Donnerstag, 2. Mai 2019


123. Internationalen Maifestspiele  Wiesbaden mit dem Mozart-Doppelprojekt Idomeneo (30.04.) und Titus (01.05.) im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden

La Clemenza di Tito (1781), Opera Seria in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Premiere im Staatstheater Wiesbaden, 01.05.2019


Unten v.l.n.r.: Lena Haselmann (weißer Anzug) als Annio, Silvia Hauer (orangefarbener Gefangenendress) als Sesto, Olesya
Golovneva (liegend) als Vitellia, Mirko Roschkowski (Titus), Shira Patchornik (Servilia) Chor des HSW
Fotos: Karl  & Monika Forster

Eine Oper der Aufklärung


Bereits die spritzige Ouvertüre ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, wem diese Oper gewidmet war. Nämlich Kaiser Leopold II (1727-1792), dessen Stände den Auftrag für seine Krönungsfeierlichkeiten in Prag (1791) Mozart übertrugen, der diese Oper aus Gründen der chronischen Arbeitsüberlastung in weniger als drei Wochen hinschrieb. 


Es ist unbestritten ein feudales Auftragswerk mit allen Huldigungen, Belobigungen des Protagonisten, die eine solche Oper zu enthalten hat. Dazu passt auch der „alte Stil“, die Form der opera seria, den Mozart auswählte (im Gegensatz zu seiner parallel entstehenden Zauberflöte) und das Sujet: die rührende Geschichte des edlen Kaisers Titus. Zu Lebzeiten eher ein Schlächter (er vertrieb  unter anderem 70 n.u.Z. gewaltsam die Israeliten aus ihrem gelobten Land), um sich dann nach seinem Triumphzug in Rom vom Saulus zum Paulus zu wandeln und keiner Fliege mehr etwas zu Leide zu tun.

Mozarts Titus allerdings ist kein bloßes Herrscherlob. Es ist bei näherer Betrachtung  ein Werk der Aufklärung. Die Handlung konzentriert sich auf eine Palastintrige, in der Sesto, ein Freund Titus´ und der Vitellia hörig, von letztgenannter dazu animiert wird, eine Revolte anzuzetteln, bei der der Kaiser getötet werden soll. Vitellia wiederum, die Tochter des von Titus gestürzten Kaisers Vitellius, plant diesen Komplott aus Rache und Eifersucht. Denn der Kaiser liebt nicht sie, wie erhofft, sondern Servilia, die Schwester seines Freundes Sesto. Servilia wiederum liebt Annio, ebenfalls Freund des Kaisers. Die Komplexität der Liebesbeziehungen löst der Kaiser durch gütige Staatsraison. Er überlässt Servilia ihrem Freund Annio, entscheidet sich für Vitellia, kann aber die Palastrevolution nicht mehr verhindern.

Der Kaiser entgeht durch Verwechslung mit Lentulo (ohne Stimme, Johannes Kastl), Komplize der Vitellia, dem Todesstreich. Sesto und Vitellia werden von Titus begnadigt, aber dennoch kein Lieto fine, denn Vitellia stirbt, nachdem sie freiwillig den Schierlingsbecher getrunken hat, vor den Füßen ihres geliebten Kaisers (eine dramaturgische Überraschung der Inszenierung).

Was aber macht diese Oper zu einer der Aufklärung? Es ist die Haltung des Kaisers. Nicht gütig und tolerant ist er, auch kein Feigling. Er verwechselt auch nicht Liebe mit Güte, wenn er sich gegen Servilia und für Vitellia entscheidet. Titus wird unter Mozarts Händen (das Libretto geht zurück auf das 60 Jahre alte gleichnamige Buch von Pietro Metastasio) stattdessen zu einer Demonstration des souveränen Verzeihens. In seiner Person konzentriert sich der Widerspruch zwischen Staatsräson und Menschlichkeit. Er wird zum Inbegriff von Gewaltlosigkeit in einer Welt voller Gewalt. Insofern wird er auch zum Vorkämpfer der Demokratie, denn nur in der Gewaltenteilung (die Französische Revolution stand vor den Toren der Habsburger), eingebettet in die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sah er die Zukunft der Völker Europas. Ob er mit seinem Anliegen verstanden wurde, muss allerdings offen bleiben.
Olesya Golovneva (Vitellia), Silvia Hauer (Sesto)

Ein Oratorium für großen Gesang


Es sei vorweggenommen. Diese Inszenierung bestach durch Dichte und große Gestik. Uwe Erik Laufenberg (Regie) und sein Team (identisch mit dem des Idomeneo) konzentrierten sich hier auf sachliche, nüchtern reduzierte Äußerlichkeiten. Das Bühnenbild, bereits zu Beginn des Idomeneo über die große Videoleinwand zu sehen, wird hier zum einzigen Schauplatz. Die handelnden Personen sind streng schwarz, im Stile von Bankern gekleidet. Lediglich Titus (in blauem Anzug) und die SolistInnen setzen sich von der Masse durch farbliche Eleganz ab. Die Handlung konzentriert sich auf die große Freitreppe. Dort spielt das Leben. Mal steht der Thron, wichtigste Requisite, unten (wenn der Kaiser unter Druck steht) mal oben (im Finale). Das statische Moment wird allerdings höchst anschaulich durch den Brand des Kapitols unterbrochen. Man sieht die Außenfront des Staatstheaters Wiesbaden durch heftige Detonationen in die Luft fliegen.  Eine klasse Idee und absolut passend zur Thematik.

