Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Lise de la Salle,
Klavierrezital im Fürst-von-Metternich-Saal von Schloss Johannisberg,
02.08.2019
Lise de la Salle (Foto: Ansgar Klostermann) |
Eine Ausnahmepianistin gibt ihr Rezital-Debüt
Als Achtzehnjährige feierte die französische Ausnahmepianistin, Lise de la Salle (*1988), ihr Debüt auf dem Rheingau Musik Festival (Konzert & Brunch), besuchte noch zweimal danach das Festival, nämlich 2009 und 2012 mit den Bamberger Symphonikern, und gab – endlich möchte man fast sagen – ihr erstes Solorezital im vollbesetzten Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg.
Und das Programm hatte es in sich: Mit Ludwig van Beethovens
(1770-1827) Les Adieux Sonate c-Moll,
op. 81a (1809/10) und der Sonate c-Moll
op. 111 (1821/22) sowie fünf Werken von Franz Liszt (1811-1886), der Ballade Nr. 2 h-Moll S 171 (1853), den Funérailles – October 1849 Nr. 7 S 173 (1849),
aus den zwei Legenden die Nr. 2 S
175 (1863), ein Liebeslied nach
Robert Schumanns Myrthen op. 25 S. 566
(1845) und Isoldens Liebestod aus
der Schlussszene von Richard Wagners Tristan und Isolde S 447 (1845) hatte sie
sich ein Programm der Superlative zusammengestellt, das wohl nur wenige Pianisten
auf der Welt in dieser Qualität und diesem Umfang zu präsentieren in der Lage
sind.
Lise de la Salle,
eine fragile Erscheinung, kam in Schwarz auf die Bühne, schlichte Hose und
gehäkeltes, sehr geschmackvolles Top. Lediglich ein silberner Schmetterling als
Gürtelschnalle und eine Tätowierung am linken Unterarm ließen ihr Temperament erahnen.
Eine lange Konzentrationsphase schaffte im sehr unruhigen Publikum die nötige
Ruhe für die Sonate Les Adieux.
Dann aber zauberte sie ein Lebewohl (so die Anmerkung des Komponisten) auf die Tasten. Mit einem
höchst expressiven, gedankenreichen Adagio
der Introduktion, ohne Pedal mit perfektem Legato, eröffnete sie die
Dramaturgie des Abends und wechselte nach 16 Takten in ein Attaca voller Empathie, hoffnungsvoller Wiedersehenswünsche und
tiefer Abschiedstrauer.
Beethoven hatte diese Sonate seinem Freund und Gönner,
Erzherzog Rudolf, gewidmet. Und so ist dieses Werk gestaltet. Dem Lebewohl
folgt ein gedankenreiches Andante.
Beethoven bezeichnet es als Abwesenheit und
möchte es mit viel Ausdruck gespielt haben. Lise de la Salle formte nicht
allein ein Gedankengemälde, nein sie kehrte den Seelenzustand Beethovens (oder
war es ihrer?) lebendig nach außen und ließ den Hörer am bangenden Warten teilhaben.
Dann das Wiedersehen, ein Vivacissimamente,
ein triolischer ausgelassener Freudentanz von ganz eigener Formgestaltung, mit
Exposition und Durchführung, aber ohne Reprise. Statt dessen eine lang gezogene
Coda, wild und doch voller gegenseitiger
Zuneigung.
De la Salle zeigte hier bereits all ihre pianistischen
Möglichkeiten, starke Tempowechsel, ausgefeilte Dynamik, geistige Durchdringung
des Notentextes und nicht zuletzt eine ausgefeilte pianistische Technik.
Hervorzuheben ihr wunderbares Legato und ihre deutlich konturierte melodische
Linie.
Die Ballade Nr. 2 von Franz Liszt besteht vorwiegend aus
chromatischen Wogen sowie deklamatorischer romantischer Gestik. Ein
ausgedehntes Lento erinnert an Richard Wagners typischen Tristanakkord, dazu
dominiert zum Schluss ein melodischer Teil voller Liebe zum Gesang und bizarrer
Traumbilder. Liszt komponierte zur gleichen Zeit seine allgewaltige h-Moll Sonate und man vermeinte, dass
diese Ballade doch einiges davon
enthielt. Obwohl ihre Inspirationsquelle unbekannt ist, erzählte De la Salle
ein Geschichte von ungeheurer Spannung und zuweilen ausufernder Dramatik.
Ohne Pause wechselte sie zum Liebeslied, eine Lisztsche Paraphrase über Robert Schumanns Myrthen-Liederzyklus op. 25. Man hatte
das Gefühl, dass das Publikum erst jetzt wieder zu Atem kam. Ein romantischer
Leckerbissen mit viel virtuosem Schnickschnack, den De la Salle in großer gesanglicher
Linie präsentierte. Erst jetzt klatschte man, anfangs ein wenig schüchtern,
dann aber frenetisch.
Liszt als Freiheitskämpfer und tief gläubiger Katholik
Die Funérailles –
October 1849, verweisen auf den Freiheitskampf der Ungarn gegen das österreichische
k. u. k. Regiment, dem Liszt mit dieser
Komposition seine Referenz erwies. Es ist ein Marche funèbre, der starke Parallelen zu Chopins b-Moll Sonate zweiter Satz aufweist. Ebenso finden sich Hinweise zu dessen As-Dur Polonaise op. 53, sodass es nicht
so weit hergeholt ist, dieses Werk als eine Referenz an seinen Freund Frédéric
Chopin, der im gleichen Jahr verstorben war, zu betrachten. Aber es ist auch mehr.
