Donnerstag, 5. September 2019


Der Krieg mit den Molchen, eine akustische Inszenierung des Romans von Karel Čapek, Uraufführung mit Les Trucs (Toben Piel, Charlotte Simon), Beatrice Frey (Sprecherin) und Bastian Hagedorn (Percussion), Mousonturm Frankfurt, 04.09.2019

Im Rahmen des Festivals: Unfuck My Future. How To Live Together In Europe, 30.08.-08.09.2019

v.l.: Bastian Hagedorn, Beatrice Frey, Les Trucs mit Charlotte Simon, Toben Piel (Fotos: Marina Hoppmann)

Seltsame Atmosphäre

Im großen Saal des Mousonturms herrscht eine seltsame Atmosphäre: Drei Wasserbassins in der Mitte der Bühne werden von einer Erzählplattform und einem Arsenal technischer Geräte aus dem Bereich der elektronischen Musik gerahmt. Es blubbert und rauscht, platscht und quietscht. Eine Art Unterwassermusik empfängt das Publikum. 

Die drei MusikerInnen, Toben Piel, Charlotte Simon und Bastian Hagedorn, sitzen in bunten Neoprenanzügen in den Wannen und bearbeiten das Wasser mit diversen Hölzern, Blasinstrumenten und Blechen. Ein perfekter Einstieg in die düstere Science Fiction Geschichte von Karel Čapek (1890-1938), die er bereits 1936 schrieb, kurz vor der Besetzung seiner Heimat Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten im Jahre 1938.

Beatrice Frey führte mit wunderbar sonorer Stimme in die Geschichte ein: Ein abgewrackter Handelskapitän Jok van Toch entdeckt mit seinem Freund G.H. Bondy zufällig in der Teufelsbay auf Sumatra eine bis dahin unbekannte Tierspezies. Es sind Riesenmolche, die sich als gelehrige Wesen entpuppen und offensichtlich ein Riesengeschäft versprechen. Toch gibt den von den Haien gequälten Molchen Messer und verlangt als Gegenleistung das Heben von Perlen. Ein Tauschhandel, der gewaltige Gewinne verspricht. Alles soweit abenteuerlich und exotisch. Bis Toch stirbt, der Perlenhandel zusammenbricht und sein Freund Bondy plant, die Molche weltweit als Arbeitssklaven einzusetzen und in allen Bereichen der Wirtschaft mit ihnen Geld zu machen. Ein Plan, der aufzugehen scheint.

Der Traum einer neuen Welt, die Utopie eines jeden Neoliberalisten aus heutiger Sicht, könnte real werden, denn die friedfertigen, gelehrigen und anpassungsfähigen Salamander lassen sich perfekt für das grenzenlose Profitstreben der Menschen missbrauchen. Man steht an der Schwelle zur Utopie des unbegrenzten Reichtums. Nur haben die Menschen die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die Molche vermehren sich gewaltig. Sie haben bereits die 20-Milliarden Population überschritten. Die Ausbeutung nimmt ungeahnte Ausmaße an und den „Tieren“ fehlt schlicht das Wasser zum Atmen.  

v.l.: Charlotte Simon, Bastian Hagedorn, Toben Piel

Die Molche als Spiegelbild der Menschen?


Gleichzeitig nehmen die Molche die Gewohnheiten der Menschen an, nähern sich deren Intelligenz und damit auch deren Tugenden und Untugenden an. Sie organisieren sich: „Molche der Welt vereinigt euch!“, bewaffnen sich (der globale Waffenhandel kommt auch ihnen zugute) und fordern im Stile der Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts die „Diktatur des Proletariats“. Oder mit anderen Worten: die Machtergreifung. Mensch und Molch geraten zu Spiegelbildern.

Es folgt ein Ausrottungskrieg unbekannten Ausmaßes. Wer übrig bleibt, wird in dieser Neuinterpretation offen gehalten. Leider. Denn Čapek war bekannt dafür, die Apokalypse der Menschheit, ihre Hybris, bis an die Grenzen auszureizen. Man denke nur an sein 1921 erschienenes Schauspiel R.U.R. (Rossum’s Universal Robots), das von künstlichen Sklaven handelt, die die langweilige Arbeit der Menschen übernehmen. Auch hier machen sich die Roboter selbstständig und lehnen sich gegen die menschliche Rasse auf. Ihre Machtergreifung bedeutet die Vernichtung der menschlichen Spezies.

Ähnlich ist auch Der Krieg mit den Molchen konstruiert, nur weitaus aktueller als R.U.R. zur damaligen Zeit, da man bis dahin die KI und Roboter (eine Begriffsschöpfung seines Bruders Josef, denn Robota heißt auf tschechisch Proletarier bzw. Fronarbeiter) noch gar nicht kannte – ein Thema, das uns heute allerdings viel mehr interessieren könnte und sollte.

v.l.: Hagedorn, Piel, Frey, Simon

Mehr Hörspiel als Performance, mehr Gefälligkeit als schwarzer Science Fiktion

Nun ja. Was Les Trucs aus diesem Stoff machte, blieb eher unklar. Ein wässriges Ende. Der Mensch hofft auf gute Beziehungen mit den Molchen, was durch eine gesangliche Moritat der drei MusikerInnen noch unterstrichen wurde. Kurzum: Man scheute den Konflikt. Die reißerische Formel der Programmankündigung: Die Menschheit wird vernichtet, die Molche übernehmen die Macht, wurde zum seichten Slogan: Lasst uns alle friedlich am Untergang der Welt weiterarbeiten. Wo war die durchaus aktuelle Aussage zu diesem Werk von Čapek geblieben: „Es gibt hier keine Utopie, sondern nur die Gegenwart?“ Oder sollte das die Aussage sein? Dann gute Nacht.

Auch die angekündigte abgründige Musik von Les Trucs konnte da nicht sonderlich überzeugen. Sie, die drei MusikerInnen, waren zwar Teil der Performance, untermalten die Textvorlage mit geräuschvoller elektronischer Musik und vielen Anleihen aus Kurt Weills und Bert Brechts Lied- und Textkompositionen. Auch die Ideen mit dem Alphorn und seinen „Kindern“ (selbst gebaute langröhrige Holzblasinstrumente) sowie die Wasserbassin-Szenen kamen gut an. Aber ihre Musik war alles andere als innovativ und schon gar nicht aufregend oder gar aufreizend. Eher gefällig mit einigen guten Grooves und Trommeleinlagen à la Oskar Matzerath aus der Blechtrommel

Auch ließen die Ansagen wie: Jetzt kommt das Requiem die D-Molch (Ende des 1. Buchs), der Triton Trott, der Marsch der Tritonen (3. Buch) keine Unmittelbarkeit zum Text erkennen. Inhalt und Form, wie die Gruppe es sich zur Aufgabe gemacht hat, differierten doch weitgehend und wurden lediglich durch die Erzählerin, Beatrice Frey, zusammengehalten. Sie war es hauptsächlich, die mit einer großartigen Stimme und schauspielerischen Leistung dem Stück Leben und ein apokalyptisches Flair einhauchte.

Insgesamt wirkte das Stück eher als Hörspiel denn als musikalische Performance. Auch die Auswahl der Texte – der oftmals zu laute Sound ließ viele Textstellen bis zur Unverständlichkeit verschwimmen – konnte dem Anspruch Čapeks weitgehend nicht gerecht werden. Alles in allem eine Enttäuschung, wenngleich die Idee, den großartigen Karel Čapek auf die Bühne zu bringen, absolut zu würdigen ist. Ein wenig Überarbeitung wäre vonnöten, um dem Stück eine aktuelle Brisanz zu geben, und die steckt absolut in diesem Stoff. 
R.U.R. beispielsweise gibt es bereits als Oper (Zdeněk Blažek), die 2004 mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Warum sollte Der Krieg mit den Molchen nicht mal eine ähnliche musikalische Interpretation erfahren?

Der Beifall war freundlich, auch wenn viele offene Fragen in den Gesichtern zu lesen waren.

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