Ansonsten stehen die SängerInnen im Mittelpunkt. Herauszuheben Sesto, eine Hosenrolle, die von der Mezzosopranistin Silvia Hauer überragend gesungen und gespielt wurde. Mitreißend ihre Selbstzweifel- und Reuearien, aber auch ihre unbedingte Bereitschaft, den gnadenlosen Befehlen ihrer Geliebten Vitellia zu folgen. Sie war das Highlight der Vorstellung. Dem stand Vitellia, Olesya Golovneva, kaum nach. Ihr Sopran überzeugte durch Stimmgewalt und außerordentlichen Umfang. Ohne Probleme schaffte sie die tiefen Töne und ließ die Höhen ebenfalls makellos erklingen. Shira Patchornik als Servilia passte ausgezeichnet in ihre Rolle als Geliebte des Kaisers und der Annio. Ihr glockenklarer leichter Gesang schaffte ebenso mühelos die komplizierten Koloraturen wie auch die extremen Höhen der Arien. Publio, Führer der Leibwache und engster Vertrauter des Kaisers, wurde von Young Doo Park sehr bestimmt und würdevoll in gediegenem Bass präsentiert. Park gehört durchaus zur „Sängerbank“ des Wiesbadener Opernstudios. Annio, ebenfalls eine Hosenrolle, von der Mezzosopranistin Lena Haselmann gesungen, konnte dagegen stimmlich weniger überzeugen. Ihr Timbre schwankte in den Höhen und war insgesamt ohne Volumen. Dennoch aber gelang es ihr, durch elegantes Auftreten – in einem weißen Anzug – und schauspielerische Präsenz zu glänzen.

Mirko Roschkowski sang sowohl die Rolle des Idomeneo als auch die des Titus, was durchaus sinnvoll ist. Beiden Rollen gab er, der eher in der Baritonen Stimmlage als im Tenor zuhause ist, einen wirkungsvollen Impetus. Als Titus mehr denn als Idomeneo, denn die Arien des Titus bewegen sich vorwiegend im lyrischen Bereich, sehr melodiös, was ihm offensichtlich mehr liegt. Die Unsicherheiten in den Höhen und der Koloratur konnte er aber durch große Empathie und herrschaftliche Gestik ausgleichen.

Konrad Junghänel dirigierte zum Titus eine völlig neue Besetzung des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden, etwas kleiner als die des Idomeneo, aber dafür auf gleichem Niveau. Leider waren seine Einsätze nicht immer stimmig und Chor und SängerInnen hatten mitunter Mühe, den Gleichklang einzuhalten, was die Qualität des Abends doch etwas beeinträchtigte. Der Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden brillierte wieder einmal. Albert Horne hat da eine Gesangsgruppe zusammengestellt, die stimmlich wie schauspielerisch jedes Bühnenwerk absolut bereichert, so auch den Titus.

Mirko Roschkowski (Titus), Silvia Hauer (Sesto)

Ein Doppelpack mit großen Unterschieden


Man kann den Idomeneo und den Titus durchaus im Doppelpack aufführen, denn beide Opern bewegen sich in der Antike – die eine als Mythos, die andere als Geschichte – und beide haben, wie Laufenberg richtig feststellt, die Zentren der Macht zum Thema. Allerdings sind beide doch von großer Unterschiedlichkeit, was Handlung und Musik betrifft. So ist der Idomeneo musikalisch eher ein Zwitter zwischen Opera seria und großer heroischer Oper mit Anklängen an das moderne Drama, während sich der Titus im klassischen Stil der Opera seria bewegt, sehr barock in seiner Form und eher statisch, im Handlungsablauf einem Oratorium ähnlich. Insofern kann man beide Opern auch separat erleben, ohne jeweils von der anderen etwas versäumt zu haben.

Auch Volkes-Stimme ist sehr unterschiedlich zu bewerten. Im Idomeneo eher ein Schicksalshaufen, der sich blind von den jeweiligen Machtstrukturen leiten lässt, wird es im Titus, wohl auch unter dem Einfluss der Französischen Revolution, zum handelnden Subjekt. Zwar huldigt das Volk überwiegend dem gütigen Kaiser, aber unter der Hand Mozarts wird gerät die Huldigung zum Appell an ihn, dem Volke zu dienen, seine Interessen zu würdigen und im aufgeklärten Sinne, Demokratie walten zu lassen. Dennoch steht Titus am Ende alleine und vom Volk verlassen da.

Zwei Inszenierungen, die es lohnt zu erleben, denn sie geben viel Stoff zum Diskurs und passen blendend zur aktuellen europäischen Lage (siehe Gelbwesten in Frankreich, Wahlergebnisse in Spanien, schwelender Kosovo Konflikt, Brexitgerangel) wie zur Weltlage (Venezuela, Abdankung des Kaisers in Japan).

Der Beifall war insgesamt groß, größer und begeisterter allerdings bei Titus wegen der klareren und nachvollziehbareren Inszenierung, des reiferen Librettos und der bereits ins Romantische weisenden Arien, Duette und Terzette, wobei der Klarinettist, Adrian Krämer, für seine beiden Bühnenauftritte einen extra Applaus verdiente.

Nächste Vorstellungen: 05.05., 10., 22. und 27.06.

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