Montag, 13. Mai 2019


Mozart Momentum 1785/86 I mit Lars Vogt (Klavier) und dem Mahler Chamber Orchestra, Alte Oper Frankfurt, 11.05.2019

Mahler Chamber Orchestra mit Lars Vogt am Flügel (Foto: Wonge Bergmann)



Mozart Momente von einem „nomadischen Kollektiv“ der Spitzenklasse

Das Mahler Chamber Orchestra (MCO), 1997 in Berlin gegründet, versteht sich als „nomadisches Kollektiv“, das sich weltweit zu verschiedenen Projekten trifft und mit musikalischen Schwerpunktsetzungen auf Tourneen geht. Ein Kern von 45 Mitgliedern aus über 20 Ländern entscheidet demokratisch, im intensiven künstlerischen Dialog über musikalische Programme. 


Neuestes, auf drei Jahre angelegtes Großprojekt nennt das MCO:  „Mozart Momentum 1785/86“ und reflektiert darin die ungeheuer produktive Schaffensphase Mozarts (1756-1791) während dieser beiden Jahre, die auch für die Musikgeschichte von großer Bedeutung sind. Die Alte Oper Frankfurt hat  das MCO als Start- und Ausgangspunkt dieses Projekts ausgewählt.

Mozart komponierte bekanntlich während der genannten zwei Jahre über 50 seiner insgesamt mehr als 600 Werke, darunter zwei seiner Opern (Le Nozze de Figaro und Der Schauspieldirektor), seine Sinfonie Nr. 39, zwölf seiner 27 Klavierkonzerte, zwei seiner 21 Streichquartette, seine einzigen zwei Klavierquartette (KV 478/493) und last but not least, fünf seiner insgesamt 30 Lieder mit Klavierbegleitung. Dazu eine Vielzahl von Kantaten, Chorwerken, Bläserkonzerten (darunter sein bekanntes Hornkonzert KV 495) und Violinsonaten (17), wovon die Es-Dur (KV 481) von 1785 zum Nach(t)konzert des Abends gehörte.

Das MCO hat eine Auswahl getroffen, die das umtriebige Schaffen Mozarts während dieser zwei Jahre (Mozart Momentum I 1785 und II 1786) eindrucksvoll dokumentiert. Leider musste der angesagte Pianist, Leif Ove Andsnes, mit dem dieses Projekt über Monate einstudiert wurde, wegen einer schweren Erkrankung absagen. Dankenswerterweise ist Lars Vogt sehr kurzfristig eingesprungen – man hatte nur zwei Proben – und machte seine Sache den Umständen entsprechend gut. Das Programm wurde etwas gekürzt (die Fantasie c-Moll KV 475 entfiel) und das Gespräch zwischen Lars Vogt (ursprünglich mit Andsnes) und dem Musikwissenschaftler Cliff Eisen nach der Pause geriet, wohl der neuen Lage geschuldet, eher zum Monolog. Was aber absolut überzeugte, war das „nomadische Kollektiv“ des MCO

Gleich der Einstieg mit Mozarts Klavierquartett KV 478 zeigte den Innovationsreichtum des Komponisten, der mit diesem Werk erstmals eine neue Gattung kreierte, denn eine Besetzung mit Klavier, Violine, Violoncello und Bratsche gab es bis dahin noch nicht. Das Quartett, besetzt mit Lars Vogt (Klavier), Matthew Truscott (Violine), Frank-Michael Guthmann (Violoncello) und Joel Hunter (Bratsche), fand nach kurzer Anfangsirritation schnell zusammen und arbeitete die Aufgeregtheit und die Gesanglichkeit sowie in den abschließenden variativen Momenten die Vielfältigkeit und den Einfallsreichtum dieser Komposition technisch brillant heraus, was vor allem vom Pianisten große Virtuosität erforderte.

Die fünf Lieder, alle 1785 entstanden (KV 506, 473, 476, 468, 472), „Freundstücke“, wie sie Mozart selbst bezeichnete, weil er sie für Freunde und Bekannte schrieb, kontrastierten in bestem Sinne die Einstiegsmusik. Mit Louise Alder aus dem Frankfurter Opern-Ensemble, stand eine Sopranistin auf der Bühne des Mozartsaals, die nicht nur mit einer warm-timbrierten und ausdrucksstarken Stimme brillierte, sondern auch durch schauspielerische Hingabe und einer ausgeprägten Stimmigkeit zwischen Sprache und Gesang überzeugte. Man verstand jedes Wort der vielgestaltigen Strophengesänge zwischen romantischer Lyrik, aufklärerischem Impetus und spitzbübischer Ironie. Dazu die pianistische Begleitung von Lars Vogt, die, zurückgenommen und ganz auf den Gesang fokussiert, diese fünf Lieder zu einem besonderen Hörerlebnis werden ließen.

