Martha Argerich
und Sergei Babayan in der Alten Oper
Frankfurt, 10.03.2019 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE)
Sergei Babayan, Martha Argerich (dahinter jeweils die Umblätterer) Fotos: Paul Sklorz/PRO ARTE |
Nicht gegenüber, sondern nebeneinander
Zwei Pianisten, Martha Argerich (*1941) und Sergei Babayan (*1961), über die es an Lobeshymnen in der Weltpresse nur so von Superlativen wimmelt, und dem es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen gibt, spielten in dem sehr gut besetzten Großen Saal der Alten Frankfurt Transkriptionen von Babayan über verschiedene Werke von Sergej Prokofjew (18911-1953), und als Kontrast dazu die Sonate für zwei Klaviere in D-Dur (KV 448) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791).
Zwölf Klavierstücke aus dem Ballett Romeo und Julia (1935/36), das erste Werk, das Prokofjew sozusagen
als Einstieg zur Rückkehr in seine Heimat schrieb, nachdem er sich zwischen
1918 und 1936 überwiegend in den USA und Frankreich aufhielt. Das Ballett führte
seinerzeit zwar nicht zu dem erhofften Erfolg (es galt als untanzbar, und die
sowjetische Kulturelite kritisierte es vordergründig als Verrat an William Shakespeare,
meinte aber vor allem die Abweichungen vom sozialistischen Realismus), dennoch aber
steckt darin aus heutiger Sicht das gesamte Herzblut des Komponisten, in dem er
Moderne, Klassik, Motorik, Lyrik und Groteske in einzigartiger Weise verbindet.
Babayans Transkription für zwei Klaviere wurde dieser
Intention vollauf gerecht. Die ursprünglich 52 Nummern eines gut zweistündigen
Ballets auf zwölf herunter gebrochen und auf eine Dreiviertelstunde reduziert,
wurden unter den Ausnahmekünstlern ein kurzweiliger Genuss zwischen donnernd
pochendem Prolog, gewaltiger, klar konturierter Grundthematik der Straßengangs (Montagues
und Capulets), der sprunghaft aufgeregten Tänze zwischen Gavotte, Morgentanz, Volkstanz und
Mandolinentanz, dem tragischen
Abschied der Liebenden (Romeo und Julia
vor dem Abschied), voller Wehmut und Verzweiflung, und dem abschließenden
Feuerritt in Tybalts Tod, ein mahnender
Rückblick auf den Prolog im Dies-Irae-Stil,
gemischt mit etüdenähnlichen Zwischenspielen unendlicher Dissonanzen und bilderreicher Farbgebung.
Eigentlich perfekt präsentiert, wenn nicht, ja wenn nicht
die Stellung der Flügel gewesen wäre. Statt sich gegenüber zu sitzen, wie
üblich, saßen die Beiden nebeneinander. Argerich am hinteren Flügel, auf der
rechten Seiten des Saales nicht zu sehen, und Babayan am vorderen Flügel. Ebenso
hatte man die Deckel der Flügel entfernt, um so vermutlich ein klangliches Zusammenwirken
der orchestralen Partituranlage zu erreichen. Das ist leider weitgehend schief
gegangen. So hörte man Argerich so gut wie gar nicht, ihr Part klang mitunter
wie aus dem Off. Und gerade in den percussiven Abschnitten dominierte Babayan
derart, dass man glaubte, er säße allein auf dem Podium. Ebenso geriet vor
allem der Kampf in Nr. 4 wie auch Tybalts Tod im Finale zu einem Klanggemisch, das sich bis zu einem
undefinierbaren Rauschen steigerte. Schade.
Sergei Babayan, Martha Argerich (neben ihnen die beiden Umblätterer) |
Ein nachhaltiger Eindruck von zwei der besten Pianisten unserer Zeit
Auch Mozarts D-Dur
Sonate für zwei Klaviere litt ein wenig unter dieser Konstellation, wenngleich
sich hier Babayan dynamisch zurücknahm und die Gleichberechtigung beider Akteure
dadurch besser zur Wirkung kam. Rasend gespielt, voller Spielfreude und virtuoser
Vollkommenheit geriet ihnen vor allem das Andante
mit ausgewogener Agogik und Pedalierung zu einem echten Mozarterlebnis, das
ganze Rokoko atmend und schon die Dramatik der Romantik vorausahnend.
Ein echter Höhepunkt dann die sieben Transkriptionen
Babayans aus Prokofjews Schauspielmusiken zu Eugen Onegin(1936) und Hamlet
(1937/38) sowie zu seiner Filmmusik Pique
Dame (1936) und der Oper Krieg und
Frieden (1946/52).
Jetzt saß Argerich am vorderen Flügel, womit ein gewisser klanglicher
Ausgleich erfolgte. Babayans hämmernder Anschlag im Hintergrund und Argerichs
gesangliche Tongebung fanden nun zu einer Ausgewogenheit und man merkte der Interpretation
an, dass beide besser in diese Position passten.
Auch hier starke pianistische Kontraste. So ein
düsterer, fast drohender Hamlet mit
Marschbegleitung, eine groteske Mazurka
sowie eine Polka im Zweivierteltakt
mit hüpfendem Wechselschritt aus Eugen
Onegin; heftiges Kriegsgewitter und
Walzerschritt mit Anklängen an Dimitri Schostakowitschs Walzer Nr. 2 (aus der Suite für Varieté Orchester) in Nataschas und Andrejs Walzer aus Krieg und Frieden sowie von mitreißender
Dramatik die wilden, repetitiven Triolenpassagen mit pochender synkopierender
Begleitung der Bässe in der abschließenden Filmsuite aus Pique Dame (ein Film, der leider nie gedreht
wurde).
Kleine Bemerkung am Rande: Der Umblätterer von Martha
Argerich hatte doch arg zu kämpfen. Mal zu früh, meist aber zu spät an den
Noten wurde er im Verlauf des Vortrags zu einem echten Störfaktor. Argerich gab
zwar ihrem Unwillen Ausdruck, übernahm zeitweise selbst das Umblättern, ließ
sich aber nicht aus Ruhe bringen. Souverän, mit jugendlichem Temperament
bearbeitete die mittlerweile Siebenundsiebzig-Jährige die Tasten und verwandelte
das sperrige, der "neuen Einfachheit" verschriebene Spätwerk Prokofjews gemeinsam
mit ihrem Freund und Duopartner, Sergei Babayan, zu einer mitreißenden
harmonischen Einheit.
Tobender Beifall mit Blumen aus dem Publikum wurde nach
langem Hadern des händchenhaltenden Paares mit einer Zugabe aus Sergej Rachmaninows
Suite Nr. 2 op.17 belohnt: eine Romanze,
eine wahrhafte Liebeserklärung auf den Tasten, hoch romantisch und von tiefer
Innerlichkeit beseelt. Zwei der besten Pianisten unserer Zeit verließen die
Bühne der Alten Oper und hinterließen in jeder Beziehung einen nachhaltigen
Eindruck.
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