Sonntag, 7. Juli 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

Elias (1846), Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy (1811-1847) mit dem Kammerchor und der Klassischen Philharmonie Stuttgart (Leitung: Frieder Bernius), Kloster Eberbach, 06.07.2019


v.l..: Renée Morloc, Johanna Winkel, Frieder Bernius, Thomas Stimmel, Sebastian Kohlhepp, Klassische Philharmonie Stuttgart, Kammerchor Stuttgart (Fotos: Ansgar Klostermann/RMF)

Ein Oratorium, das heute nur noch bedingt in die Erlebniswelt passt


Die Uraufführung des gut zwei Stunden dauernden Oratoriums Elias (1846), aus den verschiedensten Bibeltexten zusammengesetzt – Buch der Könige, Buch des Jeremias, diverse Psalmen, eigene Textkreationen – und die dramatische Geschichte des Propheten erzählend, fand am 26. August 1846 in der Birmingham Town Hall im Rahmen des Triennal Music Festivals statt: Mit sage und schreibe 125 Instrumentalisten, 271 Chorsängern und 13 Solisten und das, nach Aussage des Komponisten und musikalischen Leiters, mit überwältigendem Erfolg: „Noch niemals ist ein Stück von mir bei der ersten Aufführung so vortrefflich gegangen, und von den Musikern und den Zuhörern so begeistert aufgenommen worden, wie dies Oratorium.“ 


Vier Arien und vier Chöre mussten wiederholt werden und die Times kommentierte: „Niemals hat es einen vollkommeneren Triumph gegeben, niemals eine so durch und durch spontane unmittelbare Anerkennung für ein Meisterwerk der Kunst.“

Man denke sich 400 Akteure auf der Bühne in der Klosterkirche von Eberbach. Unmöglich. Dafür standen 44 SängerInnen und 46 InstrumentalistInnen des Stuttgarter Kammerchores und der Klassischen Philharmonie Stuttgart in der Apsis und bewiesen, dass dieses gewaltige Oratorium durchaus auch mit geringerer Besetzung seine Wirkung nicht verfehlen muss. Unter der professionellen Leitung des verdienstvollen Frieder Bernius, der beide Klangkörper seit vielen Jahren leitet, fand das in der Nähe Georg Friedrich Händels angelegte, in der Handlung schwerlich nachvollziehbare (man sollte den Text kennen) und heute nur noch bedingt in die Erlebniswelt passende Werk dennoch einen angemessenen Rahmen.

Worum aber geht es? Es ist die Geschichte des alttestamentlichen Propheten Elias, der zurzeit der Herrschaft Ahabs (871-852 v. Chr.) und seiner Frau Isebel, Anhängerin des Baal-Kults, wirkte, und Kampf gegen den Polytheismus und für die Monolatrie in der Person des Jahwe führte, den er schlussendlich verlor.

Die Handlung des zweiteiligen, in 42 Nummern aufgeteilten Oratoriums, sofern man von einer Handlung überhaupt sprechen kann, konzentriert sich auf den Dürrefluch (1-5), Die Errettung eines sterbenden Kindes (6-9), den Kampf um den rechten Glauben (10-18), das Wunder des Regens (18-20) im 1. Teil; die Verbannung in die Wüste (20-32), die Erscheinung Gottes und die Himmelfahrt des Elias (33-38) sowie die abschließende Erlösung und Ankündigung des Jüngsten Tages (39-42) im 2. Teil.

Romantische Tonsprache gemischt mit barocken Effekten


Der exorbitante Erfolg des Oratoriums liegt vor allem an seiner romantischen Tonsprache, die selbst das am Händelschen Oratorium festhaltende englische Publikum überzeugte und das Werk auch heute noch faszinieren lässt. Zwar arbeitet Mendelssohn mit  der barocken Affektensprache, mit der Gregorianik und Kontrapunktik im Stile Johann Sebastian Bachs, aber vor allem dominieren seine typisch-romantischen Topoi, Melodien aus seinem Sommernachtstraum oder Themen seiner Sinfonien sowie seiner Hebriden Ouvertüre, wobei auch Zitate aus Schuberts Streichquartett Nr. 14 D 810 nicht zu überhören sind.


Auch spielt der Chor, der in 22  Nummern auftritt eine herausragende Rolle. Er treibt nicht, wie sonst üblich, die Handlung voran, sondern repräsentiert die Stimmung des Volkes, das mal Partei gegen, mal für Elias ergreift, insgesamt aber den Kampf der Gefühle wiederspiegelt.

Die Solo-SängerInnen sind es, die das Geschehen vorantreiben.  Allen voran Elias, der vom Bass Thomas Stimmel (*1985) mit eindrücklicher Präsenz gestaltet wurde. Eher ein Bassbariton mit bluesigem Timbre, verstand er es ausgezeichnet, den doch sehr widersprüchlichen Charakter des Propheten in all seinen Facetten glaubwürdig darzustellen. Herausragend die Sopranistin Johanna Winkel als Witwe und Engel, die mit großem Stimmumfang und dramatischem Akzent die Witwe verkörperte, vor allem aber als Engel in der Sopranarie: „Höre, Israel …“, zu Beginn des 2. Teils und der folgenden Arie: „Ich bin euer Tröster …“ mit klarer Höhe und großer Empathie brillierte.

Wunderbar in Lyrik und Melodik auch der noch junge Tenor Sebastian Kohlhepp, der den Obadjah und den König Ahab sang. Dem bei Hedwig Fassbender an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) ausgebildete Sänger steht eine große Karriere bevor. Renée Morloc, eine Altistin in der Rolle der Königin und eines Engel, hat ihren Zenit jedoch bereits überschritten. Verdient in diversen Wagner Partien, wie als Erda im Ring oder als Brangäne im Tristan, aber auch erfolgreich als Stolzius´ Mutter in Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten, konnte sie im Quartett der Solisten am wenigsten überzeugen. Ihre Mezzostimme klang eher etwas verbraucht, mit wenig Volumen und zu viel Vibrato. Allerdings überzeugte sie als Königin im Rezitativ: „Warum darf er weissagen …“, ein aufgewühlter Dialog zwischen Volk: „Er muss sterben!“ und ihr: „Er hat die Propheten Baals getötet!“ (23)

Schlussapplaus: v.l..: Renée Morloc, Johanna Winkel, Frieder Bernius, Thomas Stimmel, Sebastian Kohlhepp, Klassische Philharmonie Stuttgart, Kammerchor Stuttgart 

Ein Gesamtkunstwerk mit Schwerpunkt Chor


Herausragend der Chor und einige ihrer solistisch auftretenden SängerInnen im Doppelquartett (7), Quartett (15) und Terzett (28) – Letzteres mit den Sopranistinnen Anna-Sophie Brosig, Clara Steuerwald und der Altistin Sigrun Bornträger. Ein A-cappella Ohrwurm dreier Engel: „Hebe deine Augen zu den Bergen …“, vom Seitenschiff aus gesungen, was die Meisterschaft des Komponisten vor allem in der Liedkomposition noch einmal heraushob.

Mendelssohns Elias kann durchaus als Gesamtkunstwerk betrachtet werden, wenn man das Zusammenspiel von Orchester (solide, zurückgenommen und ohne Höhepunkte), Chor und SolistInnen in Betracht zieht. Andererseits fehlte dieser Aufführung insgesamt doch ein wenig die Empathie. Das Dirigat von Frieder Bernius war äußerst sparsam und wenig motivierend; bemerkenswert der Tutti-Schlussakkord: „Amen“, der durch das schnelle Ablegen seines Taktstocks nur halbherzig ertönte, sodass der Beifall in den noch existenten Raumklang rauschte. Ein nur wenig verzeihlicher Fauxpas.

Auch merkte man allenthalben die Routine von Orchester und Chor, die der Aufführung nicht immer förderlich war: zu nüchtern, zu wenig dramatisch. Ein bisschen mehr Pathos hätte der Aufführung gut getan. Ein „vollkommener Triumph“ wie zu Zeiten Mendelssohns kann dieses Oratorium heute beim besten Willen nicht mehr erwarten, dafür aber ist sie ein historisches Vermächtnis eines umtriebigen, kulturell und sozial zwischen den Gesellschaften stehenden Menschen, der, seiner schwierigen Position bewusst, in Elias eine herausragende Persönlichkeit fand, seiner Identitätssuche zwischen Judentum (Mendelssohn) und Christentum (Bartholdi) Halt und Form zu geben.   

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