Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Daniil Trifonov
und die Bamberger Symphoniker
(Leitung: Jakub Hrůša), Kurhaus
Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal, 16.07.2019
Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker (Fotos. Ansgar Klostermann) |
Ein Klavierkonzert
voll russischer Tradition
Daniil Trifonov (*1991) als musizierender Komponist in der Tradition der alten Meister wie Mozart Beethoven, Mendelssohn oder Schumann. War es das, was diesen Konzerttermin so reizvoll machte? Wohl weniger. Denn auch die Moderne und Postmoderne kennt viele großartige Pianisten, die ihre eigenen Kompositionen schrieben und auch spielten. Man denke nur an Béla Bartók, György Ligeti, Pierre Boulez, Fazil Say und viele andere mehr. Nein, das nicht.
Aber es war doch die Neugier, was wohl ein 22-jähriger Ausnahmepianist
– er schrieb sein Konzert für Klavier und Orchester es-Moll im Jahre 2013; die Uraufführung
fand am 23.04.2014 in der Kulas Hall in Cleveland/USA statt – so auf die
Partiturseiten schreiben könnte. Es konnte sich sehen und hören lassen, das sei
vorweggenommen, wenngleich das dreisätzige, gut 30-minütige Werk, viel, ja sehr
viel russische Tradition atmete.
Gleich zu Anfang, nach einer kurzen orchestralen Einleitung,
war man an Rachmaninows Zweites Klavierkonzert
c-Moll, dann an Tschaikowskis b-Moll
Klavierkonzert, später an Mussorgskis Bilder
einer Ausstellung oder gar an Balakirevs Klavierkonzerte und Borodins Polowetzer
Tänze aus der Oper Fürst Igor
erinnert. Trifonov malte ein gewaltiges Bild seiner Heimat und seiner Seele in den Farben des „mächtigen Häufleins“ (Balakirev, Rimski-Korsakow, Mussorgski,
Cui und Borodin), dazu Rhythmen im Geiste Strawinskys und Harmonien und
melodische Linien, die durchaus Affinitäten zu Prokofjews Filmmusiken und
Ballettkompositionen verrieten. Sehr speziell seine Kastagnetten-Einlagen, die
das insgesamt doch fast schwermütige Werk aufhellten, und vor allem im
Schlussteil, dem Allegro Vivace, eine
fast südländisch beschwingte Stimmung erzeugten.
Hervorzuheben sei allerdings der Orchestersatz. Trifonov gelingt
hier eine Meisterleitung. Immer eng verknüpft mit seiner unübertrefflichen Virtuosität
bot das Orchester unter der sehr umsichtigen Leitung Jakub Hrůšas, einen lebendigen Dialog und hatte vor allem in den Bläserpartien
fast Ebenbürtiges wie der Solist zu leisten. Auch sparte Trifonov nicht mit
diversen Solopartien von Klarinette, Oboe, Horn, Trompete und Violine und erlaubte
sich selbst lediglich im Finale eine Kadenz von außerordentlich athletischer
Brillanz, die wiederum ganz im Geiste Rachmaninows zu einem gewaltigen Tutti- Schluss
mit ohrenbetäubendem Paukenschlag führte.
Trifonov erntete seinen gewohnt-überschäumenden Beifall. Ob
ein spätromantischer Streifzug durch die Geschichte der russischen Musik heute
noch zeitgemäß ist, mag allerdings bezweifelt werden. Die Geschichte wird es
zeigen. Als Pianist aber ist und bleibt er eine Ausnahmeerscheinung in der Musikwelt.
Es war das letzte seiner insgesamt fünf Konzerte, die er im Rahmen des RMF als Artist in Residence gab. Intendant und Geschäftsführer
des RMF, Michael Herrmann, überreichte ihm als Dank eine Weinrebe und das Publikum
verabschiedete den Superstar mit stehenden Ovationen.
Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker |
Eine Hommage an die Heimat
Mein Vaterland (1874/79), lautet der Titel des Zyklus
Sinfonischer Dichtungen JB 1:112 von Bedřich Smetana (1824-1884). Für Jakub Hrůša und die Bamberger Symphonikern scheint dieser
Zyklus wie auf den Leib geschnitten zu sein. Selbst gebürtiger Tscheche und
seit 2016 Chefdirigent der Bamberger
Symphoniker, bedeutet dieser Zyklus für ihn ein Stück Heimatliebe, eine musikalische
Vision. Und er bot ein gewaltiges romantisches Bild zwischen Arnold Böcklin und
Caspar David Friedrich.
