Donnerstag, 30. Mai 2019


123. Internationale Maifestspiele Wiesbaden, 30.04. bis 31.05.2019

Faszination Wagner, mit Andreas Schager (Tenor), Lidia Baich (Violine) und dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden (Ltg.: Guillermo Garcia Calvo), Staatstheater Wiesbaden, 29.05.2019

Foto: Selcuk Cara

Ein fantastischer Wagner

Es sollte ein unvergesslicher Abend werden. Szenische Reflexionen über Richard Wagners (1813-1883) größte Werke. Kein herkömmliches Konzert mit bekannten Arien aus bekannten Opern. Nein. Es wurde ein Zyklus über das Entstehen und Vergehen, über Anfang und Ende menschlicher Existenz. Ein Weg zwischen Diesseits und Jenseits. Kurz: Ein Wagner-Programm, das Niemanden unberührt zurücklassen konnte.


Lohengrin (Ouvertüre), Tristan und Isolde (eine Symphonische Fantasie für Violine und Orchester) und der Ring der Nibelungen wurden in ganz neuem Gewande präsentiert.
Herrlich weltvergessen zunächst das Vorspiel zu Lohengrin (1850). Filigran bis in die kleinsten Filamente mit zartesten  Streichpassagen (nicht immer ganz stimmrein), die einen schier unendlichen Raum öffneten, verstand es das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter der umsichtigen Leitung von Guillermo Garcia Calvo (kein Unbekannter unter den Wagner Spezialisten, hat er doch sein Wagner-Metier bei Christian Tiedemann gelernt), das Publikum in das weitere Geschehen einzuführen.

Lidia Baich (Foto: Agentur)


Und dann gleich der erste Hammer. Eine symphonische Fantasie für Violine und Orchester über Themen und Arien aus Tristan und Isolde. Stilistisch wechselte die Solistin Lidia Baich (*1981, nebenbei bemerkt Ehefrau von Andreas Schager) zwischen Brahms, Beethoven und Wagner (möglicherweise auch eigene Improvisationen), zelebrierte das Tristan-Motiv zum Weinen schön und ließ mit Herzblut und tiefer Empfindung die Tragödie zweier Liebender, deren Schicksal sie nicht zusammenkommen lässt, bildhaft in einem wilden Rauschen des Wassers (Video) Revue passieren.

Der Auftritt von Andreas Schager (*1971) wurde zu einem Gedicht an Gesang und Ausdrucksstärke. Für seinen Partien – er sang neben dem Schwertmonolog Sigmunds (Walküre, 1. Akt, 3. Szene) noch Waldweben (Siegfried, 2. Akt), Mime hieß ein mürrischer Zwerg sowie Brünnhilde! Heilige Braut!  (Götterdämmerung, 3. Akt, 2. Szene) – entwickelte der Philosoph, Sänger und Filmproduzent, Selcuk Cara (*1969) ein Videokonzept (Sonja Cara, Regie, Nils A. Witt und Andreas Münzing, Kamera) mit vier Schwerpunkten: die Schöpfung, die Spiegelung, der Ursprung und das Schicksal. Schagers Solopartien waren also immer eingebettet in die Naturelemente, Wasser, Feuer, Luft und Erde/Wald, gleichzeitig aber auch verbunden mit den großen Fragen der Menschheit: Woher kommen wir, wohin gehen wir?

Eine Tetralogie mit Tiefenwirkung


Besonders gelungen das Spiel der Wölfe als Spiegelung zwischen Mensch und Tier oder der Rücklauf des Films zum Ursprung, als Hagen seinen Speer in Siegfrieds Rücken stößt, bis zum abschließenden Trauermarsch des Orchesters, begleitet vom schicksalhaften Beginn der Tetralogie des Rings. Wildes Wasser, brennende Wälder, der Wolf schaut auf den toten Siegfried, der Ring, ein lichter, rötlicher Punkt, verschwindet im Nichts.

Andreas Schager, eher ein dramatischer- als ein Heldentenor, verstand es nahezu zwei Stunden lang, das Publikum zu begeistern und mitzunehmen. Dabei füllten die szenischen Reflexionen auf Breitband-Leinwand die – leider unverständlichen – Worte und Sätze des Sängers (Wagner war vor allem Dichter) bedeutungsvoll mit Inhalt. Viel Symbolik, wie Grane, das Pferd Brünnhildes, Nothung, das Schwert der Stärke, der Speer, Wotans Machtinsignium, die Esche, als Sinnbild der Kraft, und nicht zuletzt der Ring, Ausdruck der Macht über Gut und Böse, fügte aus den doch voneinander weit getrennten Solopartien (Schager ist mal Siegmund, mal Siegfried) eine zusammenhängende Geschichte, die, begleitet von orchestralen Intermezzi mit wunderbaren Klangvaleurs, durchaus Sinn ergab, und mit beeindruckenden Filmsequenzen überzeugte.

Andreas Schager (Foto: David Jerusalem)

Der abschließende Trauermarsch zu Siegfrieds Tod (Götterdämmerung), mit einem Dickicht von Leitmotiven, trug noch einmal zur Reflexion des Geschehens auf der Bühne und vor allem auch im Kopf bei. 
Faszination Wagner hatte seine Weltpremiere bereits vor gut einem halben Jahr in Prag, und das mit großem Erfolg. Das Premieren-Gastspiel zum Abschluss der diesjährigen Maifestspiele Wiesbaden im vollbesetzten Großen Saal des Staatstheaters wird mit Sicherheit einen ebenso bleibenden Eindruck hinterlassen.

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