Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019
Igor Levit, Klavierrezital im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Kurhauses Wiesbaden, 18.08.2019
Igor Levit (*1987) entpuppte sich wieder einmal als Stürmer und Dränger, als wilder Rundumschläger und Provokateur des gesettelten Bürgertums. Ein Beethoven Rezital mit vier Sonaten der frühen und mittleren Schaffenszeit, das op. 2. Nr. 1 f-Moll (1795), das op. 26 As-Dur (1801), das op. 53 C-Dur (1803) sowie das op. 79 G-Dur (1809), kamen ihm da gerade recht, um seinem Ruf als politisch engagierter Künstler gerecht zu werden.
In einem sehr ausführlichen, langatmigen Manifest stellte er
Beethoven zunächst als couragierten Komponisten heraus, als einen Mann, der „bereit
war, alle Regeln zu brechen“, um so zum
Motto des diesjährigen Rheingau Musik Festivals: COURAGE, überzuleiten.
Was ist couragiert, was selbstverständlich? – stellte er sich
die Frage, griff tief in die Flüchtlingskrise, lobte überschwänglich Carola Rackete, seine Sea-Watch Heldin, Greta Thunberg, seine Klimaheldin, und die „Fridays
of Future“ Bewegung, seine Jugendhelden, und Viele mehr als couragiert
Handelnde, geißelte das Schweigen der Bundesregierung, die Grobheiten und Gewalttaten
von Rechts, wendete sich gegen Hass und Hetze und beklagte vehement die „grassierende
Geschichtsverdrängung, Zensur und Leugnung von Fakten“. Dass er dabei Entgleisungen
gegen Personen und Parteien nicht ausließ, sei ihm noch verziehen, dass er
aber selbst in die Falle des Unsäglichen und Autoritären trat, indem er ein
allseits beliebtes, weil wenig couragiertes, fast schon selbstverständliches
Klischee gebrauchte, nämlich alle gesellschaftspolitischen Probleme auf Rechts-Gesinnte,
Rechtsradikale, Rechtsextremisten oder vermeintliche Rassisten abzuladen, das sei ihm weniger
verziehen.
Politische Statements im Kulturbereich neigen zur Propaganda: Ein Ärgernis
Denn ohne zu erkennen, dass er sich im Fahrwasser des
Neoliberalismus, der Auflösung von Nationalstaaten, der unbedingten und
gnadenlosen Privatisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, aufhält und einer
wirtschafts- und geopolitischen Ideologie, der übrigens alle Bundestagsparteien
anhängen, Vorschub leistet, die zusehends zu mehr Kriegen und globalen
Desastern führt, das zeugt schon von sehr einseitiger Positionierung, die
meilenweit von der Courage entfernt ist.
Dass Greta Thunberg von neoliberalen PR-Agenturen gesponsert
wird und Caroline Rackete, als Vertreterin der Öffnung jeglicher Grenzen und
Auflösung staatlicher Ordnungen mit allen sozialpolitischen Folgen genau in das
Raster des neoliberalen Transatlantischen Brückensystems – ein elitärer Kreis
von einigen tausend Personen – passt,
einem Brückensystem, das mit ihrer Hilfe das vielgestaltige Europa zu einem
willigen Handlanger der Konzerne und Banken degradieren möchte, das fehlt gänzlich in
seinem Courage-Manifest.
Lieber Herr Levit: Ihr Engagement in Ehren, aber machen sie
sich bitte nicht zum Büttel dieser menschenverachtenden Elite, die zurzeit auf
Kosten der Menschheit 26 Kriege führt und, schlimmer noch, drauf und dran ist,
Deutschland und Europa wieder in eine gefährliche Kriegshysterie hineinzutreiben. (Man denke
nur an die unsägliche Rede der kürzlich vereidigten Verteidigungsministerin AKK.)
Der Beifall war Levit natürlich sicher, wenngleich ein
kleiner Teil des Publikums nicht amused war und seinen Unmut äußerte.
Couragiert waren eher sie, selbstverständlich dagegen die Zustimmung des "Salons",
unter „dessen Mantel sich“ doch, wie Levit treffend feststellte, „die
Grenzen des Sagbaren und Machbaren verschieben“. Es fragt sich nur, wohin?
Ein Beethoven, den Levit wieder lebendig werden ließ
Musikalisch bot dieser Abend alles, was man sich unter Beethoven (1770-1827) als einen aufmüpfigen, selbstbewussten Republikaner, einen auf Selbstbestimmung, individueller und künstlerischer Freiheit bestehenden Komponisten vorstellen wollte oder konnte. Levit bediente in seinen Interpretationen alle Emotionen wie die physischen und geistigen Brüche, die man einem Beethoven bis heute unterstellt.
Vielleicht brauchte er ja seine rebellische, nahezu
10-minütige Propagandarede, um sich in die Person des Komponisten zu versetzen.
So begann er gleich mit einer Rakete (nicht zu verwechseln mit Frau Rackete)
und führte bereits im Allegro der f-Moll
Sonate op.2 Nr. 1 einen aufmüpfigen, erregten Wortwechsel. Erst im Adagio kam er zur Ruhe und ließ in der variierenden
Strophenfolge Reminiszenzen an Mozart heraushören. Das abschließende Prestissimo in Sonatensatzform (im
Programm vergessen) erinnerte wiederum an Josef Haydns C-Dur Sonate Nr. 5, Allegro
con Brio, dem Beethoven auch die Sonate gewidmet hat.
