Happy New Ears 2019: Portrait Fausto Romitelli (1963-2004),
Werkstattkonzert in der Oper Frankfurt, 02.04.2019
Fausto Romitelli (Foto: Casa Ricordi Milan) |
Meskalin – auch eine Droge für die Musik
Ein Kenner der Drogen, Professor Wolf Singer, emeritierter Direktor des Max Planck Instituts für Hirnforschung, ein moderierender Musikwissenschaftler und Dramaturg, Patrick Hahn, und ein versierter Dirigent des zehnköpfigen Ensemble Modern, Christian Karlsen, kamen im Frankfurter Opernsaal zusammen und porträtierten einen viel zu früh verstorbenen Komponisten, Fausto Romitelli (1963-2004), dessen Musik, wie er selbst einmal schrieb, mit der „verkommenen Perspektive“ der Droge Meskalin korrespondiere. Ihn hätten, fährt er fort, vor allem die Schriften und Zeichnungen von Henri Michaux (1899-1984) wie auch von Francis Bacon (1909-1992) - beide exzessive Drogenkonsumenten - fasziniert, die seinen auditiven Vorstellungen sehr nahe gekommen seien.
Was aber sind seine „auditiven Vorstellungen“? Romitelli
faszinierte die musique spectrale, ein
in den späten 1970er Jahre im Pariser IRCAM entwickelter Musikstil der Group L’itinéraire, die aus Komponisten
wie Gérard Grisey, Tristan Murail, Michaël Levinas oder auch Hugues Dufourt bestand.
Diese Gruppe wollte zurück zum Klang. Sie untersuchte die physikalischen und
akustischen Charakteristika der Klänge, im Gegensatz zur seriellen
Strukturanalyse, und entwickelte auf Basis ihrer Erkenntnisse ungehörte wie
unerhörte Klangfarben und Klangflächen. Romitelli, in den 1990er Jahren dazu
gestoßen, erweiterte das Klangmaterial durch Hinzuziehung von
Drogenerfahrungen. Meskalin hieß sein Zauberwort, eine bewusstseinsverändernde, möglicherweise auch -erweiternde Droge, die durch halluzinatorische Zustände völlig
neue Klangstrukturen ermöglichte.
Drei Werke von ihm, der Zyklus Professor Bad Trip: Lesson I, II und III (1998-2000) standen auf
dem Programm, die der Wirkung des Meskalins sehr nahe kommen. Dazu Romitelli: „In
der Welt des Meskalin … finden sich weder gute Manieren noch guter Geschmack.“
Bereits Bad Trip I
öffnete das Tor zu einem Horrortrip. Vor einer weiß-blauen Acrylprojektion von
Henri Michaux, während eines Mescalinrauschs entstanden, agierte das Ensemble Modern
mit acht InstrumentalistInnen, elektronisch verbunden mit Norbert Ommers E-Team,
und führte mit Klangsplitter, Klangflächen, Wellen, verzerrten Skalen, Rauschen,
obsessiven Wiederholungen der Motive, mit Verdichtungen und Erweiterungen sowie
ständig wechselnden Geschwindigkeiten zunehmend in ein Chaos der Gefühle, in, so Romitelli, hysterische Eruptionen.
Das Gespräch mit Wolf Singer ergab denn auch, dass Drogen
eine unberechenbare Wirkung auf die Rezeptoren ausüben und ungeahnte
Hirnzustände erzeugen können. Meskalin habe eine Wirkung wie LSD und könne bei
Überdosierung zu gefährlichen irreparablen Psychosen führen. Vor allem gehe das
Zeitgefühl verloren, synästhetische Erlebnisse könnten extreme Ausmaße annehmen
und zu schizophrenen Zuständen ausarten. Ob die musikalische Kreativität
gesteigert werde, bezweifelte er zwar, musste aber einräumen, und dazu kam er
im zweiten Teil des Gesprächs (nach der Pause), dass große Künstler wie Van
Gogh, Rimbaud oder auch Dostojewski den Segen der Drogen durchaus zu nutzen
wussten. Erweiterung des Bewusstseins und Heureka-Erlebnisse seien wohl nicht abzustreiten.
Bad Trips – Good Trips?
Zurück zu den Bad Trips. Gemeinsam mit Christian Karlsen und dem mittlerweile auf zehn Musiker erweiterten Ensemble analysierte Patrick Hahn luzide, kurzweilig und auch für Laien bestens nachvollziehbar Bad Trip II.
