Rudolf Buchbinder (Klavier)
und die Münchner Philharmoniker mit Valery Gergiev, Alte Oper Frankfurt,
27.03.2019
Rudolf Buchbinder, im Hintergrund Mitglieder der Münchner Philharmonie (Fotos. Achim Reissner) |
Ein b-Moll Klavierkonzert in ganz neuem Licht
Der Geist der russischen Seele schwebte in den Sphären des Großen Saals der Alten Oper Frankfurt und riss das Publikum in eine Gefühlswelt zwischen Leichtigkeit und Schwere, Bekanntem und Unbekanntem, Natürlichkeit und Objektivismus sowie sinnlicher Folklore und heftigem Aufbegehren.
Valery Gergiev
(*1954), in schlichtem Schwarz, selbst in Moskau geboren, verstand es prächtig,
das große Orchester in die Gefühlswelt seiner Heimat zu verführen und einen Klang
zu zaubern, der im wahrsten Sinne unter die Haut ging.
Rudolf Buchbinder
(*1946) erwies sich, als gebürtiger Tscheche und aufgewachsen in Österreich,
als der kongenialer Solist dieses Abends. Mit dem allseits bekannten und wohl
immer noch meistgespielten b-Moll
Klavierkonzert (1874) von Peter Tschaikowsky (1840-1893), das bei seinem
Ziehvater und Lehrer, Nikolaj Rubinstein (1835-1881), zunächst gnadenlos
durchfiel und wenige Monate später, am 25. Oktober 1875, bei seiner
Uraufführung in Boston, von ihm persönlich gespielt und unter der Leitung von Hans von Bülow (1830-1894) seinen bis heute anhaltenden Siegeszug antrat, gelang es ihm – man möchte sagen
– wieder einmal, aus einem viel gespielten, oft missbrauchten Ohrwurm ein
unikates, ganz persönliches Werk zu kreieren, das man so noch nie gehört zu
glauben meinte.
Bereits der wuchtige, akkordische Einstieg in der
Paralleltonart Des-Dur im Allegro non
troppo e molto maestoso und der darüber gelagerten folkloristischen Melodik
des Orchesters, machten deutlich, dass es den Akteuren hier nicht um oberflächliche
Effekte ging, sondern um berührenden Ausdruck und ästhetische Erhabenheit. Es
herrschte Ruhe und Gelassenheit vor allem bei den Volksweisen des ersten Themas,
tänzerische Leichtigkeit und lyrische Zartheit im zweiten Thema, gemessene
Agogik in der Durchführung, dabei aber virtuose Brillanz in den solistischen
Partien, und einer Steigerung nach der Kadenz – die Einleitung der Reprise
–, die mit rhythmischen Verschiebungen sogar noch ein drittes Thema beleuchtete
und den Kopfsatz in Schumannscher Manier in heroischem Gestus beendete. Es war
die Unaufgeregtheit, der durchsichtige Duktus, den das einleitende Allegro charakterisierte.
Die Querflöte leitete dann ein Andante ein, das vergnügt, ja tänzerisch anmutete. Buchbinder
schien auf den Tasten Vogelstimmen zu imitieren. Es folgte in scheinbarem
Kontrast ein Prestissimo, das sich
wie das Gewimmel am Waldboden anfühlte. Ein aufgeregtes Durcheinander voller Lebendigkeit,
das sich wieder in die Pastorale des Eingangs auflöste. Diesmal mit Oboenbegleitung.
Ein besinnliches Frühlingserwachen, das nahtlos in das Allegro con fuoco überleitete.
Mit einem Paukenschlag begann es. Dann auf dem Klavier ein
markanter ukrainischer Tanz – begleitet vom Zupfen der Streicher –, der sich in
Rondoform durch das Finale zieht. Auch hier herrschen Tanzrhythmen vor, die,
synkopisch verschoben, höchste Brillanz aber auch tänzerische Leichtigkeit
abfordern. Mit wahnwitzigen Oktavläufen und einem dialogischen Wechselspiel zwischen
Orchester und Piano, das in der Coda
noch einmal von beiden Klangkörpern Extremes abverlangte, verabschiedete sich
der Pianist, Leiter des Grafenegg Festivals und Sammler von Autographen und Notenerstdrucken, vom
restlos begeisterten Publikum, das ihn zwar fünfmal auf die Bühne
zurückklatschte, aber keine Zugabe bekam. Schade, denn der Meister machte nicht
den Eindruck der Erschöpfung.
