Mittwoch, 17. Juli 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

Daniil Trifonov und die Bamberger Symphoniker (Leitung: Jakub Hrůša), Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal, 16.07.2019

Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker (Fotos. Ansgar Klostermann)



Ein Klavierkonzert voll russischer Tradition

Daniil Trifonov (*1991) als musizierender Komponist in der Tradition der alten Meister wie Mozart Beethoven, Mendelssohn oder Schumann. War es das, was diesen Konzerttermin so reizvoll machte? Wohl weniger. Denn auch die Moderne und Postmoderne kennt viele großartige Pianisten, die ihre eigenen Kompositionen schrieben und auch spielten. Man denke nur an Béla Bartók, György Ligeti, Pierre Boulez, Fazil Say und viele andere mehr. Nein, das nicht.

Aber es war doch die Neugier, was wohl ein 22-jähriger Ausnahmepianist – er schrieb sein Konzert für Klavier und Orchester es-Moll im Jahre 2013; die Uraufführung fand am 23.04.2014 in der Kulas Hall in Cleveland/USA statt – so auf die Partiturseiten schreiben könnte. Es konnte sich sehen und hören lassen, das sei vorweggenommen, wenngleich das dreisätzige, gut 30-minütige Werk, viel, ja sehr viel russische Tradition atmete.

Gleich zu Anfang, nach einer kurzen orchestralen Einleitung, war man an Rachmaninows Zweites Klavierkonzert c-Moll, dann an Tschaikowskis b-Moll Klavierkonzert, später an Mussorgskis Bilder einer Ausstellung oder gar an Balakirevs Klavierkonzerte und Borodins Polowetzer Tänze aus der Oper Fürst Igor erinnert. Trifonov malte ein gewaltiges Bild seiner Heimat und seiner Seele in den Farben des „mächtigen Häufleins“ (Balakirev, Rimski-Korsakow, Mussorgski, Cui und Borodin), dazu Rhythmen im Geiste Strawinskys und Harmonien und melodische Linien, die durchaus Affinitäten zu Prokofjews Filmmusiken und Ballettkompositionen verrieten. Sehr speziell seine Kastagnetten-Einlagen, die das insgesamt doch fast schwermütige Werk aufhellten, und vor allem im Schlussteil, dem Allegro Vivace, eine fast südländisch beschwingte Stimmung erzeugten.

Hervorzuheben sei allerdings der Orchestersatz. Trifonov gelingt hier eine Meisterleitung. Immer eng verknüpft mit seiner unübertrefflichen Virtuosität bot das Orchester unter der sehr umsichtigen Leitung Jakub Hrůšas, einen lebendigen Dialog und hatte vor allem in den Bläserpartien fast Ebenbürtiges wie der Solist zu leisten. Auch sparte Trifonov nicht mit diversen Solopartien von Klarinette, Oboe, Horn, Trompete und Violine und erlaubte sich selbst lediglich im Finale eine Kadenz von außerordentlich athletischer Brillanz, die wiederum ganz im Geiste Rachmaninows zu einem gewaltigen Tutti- Schluss mit ohrenbetäubendem Paukenschlag führte.

Trifonov erntete seinen gewohnt-überschäumenden Beifall. Ob ein spätromantischer Streifzug durch die Geschichte der russischen Musik heute noch zeitgemäß ist, mag allerdings bezweifelt werden. Die Geschichte wird es zeigen. Als Pianist aber ist und bleibt er eine Ausnahmeerscheinung in der Musikwelt. Es war das letzte seiner insgesamt fünf Konzerte, die er im Rahmen des RMF als Artist in Residence gab. Intendant und Geschäftsführer des RMF, Michael Herrmann, überreichte ihm als Dank eine Weinrebe und das Publikum verabschiedete den Superstar mit stehenden Ovationen.

Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker

Eine Hommage an die Heimat


Mein Vaterland (1874/79), lautet der Titel des Zyklus Sinfonischer Dichtungen JB 1:112 von Bedřich Smetana (1824-1884). Für Jakub Hrůša und die Bamberger Symphonikern scheint dieser Zyklus wie auf den Leib geschnitten zu sein. Selbst gebürtiger Tscheche und seit 2016 Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, bedeutet dieser Zyklus für ihn ein Stück Heimatliebe, eine musikalische Vision. Und er bot ein gewaltiges romantisches Bild zwischen Arnold Böcklin und Caspar David Friedrich.

