Eröffnung der 123.
Internationalen Maifestspiele Wiesbaden mit
dem Mozart-Doppelprojekt Idomeneo
(30.04.) und Titus (01.05.) im
Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden
Idomeneo (1781),
große heroische Oper in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791),
Premiere im Staatstheater Wiesbaden, 30.04.2019
v.l.: sitzend: Netta Or (Elettra), Mirko Roschkowski (Idomeneo), Kangmin Justin Kim (Idamante), Chor Fotos: Karl & Monika Forster |
Ein Doppelprojekt über die Zentralen der Macht
Ein Serenadensextett für zwei Hörner, zwei Fagotte und zwei Klarinetten (KV 375), wunderbar von Instrumentalisten des Wiesbadener Staatsorchesters vom Balkon des vollbesetzten Foyers intoniert, eröffnete leicht und tänzerisch die Maifestspiele 2019 (30.04.-31.05.).
Ministerpräsident Volker Bouffier, Wissenschaftsministerin
Angela Dorn, der Oberbürgermeister Sven Gerich, der stellvertretende
Vorsitzende des Fördervereins, Dr. Alexander Klak, sowie der Intendant und
Verantwortliche für die Inszenierung der beiden Opern höchstpersönlich, Eric
Uwe Laufenberg, gaben sich die Ehre, durch kurze Reden ihre persönliche und
emotionale Verbundenheit mit den Maifestspielen zu beteuern, diesen
außergewöhnlichen Schatz der Stadt erhalten zu wollen (der Förderverein spendete 75.000 EUR), nicht aber ohne auf die finanziellen und
organisatorischen Gefahren, die dieses gewaltige Unternehmen birgt, hinzuweisen.
Große Erwartungshaltung allüberall. Was bedeutet das
Doppelprojekt zweier auf den ersten Blick so unterschiedlicher Opern? Idomeneo, uraufgeführt am 29.01.1781 in
München und Titus (genau: La Clemenza di Tito) zehn Jahre später –
sechs Opern schrieb Mozart noch in der Zwischenzeit –, als Huldigungsoper für
die Inthronisierung Kaiser Leopold II (1727-1792) gedacht, eine vom Charakter
und Stil doch weit entfernte von Idomeneo?
Dennoch: Beide Opern behandeln die „Zentralen der Macht“. Laufenberg betont die Problematik von
Machtzentralen, die durch äußere und innere Umstände immer bedroht, zu ganz
eigentümlichen Herrschaftsformen neigen und ihre Herrscher (Titus und Idomeneo)
zu ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen treiben. So ist Titus (angelehnt an den historischen Flavius Vespasianus Titus,
39-81) zu den Toleranten und Gütigen zu zählen, während Idomeneo (eine Figur aus der
griechischen Mythologie) eher ein vom Schicksal getroffener, an der Macht
hängender und schlussendlich vom göttlichen Urteil zur Abdankung gezwungener
Potentat darstellt.
Interessant noch seine Feststellung, dass „in Kriegszeiten
die Menschen zusammenrücken. Wenn alle dieselbe Not haben, scheinen plötzlich
Empathie, Zuneigung und Zugewandtheit eher möglich.“ Bei Titus ist es seine aufgeklärte Haltung zu den um ihn herum
stattfindenden Intrigen, bei Idomeneo die Liebe zwischen Ilia (die gefangenen
trojanische Königstochter von Priamos und Hekuba) und Idamante (der Sohn
Idomeneos), die alle Hürden überwindet.
Beide Opern sind im eigentlichen Sinne noch der opera seria der Barockzeit geschuldet
werden aber unterschiedlich eingeordnet. Idomeneo
als heroische Oper in drei Akten,
als Dramma per musica oder gar als lyrische Tragödie (Tragédie lyrique), und Titus als Opera seria oder Dramma seria per musica in zwei Akten.
Slávka Zámečniková (Ilia), Kangmin Justin Kim (Idamante), Chor |
Ein Idomeneo mit
starkem Fokus auf Chor und SängerInnen
Mit Idomeneo beginnen die Mai-Festspiele. Die Geschichte ist kurz erzählt. Sie behandelt den uralten Konflikt zwischen der Liebe und einem den Göttern geleisteten Schwur (man erinnere sich an Händels Oper Jephtha vom Feb. 2018). In höchster Seenot gelobt Idomeneo dem Gott Poseidon als Preis für seine Rettung den ersten Menschen zu opfern, der ihn bei seiner Heimreise begrüßt. Es ist Idomeneo, sein Sohn. Seinem Schicksal zu entkommen, versucht er alles, um Poseidon zu hintergehen, was misslingt. Erst als Ilia sich der unbedingten auch vor dem Tode nicht schreckenden Liebe zu Idamante willen zum Opfertausch anbietet, ist der Gott besänftigt, allerdings unter der Bedingung, dass König Idomeneo abdankt, seinem Sohn Idamante die Krone überträgt und Ilia zur rechtmäßigen Frau gibt (Idamantes Verlobte Elettra ist die Verliererin und erleidet das Schicksal ihrer Eltern, den Tod).
