Król Roger (1926),
Oper in drei Akten von Karol Szymanowski (1882-1937), Oper Frankfurt, Premiere
und Frankfurter Erstaufführung, 02.06.2019
Links im Rollstuhl: AJ Glueckert (Edrisi), stehend mit grauem Haarzopf: Alfred Reiter (Erzbischof), Mitte kniend: Łukasz Goliński (König Roger), Ensemble (Fotos: Monika Rittershaus) |
Ein König, der ans Eingemachte geht
Wie sagte doch der Dramaturg Zsolt Horpácsy in seiner Einführung zu dieser Oper: „Es geht ans Eingemachte … Es wird für Sie kein Entkommen geben!“ Starke Worte für ein Opernsujet, das eigentlich gar keine Oper ist, sondern vielmehr ein Mysterienspiel mit starken autobiographischen Zügen des Komponisten und Hauptlibrettisten: Karol Szymanowski (1882-1937).
Król Roger, eine historische Figur aus dem 12. Jahrhundert (Roger II., 1095-1154, Normannenkönig von Sizilien), ist hier Karol Szymanowski (1882-1937).
Oder ist er doch der Hirte, ein Prophet zwischen Christus, Dionysos und
pantheistischem Wanderprediger? Oder ist er beide?
Die Geschichte ist kurz erzählt. Król Roger
scheint ein autokratisches Regiment zu führen. Das Volk wird von der Kirche (verkörpert durch den Erzbischof, Bass: Alfred
Reiter, und einer Diakonissin, Mezzo: Judita
Nagyová) beherrscht. Das Reglement ist klar durchschaubar: Die
Regeln macht das göttliche Gesetz. Der weltliche Vertreter dieses Gesetzes ist
der König. Doch da kommt ein Hirte daher, der dem Volke Freiheit, Glück und die
Erfüllung ihrer Sehnsüchte verspricht. Nach anfänglichem Widerstand
verfallen alle diesem Heilsversprecher, Gotteslästerer („Mein Gott ist so schön
wie ich.“) und ewig lächelndem Seelenverführer. Roger und seine winzige Entourage
(sein Jasager-Freund Edrisi, der Erzbischof und die Diakonissin) bleiben
alleine zurück, ohne Macht, Volk und religiösem Einfluss.
Es folgt die Metamorphose des Król Roger: Er wird (entgegen
dem ursprünglichen Libretto seines Cousins Jaroslaw Iwaszkiewicz, 1894-1980) nicht dem
Verführer folgen, sondern zu sich selbst finden, ganz im Sinne der Regie (Johannes Erath), wonach die wichtigen
Schritte im Leben „jeder für sich alleine gehen“ muss; dass es weniger das
Fremde von außen ist, das uns in unserem Handeln beeinflusst, sondern „das
Fremde in uns, das wir zu bekämpfen und zu bewältigen haben“.
Johannes Erath und sein Team (Johannes Leiacker, Bühne, Jorge
Jara, Kostüme, Joachim Klein,
Licht und Bibi Abel, Video) haben
hier eine Geschichte präsentiert, die durchaus einen Spiegel auf die heutige Nach-Postmoderne
wirft. Das ewige Spiel zwischen Verführung, Versprechen, Schmeicheln und Werben.
Aber auch die Gratwanderung zwischen Narzissmus, Egomanie und gesundem
Selbstbewusstsein.
Dazu haben sie eine abstrakte Bühne entworfen,
schwarz-weiß im Ton mit klaren Linien und Konturen, die durchaus an ein Gefängnis
denken lässt. Eine gewaltige Wand, die sich gefährlich neigen kann, dient ebenso
als Drohgebärde gegenüber dem Volk, wie auch als Projektionsfläche
(Videoeinblendungen) für die inneren Empfindungen des Protagonisten
(Meeresbrandung in Form seines Gesichtes, Rauschgiftblättchen auf seiner Nase etc.).
Links vorne: AJ Glueckert (Edrisi), sitzend: Łukascz Goliński (Roger), Sydney Mancasola (Roxana), zwischen den Gesichtshälften Rogers: Gerard Schneider (Hirte) |
Friedrich Nietzsche lässt grüßen
Das Volk (der Chor und Zusatzchor) bewegte sich in strenger,
schwarzer Kleidung, dem Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts abgeschaut. Dazu
trug es schwarze Brillen, Symbol des Selbstbezugs, der Verweigerung der Sicht
nach Außen und der Ablehnung des Neuen. Viel weitere Symbolik beherrschte das Geschehen.
So saß der Freund Rogers, Edrisi, in einem Rollstuhl mit Eule an der Seite.
Insignien der Unbeweglichkeit und des überflüssigen geistigen Beitrags, denn
Edrisi entpuppt sich als simpler Jasager.
Auch die Trennung des Bühnenbildes
durch einen tiefen Abgrund im zweiten Akt, der Spiegeltisch, mal auf der Fläche liegend, dann wieder auf den Beinen stehend, zeugten von der Doppeldeutigkeit und Ambivalenz
des Königs wie der gesamten Situation. Denn der Hirte verstand es, durch seine
Schönheit (ein androgynes Äußeres in weißem Anzug, mit wallendem weißen,
engelhaftem Haar nebst freier Brust) und sein „rätselhaftes Lächeln“ alle in seinen
Bann zu ziehen, gegeneinander aufzuhetzen – bis zum orgiastischen Ausbruch der
Masse (2. Akt) – und auf seine Seite zu ziehen. Ein Dionysos nach Friedrich Nietzsche-Manier,
der es verstand, durch Zerstörung des Alten vermeintlich Neues, Besseres, Fortschrittlicheres
zu schaffen.