Der Zyklus, ursprünglich aus sechs Teilen bestehend, wurde auf die vier bekanntesten reduziert, darunter Die Moldau, Aus Böhmens Hain und Flur sowie Šárka, eine tschechische Sagenfigur, und die Prager Hochburg, womit das 45-minütige Werk beginnt.

Scheinbar in der Mythenwelt des Wagnerschen Tannhäuser erzählt der Ritter Lumir zunächst von Schlachten und Siegesfeiern. Eine große Hymne auf die ruhmreiche Geschichte der Tschechen in Zeiten der nationalen Bewegungen und Souveränitätsbestrebungen der von den Habsburgern beherrschten Länder des k. u. k. Österreichs, zu denen auch Tschechien (Böhmen) gehörte. Hrůšas Dirigat atmete den Freiheitswillen aller Völker, voll kraftvoller Dynamik und purem Kampfeswillen.

Auch die Moldau geriet unter seiner Hand zu einem majestätischen Fluss, an dessen Ufern das Leben nur so sprudelt. Šárka wiederum, eine antike Amazone, vergleichbar mit der antiken Penthesilea, verkörpert für Smetana die weibliche Kraft in der Geschichte der Menschheit. Als Königin der Amazonen und Freiheitskämpferin versinnbildlicht sie Liebe und Selbstbestimmung. Im Mythos gescheitert wird sie in seiner Musik zu einer Heldin. Unglaublich Kämpferisch, aber auch voller Erotik endete dieser Teil. Hrůša bot hier eine marschähnliche Charakterstudie zwischen 6/8 und 4/4 Takt, ausgedehnte Fermaten und slawischen Tanzeinlagen. Es war eine Lust, seinen Klangkörper bzw. den der Bamberger Symphoniker sinnlich zu spüren.

Ganz Landschaftsmalerei mit Schäferspiel und ländlicher Idylle dann das Schlussstück: Aus Böhmens Hain und Flur. Auch hier überwiegt das Hymnisch-Akkordische, allerdings mit kräftiger Ölfarbe kühnem Strich und klarer Struktur gemalt. Eine Melodie, ein Hymnus auf Land und Leute, beendet den Zyklus. Bezugnehmend auf die Prager Hochburg schließt sich der Kreis von Mein Vaterland in einer gewaltigen Coda.

Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker

Kraftstrotzend, athletisch und musikalisch unüberwindbar


Selten eine solche Interpretation gehört. Hrůša und sein Orchester gingen mit Mein Vaterland eine musikalische Symbiose ein, die Seinesgleichen sucht. So übertrug sich die gesamte, sehr sportliche Physis des Dirigenten auf den absolut aufmerksamen Klangkörper, der wiederum an eine unglaublich gut eingespielte Fußball-Mannschaft erinnerte, die sämtliche Anweisungen des Trainers bis ins Detail befolgt und zu einem unschlagbaren Team wird. Alles stimmte in Verteidigung und Angriff, in Technik und Taktik, aber vor allem auch in Harmonie und gegenseitigem Verständnis.

Zwei Zugaben aus Smetanas Oper Die verkaufte Braut (1866) – die berühmte Polka am Schluss des ersten Aktes und das Furiant aus dem 2. Akt –  unterstrichen noch einmal die enge Verbundenheit des Orchesters und seines Chefdirigenten mit Tschechien. Nicht von ungefähr knüpfen die Bamberger Symphoniker seit ihrer Gründung im Jahre 1946 enge Bande mit dem Philharmonischen Orchester Prag, denn beide Klangkörper vereinigten sich damals aufgrund der Kriegswirren, gründeten zunächst das Bamberger Tonkünstlerorchester, das sie kurze Zeit später in Bamberger Symphoniker umbenannten. Man hört es aus jeder Kapillare ihres musikalischen Adersystems.

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