Martin Grubinger
und The Percussive Planet Ensemble, Alte Oper Frankfurt, 10.04.2019 (eine
Veranstaltung von PRO ARTE)
Martin Grubinger Junior und Martin Grubinger Senior in Aktion (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE) |
Ein Non-Stopp-Flug durch die Welt der Schlagwerke
Wie sollte es auch anders sein: Martin Grubinger (*1983) und seine vierzehn Höchstleitungssportler unterschiedlichster Provenienz aus dem The Percussive Planet Ensemble boten wieder einmal Außergewöhnliches an Rhythmen und Klängen aus aller Herren Länder. Ein Zeitreise durch hundert Jahre Perkussionsgeschichte, so Grubinger in seiner kurzen Eingangsrede. „Lassen Sie sich in ein Flugzeug versetzen und alle Winkel der Erde besuchen. Non Stopp, ohne Toilettengang. In zweieinhalb Stunden sehen wir uns auf der anderen Seite des Globus wieder.“
Grubinger, in
dieser Saison Artist in Residenz in
Frankfurt, stellte mit seinem dritten Konzert erstmals seine eigene Gruppe in
den Mittelpunkt des Programms und bot eine hundertjährige Geschichte des
Schlagzeugs. Angefangen bei Strawinskys Sacre
du Printemps (1913 ein Skandalwerk vor allem auch wegen seiner percussiven
Elemente) und aufgehört bei – ja bei wem eigentlich? Denn, obgleich das
vierteilige Programm mit Archaic Rituals (Nr. 1) durchaus
Reminiszenzen an den Sacre wachrief,
war es doch gespickt mit Teilen von Kalevi Ahos Sieidi (2012), das Grubinger im letzten Konzert (15.03.) im Großen
Saal der Alten Oper mit den Göteborger Symphonikern vorstellte.
Grubinger und seine Mitstreiter hatten tatsächlich keine
Skrupel, quer durch die Geschichte zu streifen, ja zu springen und dabei sämtliche bekannten
und unbekannten Schlaginstrumente zu bedienen. Von der Djembé (eine
Beckentrommel aus Westafrika), einem Balafon (ein Xylophon aus dem
afrikanischen Guinea), einer Darbuka-Trommel aus dem mittleren Osten, diversen japanischen
Taiko-Trommeln, südostasiatischen Gamelan Metallophone, bis zur einsaitigen
Stabzither mit Kalebassenresonanzkörper aus Zentralafrika, alles an
Schlagwerken, was nur denkbar ist, war auf der mit Schlagwerken vollgestellten
Bühne vertreten. Ein weltumfassender
Klangkörper, allein optisch schon ein selten erlebter Hingucker.
Neben die acht Perkussionisten gesellten sich noch Trompete
(Aneel Soomary), E-Gitarre (Alexander
Jung), E-Bass (Heiko Jung),
Keyboard und Synthesizer (Jan Eschke),
Posaune (David Zuder) sowie Tenor-
und Sopran Saxophon (Alexander von
Hagke). Eine Big-Band Formation also mit überdimensioniertem
Rhythmusanteil. Man spielte Henry Mancinis Erkennungsmelodie aus der
US-Kultkrimiserie Peter Gunn (späte 1950er Jahre), oder Black Magic Woman von
der Gruppe Santana aus den 1970ern. Man mischte rituelle Indianertänze mit
alpenländischer Fastnacht und Arrangements von Benny Goodman mit dem Swing von
Count Basie. Hervorragend die Blechbläser und herausragend der Trompeter Aneel
Soomary, der ein Double des legendären Dizzy Gillespie (1917-1993) hätte sein
können.
