Samstag, 24. August 2019


Rheingau Musik Festival: 22.06. – 31.08.2019

Martin Grubinger (Schlagwerk) mit Werken von Fazil Say, Steve Reich und Tan Dun im Friedrich von Thiersch-Saal, Wiesbaden, 23.08.2019

Im Vordergrund: Martin Grubinger und Alexander Georgiev, im Hintergrund die Zwillingsschwestern Ferhan & Ferzan Önder mit den beiden Umblätterinnen (Fotos: Ansgar Klostermann)

Ein Soloauftritt mit Quartett

Eigentlich waren das Klavierduo Ferhan & Ferzan Önder (*1965) sowie das Schlagzeugtrio Martin Grubinger, Vater und Sohn, und Alexander Georgiev (*1990) angesagt. Aber der Abend fokussierte sich dann doch auf die Person Martin Grubinger Junior (*1983), was nicht unbedingt gefallen musste. Denn einerseits scharte sich alles um ihn, das heißt die vier anderen Künstler gerieten allzu sehr in den Hintergrund, und, was die Vorstellung bis ins Endlose ausdehnte, er redete zu viel, die Umbauzeiten dauerten sehr, sehr lang (über zwanzig Minuten) und die Auswahl der Stücke, mit Ausnahme des Quartetts für zwei Klaviere und zwei Vibraphone, waren alle auf ihn persönlich zugeschnitten und dazu noch zeitlich sehr ausgedehnt.

Aber eines nach dem anderen. Das Konzert wurde eingeleitet mit Steve Reichs (*1936) selten aufgeführtem Quartett für zwei Klaviere und zwei Vibraphone (2013). Ein dreiteiliges Minimal-Kleinod von ungeheurer Wirkkraft. Polyrhythmisch und höchst komplex in den Fast-Teilen (1 und 3) und ausgesprochen impressionistisch verspielt mit endlos weiten Flächen im 2. Teil, den Reich schlicht mit slow bezeichnet hat. Hier erfuhr man gleich ein bestens eingespieltes und harmonisch abgestimmtes Team. Die Zwillingsschwestern zwar noch ein wenig leise und verhalten, aber von außerordentlicher Pointierung und Präzision und die beiden Perkussionisten erwiesen sich als Meister an den Vibraphonen. Ein glanzvolles Stück und ein großartiger Einstieg.

Was dann folgte waren zwei Konzertbearbeitungen von Fazil Say (*1970), der ja selbst eher als Pianist bekannt ist. Zunächst das Konzert für zwei Klaviere und Orchester op. 48 „Gezi Park 1“ (2013) –  von Martin Grubinger sen. für Schlagwerk bearbeitet. Eine kritische Replik auf die Ereignisse  in Istanbul im Mai 2013. Der Bürgeraufstand in den letzten Tagen des Monats Mai am Taksim Platz rund um den Gezi Park. Fazil Say dazu: „Ich habe die Geschehnisse wie ein Dokumentarist, wie ein Fotograf  vertont. Ich wollte musikalisch erzählen, was passiert ist.“

Genau so ist diese Komposition geraten. Aufgeteilt in Evening, Night und Police Raid, erzählt Say von der friedlichen Zusammenkunft der Menschen im Gezi Park, von ihrer Liebe zur Natur (Vom „Hüter der Bäume“, Cinar Baba, erzählt der zweite Teil Night) und von der gewaltsamen Räumung des Platzes durch die Polizei. Heftigste Ausbrüche der Militärtrommeln, Pauken, Basedrums, Rototoms und Boobams. Man hörte das Geknatter der Maschinengewehre, die Schreie der Menschen und spürte physisch die Angst der Betroffenen. Vieles dabei ließ Rückschlüsse auf Leonard Bernsteins West Side Story zu, anderes auch an George Gershwins Ein Amerikaner in Paris denken. 

