Donnerstag, 11. April 2019


Martin Grubinger und The Percussive Planet Ensemble, Alte Oper Frankfurt, 10.04.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Martin Grubinger Junior und Martin Grubinger Senior in Aktion (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE)



Ein Non-Stopp-Flug durch die Welt der Schlagwerke


Wie sollte es auch anders sein: Martin Grubinger (*1983) und seine vierzehn Höchstleitungssportler unterschiedlichster Provenienz aus dem The Percussive Planet Ensemble boten wieder einmal Außergewöhnliches an Rhythmen und Klängen aus aller Herren Länder. Ein Zeitreise durch hundert Jahre Perkussionsgeschichte, so Grubinger in seiner kurzen Eingangsrede. „Lassen Sie sich in ein Flugzeug versetzen und alle Winkel der Erde besuchen. Non Stopp, ohne Toilettengang. In zweieinhalb Stunden sehen wir uns auf der anderen Seite des Globus wieder.“


Grubinger, in dieser Saison Artist in Residenz in Frankfurt, stellte mit seinem dritten Konzert erstmals seine eigene Gruppe in den Mittelpunkt des Programms und bot eine hundertjährige Geschichte des Schlagzeugs. Angefangen bei Strawinskys Sacre du Printemps (1913 ein Skandalwerk vor allem auch wegen seiner percussiven Elemente) und aufgehört bei – ja bei wem eigentlich? Denn, obgleich das vierteilige Programm mit Archaic Rituals (Nr. 1) durchaus Reminiszenzen an den Sacre wachrief, war es doch gespickt mit Teilen von Kalevi Ahos Sieidi (2012), das Grubinger im letzten Konzert (15.03.) im Großen Saal der Alten Oper mit den Göteborger Symphonikern vorstellte.

Grubinger und seine Mitstreiter hatten tatsächlich keine Skrupel, quer durch die Geschichte zu streifen, ja zu springen und dabei sämtliche bekannten und unbekannten Schlaginstrumente zu bedienen. Von der Djembé (eine Beckentrommel aus Westafrika), einem Balafon (ein Xylophon aus dem afrikanischen Guinea), einer Darbuka-Trommel aus dem mittleren Osten, diversen japanischen Taiko-Trommeln, südostasiatischen Gamelan Metallophone, bis zur einsaitigen Stabzither mit Kalebassenresonanzkörper aus Zentralafrika, alles an Schlagwerken, was nur denkbar ist, war auf der mit Schlagwerken vollgestellten Bühne  vertreten. Ein weltumfassender Klangkörper, allein optisch schon ein selten erlebter Hingucker.

Neben die acht Perkussionisten gesellten sich noch Trompete (Aneel Soomary), E-Gitarre (Alexander Jung), E-Bass (Heiko Jung), Keyboard und Synthesizer (Jan Eschke), Posaune (David Zuder) sowie Tenor- und Sopran Saxophon (Alexander von Hagke). Eine Big-Band Formation also mit überdimensioniertem Rhythmusanteil. Man spielte Henry Mancinis Erkennungsmelodie aus der US-Kultkrimiserie Peter Gunn (späte 1950er Jahre), oder Black Magic Woman von der Gruppe Santana aus den 1970ern. Man mischte rituelle Indianertänze mit alpenländischer Fastnacht und Arrangements von Benny Goodman mit dem Swing von Count Basie. Hervorragend die Blechbläser und herausragend der Trompeter Aneel Soomary, der ein Double des legendären Dizzy Gillespie (1917-1993) hätte sein können.

Weniger eindrucksvoll die sattsam bekannten Big-Band Einlagen mit bekannten Rock-Pop-Motiven, die mehr der Erholung dienten. Dafür umso bemerkenswerter die solistischen Einlagen vor allem in Pump up the Rhythm (Nr. 2) und in Minimal Experiences (Nr. 3). Hier konnten die Solisten glänzen, die an ihren Instrumenten durchaus ebenbürtig mit Grubinger agierten. Vor allem der Marokkaner Rhani Krija an den Bongos und Amoy Ribas aus Sao Paulo an der afrikanischen Zither boten Außergewöhnliches, aber auch die diversen Trios und Quartette im ukrainischen (Slavik Stakhov),bulgarisch/rumänischen (Alexander Georgiev) und jüdischen Klezmer-Stil (Christian Lettner, Rainer Furthner, beide Österreicher) ließen die Gemüter des Publikums auf Hochtouren laufen.

