Montag, 3. Juni 2019


Król Roger (1926), Oper in drei Akten von Karol Szymanowski (1882-1937), Oper Frankfurt, Premiere und Frankfurter Erstaufführung, 02.06.2019

Links im Rollstuhl: AJ Glueckert (Edrisi), stehend mit grauem Haarzopf: Alfred Reiter (Erzbischof), Mitte kniend: Łukasz Goliński (König Roger), Ensemble (Fotos: Monika Rittershaus)

Ein König, der ans Eingemachte geht


Wie sagte doch der Dramaturg Zsolt Horpácsy in seiner Einführung zu dieser Oper: „Es geht ans Eingemachte … Es wird für Sie kein Entkommen geben!“ Starke Worte für ein Opernsujet, das eigentlich gar keine Oper ist, sondern vielmehr ein Mysterienspiel mit starken autobiographischen Zügen des Komponisten und Hauptlibrettisten: Karol Szymanowski (1882-1937).


Król Roger, eine historische Figur aus dem 12. Jahrhundert (Roger II., 1095-1154, Normannenkönig von Sizilien), ist hier Karol Szymanowski (1882-1937). Oder ist er doch der Hirte, ein Prophet zwischen Christus, Dionysos und pantheistischem Wanderprediger? Oder ist er beide?

Die Geschichte ist kurz erzählt. Król Roger scheint ein autokratisches Regiment zu führen. Das Volk wird von der Kirche (verkörpert durch den Erzbischof, Bass: Alfred Reiter, und einer Diakonissin, Mezzo: Judita Nagyová) beherrscht. Das Reglement ist klar durchschaubar: Die Regeln macht das göttliche Gesetz. Der weltliche Vertreter dieses Gesetzes ist der König. Doch da kommt ein Hirte daher, der dem Volke Freiheit, Glück und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte verspricht. Nach anfänglichem Widerstand verfallen alle diesem Heilsversprecher, Gotteslästerer („Mein Gott ist so schön wie ich.“) und ewig lächelndem Seelenverführer. Roger und seine winzige Entourage (sein Jasager-Freund Edrisi, der Erzbischof und die Diakonissin) bleiben alleine zurück, ohne Macht, Volk und religiösem Einfluss.

Es folgt die Metamorphose des Król Roger: Er wird (entgegen dem ursprünglichen Libretto seines Cousins Jaroslaw Iwaszkiewicz, 1894-1980) nicht dem Verführer folgen, sondern zu sich selbst finden, ganz im Sinne der Regie (Johannes Erath), wonach die wichtigen Schritte im Leben „jeder für sich alleine gehen“ muss; dass es weniger das Fremde von außen ist, das uns in unserem Handeln beeinflusst, sondern „das Fremde in uns, das wir zu bekämpfen und zu bewältigen haben“.

Johannes Erath und sein Team (Johannes Leiacker, Bühne, Jorge Jara, Kostüme, Joachim Klein, Licht und Bibi Abel, Video) haben hier eine Geschichte präsentiert, die durchaus einen Spiegel auf die heutige Nach-Postmoderne wirft. Das ewige Spiel zwischen Verführung, Versprechen, Schmeicheln und Werben. Aber auch die Gratwanderung zwischen Narzissmus, Egomanie und gesundem Selbstbewusstsein.

Dazu haben sie eine abstrakte Bühne entworfen, schwarz-weiß im Ton mit klaren Linien und Konturen, die durchaus an ein Gefängnis denken lässt. Eine gewaltige Wand, die sich gefährlich neigen kann, dient ebenso als Drohgebärde gegenüber dem Volk, wie auch als Projektionsfläche (Videoeinblendungen) für die inneren Empfindungen des Protagonisten (Meeresbrandung in Form seines Gesichtes, Rauschgiftblättchen auf seiner Nase etc.).

Links vorne: AJ Glueckert (Edrisi), sitzend: Łukascz Goliński (Roger), Sydney Mancasola (Roxana), zwischen den Gesichtshälften Rogers: Gerard Schneider (Hirte)

 Friedrich Nietzsche lässt grüßen


Das Volk (der Chor und Zusatzchor) bewegte sich in strenger, schwarzer Kleidung, dem Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts abgeschaut. Dazu trug es schwarze Brillen, Symbol des Selbstbezugs, der Verweigerung der Sicht nach Außen und der Ablehnung des Neuen. Viel weitere Symbolik beherrschte das Geschehen. So saß der Freund Rogers, Edrisi, in einem Rollstuhl mit Eule an der Seite. Insignien der Unbeweglichkeit und des überflüssigen geistigen Beitrags, denn Edrisi entpuppt sich als simpler Jasager. 
Auch die Trennung des Bühnenbildes durch einen tiefen Abgrund im zweiten Akt, der Spiegeltisch, mal auf der Fläche liegend, dann wieder auf den Beinen stehend, zeugten von der Doppeldeutigkeit und Ambivalenz des Königs wie der gesamten Situation. Denn der Hirte verstand es, durch seine Schönheit (ein androgynes Äußeres in weißem Anzug, mit wallendem weißen, engelhaftem Haar nebst freier Brust) und sein „rätselhaftes Lächeln“ alle in seinen Bann zu ziehen, gegeneinander aufzuhetzen – bis zum orgiastischen Ausbruch der Masse (2. Akt) – und auf seine Seite zu ziehen. Ein Dionysos nach Friedrich Nietzsche-Manier, der es verstand, durch Zerstörung des Alten vermeintlich Neues, Besseres, Fortschrittlicheres zu schaffen.

