Freitag, 5. Juli 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

Christiane Karg (Sopran), Daniil Trifonov (Klavier), Renaud Capuçon (Violine), Clemens Hagen (Violoncello), Kammermusikabend in der kING  Kultur- und Kongresshalle Ingelheim, 04.06.2019

v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov, Christiane Karg, Clemens Hagen (Fotos: Sabine Siemon/RMF) 



Ein perfekter Sommerabend mit einem Weltklasse Quartett


Ein perfekter Sommerabend in der Weinstadt Ingelheim im Rheingau, in einer imposanten, sehr modern-funktionalen Konzerthalle mit einer Quartettpremiere, die es in dieser Zusammensetzung wohl kaum wieder geben wird. 


Christiane Karg (*1980), renommierte Sopranistin und Operndiva (sie ist nebenbei Fokusgast des diesjährigen Rheingau Musik Festivals), Daniil Trifonov (*1991), mittlerweile einer der besten Pianisten auf diesem Erdball (er ist zudem Artist in Residence auf dem RMF), Renaud Capuçon (*1976), in der ehrenhaften Nachfolge des legendären Isaac Stern (er spielt dessen Guarneri del Gesú „Panette“ Violine von 1737) sowie Clemens Hagen (*1966), Cellist – er spielt auf einer Stradivari von 1698 – und Gründer des Hagen-Quartetts, ein Qualitätsensemble, das für sich selbst spricht.

Auch das Programm hatte es in sich. Werke von Claude Debussy (1862-1918), Amy Beach (1867-1944) und Peter Tschaikowski (1840-1893), die unterschiedlicher kaum sein konnten, selbst wenn sie zu ähnlichen Zeiten entstanden sind.

Christiane Karg entschied sich für Debussys Chansons de Bilitis für Sopran und Klavier L 97 (1897) sowie eine Auswahl aus Amy Beachs Liedkompositionen (vier Lieder zwischen 1893 und 1924), Liedkompositionen, die ihr umfangreiches gesangliches Spektrum umfassten und bestens zum Ausdruck brachten. Deklamatorisch, verträumt, melancholisch bis dramatisch in der surrealen Lied-Trias von Debussy (Text von Pierre Louÿs) und innerlich, ekstatisch mit scharfer Expression in den Liedern der Amerikanerin Amy Beach, die, stark an der Spätromantik, dem französischen Impressionismus und der zweiten Wiener Schule angelehnt, immer auch einen widerständigen Charakter trugen. Beach machte sich nebenbei bemerkt einen Namen als Frauenrechtlerin (ihr Mann verbot ihr das Auftreten als Pianistin) und orientierte sich als Autodidaktin vorwiegend an Hector Berlioz´ (1803-1869) Instrumentenlehre (1845) was auch ihre Liedkompositionen prägte.

Karg, in elegantem blauem Hosenanzug und funkelndem Ohrgehänge, glänzte mit ausgewogen klarer, reiner Stimme, ohne Vibrato, sowie einer ausgesprochen guten Artikulation. Dazu wurde sie in den Chansons Bilitis von Trifonov fein gesponnen, perfekt abgestimmt, mit schwebender Pedaltechnik begleitet, wie es kaum besser zu machen ist. Ebenso überragend die Triobegleitung der vier Lieder von Amy Beach (Ecstasy, Text von ihr,  Chanson d´amour, Text von Victor Hugo, A Mirage, Text von Berta Ochsner, Stella Viatoris, Text von Jessie Hague Nettleton). Ein Team, nur für dieses eine Konzert zusammengestellt? Man konnte es kaum fassen.

v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov (Sonate für Violine und Klavier g-Moll L 140 von Claude Debussy)

Zwei außergewöhnliche Werke aus außergewöhnlicher Zeit


Aber es gab noch eine Sonate für Violine und Klavier g-Moll L 140  (1918) von Claude Debussy und ein Trio für Klavier, Violine und Violoncello a-Moll op. 50 (1881/82) von Peter Tschaikowski. Vorweggenommen: Beide Interpretationen gehören in die Lehrbücher für herausragendes Textverständnis und wunderbar durchdachte Wiedergabe eines Werkes.

