Mozart Momentum
1785/86 I mit Lars Vogt (Klavier) und dem Mahler Chamber Orchestra, Alte
Oper Frankfurt, 11.05.2019
Mozart Momente von
einem „nomadischen Kollektiv“ der Spitzenklasse
Das Mahler Chamber Orchestra (MCO), 1997 in Berlin gegründet, versteht sich als „nomadisches Kollektiv“, das sich weltweit zu verschiedenen Projekten trifft und mit musikalischen Schwerpunktsetzungen auf Tourneen geht. Ein Kern von 45 Mitgliedern aus über 20 Ländern entscheidet demokratisch, im intensiven künstlerischen Dialog über musikalische Programme.
Neuestes, auf drei Jahre
angelegtes Großprojekt nennt das MCO: „Mozart Momentum 1785/86“ und
reflektiert darin die ungeheuer produktive Schaffensphase Mozarts (1756-1791)
während dieser beiden Jahre, die auch für die Musikgeschichte von großer
Bedeutung sind. Die Alte Oper Frankfurt hat
das MCO als Start- und Ausgangspunkt dieses Projekts ausgewählt.
Mozart komponierte bekanntlich während der genannten zwei
Jahre über 50 seiner insgesamt mehr als 600 Werke, darunter zwei seiner Opern (Le Nozze de Figaro und Der Schauspieldirektor), seine Sinfonie Nr. 39, zwölf seiner 27 Klavierkonzerte, zwei seiner 21 Streichquartette, seine einzigen zwei Klavierquartette (KV 478/493) und
last but not least, fünf seiner insgesamt 30 Lieder mit Klavierbegleitung. Dazu eine Vielzahl von Kantaten, Chorwerken,
Bläserkonzerten (darunter sein bekanntes Hornkonzert
KV 495) und Violinsonaten (17), wovon die Es-Dur (KV 481) von 1785 zum Nach(t)konzert des Abends gehörte.
Das MCO hat eine Auswahl getroffen, die das umtriebige
Schaffen Mozarts während dieser zwei Jahre (Mozart
Momentum I 1785 und II 1786)
eindrucksvoll dokumentiert. Leider musste der angesagte Pianist, Leif Ove
Andsnes, mit dem dieses Projekt über Monate einstudiert wurde, wegen einer schweren
Erkrankung absagen. Dankenswerterweise ist Lars
Vogt sehr kurzfristig eingesprungen – man hatte nur zwei Proben – und
machte seine Sache den Umständen entsprechend gut. Das Programm wurde etwas
gekürzt (die Fantasie c-Moll KV 475
entfiel) und das Gespräch zwischen Lars Vogt (ursprünglich mit Andsnes) und dem
Musikwissenschaftler Cliff Eisen
nach der Pause geriet, wohl der neuen Lage geschuldet, eher zum Monolog. Was
aber absolut überzeugte, war das „nomadische Kollektiv“ des MCO
Gleich der Einstieg mit Mozarts Klavierquartett KV 478 zeigte den Innovationsreichtum des
Komponisten, der mit diesem Werk erstmals eine neue Gattung kreierte, denn eine
Besetzung mit Klavier, Violine, Violoncello und Bratsche gab es bis dahin noch
nicht. Das Quartett, besetzt mit Lars
Vogt (Klavier), Matthew Truscott
(Violine), Frank-Michael Guthmann
(Violoncello) und Joel Hunter
(Bratsche), fand nach kurzer Anfangsirritation schnell zusammen und arbeitete
die Aufgeregtheit und die Gesanglichkeit sowie in den abschließenden variativen
Momenten die Vielfältigkeit und den Einfallsreichtum dieser Komposition technisch
brillant heraus, was vor allem vom Pianisten große Virtuosität erforderte.
Die fünf Lieder,
alle 1785 entstanden (KV 506, 473, 476, 468, 472), „Freundstücke“, wie sie
Mozart selbst bezeichnete, weil er sie für Freunde und Bekannte schrieb,
kontrastierten in bestem Sinne die Einstiegsmusik. Mit Louise Alder aus dem Frankfurter Opern-Ensemble, stand eine
Sopranistin auf der Bühne des Mozartsaals, die nicht nur mit einer
warm-timbrierten und ausdrucksstarken Stimme brillierte, sondern auch durch
schauspielerische Hingabe und einer ausgeprägten Stimmigkeit zwischen Sprache
und Gesang überzeugte. Man verstand jedes Wort der vielgestaltigen
Strophengesänge zwischen romantischer Lyrik, aufklärerischem Impetus und spitzbübischer
Ironie. Dazu die pianistische Begleitung von Lars Vogt, die, zurückgenommen und
ganz auf den Gesang fokussiert, diese fünf Lieder zu einem besonderen
Hörerlebnis werden ließen.
