Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Danae Dörken, Klavierrezital im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg, 02.07.2019
Danae Dörken (Fotos: Ansgar Klostermann/RMF) |
Eine Reise durch die Kulturen Europas
Tochter einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters fühlt sich Danae Dörken (*1991), wie sie im Gespräch mit Moderator Markus Treier meinte, nirgendwo richtig zuhause, schöpfe aber aus der Vielfalt der Kulturen. Heimat sei für sie ein Gefühl, aber kein Ort. Ihr Wunsch sei es, dass die Kulturen ihre Eigenständigkeiten behielten, gleichzeitige aber harmonisch zusammenspielten.
In diesem Sinne bot Dörken eine musikalische Reise durch das
späte 19. und frühe 20. Jahrhundert an, mit Werken von so unterschiedlichen
Komponisten aus ebenso unterschiedlichen Kulturen wie Béla Bartók (Ungarn),
Francis Poulenc (Frankreich), Manolis Kalomiris (Griechenland), Manuel de Falla
(Spanien) und nicht zuletzt Edvard Grieg (Norwegen).
Mit einer der berühmten Polonaisen,
cis-Moll op. 26 Nr. 1 (1831/36), von
Frederic Chopin (1810-1849) stieg sie in den Zug durch das halbe Europa. Sehr
empathisch mit perfekter Ausformulierung der melodischen Linien, zwischen
Weckruf, Schreittanz und Nachtstück. Dörken am Steinway Flügel ist eine
elegante Pianistin mit bewegungsreichem Spiel und tiefer Innerlichkeit. Ihre
rostfarbene paillettenbesetzte Robe mit engem Schnitt und weitem
Rückenausschnitt passte brillant zu ihrem Interpretationsstil: glitzernd,
facettenreich, eng am Notentext und zugleich von großer individueller Freiheit
bestimmt.
Vor allem die Werke von Manolis Kalomiris (1883-1962)
verstand sie prächtig zu verarbeiten. Kalomiris zählt zu den klassischen Vätern
der griechischen Musik. Als Präsident der griechischen Nationaloper (seit 1950)
und Gründer des griechischen und nationalen Konservatoriums (1919 bzw.1927)
gilt er bis heute als einer der wichtigsten Komponisten des Landes. Seine Musik
allerdings ist stark geprägt von seiner Wiener Zeit zwischen 1901 und 1906 und
seiner Orientierung an der deutschen Romantik. Seine Cinq Préludes (1939) und das Nocturne
fis-Moll (1906-08) erinnerten denn auch in vielem an Johannes Brahms,
Frederic Chopin oder gar an Béla Bartók. Einzig die Leventika, das fünfte Prélude, ließ Rückschlüsse auf arabisch-türkische
Einflüsse zu. Kalomiris lebte in seiner Jugendzeit in Smyrna (heute Izmir), das
schon immer als Grenze zwischen Orient und Okzident galt. Die typische Rhythmik
und Ornamentik dieses fünften Prélude verstand die Pianistin, in einen furiosen
Ritt durch die Kulturen von Ost und West zu verwandeln.
Béla Bartóks (1881-1945) bei Pianisten sehr beliebten sechs Rumänische Volkstänze BB 68 Sz 56
(1915) gehören oft zum Zugabenrepertoire, da sie kurz und bündig (kaum 6
Minuten) und dazu noch sehr eigenwillig und modern konzipiert sind. Dörken
machte aus der authentischen Bauernmusik – sie soll schroff und im besten Sinne 'dreckig'
daherkommen – eher ein kunstmusikalisches Ereignis, voller
Sinnlichkeit und romantischer Emotionalität. Ein wenig schade, weil gerade in
diesen Miniaturen ein großer Kontrast zur damaligen Musikepoche und Stilistik steckte.
Franz
Schuberts Zwölf Deutsche Tänze D 790
(1823/1864) wiederum passten in die Gefühlswelt des frühen 19. Jahrhunderts.
