Happy New Ears 2019: Portrait Georg Friedrich Haas (*1953), Werkstattkonzert mit dem Ensemble Modern in der Oper Frankfurt, 10.06.2019
Georg Friedrich Haas (Foto: icareifyoulisten.de) |
Happy New Ears wird es auch weiterhin geben
Das 106. und diese Saison abschließende Werkstattkonzert Happy New Ears mit dem Ensemble Modern hatte es irgendwie in sich. Zunächst war es Sylvain Cambreling (*1948), der musikalische Leiter des Abends und maßgeblich an der Gründung der Reihe Happy New Ears im Jahre 1993 beteiligt, der um Haaresbreite das letzte Werkstattkonzert dieses Formats geleitet hätte, wenn, ja wenn nicht doch eine Kompromisslösung für die kommende Saison 2019/20 gefunden worden wäre (die Happy-New-Ears-Konzerte werden aus Kostengründen, wie es hieß, teilweise in die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst sowie in das Bockenheimer Depot ausgelagert). Dann das heterogene Programm mit dem Komponisten Georg Friedrich Haas (*1953), der sein ganzes Spektrum musikalischer Ästhetik vorstellte und sich mit einem politischen Manifest outete.
Unter der umsichtigen und gut strukturierten Moderation von Bernhard Günther (*1970) hatte man sich
entschlossen, die Programmfolge umzustellen und in fünf Schwerpunkten das
Oeuvre von Haas zu durchleuchten und dem zahlreich erschienenen Publikum im Foyer der Oper Frankfurt verständlich zu machen.
Die drei Gesichter des Komponisten
Blumenwiese 2 für Schlagzeug
solo (2017/18) war zugleich auch Stichwort des ersten Gesprächspunktes.
Haas sprach hier von der Bepflanzung eines Gartens in Anlehnung an den berühmt
berüchtigten englischen Kulturkritiker des 18. Jahrhunderts, Samuel Johnson (1709-1784),
und gebrauchte den Vergleich einer böhmischen Landschaft, die, so wie sie wahrgenommen
werde, einfach nur schön zu nennen sei. Nichts gäbe es hinzuzufügen. Auch durch
die Musik nicht. Literarisch bezieht er sich gleichzeitig auf Mira Lobes
(1913-1995) Kinderbuch mit dem Titel: Das
kleine Ich bin ich (1972) und hinterlässt nach einem Prozess, der sich
eigenen Aussagen zufolge, bereits über 20 Jahre hinzieht, sieben austauschbar
Stücke, die von einem Solisten mit 124 Möglichkeiten zusammengesetzt werden
können. Fragen über Fragen.
Rainer Römer
(*1956), der Solo-Percussionist dieses Stückes, löste diese Fragen auf seine
ganz eigene Weise. In zwei großen Blöcken bearbeitete er in Beschleunigung und
Verlangsamung, in Crescendo und Decrescendo ein Marimbaphon, zwei Pauken,
diverse Becken, Zimbeln, Kuhglocken, Tamtams, Klanghölzer und Klangstäbe und
machte „aus dem Schlagzeug ein Klangzeug“, so wie es sich Haas ausdrücklich
wünschte. Höchst virtuos, mit Vogelgesang und düsteren Waldgeräuschen, mit
Weckrufen wie ein Gewitter oder gar eine Gerölllawine, führte er durch die Welt
der natürlichen Weltgärten, ob Dschungel, Hochgebirge oder Wüste, das konnte jeder
für sich selbst entscheiden. Fast eine halbe Stunde Blumenwiese, mal schön, mal hässlich, mal beruhigend, mal angsteinflößend.
Römers Verdienst war es, dieses wenig strukturierte Werk zusammenzuhalten und
trotz aller Beliebigkeit ein komplexes Klangspektrum zu präsentieren.
Anachronism (2013)
gehörte zum zweiten Schwerpunkt des Abends. Anachronistisch deshalb, so der Komponist,
weil er hier mit einem klaren, durchgehenden Puls sowie mit traditionellen
Harmonien (Quart- und Quintgängen) und einer überschaubaren Form arbeite. Es sei
zur Zeit seines Aufenthaltes an der Columbia University in New York unter den
Höreindrücken der Minimal Music von
Steve Reich und Philip Glass entstanden, ohne sie zu plagiieren. Die Besonderheit
aber sei der gnadenlose Durchmarsch in einem 11/8 Takt, der von den sieben Instrumentalisten
(Violine, Klarinette, Oboe, Horn, Fagott/Bassfagott, Kontrabass und Schlagzeug)
alles abverlange.
Tatsächlich kam dieses Stück von Anfang an hardcore daher. Im Rhythmus eher an Dave
Brubecks Rondo á la Turk andockend raste
das viertelstündige Werk in atemlosem Tempo durch alle Register der Harmonien:
unisono im schrillen C-Dur über 53 Takte, dann in wilden Rückungen durch alle Tonarten, repetitiv, chromatisch, in wilden Glissandi und Stakkato-Passagen. Man
dachte an die armen Lippen der Bläser und die wunden Finger der Streicher. Na
ja. Harte Arbeit und ein wilder Ritt
über schmale Grate, womit der dritte Schwerpunkt des Gesprächs angesprochen war.