Keine Apotheose, dafür echte Musik eines Gedemütigten
Bekanntlich ist Dimitri Schostakowitschs (1906-1975) Sinfonie Nr. 5 (1937) während des stalinistischen Terrors entstanden und Folge der öffentlichen Kritik 1936 an seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk (1935), die angeblich von „Individualismus, Subjektivismus und Formalismus“ nur so strotzte. Ein mögliches Todesurteil in dieser Zeit, zumal der Mann seiner Schwester wegen politischer Abweichung nach Sibirien verschleppt worden war. Schostakowitsch leistete Abbitte und stimmte zu, dass der Untertitel seiner Sinfonie „Die praktische schöpferische Antwort eines sowjetischen Künstlers auf eine berechtigte Kritik“ trug.
Ganz im Stile des Sozialistischen
Realismus geschrieben wurde das viersätzige Werk sofort zur Erfolgsstory, obwohl oder gerade weil der Komponist
die erfahrene Demütigung der Nomenklatura in das Werk einarbeitete. Es ist
alles andere als gefällig. Und Gergiev, ohne Podest auf der Höhe des Orchesters,
verstand es, dem Anspruch des Komponisten, „echte Musik“ zu schreiben, „die immer
den Inhalt des Lebens widerspiegelt“, vollauf gerecht zu werden.
Mit einem riesigen Orchesterapparat von vierzehn ersten
Geigen, zehn Celli, doppelt bis vierfach besetzten Bläsern, zwei Perkussionisten,
zwei Harfen, Glockenspiel, Xylophon und Flügel, versetzte er den vollbesetzten
Saal in einen fast schon unheimlichen Klangrausch.
Bereits im Moderato
– ein klassischer Sonatenhauptsatz – dominierte die Geste des Auffahrens, des Sich-zur-Wehr-Setzens.
Es sind die Sextsprünge auf- und abwärts wie der punktierte, immer gleiche
Rhythmus, der das Klima dieses Satzes bestimmt. Das stampfende Klavier und die
Kontrapunktik der Blechbläser tun ihr Übriges. Es herrscht Einfachheit trotz
der variativen und kanonischen Elemente. Gergiev machte aus diesem Satz ein Moderato molto espressivo, das sich in der Durchführung zu einem grotesken
Marsch steigerte und in der Reprise den
Aufbruch zum Kampf anregte. Ein chromatisch aufwärts steigendes Glockenspiel leitete
in das Allegretto über.
Ist es ein Ländler, ein Menuett oder ein Walzer? Jedenfalls
ist es eine Melodiefolge im Dreivierteltakt mit überstarker Betonung auf dem
ersten Taktteil, das dem Stück mit zusätzlichen Quintparallelen einen derben,
fast aggressiven Duktus verleiht. Kein Scherzo, so die Handschrift des
Dirigenten, sondern eher ein verzweifelter Tanz auf dem Hochseil.
Kontrastieren dazu das Largo,
angelehnt an Gustav Mahlers Adagietto
aus seiner Fünften Sinfonie.
Klangintensiv mit leisesten Tremoli und sanften Melodien von Oboe, Flöte oder
Klarinette vermeinte man sich in einer Feenwelt. Das Glockenspiel tat sein
Übriges. Alles schien zu schweben und sich in friedlicher Harmonie zu vereinen.
Aber war das so? Keineswegs, denn ein heftiger, schmerzhafter Paukenschlag ließ
die Seelen des Publikums bis in die Grundfesten erschauern.
Treibend und fordernd die folgenden hämmernden ostinaten Achtelbewegungen
der Pauken und Trommeln, von dreifachen Posaunen, Hörnern und Trompeten
begleitet. Im Mittelteil eine Romanze. Tatsächlich zitiert Schostakowitsch
hier aus seinen Romanzen nach Gedichten
Alexander Puschkins op. 46: „So muss auch jener Irrtum schwinden, der lang schon
meine Seele quält. Bis sich Visionen wiederfinden.“ Alles andere als eine
Apotheose, wie der Komponist selbst festhielt, sondern viel eher das Prinzip per aspera ad astra (von der Mühsal zu
den Sternen). Und das martialisch und eher anklagend als lobpreisend. Eine messerscharfe
Hymne mit dissonanten Begleittönen, soldatischer Präzision und einem knallendem
finalem Paukenschlag beendete die Fünfte
und hinterließ eher Betroffenheit als Befreiung, eher Verteufelung als
Vergöttlichung.
Valery Gergiev |
Gergiev und seine
Münchner Philharmoniker boten zwei
große Werke von zwei epocheprägenden Komponisten und erhellten die
verschiedenen Gefühlslagen des russischen Volkes – und wohl weltweit gültig –
in einer Bandbreite von über 60 Jahren, einer Umbruchszeit zwischen
Bauernbefreiung (1861) und großer Oktoberrevolution (1917) mit all ihren Folgen
(1936/38). Zusammen mit Rudolf
Buchbinder kam ein Triumvirat zusammen, das durch Freundschaft und tiefe
Verbundenheit glänzte und der Musik zweier sehr gegensätzlicher Komponisten ihre
vollkommene Größe verlieh.
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