Eine insgesamt schlichte Bühne und folkloristische, dem
griechischen und vorderasiatischen Modestil entlehnte Kostüme ließen es zu, das
Geschehen auf die handelnden Personen zu fokussieren, was bei ansonsten oft überfrachteter
Bühnengestaltung (diese Oper verlangt ja geradezu apokalyptische Szenerien
mit Sturm, Kampf, Tod und Teufel) vom Wesensgehalt der Musik ablenkt.
Bereits während der Ouvertüre sieht man auf einer riesigen
Videoleinwand Idomeneo (es könnte auch Titus sein) in der kalten Vorhalle eines
Machtzentrums (eine Finanzzentrale?), die sich langsam in Überblendtechnik in
einen Trümmerhaufen verwandelt.
Marianne und Rolf Glittenberg (Kostüme und Bühne), Andreas Frank (Licht) und Gérard Naziri (Video) beließen es weitgehend
dabei (das Eingangsbild des Machtzentrums wird später zum Bühnenbild des
gesamten Titus). Die Dramatik der
Katastrophen, die diese Oper beherrscht, spielte sich hauptsächlich
über ein überdimensioniertes Guckloch ab, das auf ein Meer – mal ruhig, mal
aufgewühlt und stürmisch – oder aber auf
die Sonne und das Firmament schauen ließ (geschehen am Ende des zweiten Aktes, als
der Zorn der Götter seinen Höhepunkt erreicht und die Sonne sich zu einem
bedrohlichen schwarzen Ball verdunkelt – ähnlich der biblischen Geschichte beim
Tode Jesu am Kreuz). Dazu ergänzend die wohl dosierten Lichteffekte (rot
für das Blut, gelb für Hoffnung, Blitze und Dunkelheit etc.), die symbolisch
aufgeladenen Stuhlreihen (12 an der Zahl mit Fotos verstorbener Trojaner,
Kerzen und Zerstörung durch Elettra), der mit Sand bedeckte Boden sowie die
angedeuteten Felsen Kretas. Lediglich am Schluss wird der Opfertisch Zentrum
der Handlung – Ort der Opferung Idamantes, Abstieg für Elettra in den Hades und
Aufstieg für Idamante und Ilia zum Thron.
Mirko Roschkowski (Idomeneo) |
Die Rollen waren durchweg gut besetzt. Allen voran die
mozartklare Stimme der Sopranistin
Slávka Zámečniková, ihre Arien waren von himmlischer Schönheit beseelt; der
männliche Alt des Countertenors Kangmin
Justin Kim, ein Augen- und Hörgenuss; die besonders in der abschließenden
Wahnsinnsarie glänzende Mezzosopranistin Netta
Or, und last but not least der warmtimbrierte Tenor (eher ein Bariton) von Mirko Roschkowski, dessen Koloraturen
nicht zu seinen Stärken gehörten. Das gemeinsame Quartett, die zentrale Nummer des dritten Aktes: „Ich werde einsam
umherirren“, gestalteten die vier SängerInnen mit großer Empathie und Ausdruckskraft.
Vier so unterschiedliche, sich gegenseitig bekämpfende Charaktere ließen die
zutiefst psychologisch angelegte Musik Mozarts in voller Blüte entfalten.
Rouwen Huther als
Oberpriester überzeugte vor allem durch seine Präsens, während der
durchdringende mächtige Bass von Young
Doo Park, leicht verhallt aus dem Off kommend, als Stimme des Orakels, mit
der Blechbläser- und Paukenbegleitung einen echten Höhepunkt des Dramas
markierte. Das Schicksal hatte zugeschlagen. Der Deus ex machina hinterließ neben einem glücklichen Paar allerdings auch
einen entmachteten König und eine in den Wahnsinn getriebene Elettra.
Die musikalische Interpretation unter Konrad Junghänel sowie vom Chor unter Albert Horne konnte auf der ganzen Linie überzeugen. Nicht leicht
und flockig kam bei ihnen der Mozart daher, sondern dramatisch, wild und
leidenschaftlich. Bezeichnend dafür auch die herausragenden Chorszenen, die den
aufgewühlten tumultuarischen Szenen eine echte Würze und unglaubliche
Lebendigkeit verliehen. Aber auch die psychologischen Momente, das Seelenleben
jeder einzelnen Person, ihre Hoffnung, ihr Zweifel, ihr Hass und
ihre Liebe, kurz: Ihr emotionales Innenleben kam musikalisch voll zur Geltung.
Eine Mozart-Interpretation, wie man sie sich nur wünschen kann!
Allerdings zeigt sich das Volk, entgegen der Feststellung
Laufenbergs, und da beißt die Maus keinen Faden ab, eher als amorphe Masse,
denn als Einheit in der Krise. Hin und her gerissen zwischen Anbetung und
Verdammung, zwischen Huldigung und Beschuldigung schwankt es wie ein Rohr im
Wind. Die Schlusshymne auf das neue Herrscherpaar: „Steigt herab ihr Götter“, endet denn auch nicht umsonst in einer gemäldeähnlichen Erstarrung des Chores,
um dieses Glücksgefühl in Faustischer Manier endgültig festzuhalten: Eine
fatale Utopie, wie wir aus Goethes Faust
II wissen.
Nächste Vorstellungen: 04.05., 06., 09., und 14.06.
Nächste Vorstellungen: 04.05., 06., 09., und 14.06.
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