Die As-Dur Sonate op. 26
ist bereits Ausdruck von tiefer Verzweiflung (Beethoven wusste bereits von
seinem unheilbaren Hörleiden), politischer Enttäuschung (sein Held Napoleon
wandelte sich zum Diktator, für Beethoven ein No Go) und fast schon
schicksalsergebener Lebensbejahung. Mit fünf Variationen von jeweils 34 Takten, einem Marcia Funebre mit Trommelwirbel und Fanfare und einem
etüdengleichen Abschluss im Allegro,
den Levit allerdings im Prestissimo absolvierte, zeigte Beethoven erste eigenwillige Formneuheiten und Klangideen.
Seinem Kammerherrn und Gönner, Fürst Carl von Lichnowsky,
gewidmet, gab er den einzelnen Sätzen, keiner von ihnen erfüllt das Prinzip der
Sonatenhauptsatzform, sogar genauere Bezeichnungen mit. So ist der Marcia Funebre ergänzt „Über den Tod
eines Helden“ und das Scherzo,
ebenfalls eine Sonatenneuheit, ist mit der Angabe versehen, das die ersten 16 Takte
nicht zu wiederholen seien (sehr unüblich bis dahin). Levits Interpretation war
ohne Makel und voller Empathie. Man spürte regelrecht seine innere Anteilnahme
an der Person Beethovens.
Nicht von ungefähr ging Igor Levit nicht chronologisch vor. So
spielte er zuerst op. 79 G-Dur, eine Sonate voller Humor und klassischer
Ästhetik, beginnend mit einem Presto alla
Tedesca, gefolgt von einem weit in die Romantik reichenden Andantesatz,
liedhaft und lyrisch, und in einem super schnellen Vivace, voller Heiterkeit, tänzerischer Frische, parodistischer
Einlagen, wie rhythmischer Verschiebungen, Synkopen und spaßiger Elemente endend. Levit lebte hier seine gesamte Jugendlichkeit und Emotionalität aus,
auch wenn er sich bereits in den frühen Dreißigern befindet.
Ein Bekenntnis zu Beethoven: zutiefst menschlich
Ganz extrem dann die abschließende Waldstein Sonate in C-Dur: ein Wendepunkt in Beethoven Sonatenschaffen
(Graf Ferdinand von Waldstein, dem diese Sonate gewidmet ist, gehörte, wie
Lichnowsky, zu den Gönnern und Sponsoren Beethovens).
Bereits die Akkordrepetitionen zu Anfang und der gewaltige Tonumfang
verweisen auf neue Entwicklungen der Klavierbautechnik. Eine Oktave mehr als
üblich und bessere Pedalierung machten es möglich, orchestral zu komponieren. Und
das nutzte Beethoven in dieser Sonate weidlich aus.
Levit, der sie selbst zu seinen wichtigsten zählt, machte
daraus ein Bekenntnis an Beethoven schlechthin. Mit starker Dynamik, exzentrischen
Lautstärkewechseln und dramatischem Impetus, mit ausgedehnten Pausen und
unglaublicher Spannungsdichte ließ er diese „Sonata grande“ zu einem Erlebnis
der besonderen Art werden.
Fühlte man sich noch im Allegro
con brio (er wurde übrigens mit frenetischem Beifall bedacht) wie auf einer
Achterbahn der Gefühle, wirkte das Adagio
molto, gedacht als Introduzione für den Schlusssatz und lediglich 28 Takte
lang, wie eine ausgedehnte Meditation, die in ein Rondo Allegretto moderato von engelhafter Sphäre führte. Levit mied die
geforderte Bezeichnung Attaca subito und
führte den Hörer zunächst in die weltabgewandte Wagnersche Lohengrin-Ouvertüren-Atmosphäre mit viel Säuseln, ausladender
Pedalierung und herrlichem Pianissimo.
Erst im Seitenthema rief er zur Attacke.
Mit Hammerschlägen ließ er die Oktaven auf die Tasten prasseln, dass man Angst
um das Instrument haben musste, und machte aus den versetzten Sechzehntel ein
furioses Höllengewitter. Ein Kampf zwischen Himmel und Hölle, der im abschließenden
Prestissimo zum Wahnsinn ausartete, über die Oktavglissandi und langen Trillerpassagen
das Patt der Titanen anmeldete und im 16-taktigen Finale alle Götter der Ober-
und Unterwelt noch einmal zum Appell rief: Seid fair
zueinander, denn kein Kampf ist es wert, einen Gedemütigten zurückzulassen.
Lang andauernder stehender Beifall war Levit vergönnt und er
dankte es mit dem wunderbaren Andante aus op. 14 Nr. 2 G-Dur (1798/99). Igor Levit soll
angeblich gefragt worden sein, ob Beethoven uns heute noch etwas zu sagen habe,
worauf er mit einer Gegenfrage antwortete: Ob die Menschen heute noch Fragen
stellten, die bereits Beethoven gestellt habe. Seine Antwort: „Beethoven hat
zutiefst Menschliches in Musik umgesetzt. Das ist heute noch so aktuell wie vor
200 Jahren.“ (Ilona Schneider in der Konzerteinführung)
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