Ein langes, fast 10-minütiges Duett der beiden Pianistinnen beendete dieses Konzert (Teile 2 und 3 werden am 28.08 im Schloss Johannisberg zu hören sein). Einem Nocturne ähnlich, freitonal konzipiert, gaben sie ihrem Entsetzen über die Vorgänge mit einer einfachen Melodie, begleitet von Arpeggien voller verminderter und übermäßiger Quarten, tiefen Ausdruck und erreichten damit die Herzen des Publikums.

Martin Grubinger und Alexander Georgiev (Rückenansicht)

Weltpremiere ohne Innovation


Das Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 77 (2018/19) hat Fazil Say gänzlich auf Martin Grubinger zugeschnitten (ihm hat er es auch gewidmet). Wieder von Vater Grubinger für Schlagwerk und zwei Klaviere arrangiert, erfuhr es in dieser Version seine Weltpremiere. Say lässt hier in vier ausgedehnten Teilen verschiedene Perkussionsinstrumente solistisch zu Wort kommen. Das Waterphone, ein Wasser gefüllter Metallkorpus(1. Satz), ein Rototom, eine Trommel aus der Reggae-Szene ohne Kessel (2. Satz), Vibraphon und Glocke (3. Satz) und Boobams, eine Art Bongo in verschiedenen Größen mit außerordentlich weicher Klangerzeugung (4. Satz). Nun ja. Grubinger bewies ein weiteres Mal seine außerordentlich technische Perfektion und Spielfreude. Nein, er spielte hier endgültig das übrige Quartett in Grund und Boden, wobei deren Klasse keineswegs infrage zu stellen ist.

Say hat hier eigentlich ein Solo-Schlagwerkkonzert komponiert, wobei das Orchester eher wie Beiwerk wirkt. Man ist da ein wenig an Frédéric Chopins Klavierkonzerte erinnert, die ja auch ohne Orchester mit kleinem Kammerensemble ihre Wirkung nicht verfehlen. Auch in diesem  Konzert hörte man Anleihen aus Mussorgskis Bilder einer Ausstellung und fühlte sich insgesamt wie in einem Potpourri verschiedener Jazz- und Tanzstile. Alles gefällig, aber ohne wirkliche Innovation.

Im Vordergrund: Ferhan & Ferzan Önder, im Hintergrund v.l.: Vater Martin Grubinger (verdeckt), Martin Grubinger, Alexander Georgiev 

Ein Mammutprogramm ohne Ende


Wäre noch zu bemerken, dass Vater Grubingers Metallophon mittendrin streikte und das ganze Opus 77 neu begonnen werden musste, sodass es zum Ende dieses Konzerts bereits 22.00 Uhr war.
Tan Duns (*1957) Konzert für Schlagzeug und Orchester „The Tears of Nature“ (2012) stand da noch auf dem Programm: „Wir brauchen noch eine Umbauzeit von ca. 20 Minuten“, meinte Mr. Grubinger Junior lapidar und ließ das sprachlose Publikum zurück. Reichlich unprofessionell, wenn man bedenkt, dass dieses wirklich unglaublich schöne Werk nahezu 40 Minuten dauert.

Viele Zuhörer verließen daraufhin das Konzert. Vor 23.00 Uhr war an kein Ende zu denken und man hatte ja noch eine lange Heimreise vor sich. Überdies war man vollauf gesättigt mit percussiven Effekten und perfekter Performance. Die Frage sollte allerdings erlaubt sein, ob man ein solches Mammutprogramm überhaupt auswählt (drei Stücke hätten vollauf genügt) und man zu allen Stücken eine lange Vorrede braucht, wie es sich Grubinger angewöhnt hat. Außerdem sind zwei Werke von Fazil Say an einem Abend wegen ihre Ähnlichkeiten ebenfalls bedenklich. Weniger ist oft mehr. Das hat sich wieder einmal bewiesen.

Ach ja. Die vier zusätzlichen InstrumentalistInnen, Ferhan & Ferzan Önder, Alexander Georgiev und Martin Grubinger Senior könnten auch alleine wunderbare Konzerte abliefern.

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