Weniger eindrucksvoll die sattsam bekannten Big-Band
Einlagen mit bekannten Rock-Pop-Motiven, die mehr der Erholung dienten. Dafür
umso bemerkenswerter die solistischen Einlagen vor allem in Pump up the Rhythm (Nr. 2) und in Minimal Experiences (Nr. 3). Hier
konnten die Solisten glänzen, die an ihren Instrumenten durchaus ebenbürtig mit
Grubinger agierten. Vor allem der Marokkaner Rhani Krija an den Bongos und Amoy
Ribas aus Sao Paulo an der afrikanischen Zither boten Außergewöhnliches,
aber auch die diversen Trios und Quartette im ukrainischen (Slavik Stakhov),bulgarisch/rumänischen
(Alexander Georgiev) und jüdischen
Klezmer-Stil (Christian Lettner, Rainer
Furthner, beide Österreicher) ließen die Gemüter des Publikums auf
Hochtouren laufen.
Grubinger Junior und Grubinger Senior, letztgenannter
übernahm die Koordination der Big-Band, gaben sich - in der Sportsprache
ausgedrückt - kein Blöße. Zweieinhalb Stunden boten sie Höchstleistung pur,
wirbelten von Ort zu Ort, hielten zusammen, was selten auseinanderzubrechen drohte.
Grubinger Junior bot zudem noch Performances der Extraklasse, wie ein fiktives
Drummersolo im verdunkelten Raum mit Leuchtsticks, oder ein Trio mit
fluoreszierenden Stäben und akrobatischen Wurfeinlagen im Finale
(Furthner/Grubinger/Lettner). Nicht zu vergessen die Gesangseinlagen der
Vierzehn. Raue Stimmen, schräg und irgendwie ansteckend; vor allem das Ua-Uah-Uoh
mit begleitendem Steineklopfen im ersten Teil oder das Gamelan-Gemurmel im Zweiten
konnten gefallen.
Martin Grubinger und The Percussive Planet Ensemble in der Alten Oper Frankfurt (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE) |
Ein Marathon der Sinne
Percussive Trains bildete
den Abschluss der äußerst lebendigen Klang- und Rhythmuscollage. Wer dachte da
nicht an Arthur Honeggers Pacific 231
aus seiner Sinfonie Nr. 1 (1923), die stampfende Eisenbahnfahrt einer
Dampflokomotive durch die Weiten der amerikanischen Prärie. Oder auch über die
Bergwelt der Alpen? Bei groovigem Blues eines
John Mayall, Anklängen aus George Gershwins Ein
Amerikaner in Paris (1928) und dem treibenden Rhythmus der immer schneller
werdenden Lok, konnten die Solisten noch einmal mit kurzen Improvisationen
glänzen, die Big-Band noch einmal ihr ganzes schöpferisches Potenzial entfalten
und schlussendlich Grubinger noch einmal mit seinen zwei österreichischen
Freunden seine ungeheuerliche Schnelligkeit auf den Snaredrums demonstrieren.
Es riss das Publikum des vollbesetzten Großen Saals der
Alten Oper förmlich von den Sitzen. Mit lautem Geschrei musste sich das gut
zweieinhalbstündige Anhalten der Luft (man hatte kaum Zeit zum
Zwischenapplaus), explosionsartig entladen. Es war ein Marathon für die Sinne
mit blau-türkisem Farbenspiel, athletischen jungen Männern im Höchstleistungsmodus (auch Grubinger
Senior kann noch dazu gezählt werden) und einem Streifzug durch die Welt der
Schlagwerke mit gewaltiger Spannweite. Tatsächlich wurden alle Kontinente und
ihre Rhythmen berührt, aber es war keine Geschichte, die hier rückblickend und
vorwärtsblickend erzählt wurde, sondern mehr ein Sammelsurium von kleinen
Schlagwerk-Erzählungen, eine Art perkussive Welt-Suite, von einer Multikulti-Band dargeboten, die den schmalen Steg von
Individualität und Kollektivität sicher und souverän überquerte.
Martin Grubinger (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE) |
Die Frage stellt sich allerdings, wie lange so etwas
durchzuhalten ist. Grubinger ist jung, noch keine Vierzig. Es geht das
Gerücht herum, er wolle nur noch vier Jahre so weitermachen. Sieht man allerdings
seinen Vater, dann könnte er uns noch länger erhalten bleiben. Denn es lohnt
sich allemal, ihn und seine Planets zu
erleben und, wie eingangs gesagt, auf der anderen Seite des Globus wiederzusehen.
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