Mittwoch, 15. Mai 2019


Kit Armstrong und das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO), Alte Oper Frankfurt, 14.05.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Kit Armstrong (Flügel), Mirga Gražinyté-Tyla (Dirigentin), City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO)
(Foto: PRO ARTE, Ansgar Klostermann)


Feinste Verwobenheit des Klaviers mit dem Orchester


Eigentlich war Yuja Wang, eine der besten Pianistinnen der Welt, wie es heißt, angesagt. Sie aber musste wegen einer Erkrankung kurzfristig absagen. Dankenswerterweise ist für sie der nicht weniger gute, immer noch jugendliche und noch vor wenigen Jahren als Wunderkind an den Tasten gefeierte und in Frankfurt bestens bekannte Kit Armstrong (*1992) eingesprungen. Allerdings für ein Klavierkonzert, das so gar nicht zu seinem Spielertyp zu passen scheint: Robert Schumanns (1810-1856) Konzert für Klavier und Orchester a- Moll op. 54 (1845).


Armstrong wirkt, wie immer, sehr zerbrechlich, sein Anschlag ist fein ziseliert. Er liebt das Durchsichtige, Klare, Perlende. Die orchestralen, kraftvoll-akkordischen und gewaltigen Passagen entsprechen dagegen weniger seinem Temperament. Kurz: ihm liegt eher das Introvertierte, das Leise, als das Extrovertierte, das Laute; eher das Kammermusikalische als das Orchestrale. Seine Auftritte sind absolut allürenfrei, ohne jegliches Pathos oder Temperament. Das macht ihn sympathisch und zum Liebling des Publikums.

Ob das allerdings zu Schumanns Klavierkonzert a-Moll passte, konnte bezweifelt werden. Der Flügel war sehr spitz gestimmt, der gewaltige Donner zu Anfang des ersten Satzes wurde da zum fernen Grummeln und die emotionalen Eruptionen im abschließenden Allegro Vivace zu leichten Erschütterungen. Großartig allerdings Armstrongs technische Brillanz und vor allem seine enge Zusammenarbeit mit dem (leider zu groß besetzten) Orchester und der Dirigentin, Mirga Gražinyté-Tyla. Immer im Blickkontakt und mit deutlicher Gestik machte er das wahr, was Schumanns Ehefrau, Clara Schumann, an dem Werk so schätzte, nämlich die feinste Verwobenheit des Klaviers mit dem Orchester. Ja man konnte sogar den Eindruck gewinnen, dass Armstrong und nicht die Dirigentin das Heft in der Hand hielt.

Seine Zugabe, ein Wiegenlied Le Dodo ou l´amour au Berceau (1722) aus der Hand François Couperins (1668 1733), entsprach denn auch ganz seinem Charakter. Leise, fein abgestimmt bis in die letzten musikalischen Fasern, ein Tirilieren wie aus einem Zauberwald. Einfach nur edel und feinfühlend.

Mirga Gražinyté-Tyla (Dirigentin), CBSO, Großer Saal der Alten Oper (Foto: Ansgar Klostermann)

Birmingham lädt ein zum 100-jährigen Bestehen des CBSO


Das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) besteht  seit fast einhundert Jahren und ist weltbekannt. Im kommenden Jahr wird das hundertjährige Bestehen dieses führenden Sinfonieorchesters in Großbritannien gefeiert werden, wozu die Dirigentin das Alte-Oper-Publikum charmant einlud. Bereits Edward Elgar dirigierte es zu seiner Gründung 1920, aber auch Sir Simon Rattle oder auch Andris Nelsons gaben sich die Ehre und führten diesen Orchesterapparat zu Weltruhm. 


Seit 2016 ist Mirga Gražinyté-Tyla Chefdirigentin des CBSO. Mit ihren gerade einmal 32-Jahren hat sie eine steile Karriere hingelegt, die über Kurt Masur, Herbert Blomstedt, Peter Gülke und – nicht zuletzt – über die beiden oben genannten Sir Simon Rattle und Andris Nelsons bis zur Musikdirektorin des CBSO verlief, und sie heute zu eine der gefragtesten Dirigentinnen macht.

Bereits mit  Maurice Ravels (1875-1937) Le Tombeau de Couperin, Fassung für Orchester M 68 a (1920) zeigte die mädchenhaft grazil wirkende Dirigentin ihr tänzerisches Vermögen. Ihr Dirigat geriet fast zu einem Ballett-Solo, wobei nicht immer klar war, ob sie sich nach der Musik des Orchesters bewegte, oder das Orchester nach ihrem Dirigat musizierte. Le Tombeau, eigentlich eine Hommage an Couperin und dessen barocke Größe sowie an gefallene Weltkriegskameraden, geriet unter ihren Händen zu einem wenig differenzierten, gleichförmigen Potpourri, das auch noch in einigen Passagen (Prélude, Rigaudon) zu gehetzt wirkte.

Ganz anders dagegen die Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 (1877) von Johannes Brahms (1833-1897). 
Perfekt eingespielt konnte das Orchester seine ungebremste Kraft wie seinen unbedingten Gestaltungswillen voll zur Geltung bringen. Alpengröße und pastorale Grundstimmung beherrschen dieses viersätzige spätromantische Werk, das im Stile der späten Beethovenschen Sinfonien von ausgefeilt genialisch motivischer Arbeit geprägt ist, wobei die beiden Ecksätze (I. Allegro non troppo, IV.  Allegro vivace), die Brahms bekanntlich zusammen komponierte, eng miteinander verzahnt sind und in der abschließenden Coda einen der brillantesten Höhepunkte der sinfonischen Musik seit Beethoven bieten.

Mit 21 Bläsern, darunter drei Posaunen, vier Hörnern und Tuba sowie zehnfach besetzten Streichern, versetzte dieser riesige Klangkörper das Publikum in die Welt der Sommerfrische des Wörther Sees, in das Kärntner Land mit Sicht auf die Karawanken. Brahms komponierte diese Sinfonie, im Gegensatz zu seiner ersten, für die anderthalb Jahrzehnte brauchte, in einigen Monaten, und hielt sie für „etwas Trauriges, Molliges“, von einer „gewisse(n) Melancholie durchweht“.

Das war sie beim CBSO und bei Gražinyté-Tyla allerdings weniger. Dafür eher das, was sich Brahms auch von ihr gewünscht hat, nämlich „heiter und friedvoll“ zu sein. Es war eine Mischung aus gewaltiger Klangfülle und butterweicher Geschmeidigkeit, aus ausgelassener Freude und düsteren Ahnungen, durch die Gražinyté-Tyla mit ausladendem, flügelgleichem Dirigat elegant, aber nicht immer unbedingt präzise führte. Viele ihrer Einsätze kamen Nuancen zu spät oder zu früh, was vor allem an den Tutti-Stellen zu pastoser Klangfülle führte und in den schnellen Passagen ein undefinierbares Rauschen erzeugte. 

Der Beifall war dennoch äußerst herzlich, was nicht allein an der Präsenz des Orchesters, sondern auch an der frischen, jugendlichen Erscheinung von Gražinyté-Tyla gelegen hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen