Sonntag, 28. April 2019


„Die Walküre“, erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring der Nibelungen“ (1876) von Richard Wagner (1813-1883) in der Oper Frankfurt, Wiederaufnahme der Inszenierung vom Oktober 2010, 27.04.2019

Bildmitte: Christiane Libor (Brünnhilde), Jens Kilian (Bühnenbild)
Fotos: Barbara Aumüller

Fortschritt – Katastrophe – Fortschritt


Die Walküre, wichtiges Scharnier der „Ring- Tetralogie“ Richard Wagners zwischen Rheingold, Siegfried und Götterdämmerung, wurde in der Inszenierung von Vera Nemirova und der szenischen Leitung der Wiederaufnahme von Hans Werner Richter zu einer Tragödie des Gottes Wotan, der nicht allein an seiner Macht, sondern vor allem an seiner Liebe und an sich selbst scheitert.


Im Einführungsvortrag gebrauchte Sebastian Schlot – eigenen Angaben zufolge zurzeit im Magisterstudium bei dem vor kurzem ausgeschiedenen Dramaturgen der Oper Frankfurt, Norbert Abels – zu Recht das 1920 von Paul Klee geschaffene Aquarell Angelus Novus, das einen Engel zeigt, der rückwärts schauend vorwärts schreitet und nichts als Trümmerhaufen hinterlässt. Eine Allegorie auf den Fortschritt als Katastrophe.  

Es geht hauptsächlich um Wotan, dessen Ausweglosigkeit sich zuspitzt in dem Ausruf: „Nur eines will ich noch, das Ende!“ Er lässt seinen Sohn Siegmund von Hunding ermorden, will seine schwangere Tochter Sieglinde umbringen und, last but not least, seine mit Erda gezeugte Lieblingstochter Brünnhilde als Strafe für ihren Ungehorsam dem ersten besten Manne anbieten. Nebenbei bemerkt ist seine Ehe mit Fricka, die dem Schwerenöter und Gesetzesbrecher die Stirn zeigt, heillos zerrüttet.  

Seine Versuche, an der Außenwand Walhalls – so könnte man das Bühnenbild deuten –  die komplizierten Zusammenhänge seines Familienstammbaums zu ordnen (2. Akt), können die komplexen Verstrickungen auch nicht lösen. Wotan, in der Erkenntnis seiner schwindenden Macht, verliert sich im Rachefeldzug selbst, wird zum ruhelosen Wanderer, kann zuvor aber noch, das einzig Tröstliche am Schicksalsdrama, dem Abschiedswunsch seiner geliebten Tochter entgegenkommen, indem er ihr verspricht, dass kein gewöhnlicher Mann die schutzlos Schlafende erwecken werde. Den Feuerring, der sie umgibt, könne nur ein Held durchschreiten: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!“ ruft er, musikalisch begleitet vom Siegfried-Motiv. Bekanntlich sind in Wotans Speerspitze alle menschlichen Gesetze enthalten. Nur der kann sich über sie erheben, der freier ist als sie, als Wotan: „Lebe wohl, du kühnes, herrliches Kind!, singt er ergreifend zum Abschied und ergänzt: „Nur der, der freier ist als ich, der Gott, wird sie befreien!“
Peter Wedd (Siegmund), Amber Wagner (Sieglinde)


Alpha und Omega, der ewige Kreislauf


Einzigartig das Bühnenbild (Jens Kilian), einschließlich der Kostüme (Ingeborg Bernerth) und dem Licht (Olaf Winter). Es sind die den Kreislauf des Lebens zwischen Alpha und Omega symbolisierenden Ringe, die höchst variabel in die unterschiedlichsten Orte führen und mit durchdachter Lichtführung kontrastierende Atmosphären erzeugen. Mal Unterweltbehausung, Schneelandschaft mit drohenden Himmelstürmen, dann Walhall und Kampfplatz im zweiten Akt, oder Totenhalle mit aufgebahrten Särgen der Helden, mal Baumscheibensymbolik als Metapher der Vergänglichkeit. Eine schlichte Bühne voller Spannung, komponiert wie die komplexe Leitmotivik Wagners, einfach im Motiv, unglaublich vielfältig und kreativ in der Verarbeitung. Passend dazu die Kostüme. Schlicht, zeitlos, aber ungeheuer vielsagend. Immer präsent das Wolfsfell, Sinnbild Wotans, der Speer, Hort des Gesetzes, das Schwert Nothung, Zeichen der Unbesiegbarkeit. Das Auge war ebenso gefordert und tief verwoben in das Handlungsgeschehen wie das Ohr. Einfach nur genial.

Die Sängerinnen gehörten ohne Abstriche zum Besten, was den Ansprüchen des Rings nur gerecht sein könnte. Beginnen wir mit dem 1. Aufzug, der von dem Tenor und Hausdebütanten, Peter Wedd, als Siegmund, der Sopranistin Amber Wagner, als Sieglinde, und dem Bass und Debütanten, Taras Shtonda, bestritten wurde. Ein Dreiergespann mit atemberaubender Klangqualität und raumfüllender Vehemenz. Innigkeit, Liebe und Hass, Ablehnung und Zuneigung, all das sangen sie nicht nur, sondern ließen das Publikum auch mitfühlen. Gesang und Instrumentation (dazu später) verschmolzen zu einer fesselnden Einheit. Ein Akt, der mit einem gefährlichen, unheilvollen Sturm beginnt und mit einem hinreißenden Sturm zweier Liebenden, Siegmund und Sieglinde, endet.