Es ist Ausdruck einer Zeit des Aufbruchs, revolutionärer Unruhen und, leider, auch gescheiterter Aufstände. Und gerade darin finden sich die Parallelen
beider Komponisten. Chopin, ein begeisterter Anhänger der polnischen
Freiheitskämpfer, schrieb seine b-Moll
Sonate und As-Dur Polonaise für
die gefallenen Helden seiner Heimat Polen, Liszt seine Funérailles für diejenigen seines Landes
Ungarn. Beide waren sie Migranten mit einem großen Herzen für die Völker ihrer Heimat.
Bekanntlich war Liszt zeit seines Lebens vom Katholizismus überzeugt,
was sogar zu dem Titel eines Abbé
reichte, den er sich in Rom erwarb. Seine zwei
Legenden sind denn auch dort als Tongemälde seiner geistlichen Vorbilder
und Namensgeber entstanden: einmal Franz von Assisi (1181-1226) und zum anderen
Franz von Paola (1416-1507), ein Mitglied des weit verbreiteten Bettelordens der
Mindesten Brüder. Lise de la Salle
spielte die zweite Legende. Liszt
komponierte sie nach einem Bild von Edward von Steinle (1810-1886), das
jahrelang auf seinem Schreibtisch stand und Sinnbild seiner Glaubensfestigkeit
sein sollte. Es ist ein gewaltiger Choral daraus geworden, mit gregorianischer Thematik
und einem abschließenden Gebet von großer Tiefenwirkung.
Der Übergang zum Liebestod
aus Tristan und Isolde wurde insofern kaum bemerkt, da bereits viel Wagner in
der Legende steckte. Dennoch forderte
diese Komposition mit ihren gewaltigen Tremoli und chromatischen Oktavgängen von der Interpretin alles ab. Eigentlich pianistisch sehr undankbar, da sehr
orchestral und großgriffig, verstand es De la Salle, die Dramatik des Schlussaktes
von Tristan und Isolde auf der
Tastatur des Flügel wie im Ablauf eines Films zu gestalten. Ein unüberbietbares
Ritardando, das sphärengleich im Pianissimo verschwand, ließ Isoldens Liebestod wie eine Auferstehung
erscheinen. Einfach nur fantastisch.
Lise de la Salle (Foto: Ansgar Klostermann) |
Abschied und Neuanfang – Lise de la Salle eine belebende und erweiternde Künstlerin
Beethovens letzte Sonate
op.111 sollte zugleich ein Abschied,
ein Les Adieux an die Sonatenform markieren. Eine äußerst schwierige und vielgestaltige
Sonate mit lediglich zwei Sätzen, gewagten Taktvorgaben, wie 9/16, 12/32 oder
6/16, im Wechsel von c-Moll zu C-Dur, von Jenseits zu Diesseits, von Tiefe und
Höhe – Alles in Allem eine Sonate also,
die allein schon den Höhepunkt eines Abends bilden könnte.
Lise de la Salle begann sehr nachdenklich. Kein Maestoso, wie vorgeschrieben, eher ein
Lamento, ein Versinken in sich. Der Wechsel zum Allegro dann abrupt und sehr, sehr flott. Ein Tempo, dass selbst
die Tastengewaltige zu überfordern schien. Lange Fermaten und expressive Ritardandi
ließen aber wieder befreiende Luft
aufwehen und mehr Appassionato
aufkommen. Auch das Arietta des
zweiten Satzes wurde eher zum Lento als zum geforderten Adagio. Dennoch von herrlichem Gesang und inniger Liebe zum Detail
dominiert.
Leider war dieses Wahnsinnswerk von ständigen Störungen durchbrochen
(lautes Türknallen, heftiges Husten und nicht zuletzt eine Fledermaus, die
ablenkte). Auch merkte man, dass die insgesamt gute Konzentration des Publikums
nachließ. Es war einfach zu viel des Guten an musikalischer Hochkunst.
Unbenommen
dieser Ereignisse meisterte die Pianistin die Ablenkungen professionell und bot
einen variativen, zuweilen durchsichtigen, an Bachs Klavier-Partiten
erinnernden zweiten Satz von größter Perfektion und tiefster pianistischer
Durchdringung. Herausragend ihre Trillerpassagen, ihr unübertreffliches Legato
und ihre kaum zu vernehmende Pedalierung, was dem sehr komplexen Werk eine
Permeabilität und damit Verständlichkeit verlieh.
Diese Sonate markierte den endgültigen Abschied von der
klassischen Sonatenform. Sie war aber zugleich auch Inspiration für die
nachkommende Komponistengeneration wie Franz Liszt, Johannes Brahms, Peter
Tschaikowski oder auch Sergej Rachmaninow. Lise de la Salle verstand es, die
Neuheiten herauszuarbeiten und dieser Sonate die avantgardistische Note zu
verleihen, die sie bis heute prägt.
Ihre beiden Zugaben aus Claude Debussys Préludes (La Dance de Puck)
und Sergej Rachmaninows Prélude Zyklus
op. 32 zeigten einmal mehr ihre Vielseitigkeit und pianistische Brillanz. Zweieinhalb
Stunden Klavierliteratur vom Feinsten. Warum Lise de la Salle im Rhein Main Gebiet
so selten zu hören ist, bleibt unbeantwortet. Sie sollte, ähnlich wie Daniil Trifonov,
Igor Levit, Grigory Sokolov und Rudolf Buchbinder zum regelmäßigen Gast dieser
Region gehören, denn sie ist ein absolut belebende und erweiternde Künstlerin in diesem Genre.
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