Montag, 12. August 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

Marienvesper (1610), Claudio Monteverdi (1567-1643), mit dem Dunedin Consort (Leitung: John Butt), Kloster Eberbach, 11.08.2019

Das Dunedin Consort mit John Butt (Mitte), Foto: Ansgar Klostermann



Ein operngleiches Werk voller Menschlichkeit und Liebe

Welcher Ort könnte besser geeignet sein für die Aufführung der Marienvesper (1610) als das über 900 Jahre alte Kloster Eberbach mit seiner reichhaltigen kirchlichen und weltlichen Geschichte. Aus einer Zeit, in der die Schrecken des Mittelalters noch allgegenwärtig sind, die Glaubenskriege die europäischen Gesellschaften terrorisieren, hält das operngleiche Werk ein beeindruckendes Plädoyer für Menschlichkeit und Liebe, personifiziert durch Maria, die spätestens seit dem Konzil von Ephesos (431 i.u.Z.) zum Inbegriff der Nächstenliebe, der Trösterin von Armen und Schwachen sowie der Hüterin von Frauen und Kindern avanciert.


Claudio Monteverdi (1567-1643) arbeitete an diesem halb christlichen, halb weltlichen Opus gute drei Jahre lang (1607-1610), entnahm einige Teilstücke aus seiner im Jahre 1607 erfolgreich aufgeführten Oper L´Orfeo (den Beginn, das Invitatorum, und das Ende, das Magnificat), unterteilte das aus dreizehn Abschnitten bestehende Werk in fünf Psalmen, vier Concerti, eine Sonata, einen Hymnus, das genannte Invitatorum sowie das abschließende Magnifikat und vertonte daraus ein bewegendes Schicksal mit einer unglaublichen Bandbreite menschlicher Affekte zwischen höchster Freude und tiefster Verzweiflung.

Unbestritten eine auf den ersten Blick unübersichtliche Zusammenstellung sehr unterschiedlicher musikalischer Stilmittel und Genres, auf den zweiten Blick aber eine äußerst geschickte Zusammenstellung geistlicher traditioneller (die Psalmen) und weltlich moderner (die Concerti sowie die Sonata) Passagen, die sowohl dem Geschmack des Papstes Paul V. (1550-1621), dem er es widmete, als auch dem des sich langsam entwickelnden freidenkerischen Bürgertums der italienischen Stadtstaaten gerecht werden sollte und konnte.

Tatsächlich verstand es der Ausnahmekomponist, die ganze Bandbreite damaliger Formen- und Musiksprache in dieser 90-minütige Komposition zu veranschaulichen, wenngleich sie erst im 20. Jahrhundert wirklich wiederentdeckt wurde.

Das Dunedin Consort mit John Butt (Mitte), Foto: Ansgar Klostermann

Ein schottisches Ensemble mit großer Ausstrahlung


Die Interpretation durch das schottische Dunedin Consort unter der Leitung von John Butt hielt sich mit kleinen Ausnahmen (Zusammensetzung der Chöre) an die Vorgaben des Komponisten. Mit zehn SängerInnen (zwei Soprane, zwei Alt, vier Tenöre und zwei Bässe), alle zusammen ein ausgewogenes, in der Halle der Basilika göttlich klingendes Ensemble und einem vierzehn-köpfigen Instrumentalaufgebot (sechs Streicher, drei Zinken, drei Barockposaunen, Theorbe, Orgel bzw. Cembalo) verstand es ihr Leiter und wohl auch Denker, John Butt (er ist nebenbei auch Buchautor, Musikwissenschaftler und Spezialist für die historische Aufführungspraxis), der Marienvesper eine moderne, zeitkritische Ausdruckskraft zu verleihen. 

Zwischen gregorianischem Choral, polyphoner Psalmenvertonung, modalen Skalen und monodischen ariosen Einlagen konnte man höchst virtuose Verzierungen und Koloraturen (Duo Seraphim), herrliche Echoeffekte (Audi coelum und Magnifikat), virtuoses Instrumentalspiel voller Lebensfreude (Sonata sopra Sancta Maria), diverse Soli (u.a. Nigra sum), Duette (vor allem das Liebesduett Pulchra es amica mea), Terzette (Magnificat), Doppelchöre sowie unglaublich ausgereifte Cantus Firmus-Partien (Ave Maria Stella und Magnificat) erleben.

Allein die Toccata als Einführung zu diesem Jahrhundertwerk betonte gleich den modernen weltlichen Charakter mit Bordun ähnlichem Tenorsolo, Bläsern und nachfolgender chorischer Deklamation – ein Vokal- und Instrumentalblock, mit dem auch die „Ouvertüre“ von L’Orfeo einsetzt.

Das abschließende Magnifikat, eine Lobpreisung der göttlichen Dreifaltigkeit, gehörte wohl zum Avanciertesten überhaupt. Ein Wechsel zwischen Doppelchörigkeit (sieben Stimmen), Soloeinlagen (Alt, Tenor), virtuosen Zwischenspielen von Geigen, Zinken und Posaunen, figurativ umrankten Cantus Firmus-Partien, Echoeinlagen und dem Ausreizen aller Möglichkeiten der Affektenlehre, einer Seconda Pratica der Extreme, machte dieses Finale zu einem Opernerlebnis. Hier werden die Taten des Herrn („Denn Großes hat er an mir getan“) zu einer nahezu körperlichen Präsenz, vor allem dann, wenn davon die Rede ist, dass Gott die Gewaltigen stürzt und die Niedrigen erhöht, dass er barmherzig aber auch grausam ist. Ein musikalisches Erlebnis, das unter die Haut ging.

Das rufende, flehende Amen zum Schluss, ein grandioser Choral mit allen InstrumentalistInnen und SängerInnen, ließ denn auch die vollbesetzte Basilika erbeben und Zeiten wie heute in einem anderen Licht betrachten. Eine Marienvesper mit humanistischem Anspruch sowie ein schottisches Ensemble, das seinem Anspruch, „Alte Musik in der Gegenwart zu neuer Relevanz zu verhelfen“, vollauf gerecht wurde.


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