Oben v.l.: Claudia Mahnke (Fricka), Christiane Libor
(Brünnhilde), unten: James Rutherford (Wotan)

Erst im zweiten Aufzug treten Wotan, vertreten durch den beeindruckenden Bassbariton, James Rutherford, Fricka, verkörpert durch die Mezzosopranistin, Claudia Mahnke, und  Brünnhilde, einzigartig besetzt von der Sopranistin, Christiane Libor, hinzu. Dieses Trio könnte von Charakter und Temperament kaum unterschiedlicher sein: Wotan, der Schicksalsahnende, Fricka, die Betrogene, Eifersüchtige, vordergründig auf Gesetz und Recht Bestehende, und die spontane, vor Willenskraft und Tatendrang sprudelnde Brünnhilde, im vollen Bewusstsein dessen, Lieblingstochter ihres Gottvaters zu sein. Jedes Solo, jedes Duett oder Terzett geriet zu einer gesanglichen und schauspielerischen Erlebnisreise durch die Höhen und Tiefen intimster wie exponierter Konflikte. Auch hier wieder eingeleitet durch heftiges Orchestervorspiel und beendet durch die wilde Flucht Sieglindes und Brünnhildes vor der Rache Wotans.

Wotan hat den Tod Siegmunds zu verantworten, tötet Hunding, seinen Handlanger, und verflucht die Treulosigkeit seiner Tochter Brünnhilde, der er Rache und härteste Bestrafung schwört. Musikalischer Donner und Sturm beenden diesen Teil der Tragödie und lassen ein psychisch und physisch beeindrucktes Auditorium zurück.

Im dritten Aufzug erscheinen die acht Walküren, Töchter von Wotan und Fricka (Brünnhilde ist Tochter von Erda und Wotan). Mit Ausnahme der Sopranistin Irina Simmes (Gerhilde), die ihr Rollendebüt feierte, stammen allesamt aus dem Opernstudio: Die Sopranistinnen Elizabeth Reiter (Ortlinde), Nina Tarandek (Waltraute), Katharina Magiera (Schwertleite), Karen Vuong (Siegrune), Stine Marie Fischer (Grimgerte) sowie die Mezzosopranistin Judita Nagyová (Rossweise) und die Koloratursopranistin Ambur Braid (Helmwiege).

Ihr schmetterndes Hojotoho ließ die Zuschauerreihen erbeben und, nach fast vier Stunden, auch den Allerletzten aus dem Schlummer reißen. Der wilde Ritt dieses Oktetts wird allerdings zu einem gewaltigen Sturm der Ängstlichkeit, als Brünnhilde von ihnen Schutz gegen Wotan verlangt. Acht gewaltig gute Stimmen ließen noch einmal Hoffnung aufkeimen, die allerdings durch die Unerbittlichkeit Wotans gleich im Keim erstickte. Die Walküren sind ihrem Gott und Vater nicht gewachsen, lassen Brünnhilde allein und verschwinden so plötzlich, wie sie erschienen sind.

Vorne: James Rutherford (Wotan), Mitte: Christiane Libor (Brünnhilde)

Ein Tongemälde von ungeheurer Plastizität


Dem Orchester der Frankfurter Oper unter der Leitung des Generalmusikdirektors, Sebastian Weigle, gebührt ein besonderer Dank. Ihre Interpretation der Wagnerschen-Leitmotive gehörte zum Feinsten, und das vor allem dann, wenn Handlung, Gesang und Musik eine ganz persönliche Geschichte erzählten (Siegmund und Sieglinde im ersten, Wotan und Fricka im zweiten und Brünnhilde und Wotan im dritten Akt).

Auch der eher hymnische Charakter des Walkürenritts konnte restlos überzeugen, weil er im Verbund mit der theatralen Bühnenhandlung der Heldenverehrung (man schleppte in langsamem Schritt mehrere Särge in das Walhall) ein Tongemälde von ungeheurer Plastizität abgab. Den weiteren musikalischen Verlauf bis zur abschließenden Feuerringszene, begleitet von der wunderbaren Waberlohe-Motivik, performte Weigle zu einer wahren Sinfonie von Leitmotiven, wobei die des Feuers, des Schicksals, der Verzweiflung, gepaart mit dem Abschieds- und Siegfried-Motiv immer wieder deutlich hervorstachen. 

Einfach nur meisterlich, wie er mit dem Museumsorchester diese Mischung von Innen und Außen, von Emotion und Erzählung in Töne und Klänge verwandelte.

Eine Walküre, die unvergessen für den bleibt, der sie erleben durfte.

Nächste Vorstellungen: 01., 05. und 08. Mai

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