Debussy verstand seine „Hymne auf die französische Musik“ als Abgrenzung gegen den deutschen Romantizismus (er schrieb diese Sonate unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs) und verzichtete bewusst auf Schnörkel und ausuferndes Melos. Dafür lebt dieses Werk von ungeheurer Inspiration und scharfer Spannung. Die beiden Interpreten lieferten ein exorbitantes Klangfarbenspiel zwischen Heiterkeit und Melancholie: ein Bekenntnis zur französischen Seele.

Ähnlich einzustufen ist Tschaikowskis monumentales Andenken an einen großen Künstler. Sein Klaviertrio  (übrigens sein einziges) ist keinem geringeren als Nikolai Rubinstein (1835-1881) – Gründer des Moskauer Konservatoriums, bedeutendster Pianist, Dirigent und Musikpädagoge Russlands seiner Zeit – gewidmet, dessen plötzlicher Tod bei ihm große Erschütterung hervorrief. Bedenkt man, dass er eigentlich vom Zusammenspiel von Violine, Violoncello und Klavier nichts hielt –  „Als musikalische Form liebe ich das [Klavier]Trio nicht. Deshalb könnte ich für diese Klangkombination keine von echtem Gefühl beseelte Komposition schreiben“ –, dann wird man bei dieser Hommage vom absoluten Gegenteil überzeugt.

Es ist ein Requiem von ausgesprochen tiefer Anteilnahme und Trauer, mit ungewöhnlicher Form und eigenwilliger Thematik (es soll aus einer gemeinsamen Soirée Rubinsteins und Tschaikowskis aus dem Jahre 1873 stammen). Fünfzig Minuten zwischen Erinnerung und Verzweiflung. Ein ausgedehnter Prolog, sinfonisch-orchestral angelegt, wird fortgesetzt von elf Variationen, die aus dem Leben Rubinsteins erzählen: mal Tanz, mal Choral, mal Walzer oder Mazurka, dazwischen eine lehrreiche Fuge sowie Kontrapunktik. Es ist ein großes Lamento über den Tod eines geliebten Künstlers und Menschen. 

Der Epilog dann, eine Reminiszenz an den Prolog, geriet zum hymnischen Choral: beginnend mit einem gewaltigen Weckruf und gefolgt von einem apokalyptischen Todesritt. Ein klagendes Streicherunisono im Andante con moto, begleitet von Arpeggien auf dem Klavier, das durch Mark und Bein ging, mündete in einem Lugubre, einem abschließenden Trauermarsch, an Frederic Chopins marsh funèbre aus der gewaltigen b-Moll Klaviersonate op. 35 erinnernd, und führte die Seele des Verstorbenen vom Grab ins göttliche Nirwana. Der letzte Ton, ein dreifaches Pianissimo, verschwand in der Weite des Kosmos. An Dramatik und Empathie kaum zu überbieten.

v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov, Clemens Hagen (Trio für Klavier, Violine und Violoncello a-Moll op. 50 von Peter Tschaikowski)

Vier Ausnahmekünstler, eine einmalige Premiere


Zum Glück wurde dieses Konzert vom Deutschlandfunk mitgeschnitten, denn vermutlich werden diese Künstlerpersönlichkeiten in dieser Konstellation nicht wieder zusammenkommen (was schade wäre), zum anderen aber hat dieser Klangkörper (das Quartett der Ausnahmekünstler) in der akustisch hervorragenden kING Kultur- und Kongresshalle eine Musik hörbar werden lassen, die mit Worten nicht mehr zu fassen ist: einfach zum Sterben schön. Das Publikum dankte es zu recht mit stehenden Ovationen und Bravo Rufen.

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