Der Zyklus, ursprünglich aus sechs Teilen bestehend, wurde
auf die vier bekanntesten reduziert, darunter Die Moldau, Aus Böhmens Hain
und Flur sowie Šárka, eine tschechische
Sagenfigur, und die Prager Hochburg,
womit das 45-minütige Werk beginnt.
Scheinbar in der Mythenwelt des Wagnerschen Tannhäuser erzählt der Ritter Lumir zunächst
von Schlachten und Siegesfeiern. Eine große Hymne auf die ruhmreiche Geschichte
der Tschechen in Zeiten der nationalen Bewegungen und Souveränitätsbestrebungen
der von den Habsburgern beherrschten Länder des k. u. k. Österreichs, zu denen
auch Tschechien (Böhmen) gehörte. Hrůšas Dirigat atmete den Freiheitswillen
aller Völker, voll kraftvoller Dynamik und purem Kampfeswillen.
Auch die Moldau geriet
unter seiner Hand zu einem majestätischen Fluss, an dessen Ufern das Leben nur
so sprudelt. Šárka wiederum, eine antike
Amazone, vergleichbar mit der antiken Penthesilea, verkörpert für Smetana die
weibliche Kraft in der Geschichte der Menschheit. Als Königin der Amazonen und
Freiheitskämpferin versinnbildlicht sie Liebe und Selbstbestimmung. Im Mythos
gescheitert wird sie in seiner Musik zu einer Heldin. Unglaublich Kämpferisch,
aber auch voller Erotik endete dieser Teil. Hrůša bot hier eine marschähnliche
Charakterstudie zwischen 6/8 und 4/4 Takt, ausgedehnte Fermaten und slawischen
Tanzeinlagen. Es war eine Lust, seinen Klangkörper bzw. den der Bamberger
Symphoniker sinnlich zu spüren.
Ganz Landschaftsmalerei mit Schäferspiel und ländlicher
Idylle dann das Schlussstück: Aus Böhmens
Hain und Flur. Auch hier überwiegt das Hymnisch-Akkordische, allerdings mit
kräftiger Ölfarbe kühnem Strich und klarer Struktur gemalt. Eine Melodie, ein
Hymnus auf Land und Leute, beendet den Zyklus. Bezugnehmend auf die Prager Hochburg schließt sich der Kreis
von Mein Vaterland in einer
gewaltigen Coda.
Daniil Trifonov (Flügel), Jakub Hrůša (musik. Leitung), Bamberg Symphoniker |
Kraftstrotzend, athletisch und musikalisch unüberwindbar
Selten eine solche Interpretation gehört. Hrůša und sein
Orchester gingen mit Mein Vaterland
eine musikalische Symbiose ein, die Seinesgleichen sucht. So übertrug sich die
gesamte, sehr sportliche Physis des Dirigenten auf den absolut aufmerksamen
Klangkörper, der wiederum an eine unglaublich gut eingespielte Fußball-Mannschaft
erinnerte, die sämtliche Anweisungen des Trainers bis ins Detail befolgt und zu
einem unschlagbaren Team wird. Alles stimmte in Verteidigung und Angriff, in
Technik und Taktik, aber vor allem auch in Harmonie und gegenseitigem Verständnis.
Zwei Zugaben aus Smetanas Oper Die verkaufte Braut (1866) – die berühmte Polka am Schluss des ersten Aktes und das Furiant aus dem 2. Akt – unterstrichen
noch einmal die enge Verbundenheit des Orchesters und seines Chefdirigenten mit
Tschechien. Nicht von ungefähr knüpfen die Bamberger
Symphoniker seit ihrer Gründung im Jahre 1946 enge Bande mit dem Philharmonischen Orchester Prag, denn
beide Klangkörper vereinigten sich damals aufgrund der Kriegswirren, gründeten
zunächst das Bamberger
Tonkünstlerorchester, das sie kurze Zeit später in Bamberger Symphoniker umbenannten. Man hört es aus jeder Kapillare ihres
musikalischen Adersystems.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen