Donnerstag, 2. Mai 2019


Eröffnung der 123. Internationalen Maifestspiele  Wiesbaden mit dem Mozart-Doppelprojekt Idomeneo (30.04.) und Titus (01.05.) im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden

Idomeneo (1781), große heroische Oper in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Premiere im Staatstheater Wiesbaden, 30.04.2019


v.l.: sitzend: Netta Or (Elettra), Mirko Roschkowski (Idomeneo), Kangmin Justin Kim (Idamante), Chor
Fotos: Karl & Monika Forster

Ein Doppelprojekt über die Zentralen der Macht

Ein Serenadensextett für zwei Hörner, zwei Fagotte und zwei Klarinetten (KV 375), wunderbar von Instrumentalisten des Wiesbadener Staatsorchesters vom Balkon des vollbesetzten Foyers intoniert, eröffnete leicht und tänzerisch die  Maifestspiele 2019 (30.04.-31.05.).


Ministerpräsident Volker Bouffier, Wissenschaftsministerin Angela Dorn, der Oberbürgermeister Sven Gerich, der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins, Dr. Alexander Klak, sowie der Intendant und Verantwortliche für die Inszenierung der beiden Opern höchstpersönlich, Eric Uwe Laufenberg, gaben sich die Ehre, durch kurze Reden ihre persönliche und emotionale Verbundenheit mit den Maifestspielen zu beteuern, diesen außergewöhnlichen Schatz der Stadt erhalten zu wollen (der Förderverein spendete 75.000 EUR), nicht aber ohne auf die finanziellen und organisatorischen Gefahren, die dieses gewaltige Unternehmen birgt, hinzuweisen.

Große Erwartungshaltung allüberall. Was bedeutet das Doppelprojekt zweier auf den ersten Blick so unterschiedlicher Opern? Idomeneo, uraufgeführt am 29.01.1781 in München und Titus (genau: La Clemenza di Tito) zehn Jahre später – sechs Opern schrieb Mozart noch in der Zwischenzeit –, als Huldigungsoper für die Inthronisierung Kaiser Leopold II (1727-1792) gedacht, eine vom Charakter und Stil doch weit entfernte von Idomeneo?

Dennoch: Beide Opern behandeln die „Zentralen der Macht“. Laufenberg betont die Problematik von Machtzentralen, die durch äußere und innere Umstände immer bedroht, zu ganz eigentümlichen Herrschaftsformen neigen und ihre Herrscher (Titus und Idomeneo) zu ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen treiben. So ist Titus (angelehnt an den historischen Flavius Vespasianus Titus, 39-81) zu den Toleranten und Gütigen zu zählen, während Idomeneo (eine Figur  aus der griechischen Mythologie) eher ein vom Schicksal getroffener, an der Macht hängender und schlussendlich vom göttlichen Urteil zur Abdankung gezwungener Potentat darstellt.

Interessant noch seine Feststellung, dass „in Kriegszeiten die Menschen zusammenrücken. Wenn alle dieselbe Not haben, scheinen plötzlich Empathie, Zuneigung und Zugewandtheit eher möglich.“ Bei Titus ist es seine aufgeklärte Haltung zu den um ihn herum stattfindenden Intrigen, bei Idomeneo die Liebe zwischen Ilia (die gefangenen trojanische Königstochter von Priamos und Hekuba) und Idamante (der Sohn Idomeneos), die alle Hürden überwindet.

Beide Opern sind im eigentlichen Sinne noch der opera seria der Barockzeit geschuldet werden aber unterschiedlich eingeordnet. Idomeneo als heroische Oper in drei Akten, als Dramma per musica oder gar als lyrische Tragödie (Tragédie lyrique), und Titus als Opera seria oder Dramma seria per musica in zwei Akten.

Slávka Zámečniková (Ilia), Kangmin Justin Kim (Idamante), Chor


Ein Idomeneo mit starkem Fokus auf Chor und SängerInnen


Mit Idomeneo beginnen die Mai-Festspiele. Die Geschichte ist kurz erzählt. Sie behandelt den uralten Konflikt zwischen der Liebe und einem den Göttern geleisteten Schwur (man erinnere sich an Händels Oper Jephtha vom Feb. 2018). In höchster Seenot gelobt Idomeneo dem Gott Poseidon als Preis für seine Rettung den ersten Menschen zu opfern, der ihn bei seiner Heimreise begrüßt. Es ist Idomeneo, sein Sohn. Seinem Schicksal zu entkommen, versucht er alles, um Poseidon zu hintergehen, was misslingt. Erst als Ilia sich der unbedingten auch vor dem Tode nicht schreckenden Liebe zu Idamante willen zum Opfertausch anbietet, ist der Gott besänftigt, allerdings unter der Bedingung, dass König Idomeneo abdankt, seinem Sohn Idamante die Krone überträgt und Ilia zur rechtmäßigen Frau gibt (Idamantes Verlobte Elettra ist die Verliererin und erleidet das Schicksal ihrer Eltern, den Tod).

