Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Daniil Trifonov,
Klavierrezital im Kurhaus Wiesbaden, Friedrich von Thiersch Saal, 09.07.2019
Daniil Trifonov (Fotos: Ansgar Klostermann) |
Ein Titan am Flügel
Man ist geneigt, nur noch in Superlativen zu sprechen, wenn Daniil Trifonov (*1991) Werke gleich welcher Komponisten interpretiert. Immer ist es ein besonderes Erlebnis, diesen noch jungen Mann am Flügel zu beobachten und zu hören, an seiner bildhaften Sprache, seiner exorbitanten Technik und vor allem an seinem tiefen Verständnis der unterschiedlichsten Kompostionen teilhaben zu dürfen.
So erging es wohl auch dem Publikum im vollbesetzten Friedrich von Thiersch Saal im Kurhaus Wiesbaden, der mit seinen klassischen Säulen, gold ornamentierter Bühnenapsis und in Blau und Gold gehaltener Decken Kassettierung, ganz im Jugendstil des beginnenden 20. Jahrhunderts, ein großartiges Ambiente zu den vorgestellten Werken dreier sehr unterschiedlicher Komponisten bot: Ludwig van Beethovens (1770-1827) Andante für Klavier F-Dur „Andante favori“ WoO 57 (1803/05) sowie die Sonate Nr. 18 Es-Dur op. 31 Nr. 3 (1801/02); Robert Schumanns (1810-1856) Bunte Blätter op.99 (1830/40) und das Presto passionato aus der Sonate Nr. 2 g-Moll op. 22 (1939-44) sowie Sergej Prokofieffs (1891-1953) Sonate Nr. 8 D-Dur op. 84 (1993/44).
Daniil Trifonov kennt keine Show. Mittlerweile mit Bart,
wirkt er eher bescheiden und introvertiert. Am Flügel allerdings wird er zum
Titan. Dort öffnet er seinen Charakter und der ist weiß Gott ein edler und
offener. Auf der Rheingau Musik Festival
(RMF) erstmals in der Reihe „Junge Meisterpianisten“ im Sommer 2004
aufgetreten, er war da gerade einmal 12 Jahre alt, ist er seit 2014 gern
gesehener Gast des RMF und in dieser
Saison gar „Artist in Residence“ verbunden mit Interviews und sechs Konzerten
der unterschiedlichsten Art.
Das Andante grazioso con moto sollte ursprünglich
den langsamen Teil der Waldsteinsonate
op. 53 (1803/04) bilden, wurde aber wegen seiner Länge ausgegliedert und zu
einem selbstständigen Rondo mit Variationen. Sehr beliebt als Vortrags-
und Zugabenstück. Trifonov nutzte es zum Aufwärmen und wechselte übergangslos
zur Sonate
Es-Dur op. 31 Nr. 3, ein typisches Werk Beethovens im Stile der Wiener
Klassik. Viersätzig noch mit Sonatenhauptsatz,
Scherzo, Menuett und Finale Presto
in Sonatenform. Alles noch in
der Tradition Haydns und Mozarts und doch schon weit vorauseilend. Beethovens
Zerrissenheit kommt hier bereits voll zum Tragen, ganz Sturm und Drang, mit
virtuosem Glanz und einem Schuss Heiterkeit, vor allem im Finale mit
italienischem Pathos und doch von Biss und Grimm gezeichnet. Trifonov traf hier
Beethovens Gemütslage auf den Punkt und kreierte ein Charakterstück, das tief
in die Seele Beethovens zu schauen vermochte, aber auch viel über Trifonov
selbst offenlegte.
Daniil Trifonov |
In den Fußstapfen von Vladimir Horowitz
Tief in der Romantik verhaftet dann die Bunten Blätter und das Presto
Passionato von Robert Schumann. Ein eklatanter Stimmungswechsel.
Schumann schrieb die vierzehn Klavierstücke – unterteilt in drei Stücklein,
fünf Albumblätter und sechs Einzelstücke – in einem Zeitraum von circa zehn Jahren. Lyrisch
und liedhaft die einen, Schmerz und Leid beschreibend die anderen. Dazwischen
Marschrhythmen und Etüden. Vieles bekannt aus seinem Faschingsschwank aus Wien op. 26 (1839) und Carnaval op. 9 (1834/35), anderes in Motiven wie den Blumenstücken op.19 (1839) verarbeitet. Gerade
diese Bezugspunkte erklären wohl die Absicht Schumanns, diese Blätter als eigenes
Opus herauszugeben.
Trifonov schwelgte hier in romantischer Innerlichkeit,
schlicht, aufgewühlt und fröhlich zu Anfang, nachdenklich, tänzerisch voll
seelischem Schmerz und erregter Dramatik in den Albumblättern und von rasender
Gefühlswelt, energischer Tatkraft bis zum gnomenhaften Stretto in den sechs
Einzelstücken. Ein Ritt durch die Schumannsche Weltsicht, die dann im
übergangslosen Presto passionato aus der Sonate Nr. 2 g-Moll zu ungeheuerlicher Schärfe und artistischer
Höchstleitung führte.
Schumann selbst schreibt dazu, nachdem seine Frau Clara ihn
wegen der Unverständlichkeit kritisierte: „Mit dem letzten Satz der Sonate hast
du so recht, er missfällt mir in hohem Grade (bis auf einzelne
leidenschaftliche Augenblicke), dass ich ihn ganz verwerfe.“ Na ja. Für Clara
schreibt er ihn neu, aber die Urfassung bleibt bestehen, wird 1866, posthum,
von Johannes Brahms veröffentlicht, und gilt seitdem als Bravourstück für die auserlesensten
Pianisten dieser Welt. Vladimir Horowitz wagte sich 1932 an das tollkühne
Unternehmen und Daniil Trifonov erwies sich als gleichwertiger Nachfolger.
Daniil Trifonov |
Prokofieffs Seele in der Interpretationsgewalt Trifonovs
Sehr an der neoklassischen Stilphase und dem Russischen
Realismus der Stalinzeit orientiert, zeichnet sich Prokofieffs dreisätzige Sonate
Nr. 8 vor allem durch einfache Melodik, klare Form und rhythmische
Exzentrik aus. Bereits die Satzbezeichnungen wie Andante dolce oder Andante
sognando deuten auf innerliche Klanglichkeit, impressionistisches Flair oder gar leidenschaftliche Gefühlslage
hin. Aber so ist es nicht. Prokofieff wechselt die Tonarten, schwebt zwischen
den Harmonien, schreibt mitunter bitonal und lässt starke Sekundreibungen zu.
Auffallend das Hammermotiv im 1. und 3. Satz (Vivace) sowie die langen Ostinato-Passagen im Wechsel mit
einfachster Gesanglichkeit. Wie Bilder
einer Ausstellung (man ist an Mussorgskis Tuilerien oder Ballett der Küchlein
erinnert) lässt er die Szenen und Ereignisse Revue passieren.
Trifonov wiederum
gab den Kontrasten freien Lauf. Er kümmerte sich nicht um Formdichte und harmonischen
Einklang, sondern zerriss das Stück in seine Einzelteile, rasant, gewagt und
ungeheuerlich. Ein Prokofieff ganz in der Interpretationsgewalt des jungen
Pianisten. Gewaltig, mitreißend und tief unter die Haut gehend.
Frenetischer Beifall, stehende Ovationen, aber auch Sprachlosigkeit
und Nachdenklichkeit, was Trifonov durch eine elegische Zugabe, Sergei Rachmaninows
Vokalise op. 34 Nr. 14 in eigener Bearbeitung, ein wenig zu glätten
verstand. Ein denkwürdiges Rezital eines pianistischen Überfliegers.
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