„Harmonische Kühnheiten“ mit „Zungenbrecher“
Das Gespräch zwischen Lars
Vogt und dem englischen Musikwissenschaftler Cliff Eisen sollte vor allem Einblicke in die beiden wichtigsten
Werke des Jahres 1785 bieten: Das Streichquartett
C-Dur KV 465, und das Klavierkonzert
Nr. 20 d-Moll KV 466.
Warum diese beiden Werke? Es sind die „harmonischen
Kühnheiten“ im Streichquartett, weshalb es auch den Beinamen
„Dissonanzenquartett“ erhielt. Heutigen Ohren vertraut, hatte es zur damaligen
Zeit die Gemüter erregt, wenngleich selbst Josef Haydn, der dieses Stück zu
Ohren bekam und dem dieses Stück auch gewidmet ist, den hohen Rang dieser
Komposition erkannte und würdigte. Cliff Eisen, der einige Passagen aus dem
Quartett, aber auch aus dem Klavierkonzert vortragen ließ, konzentrierte seinen
Vortrag auf die Virtuosität Mozarts (damals einer der besten Pianisten) und
seine ausgefeilte Technik – eines der Besonderheiten des Klavierkonzerts –, die er
mit einem Maler verglich, wobei er Mozart eher zu denen mit spitzer Feder, als
zu denen mit breitem Pinsel zählte. Lars Vogts einziger Beitrag bestand in
einer kurzen Passage aus Mozarts Klavierkonzert
KV 467, womit er herausstrich, wie diffizil sie zu spielen sei. Mozart
meinte Vogt, sei „zu einfach für Kinder und zu schwer für Erwachsene“, womit er
die Nacktheit und Entblößtheit der Notensetzung hervorhob. Vieles von ihm sei
vergleichbar mit einem „Zungenbrecher“: „Einmal falsch gesetzt und du bist
raus.“ Es komme nicht von ungefähr, dass sich viele Pianisten vor Mozart
drückten, weil sie dieses Risiko vermeiden wollten.
Das Streichquartett
bzw. Dissonanzenquartett gehörte in der
Folge zum echten Hinhörer dieses Abends. Ein Quartett wie aus einem Guss,
besetzt mit Anna Matz (1. Violine), Katarzyna Wozniakowska (2. Violine), Yannick Dondelinger (Bratsche) und Christophe Morin (Violoncello). Es war nur der erste von
vier Sätzen, das Adagio-Allegro, das sie
spielten, aber der hatte es in sich: ein Changieren zwischen Dur und Moll, mit
gewagten Vorhalten und pochendem Bass. Ein inspiratives Werk, das von ihnen,
allen voran Anna Matz, mit großer Leidenschaft und klanglicher Perfektion
präsentiert wurde.
Das abschließende Klavierkonzert
D-Moll KV 466, das 20ste seiner insgesamt 27, sah Lars Vogt im Fokus, der
nicht nur als Pianist, sondern auch als Dirigent in den Mittelpunkt des
Geschehens trat. Hier zeigte sich doch das Problem einer zu kurzen Probezeit.
Vogt dirigierte nervös, ohne wirklichen Bezug zum Orchester – das übrigens aus
24 Instrumentalisten (darunter 11 Bläser) bestand –, was sich auch auf sein
Spiel am Flügel übertrug. Nicht unbedingt fehlerfrei, geriet ihm dieses
dramatische, ausdrucksstarke Werk zu einem „Zungenbrecher“, um ihn bei seinem
Wort zu nehmen. Dennoch bewies gerade hier das MCO seine exorbitante Klasse.
Ihre Interpretationskraft ist einmalig in der Musikwelt. Dieser Klangkörper
harmonierte in Perfektion und hätte einen Dirigenten durchaus entbehren können,
was möglicherweise Lars Vogt eine größere Ruhe und Konzentration vergönnt hätte.
Der Beifall allerdings war frenetisch, obwohl das Konzert durch ein ständiges
Mitsummen aus dem Publikum zusätzlich noch erheblich gestört wurde.
Das Nach(t)konzert im
Foyer der Alten Oper bestritten der Konzertmeister des MCO, Matthew Truscott (Violine) und Steven
Devine (Hammerklavier) mit der Violinsonate
Es-Dur KV 481. Das sehr gut besuchte Foyer hörte hier einen Mozart, der
dieses Duett eher für ein Klavier als für eine Geige schrieb: hochvirtuos das
Klavierpart, eher begleitend und unterstützend die Violine. Mozart selbst sprach
denn auch von „Clavier Sonaten“ oder gar von „Duetti aufs Clavier“. Ein fast
24-minütiges dreiteiliges Werk, das beide mit Bravour meisterten, obwohl die
Akustik miserabel und die Unruhe im Publikum störend war. Vielleicht hätte da
eine technische Verstärkung der Instrumente Abhilfe schaffen können. So aber
verschwanden die Klänge weitgehend im Nirwana und zurück blieben lediglich
staubtrockene Tonfolgen.
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