Alles zwischen Ländler, Deutscher Tanz, Allemande und Walzer. Man drehte sich im
Kreise in einer Zeit des Umbruchs und der Krisen, nicht so recht wissend, wohin
die Reise geht. Dörken fand hier den rechten Ton, auch wenn die Tänze ein
bisschen an Wiener Heurigen-Stimmung erinnerten.
Courage ist, wenn man unerschrocken seinen Weg geht
Hochzeitstag auf
Troldhaugen (1896) aus Edvard Griegs (1843-1907) Lyrischen Stücken/Band 1,
eigentlich ein Gassenhauer par excellence, ging allerdings tüchtig in die Hose,
oder, um in der Metapher der Kulturreise zu bleiben, der Zug entgleiste und
blieb im Nirgendwo liegen. Schade: zu schnell, zu hudelig, zu dröhnend.
Kein fröhlicher Marsch der Hochzeitsgäste, sondern eher eine rasende Toccata,
die die Feiernden aufmischte und das Brautpaar auseinandertrieb.
Francis Poulenc´ (1899-1963) Huit Nocturnes (1929/38) wiederum gehörten zum Höhepunkt des
Rezitals. Zwischen Salonmusik (Nr. 1), turbulenten Flügelschlägen (Nr. 5),
gnomenhaften Verrenkungen (Nr. 7) und gesanglichen wie melodiösen Impressionen
(Nr. 3 und Nr. 8) ist alles darin vertreten, was, so die Pianisten im Gespräch, den
französischen Charakter beschreibt. Dörkens Affinität zum französischen Savoir-vivre
kam in jedem der acht Nachtstücke beeindruckend zur Geltung.
Mit dem abschließenden Feuertanz
aus Manuel de Fallas (1876-1946) Ballett Der
Liebeszauber (1915) erreichte die Reise ihren Endpunkt. Ein Flamenco furioso. Technisch nicht brillant aber dafür mit absolutem Herzblut und
Hingabe präsentiert. Artur Rubinsteins (1887-1982) Klavierbearbeitung (1925) soll bei der
Uraufführung Stürme der Begeisterung beim Publikum ausgelöst haben. Der Legende
nach musste er es dreimal wiederholen, um das Publikum aus seiner "Tobsucht" zu
befreien. Das war im sehr gut besetzten Fürst-von-Metternich Saal zwar nicht so,
aber das Publikum war trotzdem begeistert.
Die beiden Zugaben: Franz Liszts Rigoletto Paraphrase und Claude Debussys Mouvement aus Image/ Band 2, zwei stilistisch extrem kontrastreiche
und technisch höchst anspruchsvolle Stücke, ließen Dörkens pianistische
Ausnahmestellung der Next Generation erkennen. Diese beiden Werke spielte sie
auswendig (im Gegensatz zu denen in ihrem offiziellen Programm mit I-Phone-Notentext)
und es zeigte sich wieder einmal, dass die alte Kunst des Auswendig-Spielens
(was leider immer mehr verloren geht) ein tiefes Verständnis des Notentextes
verlangt, was sich gerade in diesen beiden Werken hörbar in der Qualität der Interpretation
widerspiegelte. Danae Dörken hat alles, was einen Ausnahmepianisten ausmacht.
Nach oben sind ihre Grenzen allerdings noch offen.
Die Idee des Veranstalters, am Ende der Rezitale ein
Gespräch mit den Künstlern anzubieten und das Konzert revue passieren zu lassen,
ist ausgezeichnet und findet beim Publikum prächtige Resonanz. Danae Dörken, die übrigens auf dem RMF debütierte, zeigte
sich im Interview mit Markus Treiber als weltoffene junge Frau, die ihre Musik
allen Menschen präsentieren möchte (hervorzuheben ihr 2015 gegründete Molevos
International Music Festival, kurz MIMF, das alljährlich auf der Insel Lesbos,
der Heimat ihrer Großeltern, stattfindet).
Auf die Frage nach
ihrer Courage, Motto des diesjährigen RMF, antwortete sie schlicht: „Für mich bedeutet Courage Unerschrockenheit,
das zu tun, was ich mit vorgenommen habe und alle Widerstände mutig zu meistern.“
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