte Herzblut des Komponisten, in dem er Moderne, Klassik, Motorik, Lyrik und Groteske in einzigartiger Weise verbindet.

Babayans Transkription für zwei Klaviere wurde dieser Intention vollauf gerecht. Die ursprünglich 52 Nummern eines gut zweistündigen Ballets auf zwölf herunter gebrochen und auf eine Dreiviertelstunde reduziert, wurden unter den Ausnahmekünstlern ein kurzweiliger Genuss zwischen donnernd pochendem Prolog, gewaltiger, klar konturierter Grundthematik der Straßengangs  (Montagues und Capulets), der sprunghaft aufgeregten Tänze zwischen Gavotte, Morgentanz, Volkstanz und Mandolinentanz, dem tragischen Abschied der Liebenden (Romeo und Julia vor dem Abschied), voller Wehmut und Verzweiflung, und dem abschließenden Feuerritt in Tybalts Tod, ein mahnender Rückblick auf den Prolog im Dies-Irae-Stil, gemischt mit etüdenähnlichen Zwischenspielen unendlicher Dissonanzen und bilderreicher Farbgebung.

Eigentlich perfekt präsentiert, wenn nicht, ja wenn nicht die Stellung der Flügel gewesen wäre. Statt sich gegenüber zu sitzen, wie üblich, saßen die Beiden nebeneinander. Argerich am hinteren Flügel, auf der rechten Seiten des Saales nicht zu sehen, und Babayan am vorderen Flügel. Ebenso hatte man die Deckel der Flügel entfernt, um so vermutlich ein klangliches Zusammenwirken der orchestralen Partituranlage zu erreichen. Das ist leider weitgehend schief gegangen. So hörte man Argerich so gut wie gar nicht, ihr Part klang mitunter wie aus dem Off. Und gerade in den percussiven Abschnitten dominierte Babayan derart, dass man glaubte, er säße allein auf dem Podium. Ebenso geriet vor allem der Kampf in Nr. 4 wie auch Tybalts Tod im Finale zu einem Klanggemisch, das sich bis zu einem undefinierbaren Rauschen steigerte. Schade.

Sergei Babayan, Martha Argerich (neben ihnen die beiden Umblätterer)

Ein nachhaltiger Eindruck von zwei der besten Pianisten unserer Zeit


Auch Mozarts D-Dur Sonate für zwei Klaviere litt ein wenig unter dieser Konstellation, wenngleich sich hier Babayan dynamisch zurücknahm und die Gleichberechtigung beider Akteure dadurch besser zur Wirkung kam. Rasend gespielt, voller Spielfreude und virtuoser Vollkommenheit geriet ihnen vor allem das Andante mit ausgewogener Agogik und Pedalierung zu einem echten Mozarterlebnis, das ganze Rokoko atmend und schon die Dramatik der Romantik vorausahnend.

Ein echter Höhepunkt dann die sieben Transkriptionen Babayans aus Prokofjews Schauspielmusiken zu Eugen Onegin(1936) und Hamlet (1937/38) sowie zu seiner Filmmusik Pique Dame (1936) und der Oper Krieg und Frieden (1946/52).

Jetzt saß Argerich am vorderen Flügel, womit ein gewisser klanglicher Ausgleich erfolgte. Babayans hämmernder Anschlag im Hintergrund und Argerichs gesangliche Tongebung fanden nun zu einer Ausgewogenheit und man merkte der Interpretation an, dass beide besser in diese Position passten. 

Auch hier starke pianistische Kontraste. So ein düsterer, fast drohender Hamlet mit Marschbegleitung, eine groteske Mazurka sowie eine Polka im Zweivierteltakt mit hüpfendem Wechselschritt aus Eugen Onegin;  heftiges Kriegsgewitter und Walzerschritt mit Anklängen an Dimitri Schostakowitschs Walzer Nr. 2 (aus der Suite für Varieté Orchester) in Nataschas und Andrejs Walzer aus Krieg und Frieden sowie von mitreißender Dramatik die wilden, repetitiven Triolenpassagen mit pochender synkopierender Begleitung der Bässe in der abschließenden Filmsuite aus Pique Dame (ein Film, der leider nie gedreht wurde).

Kleine Bemerkung am Rande: Der Umblätterer von Martha Argerich hatte doch arg zu kämpfen. Mal zu früh, meist aber zu spät an den Noten wurde er im Verlauf des Vortrags zu einem echten Störfaktor. Argerich gab zwar ihrem Unwillen Ausdruck, übernahm zeitweise selbst das Umblättern, ließ sich aber nicht aus Ruhe bringen. Souverän, mit jugendlichem Temperament bearbeitete die mittlerweile Siebenundsiebzig-Jährige die Tasten und verwandelte das sperrige, der "neuen Einfachheit" verschriebene Spätwerk Prokofjews gemeinsam mit ihrem Freund und Duopartner, Sergei Babayan, zu einer mitreißenden harmonischen Einheit.

Tobender Beifall mit Blumen aus dem Publikum wurde nach langem Hadern des händchenhaltenden Paares mit einer Zugabe aus Sergej Rachmaninows Suite Nr. 2 op.17 belohnt: eine Romanze, eine wahrhafte Liebeserklärung auf den Tasten, hoch romantisch und von tiefer Innerlichkeit beseelt. Zwei der besten Pianisten unserer Zeit verließen die Bühne der Alten Oper und hinterließen in jeder Beziehung einen nachhaltigen Eindruck.

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