Lars Vogt und Louise Alder (Foto: Wonge Bergmann)

„Harmonische Kühnheiten“ mit „Zungenbrecher“


Das Gespräch zwischen Lars Vogt und dem englischen Musikwissenschaftler Cliff Eisen sollte vor allem Einblicke in die beiden wichtigsten Werke des Jahres 1785 bieten: Das Streichquartett C-Dur KV 465, und das Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466.

Warum diese beiden Werke? Es sind die „harmonischen Kühnheiten“ im Streichquartett, weshalb es auch den Beinamen „Dissonanzenquartett“ erhielt. Heutigen Ohren vertraut, hatte es zur damaligen Zeit die Gemüter erregt, wenngleich selbst Josef Haydn, der dieses Stück zu Ohren bekam und dem dieses Stück auch gewidmet ist, den hohen Rang dieser Komposition erkannte und würdigte. Cliff Eisen, der einige Passagen aus dem Quartett, aber auch aus dem Klavierkonzert vortragen ließ, konzentrierte seinen Vortrag auf die Virtuosität Mozarts (damals einer der besten Pianisten) und seine ausgefeilte Technik – eines der Besonderheiten des Klavierkonzerts –,  die er mit einem Maler verglich, wobei er Mozart eher zu denen mit spitzer Feder, als zu denen mit breitem Pinsel zählte. Lars Vogts einziger Beitrag bestand in einer kurzen Passage aus Mozarts Klavierkonzert KV 467, womit er herausstrich, wie diffizil sie zu spielen sei. Mozart meinte Vogt, sei „zu einfach für Kinder und zu schwer für Erwachsene“, womit er die Nacktheit und Entblößtheit der Notensetzung hervorhob. Vieles von ihm sei vergleichbar mit einem „Zungenbrecher“: „Einmal falsch gesetzt und du bist raus.“ Es komme nicht von ungefähr, dass sich viele Pianisten vor Mozart drückten, weil sie dieses Risiko vermeiden wollten.

Das Streichquartett bzw. Dissonanzenquartett gehörte in der Folge zum echten Hinhörer dieses Abends. Ein Quartett wie aus einem Guss, besetzt mit Anna Matz (1. Violine), Katarzyna Wozniakowska (2. Violine), Yannick Dondelinger (Bratsche) und Christophe Morin (Violoncello). Es war nur der erste von vier Sätzen, das Adagio-Allegro, das sie spielten, aber der hatte es in sich: ein Changieren zwischen Dur und Moll, mit gewagten Vorhalten und pochendem Bass. Ein inspiratives Werk, das von ihnen, allen voran Anna Matz, mit großer Leidenschaft und klanglicher Perfektion präsentiert wurde.

Das abschließende Klavierkonzert D-Moll KV 466, das 20ste seiner insgesamt 27, sah Lars Vogt im Fokus, der nicht nur als Pianist, sondern auch als Dirigent in den Mittelpunkt des Geschehens trat. Hier zeigte sich doch das Problem einer zu kurzen Probezeit. Vogt dirigierte nervös, ohne wirklichen Bezug zum Orchester – das übrigens aus 24 Instrumentalisten (darunter 11 Bläser) bestand –, was sich auch auf sein Spiel am Flügel übertrug. Nicht unbedingt fehlerfrei, geriet ihm dieses dramatische, ausdrucksstarke Werk zu einem „Zungenbrecher“, um ihn bei seinem Wort zu nehmen. Dennoch bewies gerade hier das MCO seine exorbitante Klasse. Ihre Interpretationskraft ist einmalig in der Musikwelt. Dieser Klangkörper harmonierte in Perfektion und hätte einen Dirigenten durchaus entbehren können, was möglicherweise Lars Vogt eine größere Ruhe und Konzentration vergönnt hätte. Der Beifall allerdings war frenetisch, obwohl das Konzert durch ein ständiges Mitsummen aus dem Publikum zusätzlich noch erheblich gestört wurde.

v.l.: Matthew Truscott und Lars Vogt, Mitglieder des MCO (Foto: Wonge Bergmann)

Das Nach(t)konzert im Foyer der Alten Oper bestritten der Konzertmeister des MCO, Matthew Truscott (Violine) und  Steven Devine (Hammerklavier) mit der Violinsonate Es-Dur KV 481. Das sehr gut besuchte Foyer hörte hier einen Mozart, der dieses Duett eher für ein Klavier als für eine Geige schrieb: hochvirtuos das Klavierpart, eher begleitend und unterstützend die Violine. Mozart selbst sprach denn auch von „Clavier Sonaten“ oder gar von „Duetti aufs Clavier“. Ein fast 24-minütiges dreiteiliges Werk, das beide mit Bravour meisterten, obwohl die Akustik miserabel und die Unruhe im Publikum störend war. Vielleicht hätte da eine technische Verstärkung der Instrumente Abhilfe schaffen können. So aber verschwanden die Klänge weitgehend im Nirwana und zurück blieben lediglich staubtrockene Tonfolgen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen