Samstag, 13. Juli 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

"Barock meets Kuba", Cuban-European Youth Academy (CuE), Kloster Eberbach, 12.07.2019

Cuban-European Youth Academy mit Enrico Onofrio (re. stehend), Fotos: Ansgar Klostermann



Europäischer Barock und südamerikanische Seele

Ein weltweit einmaliges transatlantisches Kultur- und Musikprojekt, im Jahre 2014 von Thomas Hengelbrock und der Akademie Balthasar Neumann ins Leben gerufen, mit jährlichem Programm- und Personenwechsel, aber immer der Kooperation und Jugendförderung sowie der musikalischen Ausbildung der Jugend in Kuba und den europäischen Staaten verpflichtet.

In diesem Jahr steht der Barock („Barocco“) im Mittelpunkt des Projekts, das neben diversen Stiftungen, dem Land NRW und der Wilo-Foundation, vor allem auch seit ihrem Bestehen vom Rheingau Musik Festival (RMF) tatkräftig unterstützt wird. Seit 2015 ist die Cuban-European Youth Academy (CuE) regelmäßig zu Gast auf dem RMF, in dieser Saison gar erstmals im Kloster Eberbach, und das, wie sich zeigte, vollkommen zu recht.

38 junge Musiker auf historischen Instrumenten, davon vierzehn aus Cuba, aber auch drei aus Asien, sprühten nur so vor Spielfreude und wuchsen unter dem wunderbaren Einfluss des Violinsolisten (bekannt als 1. Konzertmeister von Il Giardino Armonico) und Dirigenten, Enrico Onofrio, über sich hinaus und verzauberten die vollbesetzte Basilika in eine beeindruckend himmlische, sphärische Klangwolke.

Wenn man bedenkt, dass dieses Ensemble nach einem vorangegangenen Auswahlverfahren an verschiedenen Hochschulen nur zwei Wochen zusammenkommt und in dieser kurzen Zeit ein umfangreiches Programm zusammenstellt, dann kann man nur den sprichwörtlichen Hut ziehen.

Mit Werken von Arcangelo Corelli (1653-1713), Antonio Vivaldi (1678-1741, Georg Friedrich Händel (1685-1759), Jean-Philippe Rameau (1683-1674), Johann Sebastian Bach (1685-1750) und dem Kubaner Esteban Salas (1725-1803), bot dieses Orchester die ganze bekannte Palette von barocken Meisterwerken, worauf sich Esteban Salas, ein exzellenter  Kenner der europäischen Barockmusik, mit einem Villancico nahtlos einfügte.

Cuban-European Youth Academy mit Enrico Onofrio (rechts stehend)

Sechsmal „Barocco“ vom Feinsten


Bereits im Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 1 (1714, posthum) von Corelli, das erste von insgesamt zwölf Stücken, ließ die Meisterschaft des Komponisten – seine Werke galten als Vorbild für die Generation Bach, Händel und Vivaldi – wie auch des Orchesters aufblitzen. Zwei Soloviolinen (der Dirigent selber sowie Montserrat Altemir-Montaner) befeuerten sich wechselseitig mit dem Klangkörper, sehr dynamisch und erfrischend transparent, was sich in Vivaldis Konzert g-Moll RV 577 (1720/24) mit dem Zusatz „für das Dresdener Orchester“ gewaltig steigerte. Bekanntlich arbeitete Vivaldi vorwiegend in Venedig und leitete das berühmt, berüchtigte Ospedale della Pietà. 

Dennoch wechselte er 1718 nach Mantua und ging in die Dienste Philipps von Hessen Darmstadt, wobei er häufig die Alpen nach Norden überquerte. In diesem Konzert, das in einigen Passagen an Le quattro Stagioni erinnerte, glänzte nicht allein Enrico Onofrio mit wunderbaren Figuretten und absolut virtuoser Linienführung, sondern auch das Orchester durch tänzerischen Schwung und grandiose Technik. Rasend schnell das abschließende Allegro, aber dennoch leicht und elegant. Das ganze Werk atmete die Grandezza des südeuropäischen wie südamerikanischen Lebensstils.

Händels Suite aus der „Wassermusik“ HWV 349 und 350, oft gehört und leider oft heruntergeleiert, geriet unter der Leitung Onofrios (er stellte die elf Tänze sehr geschickt zusammen), mit zwei Naturhörnern und zwei Barocktrompeten besetzt, zu einer Kreuzfahrt zwischen Europa und der Karibik. Allein die drei Bourrées (schnelle barocke Tänze im 2/2 oder alla breve-Takt) gehörten zum Ausgefallensten der Suiten. Wahnsinnig schnell, plastisch, ja durchsichtig und immer in marschähnlichem, pochendem Rhythmus. Zwischen hymnischer Erhabenheit und derbem Ländler (Country Dances) war alles dabei und man konnte sich gut vorstellen, dass der englische König Georg I (1660-1727) und sein Gefolge im Jahre 1717 ein Riesenspaß auf der Themse daran hatten. Hätten sie die Suite allerdings im Kloster Eberbach gehört, dann wären sie womöglich in Ekstase geraten.

Es folgten Jean Philippe Rameaus Chaconne aus „Dardanus“ (vermutlich 1739 entstanden), ein mäßig bewegter Dreiertakt-Tanz mit Ostinato-Bass und gleichförmigem Harmonieschema, aus seiner fünften Oper entnommen (sie wurde wegen der Abkehr von der Tradition und Hinwendung zum klassischen Stil weitgehend abgelehnt), und Johann Sebastian Bachs Suite für Orchester Nr. 3 D-Dur BWV 1068 (Entstehungszeit vermutlich 1730/31), eine in seiner Leipziger Zeit entstandene, sehr weltliche, repräsentative und unterhaltsame Musik mit schlichten, kantablen Melodien und perfekter Kontrapunktik. Bekanntlich schrieb er diese Suite für das Leipziger Collegium musicum (1702 von Georg Philipp Telemann gegründet), das überwiegend aus Studenten bestand und einmal wöchentlich Kaffehauskonzerte veranstaltete. Für Bach eine willkommene Gelegenheit, Ausgleich von der geforderten Kirchenmusik zu finden.

Drei Barocktrompeten, doppelt besetzte Oboen d’amore, Kontrabässe, Fagotte und eine Pauke machten aus den vier Tänzen (Gavotte, Bourrée, Gigue und Air) ein barockes Erlebnis weit außerhalb des Konventionellen. Bach experimentiert hier zwischen Gesang, Tanz und Kontrapunktik und verlässt auch das übliche Formschema, das Allemande, Courante und Sarabande enthält. Auch die Air ist im eigentlichen Sinne kein Tanz, sondern eher eine lyrische Melodie von unglaublicher Eleganz.

Einzige kubanische Komposition an diesem Abend war Esteban Salas´ Los quatro elementos. (Entstehungszeit letztes Drittel des 18. Jahrhunderts) Ein Villancico (Weihnachtslied) für vier Violinen und vier SängerInnen (Agnes Kovacs, Sopran, Indira Hechavarria Pupo, Mezzosopran, Stephanie Firnkes, Alt, André Morsch, Bariton). Salas war mit dem europäischen Barock sehr vertraut, kannte die Werke von Corelli und Vivaldi wie auch die Opern von Allessandro Scarlatti und Giovanni Paisiello. Seine Weihnachtlieder atmen denn auch ihre Dramaturgie mit Ouvertüre, Rezitativ und Strophengesang.

Los quatro elementos  beginnt mit einem Refrain, vierstimmig und kanonisch angelegt, wechselt zum Rezitativ (ein Streit ob Perle, Blume, Meteor oder Stern) und findet seinen Höhepunkt in den Strophen, die aus Sologesängen und Couplets, von Kastagnetten rhythmisiert, bestehen. Von den SängerInnen, allesamt noch im jugendlichen Alter, wurde dieses kaum achtminütige Werk frisch und witzig vorgestellt, dazu ausdrucksstark mit einem Schuss Schauspiel, vor allem von der Altistin Stephanie Firnkes und dem Bariton André Morsch.

v.l.. Agnes Kovacs, Indira Hechavarria Pupo, Enrico Onofrio, Stephanie Firnkes, André Morsch, Cuban-European Youth Academy  

Eine fantastische Performance eines einzigartigen Orchesterprojekts


Eine fantastische Performance einer großartig zusammengesetzten und technisch versierten junge Truppe mit einem Dirigenten und Instrumentalisten, Enrico Onofrio, der, gemeinsam mit dem Dozententeam des Balthasar Neumann Ensembles sowie des Orchesterzentrums NRW, die Musiker der Cuban-European Youth Academy nicht allein in die Lebenswelt des Barock einzutauchen verstand, sondern auch von ihnen die Besonderheiten barocker Technik und Artikulation in höchstem Maße präsentieren ließ. Sogar zwei Zugaben waren drin, ein zweites Villancico von Salas sowie die Wiederholung der Chaconne von Rameau. Respekt.

Vor dem Hintergrund der kurzen Probenphase gebührt ihm und seinem Team der vollste Respekt. Man kann nur alles Gute für die geplante Deutschlandtournee wünschen und freut sich auf ein Wiedersehen im kommenden Jahr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen