Freitag, 3. Mai 2019


Ensemble Modern, Konzertabend in der Alten Oper Frankfurt, 02.05.2019 (6. und letztes Abonnementkonzert „Ensemble Modern“  der Spielzeit 2018/19)

Mark Andre (Foto: Karsten Witt)

Auf der Suche nach den Klängen zwischen den Klängen


Auf dem Programm des letzten Abonnementkonzerts Ensemble Modern in dieser Spielzeit stand der Zyklus riss 1-3 (2014/17) des in Paris geborenen, heute in Berlin lebenden und in Dresden lehrenden Komponisten Mark Andre (*1964). Ein sehr lebendiges und spannungsgeladenes Triptychon auf der Suche nach den Klängen zwischen den Klängen. Eine diffizile Aufgabe für das Ensemble Modern (EM) unter der Leitung von Ingo Metzmacher, die aber blendend gelöst wurde.


Mark Andre ist tatsächlich ein Suchender und Fragender. Bereits in der Konzerteinführung mit dem Leiter des EM, Christian Fausch (Moderation), erklärt der sehr schüchtern wirkende, sich persönlich völlig zurücknehmende Künstler seine Idee für diesen Zyklus. Sie sei seine Suche nach Antworten auf die existenziellen Fragen des Lebens, denen er über wissenschaftliche musikalische Studien (Klangexperimente mit Echographien und akustischen Resonanzen), sowie über seinen tiefen christlichen Glauben näherkommen zu können glaubt:  „Höchstes Ziel wäre der Versuch“, meint er,  „den zarten zerbrechlichen, tröstenden Atem des Heiligen Geistes musikalisch zu beobachten und erlebbar zu machen“.

Echographien haben es ihm angetan. Sie sind Fingerabdrücke großer Räume, wie Kirchen und Hallen, die entstehen, wenn Tonsignale und ihre Antworten aufgezeichnet und, wie bei Andre, durch algorithmische Verfahren überlagert werden, sodass völlig neue Klangspektren entstehen. Andre nennt sie Zwischenräume und versteht darunter Klänge, die quasi zwischen den üblichen Klangpolen entstehen. Sie seien zerbrechlich, atemlos, instabil und letztendlich auch mystisch verortet. Andre spricht von existenziellen Grenzerfahrungen, die ihn in die Nähe Gottes wiesen. So habe er zum Beispiel riss 2 in der Jerusalemer Grabeskirche Sonogramme erstellt, deren spektrale Signaturen den Grundton E wie das Klangfeld D enthielten, und bei der Analyse spirituelle Erfahrungen mit der Nähe Gottes gemacht (In der Grabeskirche soll Jesus sowohl geboren, als auch aufgebahrt und auferstanden sein). Freimütig bekennt er sich zu seinem tiefen Gottesglauben und wünscht, „dass die Musik, oder dass ich selbst zur Schwelle werde, zu Übergängen zwischen den Räumen“.

Zwischenräume also gedacht als Annäherung zu Gott. Riss 1-3 begreift er denn auch als spirituellen Vorgang und bezieht sich dabei auf die Theologin und Freundin, Margarete Gruber, die, mit Bezug auf das Markusevangelium, im Zerreißen des Vorhangs während der Sterbestunde Jesu, die eigentliche Botschaft Gottes zu erkennen glaubt, nämlich als Ort des Sterbens zwischen Himmel und Erde, zwischen dem das Kreuz steht. Andre macht dieses Zerreißen durch Pausen (Fermaten), in denen die Klänge ihre Tiefenwirkung entfalten, wie auch durch abrupte Strukturwechsel musikalisch kenntlich.  

Riss 1-3 (entstanden zwischen 2014 und 2017) ist aber keineswegs als sakrales Werk einzustufen, wie man annehmen könnte. Auch wenn es sich in der Form an Bachs Passionen (Andre nennt mal die Matthäus- dann wieder die Johannespassion) orientiert, ist es doch eher eine musique mystique instrumentale (in Abwandlung der musique concrète instrumentale bei Helmut Lachenmann, sein ehemaliger Lehrer in Stuttgart).