Gerard Schneider (Hirte), Sydney Mancasola (Roxana)

Hinreißender Gesang aus der Trickkiste der Symbolik


Fantastische SängerInnen gaben dem Mysterium mit zeitgemäßer Ausrichtung ein wunderbares Frame. Allen voran Król Roger in der Person des polnischen Bassbaritons Łukasz Goliński, der, nebenbei bemerkt, sein Debüt in der Oper Frankfurt gab. Er geriet zur Lichtgestalt dieser Aufführung. Eine Stimme mit unglaublichem Umfang und großer, warmer Kraft in allen Lagen. Seine innere Wandlung vom gnadenlosen Herrscher über den Skeptiker bis hin zum geläuterten, sich-selbst-findenden aufgeklärten Menschen mit innerer emotionaler Substanz (Höhepunkte seine finale Arie: „Aus der Tiefe meiner Einsamkeit, aus dem Abgrund meiner Macht reiße ich mein Herz hinaus und bringe es als Opfer der Sonne dar“, verdient einfach nur höchstes Prädikat.

Gerard Schneider als Hirte (österreichisch-australischer Tenor und Rollendebütant), glänzte nicht nur mit einem höchst lyrischen und verführerischen Tenor, sondern auch mit verblüffend einnehmender Persönlichkeit. Immer ein wissendes Lächeln auf den Lippen, verstand er es, das Volk, Roxana, wie auch das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Behende und geschmeidig näherte er sich den Personen und verkörperte auf der ganzen Linie Freiheit und Sinnenlust mit homoerotischen Zügen. Alle Frauen verfallen seinem Charme und seiner Ausstrahlung. Auch Roxana, die sich von ihrem Gatten abwendet und ein erotisches Liebesspiel mit ihm auf dem Spiegeltisch treibt, gehört dazu.

Roxana, von der Sopranistin und Rollendebütantin Sydney Mancasola traumhaft gesungen und gespielt, bot einen sehr zwiespältigen Charakter. Ihr melismatisch-lyrischer Gesang erfolgte weitgehend im orientalischen Stil mit pentatonischer Melodik und ornamentaler Ausschmückung. Ihre Metamorphosen folgten dem Prinzip der Anpassung in strengem, schwarzem Hosenanzug (1. Akt), dem der Verführung in durchsichtigem sinnlichem Umhang (2. Akt) und dem der Einsicht und Läuterung in weißem Kostüm und roter Bluse im dritten Akt.

Spannend noch die Figur des Edrisi, der vom hauseigenen Tenor AJ Glueckert in jeder Hinsicht brillant verkörpert wurde. An den Rollstuhl gefesselt, im zweiten Akt diesen verlassend und das Zepter an einen unschuldigen Jungen abgebend, bot er im Sinne Szymanowskis das Ideal eines Freundes: ein treuer Gefährte zu sein, niemals die Handlung seines Freundes kritisierend, nie von ihm weichend, immer nur zuhörend, aber nie kommentierend. Er kann der Entwicklung Rogers nicht folgen. Buchstäblich auf sich selbst gestellt, verlässt er seinen Stuhl. Das Kind (Filip Niewiadomski), das reine unschuldige Wesen, übernimmt symbolisch Rollstuhl und Krone. Król Roger gibt seine Macht, bestehend aus Kirche (1. Bild) und Thronsaal (2. Bild), ab und verlegt das wahre Leben auf die Bühne (3. Bild).

Sydney Mancasola (Roxana), Łukascz Goliński (Roger), AJ Glueckert (Edrisi) 

Magie der Musik und Verzauberung durch Musik


Bestnoten auch für Chor und Extrachor (Tilman Michael), Kinderchor (Markus Ehmann), die Statisterie der Oper Frankfurt sowie allen voran das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Was Cambreling aus Szymanowskis Musik herauszauberte, gehört in den Parnass der Musikgeschichte. Unfassbar gut ausgeleuchtet sein Verständnis der Aussagekraft einer äußerst differenzierten Musik zwischen klarer, machtvoller Diatonik, orientalischer Stilistik, chromatischer Auflösung, impressionistischer Klangfarbigkeit und expressiv-aggressiven Clustern. Alles fein abgestimmt mit den Chören, die vom gewaltigen C-Dur des Chorals, dem orgiastischen Tanz, bis hin zu den leisen, lyrischen Partien einfach alles beherrschten und dazu noch ein eindrückliches Mysterienspiel veranstalteten.  

Król Roger, erstmals in Frankfurt aufgeführt, ein knapp 85-minütiges, sehr dichtes und sprachlich aufregendes Werk, bis zur Jahrtausendwende eine kaum gespielte Oper, scheint ideal in das Ende der Postmoderne zu passen. Musikalisch und sängerisch ist sie eine Ausnahmekomposition, galt aber lange wegen ihres Inhaltes (antikatholisch, homoerotisch) als zu heikel. Die Inszenierung zeigt einen Weg auf, Szymanowskis opus summum, seine ganz persönliche psychoanalytische Abrechnung mit seiner Zeit, auf unsere heutige zu übertragen. Sind wir nicht alle ein wenig Szymanowski? Schlummert nicht in uns allen ein wenig Król Roger und Hirtenprophetie?

Die Reaktion des Publikums dauerte ein wenig, als Król Roger, alias Łucasz Goliński, seine Erkenntnisarie beendete, denn der Weg nach innen brauchte Zeit, um sich nach außen zu kehren. Dann aber frenetische Beifallsstürme, ohne übliche Buhrufe, viermaliger Vorhang und eine Menge Diskussionsstoff im Nachhinein.

Nächste Vorstellungen: 06., 09., 15., 19., 22., 27. und 29.06.



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