Grubinger Junior und Grubinger Senior, letztgenannter übernahm die Koordination der Big-Band, gaben sich - in der Sportsprache ausgedrückt - kein Blöße. Zweieinhalb Stunden boten sie Höchstleistung pur, wirbelten von Ort zu Ort, hielten zusammen, was selten auseinanderzubrechen drohte. Grubinger Junior bot zudem noch Performances der Extraklasse, wie ein fiktives Drummersolo im verdunkelten Raum mit Leuchtsticks, oder ein Trio mit fluoreszierenden Stäben und akrobatischen Wurfeinlagen im Finale (Furthner/Grubinger/Lettner). Nicht zu vergessen die Gesangseinlagen der Vierzehn. Raue Stimmen, schräg und irgendwie ansteckend; vor allem das Ua-Uah-Uoh mit begleitendem Steineklopfen im ersten Teil oder das Gamelan-Gemurmel im Zweiten konnten gefallen.

Martin Grubinger und The Percussive Planet Ensemble in der Alten Oper Frankfurt (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE)

Ein Marathon der Sinne


Percussive Trains bildete den Abschluss der äußerst lebendigen Klang- und Rhythmuscollage. Wer dachte da nicht an Arthur Honeggers Pacific 231 aus seiner Sinfonie Nr. 1 (1923), die stampfende Eisenbahnfahrt einer Dampflokomotive durch die Weiten der amerikanischen Prärie. Oder auch über die Bergwelt der Alpen? Bei groovigem Blues eines John Mayall, Anklängen aus George Gershwins Ein Amerikaner in Paris (1928) und dem treibenden Rhythmus der immer schneller werdenden Lok, konnten die Solisten noch einmal mit kurzen Improvisationen glänzen, die Big-Band noch einmal ihr ganzes schöpferisches Potenzial entfalten und schlussendlich Grubinger noch einmal mit seinen zwei österreichischen Freunden seine ungeheuerliche Schnelligkeit auf den Snaredrums demonstrieren.

Es riss das Publikum des vollbesetzten Großen Saals der Alten Oper förmlich von den Sitzen. Mit lautem Geschrei musste sich das gut zweieinhalbstündige Anhalten der Luft (man hatte kaum Zeit zum Zwischenapplaus), explosionsartig entladen. Es war ein Marathon für die Sinne mit blau-türkisem Farbenspiel, athletischen jungen Männern im Höchstleistungsmodus (auch Grubinger Senior kann noch dazu gezählt werden) und einem Streifzug durch die Welt der Schlagwerke mit gewaltiger Spannweite. Tatsächlich wurden alle Kontinente und ihre Rhythmen berührt, aber es war keine Geschichte, die hier rückblickend und vorwärtsblickend erzählt wurde, sondern mehr ein Sammelsurium von kleinen Schlagwerk-Erzählungen, eine Art perkussive Welt-Suite, von einer Multikulti-Band dargeboten, die den schmalen Steg von Individualität und Kollektivität sicher und souverän überquerte.

Martin Grubinger (Foto: Daniel Juch/PRO ARTE)

Die Frage stellt sich allerdings, wie lange so etwas durchzuhalten ist. Grubinger ist jung, noch keine Vierzig. Es geht das Gerücht herum, er wolle nur noch vier Jahre so weitermachen. Sieht man allerdings seinen Vater, dann könnte er uns noch länger erhalten bleiben. Denn es lohnt sich allemal, ihn und seine Planets zu erleben und, wie eingangs gesagt, auf der anderen Seite des Globus wiederzusehen.

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