Gerard Schneider (Hirte), Sydney Mancasola (Roxana) |
Hinreißender Gesang aus der Trickkiste der Symbolik
Fantastische SängerInnen gaben dem Mysterium mit zeitgemäßer
Ausrichtung ein wunderbares Frame. Allen voran Król Roger in der Person des polnischen Bassbaritons Łukasz Goliński, der, nebenbei bemerkt,
sein Debüt in der Oper Frankfurt gab. Er geriet zur Lichtgestalt dieser
Aufführung. Eine Stimme mit unglaublichem Umfang und großer, warmer Kraft in
allen Lagen. Seine innere Wandlung vom gnadenlosen Herrscher über den Skeptiker
bis hin zum geläuterten, sich-selbst-findenden aufgeklärten Menschen mit innerer
emotionaler Substanz (Höhepunkte seine finale Arie: „Aus der Tiefe meiner
Einsamkeit, aus dem Abgrund meiner Macht reiße ich mein Herz hinaus und bringe
es als Opfer der Sonne dar“, verdient einfach nur höchstes Prädikat.
Gerard Schneider als Hirte (österreichisch-australischer
Tenor und Rollendebütant), glänzte nicht nur mit einem
höchst lyrischen und verführerischen Tenor, sondern auch mit verblüffend einnehmender
Persönlichkeit. Immer ein wissendes Lächeln auf den Lippen, verstand er es,
das Volk, Roxana, wie auch das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Behende und
geschmeidig näherte er sich den Personen und verkörperte auf der ganzen Linie Freiheit und Sinnenlust mit
homoerotischen Zügen. Alle Frauen verfallen seinem Charme und seiner
Ausstrahlung. Auch Roxana, die sich von ihrem Gatten abwendet und
ein erotisches Liebesspiel mit ihm auf dem Spiegeltisch treibt, gehört dazu.
Roxana, von der Sopranistin und Rollendebütantin Sydney Mancasola traumhaft gesungen und gespielt, bot einen sehr
zwiespältigen Charakter. Ihr melismatisch-lyrischer Gesang erfolgte weitgehend
im orientalischen Stil mit pentatonischer Melodik und ornamentaler
Ausschmückung. Ihre Metamorphosen folgten dem Prinzip der Anpassung in
strengem, schwarzem Hosenanzug (1. Akt), dem der Verführung in
durchsichtigem sinnlichem Umhang (2. Akt) und dem der Einsicht und Läuterung in
weißem Kostüm und roter Bluse im dritten Akt.
Spannend noch die Figur des Edrisi, der vom hauseigenen
Tenor AJ Glueckert in jeder Hinsicht brillant verkörpert wurde. An den Rollstuhl gefesselt, im zweiten Akt diesen verlassend und das Zepter an einen
unschuldigen Jungen abgebend, bot er im Sinne Szymanowskis das Ideal eines
Freundes: ein treuer Gefährte zu sein, niemals die Handlung seines Freundes
kritisierend, nie von ihm weichend, immer nur zuhörend, aber nie kommentierend.
Er kann der Entwicklung Rogers nicht folgen. Buchstäblich auf sich selbst gestellt, verlässt er seinen Stuhl. Das Kind (Filip Niewiadomski), das reine unschuldige Wesen,
übernimmt symbolisch Rollstuhl und Krone. Król Roger gibt seine Macht, bestehend
aus Kirche (1. Bild) und Thronsaal (2. Bild), ab und verlegt das wahre Leben
auf die Bühne (3. Bild).
Sydney Mancasola (Roxana), Łukascz Goliński (Roger), AJ Glueckert (Edrisi) |
Magie der Musik und Verzauberung durch Musik
Bestnoten auch für Chor und Extrachor (Tilman Michael), Kinderchor (Markus
Ehmann), die Statisterie der Oper Frankfurt sowie allen voran das
Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Was Cambreling aus
Szymanowskis Musik herauszauberte, gehört in den Parnass der Musikgeschichte.
Unfassbar gut ausgeleuchtet sein Verständnis der Aussagekraft einer äußerst differenzierten
Musik zwischen klarer, machtvoller Diatonik, orientalischer Stilistik,
chromatischer Auflösung, impressionistischer Klangfarbigkeit und expressiv-aggressiven
Clustern. Alles fein abgestimmt mit den Chören, die vom gewaltigen C-Dur des
Chorals, dem orgiastischen Tanz, bis hin zu den leisen, lyrischen Partien einfach alles beherrschten und dazu noch ein eindrückliches Mysterienspiel
veranstalteten.
Król Roger, erstmals in Frankfurt aufgeführt, ein knapp
85-minütiges, sehr dichtes und sprachlich aufregendes Werk, bis zur
Jahrtausendwende eine kaum gespielte Oper, scheint ideal in das Ende der
Postmoderne zu passen. Musikalisch und sängerisch ist sie eine Ausnahmekomposition,
galt aber lange wegen ihres Inhaltes (antikatholisch, homoerotisch) als zu
heikel. Die Inszenierung zeigt einen Weg auf, Szymanowskis opus summum, seine ganz persönliche psychoanalytische Abrechnung
mit seiner Zeit, auf unsere heutige zu übertragen. Sind wir nicht alle ein wenig
Szymanowski? Schlummert nicht in uns allen ein wenig Król Roger und Hirtenprophetie?
Die Reaktion des Publikums dauerte ein wenig, als Król Roger, alias Łucasz Goliński, seine Erkenntnisarie
beendete, denn der Weg nach innen brauchte Zeit, um sich nach außen zu kehren. Dann
aber frenetische Beifallsstürme, ohne übliche Buhrufe, viermaliger Vorhang und eine
Menge Diskussionsstoff im Nachhinein.
Nächste Vorstellungen: 06., 09., 15., 19., 22., 27. und
29.06.
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