Eine insgesamt schlichte Bühne und folkloristische, dem griechischen und vorderasiatischen Modestil entlehnte Kostüme ließen es zu, das Geschehen auf die handelnden Personen zu fokussieren, was bei ansonsten oft überfrachteter Bühnengestaltung (diese Oper verlangt ja geradezu apokalyptische Szenerien mit Sturm, Kampf, Tod und Teufel) vom Wesensgehalt der Musik ablenkt.

Bereits während der Ouvertüre sieht man auf einer riesigen Videoleinwand Idomeneo (es könnte auch Titus sein) in der kalten Vorhalle eines Machtzentrums (eine Finanzzentrale?), die sich langsam in Überblendtechnik in einen Trümmerhaufen verwandelt.

Marianne und Rolf Glittenberg (Kostüme und Bühne), Andreas Frank (Licht) und Gérard Naziri (Video) beließen es weitgehend dabei (das Eingangsbild des Machtzentrums wird später zum Bühnenbild des gesamten Titus). Die Dramatik der Katastrophen, die diese Oper beherrscht, spielte sich hauptsächlich über ein überdimensioniertes Guckloch ab, das auf ein Meer – mal ruhig, mal aufgewühlt und stürmisch –  oder aber auf die Sonne und das Firmament schauen ließ (geschehen am Ende des zweiten Aktes, als der Zorn der Götter seinen Höhepunkt erreicht und die Sonne sich zu einem bedrohlichen schwarzen Ball verdunkelt – ähnlich der biblischen Geschichte beim Tode Jesu am Kreuz). Dazu ergänzend die wohl dosierten Lichteffekte (rot für das Blut, gelb für Hoffnung, Blitze und Dunkelheit etc.), die symbolisch aufgeladenen Stuhlreihen (12 an der Zahl mit Fotos verstorbener Trojaner, Kerzen und Zerstörung durch Elettra), der mit Sand bedeckte Boden sowie die angedeuteten Felsen Kretas. Lediglich am Schluss wird der Opfertisch Zentrum der Handlung – Ort der Opferung Idamantes, Abstieg für Elettra in den Hades und Aufstieg für Idamante und Ilia zum Thron.
Mirko Roschkowski (Idomeneo)


Die Rollen waren durchweg gut besetzt. Allen voran die mozartklare Stimme der Sopranistin Slávka Zámečniková, ihre Arien waren von himmlischer Schönheit beseelt; der männliche Alt des Countertenors Kangmin Justin Kim, ein Augen- und Hörgenuss; die besonders in der abschließenden Wahnsinnsarie glänzende Mezzosopranistin Netta Or, und last but not least der warmtimbrierte Tenor (eher ein Bariton) von Mirko Roschkowski, dessen Koloraturen nicht zu seinen Stärken gehörten. Das gemeinsame Quartett, die zentrale Nummer des dritten Aktes: „Ich werde einsam umherirren“, gestalteten die vier SängerInnen mit großer Empathie und Ausdruckskraft. Vier so unterschiedliche, sich gegenseitig bekämpfende Charaktere ließen die zutiefst psychologisch angelegte Musik Mozarts in voller Blüte entfalten.
Rouwen Huther als Oberpriester überzeugte vor allem durch seine Präsens, während der durchdringende mächtige Bass von Young Doo Park, leicht verhallt aus dem Off kommend, als Stimme des Orakels, mit der Blechbläser- und Paukenbegleitung einen echten Höhepunkt des Dramas markierte. Das Schicksal hatte zugeschlagen. Der Deus ex machina hinterließ neben einem glücklichen Paar allerdings auch einen entmachteten König und eine in den Wahnsinn getriebene Elettra.

Die musikalische Interpretation unter Konrad Junghänel sowie vom Chor unter Albert Horne konnte auf der ganzen Linie überzeugen. Nicht leicht und flockig kam bei ihnen der Mozart daher, sondern dramatisch, wild und leidenschaftlich. Bezeichnend dafür auch die herausragenden Chorszenen, die den aufgewühlten tumultuarischen Szenen eine echte Würze und unglaubliche Lebendigkeit verliehen. Aber auch die psychologischen Momente, das Seelenleben jeder einzelnen Person, ihre Hoffnung, ihr Zweifel, ihr Hass und ihre Liebe, kurz: Ihr emotionales Innenleben kam musikalisch voll zur Geltung. Eine Mozart-Interpretation, wie man sie sich nur wünschen kann!

Allerdings zeigt sich das Volk, entgegen der Feststellung Laufenbergs, und da beißt die Maus keinen Faden ab, eher als amorphe Masse, denn als Einheit in der Krise. Hin und her gerissen zwischen Anbetung und Verdammung, zwischen Huldigung und Beschuldigung schwankt es wie ein Rohr im Wind. Die Schlusshymne auf das neue Herrscherpaar: „Steigt herab ihr Götter“, endet denn auch nicht umsonst in einer gemäldeähnlichen Erstarrung des Chores, um dieses Glücksgefühl in Faustischer Manier endgültig festzuhalten: Eine fatale Utopie, wie wir aus Goethes Faust II wissen.

Nächste Vorstellungen: 04.05., 06., 09., und 14.06.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen