Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Christiane Karg
(Sopran), Daniil Trifonov (Klavier),
Renaud Capuçon (Violine), Clemens Hagen (Violoncello),
Kammermusikabend in der kING Kultur- und
Kongresshalle Ingelheim, 04.06.2019
v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov, Christiane Karg, Clemens Hagen (Fotos: Sabine Siemon/RMF) |
Ein perfekter Sommerabend mit einem Weltklasse Quartett
Ein perfekter Sommerabend in der Weinstadt Ingelheim im Rheingau, in einer imposanten, sehr modern-funktionalen Konzerthalle mit einer Quartettpremiere, die es in dieser Zusammensetzung wohl kaum wieder geben wird.
Christiane Karg (*1980), renommierte
Sopranistin und Operndiva (sie ist nebenbei
Fokusgast des diesjährigen Rheingau Musik Festivals), Daniil Trifonov (*1991), mittlerweile einer der besten Pianisten
auf diesem Erdball (er ist zudem Artist
in Residence auf dem RMF), Renaud
Capuçon (*1976), in der ehrenhaften Nachfolge des legendären Isaac Stern
(er spielt dessen Guarneri del Gesú „Panette“ Violine von 1737) sowie Clemens Hagen (*1966), Cellist – er
spielt auf einer Stradivari von 1698 – und Gründer des Hagen-Quartetts, ein Qualitätsensemble,
das für sich selbst spricht.
Auch das Programm hatte es in sich. Werke von Claude Debussy
(1862-1918), Amy Beach (1867-1944) und Peter Tschaikowski (1840-1893), die
unterschiedlicher kaum sein konnten, selbst wenn sie zu ähnlichen Zeiten
entstanden sind.
Christiane Karg entschied sich für Debussys Chansons de Bilitis für Sopran und
Klavier L 97 (1897) sowie eine Auswahl aus Amy Beachs Liedkompositionen (vier
Lieder zwischen 1893 und 1924), Liedkompositionen, die ihr umfangreiches
gesangliches Spektrum umfassten und bestens zum Ausdruck brachten.
Deklamatorisch, verträumt, melancholisch bis dramatisch in der surrealen Lied-Trias
von Debussy (Text von Pierre Louÿs) und innerlich, ekstatisch mit scharfer
Expression in den Liedern der Amerikanerin Amy Beach, die, stark an der
Spätromantik, dem französischen Impressionismus und der zweiten Wiener Schule
angelehnt, immer auch einen widerständigen Charakter trugen. Beach machte sich nebenbei
bemerkt einen Namen als Frauenrechtlerin (ihr Mann verbot ihr das Auftreten als
Pianistin) und orientierte sich als Autodidaktin vorwiegend an Hector Berlioz´
(1803-1869) Instrumentenlehre (1845)
was auch ihre Liedkompositionen prägte.
Karg, in elegantem blauem Hosenanzug und funkelndem
Ohrgehänge, glänzte mit ausgewogen klarer, reiner Stimme, ohne Vibrato, sowie
einer ausgesprochen guten Artikulation. Dazu wurde sie in den Chansons Bilitis von Trifonov fein
gesponnen, perfekt abgestimmt, mit schwebender Pedaltechnik begleitet, wie es
kaum besser zu machen ist. Ebenso überragend die Triobegleitung der vier Lieder
von Amy Beach (Ecstasy, Text von ihr,
Chanson
d´amour, Text von Victor Hugo, A
Mirage, Text von Berta Ochsner, Stella
Viatoris, Text von Jessie Hague Nettleton). Ein Team, nur für dieses eine Konzert
zusammengestellt? Man konnte es kaum fassen.
v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov (Sonate für Violine und Klavier g-Moll L 140 von Claude Debussy) |
Zwei außergewöhnliche Werke aus außergewöhnlicher Zeit
Aber es gab noch eine Sonate
für Violine und Klavier g-Moll L 140 (1918) von Claude Debussy und ein Trio für Klavier, Violine und Violoncello
a-Moll op. 50 (1881/82) von Peter Tschaikowski. Vorweggenommen: Beide Interpretationen
gehören in die Lehrbücher für herausragendes Textverständnis und wunderbar
durchdachte Wiedergabe eines Werkes.
Debussy verstand seine „Hymne auf die französische Musik“
als Abgrenzung gegen den deutschen Romantizismus (er schrieb diese Sonate unter
dem Eindruck des Ersten Weltkriegs) und verzichtete bewusst auf Schnörkel und
ausuferndes Melos. Dafür lebt dieses Werk von ungeheurer Inspiration und scharfer
Spannung. Die beiden Interpreten lieferten ein exorbitantes Klangfarbenspiel
zwischen Heiterkeit und Melancholie: ein Bekenntnis zur französischen Seele.
Ähnlich einzustufen ist Tschaikowskis monumentales Andenken
an einen großen Künstler. Sein Klaviertrio
(übrigens sein einziges) ist keinem
geringeren als Nikolai Rubinstein (1835-1881) – Gründer des Moskauer
Konservatoriums, bedeutendster Pianist, Dirigent und Musikpädagoge Russlands
seiner Zeit – gewidmet, dessen plötzlicher Tod bei ihm große Erschütterung
hervorrief. Bedenkt man, dass er eigentlich vom Zusammenspiel von Violine,
Violoncello und Klavier nichts hielt – „Als
musikalische Form liebe ich das [Klavier]Trio nicht. Deshalb könnte ich für
diese Klangkombination keine von echtem Gefühl beseelte Komposition schreiben“ –,
dann wird man bei dieser Hommage vom absoluten
Gegenteil überzeugt.
Es ist ein Requiem von ausgesprochen tiefer Anteilnahme und
Trauer, mit ungewöhnlicher Form und eigenwilliger Thematik (es soll aus einer
gemeinsamen Soirée Rubinsteins und Tschaikowskis aus dem Jahre 1873 stammen). Fünfzig Minuten zwischen Erinnerung und
Verzweiflung. Ein ausgedehnter Prolog, sinfonisch-orchestral angelegt, wird fortgesetzt
von elf Variationen, die aus dem Leben Rubinsteins erzählen: mal Tanz, mal
Choral, mal Walzer oder Mazurka, dazwischen eine lehrreiche Fuge sowie
Kontrapunktik. Es ist ein großes Lamento über den Tod eines geliebten Künstlers
und Menschen.
Der Epilog dann, eine Reminiszenz an den Prolog, geriet zum hymnischen
Choral: beginnend mit einem gewaltigen
Weckruf und gefolgt von einem apokalyptischen Todesritt. Ein klagendes
Streicherunisono im Andante con moto,
begleitet von Arpeggien auf dem Klavier, das durch Mark und Bein ging, mündete
in einem Lugubre, einem abschließenden
Trauermarsch, an Frederic Chopins marsh
funèbre aus der gewaltigen b-Moll
Klaviersonate op. 35 erinnernd, und führte die Seele des Verstorbenen vom
Grab ins göttliche Nirwana. Der letzte Ton, ein dreifaches Pianissimo,
verschwand in der Weite des Kosmos. An Dramatik und Empathie kaum zu überbieten.
v.l.: Renaud Capuçon, NN, Daniil Trifonov, Clemens Hagen (Trio für Klavier, Violine und Violoncello a-Moll op. 50 von Peter Tschaikowski) |
Vier Ausnahmekünstler, eine einmalige Premiere
Zum Glück wurde dieses Konzert vom Deutschlandfunk
mitgeschnitten, denn vermutlich werden diese Künstlerpersönlichkeiten in dieser
Konstellation nicht wieder zusammenkommen (was schade wäre), zum anderen aber hat
dieser Klangkörper (das Quartett der Ausnahmekünstler) in der akustisch
hervorragenden kING Kultur- und Kongresshalle eine Musik hörbar werden lassen,
die mit Worten nicht mehr zu fassen ist: einfach zum Sterben schön. Das
Publikum dankte es zu recht mit stehenden Ovationen und Bravo Rufen.
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