Riss 1-3 ist eine ausgeklügelte Folge über das Entstehen und Verschwinden von Klängen, ein Beobachten und Ausloten der Klangspektren durch einzigartige Instrumentierung (Schwirrbögen, Gummirohr, Akkordeon, Tuba, Wagnertuba, Kontraforte etc.) und tief empfundene Zusammenführung dieser Elemente, die das Auditorium im Mozart Saal der Alten Oper zu einer fast 45 minütigen Zeitreise zwischen die polaren Welten führte.

Ensemble Modern bei den Proben zu Riss 1-3 in der Festeburgkirche (Foto:Barbara Fahle)

Eine Zeitreise zwischen die polaren Welten


Riss 1 (2015-17) beginnt mit einem Rauschen. Es ist ein Herausfinden der Räume zwischen den Räumen, ein Pressen, ein rhythmisches Wandern, ein Stapfen von Pauken und Klavier, ein körniges Ratschen und glattes Reiben der Saiten, ein Flötenwispern. Styroporgeräusche, Gummirohrblasen und Schwirrbogenwinde beenden den spannungsgeladenen ersten Teil, in dem alles im schwebenden Zustand, Nichts in klarer Tonfolge zu vernehmen ist.

Riss 2 (2014) eigentlich das erste des Triptychons, beginnt mit dem D-Ton-Feld der Grabeskirche, begleitet vom Grundton E. Kontrabass, Celli und Trompete übernehmen die Führung, immer begleitet vom Wandermotiv des Akkordeons. Die Rhythmen wechseln, der Wind pfeift durch die Ritzen und das Reißen der Saiten von Kontrabass und Streichern mit langen, sehr langen Fermaten lässt ganz neue Obertonschwingungen wahrnehmen. Die Pausen (Fermaten) dauern bis zu einer Minute, ohne Nachlassen der Spannung. Hier offenbarte sich die Meisterschaft des EM  unter Ingo Metzmacher, das es schaffte, das anfangs doch unruhige Publikum in ihren Bann zu ziehen.

Riss 3 (2014/16) könnte schließlich als Reprise gelten. Die instrumentale Zusammensetzung gleicht riss 1 wenngleich die Rhythmen ausdruckstärker und das himmlische Gewebe von Klangstäben, Flageoletts der Streicher gemischt mit höchsten Klängen der Klarinette, wie auch das aggressive Reißen der Saiten und sirrende Blasen intensiver und energetischer zur Wirkung kommt. Dazu die Wagner-Tuba wie von Ferne hallend, peitschend unterbrochen von der Bassgeige. Eine Pause von 90 Sekunden ließ die Zeit förmlich still stehen und in die Zwischenräume hören.

Eine Art Coda verbreitete Unruhe, es flatterte und pochte wie das Hacken eines Spechts ins Baumholz. Der Wind wuchs zum Sturm heran, die Glissandi der Bläser und Streicher verbreiteten Nervosität, die Zeituhr tickte mit höhnischer Aufdringlichkeit. Lange Pausen ließen wieder die Zwischentöne, Zwischenräume und Risse zu Geltung kommen und die Zeit anhalten. Mit Styroporreiben, Gummirohrblasen und Schwirrbogenwinden endete Teil 3 so wie anfangs Teil 1. Lange, lange Pause, bis auch der letzte Ton im Äther verschwand.

Der herzliche Beifall des  Publikums gebührte gleichermaßen dem 17-köpfigen EM, dem souveränen Dirigat von Ingo Metzmacher, wie dem Komponisten, Mark Andre, dem es sichtlich unangenehm war, auf der Bühne stehen zu müssen. Wenn Bescheidenheit heute noch eine Tugend ist, dann gehört er zu dieser, leider wohl aussterbenden Spezies.

Riss 1-3 wurde vor wenigen Tagen mit dieser Formation auf CD eingespielt und wird demnächst käuflich zu erwerben sein.  Unbedingt zu empfehlen!

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