Ensemble Modern,
Konzertabend in der Alten Oper Frankfurt, 02.05.2019 (6. und letztes Abonnementkonzert
„Ensemble Modern“ der Spielzeit 2018/19)
Mark Andre (Foto: Karsten Witt) |
Auf der Suche nach den Klängen zwischen den Klängen
Auf dem Programm des letzten Abonnementkonzerts Ensemble Modern in dieser Spielzeit stand der Zyklus riss 1-3 (2014/17) des in Paris geborenen, heute in Berlin lebenden und in Dresden lehrenden Komponisten Mark Andre (*1964). Ein sehr lebendiges und spannungsgeladenes Triptychon auf der Suche nach den Klängen zwischen den Klängen. Eine diffizile Aufgabe für das Ensemble Modern (EM) unter der Leitung von Ingo Metzmacher, die aber blendend gelöst wurde.
Mark Andre ist tatsächlich ein Suchender und Fragender. Bereits
in der Konzerteinführung mit dem Leiter des EM, Christian Fausch (Moderation),
erklärt der sehr schüchtern wirkende, sich persönlich völlig zurücknehmende
Künstler seine Idee für diesen Zyklus. Sie sei seine Suche nach Antworten auf
die existenziellen Fragen des Lebens, denen er über wissenschaftliche
musikalische Studien (Klangexperimente mit Echographien und akustischen
Resonanzen), sowie über seinen tiefen christlichen Glauben näherkommen zu können
glaubt: „Höchstes Ziel wäre der Versuch“,
meint er, „den zarten zerbrechlichen,
tröstenden Atem des Heiligen Geistes musikalisch zu beobachten und erlebbar zu
machen“.
Echographien haben es ihm angetan. Sie sind Fingerabdrücke
großer Räume, wie Kirchen und Hallen, die entstehen, wenn Tonsignale und ihre
Antworten aufgezeichnet und, wie bei Andre, durch algorithmische Verfahren
überlagert werden, sodass völlig neue Klangspektren entstehen. Andre nennt sie Zwischenräume und versteht darunter
Klänge, die quasi zwischen den üblichen Klangpolen entstehen. Sie seien
zerbrechlich, atemlos, instabil und letztendlich auch mystisch verortet. Andre
spricht von existenziellen Grenzerfahrungen, die ihn in die Nähe Gottes wiesen.
So habe er zum Beispiel riss 2 in der
Jerusalemer Grabeskirche Sonogramme erstellt, deren spektrale Signaturen den
Grundton E wie das Klangfeld D enthielten, und bei der Analyse spirituelle
Erfahrungen mit der Nähe Gottes gemacht (In der Grabeskirche soll Jesus sowohl
geboren, als auch aufgebahrt und auferstanden sein). Freimütig bekennt er sich
zu seinem tiefen Gottesglauben und wünscht, „dass die Musik, oder dass ich selbst
zur Schwelle werde, zu Übergängen zwischen den Räumen“.
Zwischenräume also gedacht als Annäherung zu Gott. Riss 1-3 begreift er denn auch als spirituellen
Vorgang und bezieht sich dabei auf die Theologin und Freundin, Margarete
Gruber, die, mit Bezug auf das Markusevangelium, im Zerreißen des Vorhangs
während der Sterbestunde Jesu, die eigentliche Botschaft Gottes zu erkennen
glaubt, nämlich als Ort des Sterbens zwischen Himmel und Erde, zwischen dem das
Kreuz steht. Andre macht dieses Zerreißen durch Pausen (Fermaten), in denen die
Klänge ihre Tiefenwirkung entfalten, wie auch durch abrupte Strukturwechsel musikalisch
kenntlich.
Riss 1-3 (entstanden
zwischen 2014 und 2017) ist aber keineswegs als sakrales Werk einzustufen, wie
man annehmen könnte. Auch wenn es sich in der Form an Bachs Passionen (Andre nennt mal die Matthäus- dann wieder die Johannespassion) orientiert, ist es doch
eher eine musique mystique instrumentale
(in Abwandlung der musique concrète
instrumentale bei Helmut Lachenmann, sein ehemaliger Lehrer in Stuttgart).
Riss 1-3 ist eine
ausgeklügelte Folge über das Entstehen und Verschwinden von Klängen, ein
Beobachten und Ausloten der Klangspektren durch einzigartige Instrumentierung
(Schwirrbögen, Gummirohr, Akkordeon, Tuba, Wagnertuba, Kontraforte etc.) und tief
empfundene Zusammenführung dieser Elemente, die das Auditorium im Mozart Saal
der Alten Oper zu einer fast 45 minütigen Zeitreise zwischen die polaren Welten
führte.
Ensemble Modern bei den Proben zu Riss 1-3 in der Festeburgkirche (Foto:Barbara Fahle) |
Eine Zeitreise zwischen die polaren Welten
Riss 1 (2015-17)
beginnt mit einem Rauschen. Es ist ein Herausfinden der Räume zwischen den
Räumen, ein Pressen, ein rhythmisches Wandern, ein Stapfen von Pauken und
Klavier, ein körniges Ratschen und glattes Reiben der Saiten, ein Flötenwispern.
Styroporgeräusche, Gummirohrblasen und Schwirrbogenwinde beenden den
spannungsgeladenen ersten Teil, in dem alles im schwebenden Zustand, Nichts in
klarer Tonfolge zu vernehmen ist.
Riss 2 (2014) eigentlich
das erste des Triptychons, beginnt mit dem D-Ton-Feld der Grabeskirche,
begleitet vom Grundton E. Kontrabass, Celli und Trompete übernehmen die Führung,
immer begleitet vom Wandermotiv des Akkordeons. Die Rhythmen wechseln, der Wind
pfeift durch die Ritzen und das Reißen der Saiten von Kontrabass und Streichern
mit langen, sehr langen Fermaten lässt ganz neue Obertonschwingungen wahrnehmen.
Die Pausen (Fermaten) dauern bis zu einer Minute, ohne Nachlassen der Spannung.
Hier offenbarte sich die Meisterschaft des EM
unter Ingo Metzmacher, das es
schaffte, das anfangs doch unruhige Publikum in ihren Bann zu ziehen.
Riss 3 (2014/16)
könnte schließlich als Reprise gelten. Die instrumentale Zusammensetzung
gleicht riss 1 wenngleich die
Rhythmen ausdruckstärker und das himmlische Gewebe von Klangstäben, Flageoletts
der Streicher gemischt mit höchsten Klängen der Klarinette, wie auch das
aggressive Reißen der Saiten und sirrende Blasen intensiver und energetischer
zur Wirkung kommt. Dazu die Wagner-Tuba wie von Ferne hallend, peitschend unterbrochen
von der Bassgeige. Eine Pause von 90 Sekunden ließ die Zeit förmlich still
stehen und in die Zwischenräume hören.
Eine Art Coda verbreitete Unruhe, es flatterte und pochte
wie das Hacken eines Spechts ins Baumholz. Der Wind wuchs zum Sturm heran, die
Glissandi der Bläser und Streicher verbreiteten Nervosität, die Zeituhr tickte
mit höhnischer Aufdringlichkeit. Lange Pausen ließen wieder die Zwischentöne,
Zwischenräume und Risse zu Geltung kommen und die Zeit anhalten. Mit Styroporreiben,
Gummirohrblasen und Schwirrbogenwinden endete Teil 3 so wie anfangs Teil 1. Lange,
lange Pause, bis auch der letzte Ton im Äther verschwand.
Der herzliche Beifall des Publikums gebührte gleichermaßen dem
17-köpfigen EM, dem souveränen Dirigat von Ingo Metzmacher, wie dem Komponisten,
Mark Andre, dem es sichtlich unangenehm war, auf der Bühne stehen zu müssen. Wenn
Bescheidenheit heute noch eine Tugend ist, dann gehört er zu dieser, leider wohl
aussterbenden Spezies.
Riss 1-3 wurde vor
wenigen Tagen mit dieser Formation auf CD eingespielt und wird demnächst
käuflich zu erwerben sein. Unbedingt zu empfehlen!
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