Haas meinte dazu, wobei er den völlig erschöpften Dirigenten anschaute, dass harte Arbeit auch Glücksgefühle erzeugen könne. Seine
Intension bei diesem Stück sei es, über die physischen Schwierigkeiten, rauschhafte
Zustände herzustellen. Am Ende des Stückes müsse man sagen können: „Es ist
vollbracht!“ Cambreling kommentierte es mit
einem Schmunzeln und hob den gegenseitigen Respekt heraus, der ihm dieses Werk
vermittele: Den Respekt vor der Partitur und den seines Komponisten. Dem Publikum
gefiel es.
Framing und Monolog für Graz (2018/19) die beiden
letzten Schwerpunkte, bestehen aus einer Kombination von „abstrakter Musik“ und einem politischen Manifest des Komponisten zur Lage in
Österreich. Haas bezeichnet Framing als
höchst dramatischen Rahmen, explosiv, eruptiv und tiefgründig. Die melodischen
Teile vergleicht er mit Luciano Pavarottis Tenor „auf eine kleine Terz
reduziert“. Haas zeigt hier quasi sein drittes, sein politisches Gesicht.
Musikalisch stellt er einen, wie er sagt, abstrakten Rahmen her, einen, der eine
sehr emotionale Wirkung erzeugt, eine abstrakte Traurigkeit (im Gegensatz zur
konkreten), einen abstrakten Schmerz (im Gegensatz zum konkreten).
Das fast dreißig Minuten dauernde Stück für sieben
Instrumentalisten (Streichtrio, Klarinette, Fagott, Klavier und Schlagzeug)
bestand denn auch aus rhapsodischen Elementen mit viel Glissandi und Tremoli,
langen melodischen Mikromotiven, gestoßenen Pizzicati, kanonischen bzw.
kontrapunktischen Passagen und dramatisch ausgedehnten Pausen. Ein Rahmen, der
weniger explosiv und eruptiv daherkam, sondern in weiten Teilen Melancholie und
tiefe Traurigkeit ausstrahlte. Ähnlich wie Blumenwiese
bestand Framing aus langen Unisono Abschnitten
und scheinbar strukturlosen, willkürlichen Aneinanderreihungen.
Georg Friedrich Haas (Foto: youtube.com) |
Wie politisch kann Musik sein?
Das Reden über das Reden
setzte den Schlusspunkt dieses Werkstattkonzerts. Haas vertrat die Auffassung, in
Framing einen idealen Rahmen für
Texte, die ihm auf den Leib geschnitten seien, geformt zu haben. Seine
Bezugnahme auf Claudio Monteverdi, wonach das Singen dem Sprechen vorzuziehen
sei, weil es einfach lauter und ausdrucksstärker ist, wird zum Plädoyer für das
Mikrophon. Erst das Mikrophon erlaube es nämlich, Meinungen für viele Menschen
hörbar zu machen. Er habe sich folglich entschlossen, Framing mit dem Monolog über
Graz zu füllen. Geplant habe er zwar, einen Monolog über Frankfurt zu sprechen, das Vorhaben aber wegen der für ihn
erfreulichen politischen Lage der Stadt fallen gelassen.
Nun gut. Haas ließ Teile seines Framing mit seinem von ihm gesprochenen Manifest gegen die rechtspolitischen
Verhältnisse in Österreich/Graz kombinieren. Er sprach von seiner faschistisch
geprägten Kindheit und Jugend, die ihn erst mit 21 Jahren aus dem Sumpf gezogen
und sein Leben grundsätzlich geändert habe. Auch von den drohenden
Gefahren des Rechtsextremismus, den „ausländerfeindlichen Parteien“, die er in
Österreich walten sehe, die dieses Land mit riesen Schritten wieder in
faschistische Abgründe führe. Donald Trump, der US-amerikanische Präsident,
bekam ebenso sein Fett ab, wie alle europäischen Staaten, in denen er
faschistische Entwicklungen vermutete. Endlich einmal per Mikro lautstark kundtun, was einen seit Jahrzehnten bleischwer auf der Seele lastet.
Bei aller political correctness
stellte sich doch die Frage, ob die sehr plakativen Hinweise auf rechte Entwicklungen
in Österreich und Europa wie der Welt überhaupt dem ästhetischen Anspruch von
Musik gerecht werden können. Framing
könnte zu jeder Zeit auch mit anderen wortreichen Inhalten gefüllt werden. Eine
gehaltsästhetische Wende, wie sie der Moderator, mit Hinweis auf den
Musikwissenschaftler Harry Lehmann, ansprach, darf nicht bedeuten, einen
x-beliebigen Rahmen mit einem wie auch immer politisch motivierten Manifest zu
füllen (Propagandamusik hat es immer schon gegeben). Wie furchtbar, wenn zu
dieser Musik ein rechtsextremer Text gesprochen würde. Was durchaus auch mit Framing denkbar wäre, denn Musik an sich
hat keine politische Meinung.
Haas´ Hinweis, dass seine Komposition In Vain (2000) bereits ein Plädoyer gegen die Politik Österreichs
gewesen sei, scheint da doch ein intentional ausgereifterer kompositorischer
Vorgang gewesen zu sein. Am 21.01.2018 in der Frankfurter Union Halle
aufgeführt (siehe meinen Artikel vom 22.01.2018) stellte er darin die dunklen
Seiten menschlichen Daseins in den Mittelpunkt dieses Werks. Kein politisches
Statement, sondern eine sehr subtile ästhetische Auseinandersetzung mit der
dunklen Seite des Menschen. Damals eine beeindruckende Performance, über die noch
heute gesprochen wird.
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