Francis Bacon |
Vor der Bildprojektion eines verzerrten Gesichts von Francis
Bacon, unterteilte er das 17-minütige Stück in drei, durch Zwischenkadenzen
des Violoncello nachvollziehbar gemachte Teile. Der Anfang, ein vom Klavier initiiertes Vierton-Motiv, zieht sich in diversen Augmentationen und Diminutionen
durch das gesamte Werk hindurch. Instrumente wie das Kazoo (eine Art Membranophon
mit saxophonartigem Klang), die Mundharmonika, Bassklarinette und Bassflöte, dazu das Klavier, die Geige, Viola, Perkussion und Trompete, führten zu akustischen
Täuschungen, die die Pendelbewegungen im Mittelteil oder die absteigende Skalen
in ein weißes Rauschen verwandelten. Man fühlte sich Hin und Her geworfen, nahe
einer inneren Katastrophe, von Technorhythmen, Pulsschlägen und rockigen
Einsprengseln erregt, glücklicherweise aber immer wieder auf die Mitte, die
Viertonfolge zurückversetzt. Lediglich
die Kadenzen des Cellisten (Michael M. Kasper) schafften da ein wenig Struktur,
wenngleich sein elektroakustisches Spiel alles andere als beruhigend wirkte.
Dann erfolgte im dritten und abschließenden Teil ein absoluter Farbenwechsel.
Ein Epilog mit unglaublicher spektraler Farbenvielfalt. Wassergong, E-Bass und
E-Gitarre verschmolzen zu liegenden Akkorden und ließen, dem Ausklang eines Bad Trips ähnlich, wieder Ruhe einkehren
und aus der Illusion in die Realität zurückfinden. Langanhaltende Klangflächen
verschwanden wie ein Atemhauch im Nirwana. Ein Trip, der noch einmal gut
gegangen ist. Ein Good-Trip?
Bad Trip III – wieder
vor einer Projektion von Henri Michaux, einer vieldeutigen rot-blau-weißen
abstrakten Struktur, die auch eine Fratze sein könnte – bewegte sich gefährlich am Rande der Psychose. Auch hier obsessive Wiederholungen des Immergleichen:
eine abfallende Skala auf den Klaviertasten (Ueli Wiget) mit Pfeifenbegleitung,
die sich leitmotivisch durch das gesamte Werk zieht. Dann ein ungeheuer
energetischer, fast gewaltsamer Mittelteil mit Rockrhythmen, elektroakustisch
verstärkt, was direkt ans Körperliche ging. Harter Beat wurde begleitet von Schnaufen
und Hecheln. Mal wie das Gesumme eines aggressiven Bienenvolks, dann wieder unterbrochen
durch Glocken, Harmonika und Xylophon. Schließlich mündete das Ganze in einen
lang anhaltenden Bassklarinettenton, einem Bordun gleich, der, ergänzt durch
surrende, doppeltönig-schwebende Tremoli der Bläser und Streicher, langsam, ganz langsam zu
einem Verschwinden des Klangteppichs führte.
Fausto Romitelli ist leider hier in Deutschland wenig
bekannt, was unter anderem auch an seinem viel zu frühen Tod liegen mag. Das Werkstattkonzert im Rahmen von Happy New Ears in der Oper Frankfurt hat ihn in Erinnerung gebracht und wieder
einmal gezeigt, wie vielfältig, erfindungsreich und spannend Musik doch sein
kann. Spektralmusik ist zwar heute ein gängiger Bestandteil der Elektroakustik (an
dieser Stelle sei noch einmal dem E-Team um Norbert Ommer gedankt)
und wird von so bekannten Komponisten wie Georg Friedrich Haas, Peter Ablinger,
Horatiu Rădulescu, Tristan Murail und nicht zuletzt Kaija Saariaho praktiziert,
aber Romitelli ist da ein ganz besonderer Fall. Seine Affinität zu Drogen und
Halluzinogenen, verbunden mit bildhaften Darstellungen von Horrortrips, gibt
seinen musikalischen Erzeugnissen noch einmal einen ganz speziellen Kick. Man
hat die Wahl: Entweder man begibt sich freiwillig in die Deformation und Transformation der
Hirnzustände oder man versucht, sich von außen dieser Musik zu nähern. Beide Herangehensweisen
sind möglich, wenngleich die erstgenannte wohl nur in einem Rauschzustand Wirkung zeigen dürfte.
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