Über die menschliche Natur, mediales Musiktheater von Nuno
Ramos (*1960), Mousonturm Frankfurt, Uraufführung am 15.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes
„Eroica“ , 15.09. - 28.09.2019
Links: Julia Mihály (Michel Foucault), Mitte: Schuhe mit Buchsohlen von Miljenko Turk (Kassandra), Rechts: Dorsey Bushnell (Noam Chomsky), Hintergrund: Statisten (Fotos: Christian Schuller) |
Geht es uns heute noch etwas an?
„To whom it may concern 1“, zu Deutsch: wen es angeht, so lautet der Untertitel dieses 70-minütigen Debatten, Musik- und Sprechspektakels über die menschliche Natur, ein Reenactment einer wahrhaft historischen Debatte zwischen den weltbewegenden Philosophen der 1970er Jahre: Noam Chomsky (*1928) und Michel Foucault (1926-1984).
Nuno Ramos
(*1960), Philosoph, Bildhauer und Schriftsteller brasilianischer Herkunft, empfand diese
Debatte (sie wurde 1971 im niederländischen TV ausgestrahlt) eher als verstörendes
Element einer Debattenkultur in Europa, mit wenig Aussicht auf praktische Realisierung.
Die beiden Kontrahenten wirkten auf ihn, schreibt er sinngemäß, wie Laurel und
Hardy auf der untergehenden Titanic.
Warum aber dann dieses „Theater“ um eine Debatte, die heute
kaum noch bekannt ist? Zeigt sie Parallelen zu unserer heutigen Diskurskultur,
die sich hauptsächlich im Geschwätz der Talkshows manifestiert? Ist sie der Vorläufer
des permanenten Geredes über eine bessere Welt, die sich real nicht einstellt.
Ist die menschliche Natur gar nicht in der Lage, die Vorstellung einer besseren
Welt in die Tat umzusetzen?
Ramos setzt an diesen Fragen an, lässt die Debatte von zwei
Frauen (Julia Mihály als Michel Foucault
und Dorsey Bushnell als Chomsky) nachsprechen,
die sich in Gestik und Habitus eng an die Philosophen anlehnen, und unterlegt den
Diskurs mit der Musik der Kassandra
(1987) von Jannis Xenakis (1922-2001). Ein kraftvolles, auf
Wahrscheinlichkeitsrechnungen basierendes Werk für Perkussion (Yuka Ohta) und Bariton (Miljenko
Turk).
v.l.: Leo Hofmann (Moderator), Julia Mihály (Foucault), Dorsey Bushnell (Chomsky, Miljenko Turk (Kassandra) |
Wer schenkt der Kassandra noch
Glauben?
Es sind die sprichwörtlichen Kassandra-Rufe des großartigen
Sängers, Miljenko Turk, der in höchsten Tönen, zischend und jaulend nach Apollo
(der ihr die Gabe der Weissagung verlieh) ruft und ihn verflucht, weil er sie
(die Kassandra) nach ihrer Zurückweisung dazu verdammt hat, dass ihr niemand
mehr Glauben schenken wird.
Der Wechsel zwischen Lamento, im Falsett, und griechischen
Chorus, als Kommentar des Volkes, im Bariton, gelang Turk mit perkussiver
Begleitung von Ohta absolut überzeugend. Beide waren es, die das im weitesten
Sinne geschwätzige Gerede (man verstand kaum ein Wort) zusammenhielten: Ohta
als Schatten (schwarzer Mantel mit Kapuze) und Turk als Narr mit weißgelber
Jacke, rotem Teppich im Arm und Schuhen mit Büchersohle, ein Gegenpol zum
ernsten Gespräch zweier Weltverbesserer.
Dazu noch die historische Moderation (Leo Hofmann), die ursprünglich dem Wortgefecht weder Linie noch
Struktur gab und, in einer zweiten eingeblendeten Person, kurze
Zusammenfassungen geben sollte, die kaum gelangen. Hofmann inszenierte diese
Doppelrolle mit viel Aufwand und Sprachwitz und nur mit kurzer Trägerhose,
T-Shirt und knielangen schwarzen Strümpfen mit roten Strumpfhaltern bekleidet. Er
sprach mal in Holländisch, mal in Französisch, mal in Englisch oder in Deutsch,
konzentrierte sich mit viel Bewegung auf Kernbegriffe wie „Kreativität“, „Legalität“
oder „Epistemologie“. Dann wieder Satzfetzen, die sich auf „Nichts wird
passieren!“ oder „Er kann keine Klasse erkennen“, beschränkten.
Yuka Ohta (Perkussion), im Hintergrund: Statisten |
Was ist menschliche Natur?
Die beiden Sprecherinnen bekamen auch noch ihre Performance:
Sie pflanzten Gewächse auf den Erdhügel, einem irgendwie sich selbst überlassenen
Garten-Eden, der die ursprüngliche Sitzgarnitur (die Sessel schienen aus der damaligen
Zeit zu stammen) der TV-Sendung überwölbte. Dann rissen sie wieder alle
Pflanzen aus und hinterließen eine sich selbst überlassene „Natur“. Eine wirklich
gute Idee des Teams (Sandra Li Maennel S.,
Kostüme, Matthias Rieker, Hendrik Borowski, Licht und Choreografie,
Markus Droß, Dramaturgie). Die Natur
des Menschen ist so vielfältig wie der Mensch selbst. Theoretisch und politisch
sind sich beide Kontrahenten nicht näher gekommen. Zwei Philosophen, zwei
Meinungen.
Die Musik der Kassandra
von Xenakis mit ihrer Sprachgewalt überdeckte im wahrsten Sinne den spannungsarmen
Dialog der beiden PhilosophInnen. Diego
Ramos, spanischer Namensvetter von Nuno, Violinist und Komponist, hat die Partitur
mit der Sprachmelodie der Diskutanten zu koppeln versucht und im Nachgespräch die
Schwierigkeit der Zusammenführung beider Sprachrhythmen und Melodien
hervorgehoben.
Dorsey Bushnell (Chomsky), Miljenko Turk (Kassandra) |
Debattensprache und Musik, geht das zusammen?
Sichtbar gemacht auf sieben Monitoren, auf denen die Kurven des Kassandragesangs und der Sprecherinnen genau getaktet übereinander abliefen, sprach Diego Ramos von der Gefahr der Dominanz der Musik gegenüber dem Wort und umgekehrt. Er sei auf der Suche nach einem Ausgleich, der aber in diesem Experiment schwer herzustellen sei. Damit hat er das Problem sehr gut beschrieben.
Denn Xenakis´ Musik und ihre Performance beherrschte doch
weitgehend den Disput der beiden Geistesgrößen und ließ den Sinn ihrer
historischen Debatte (auch wegen der auch akustisch schwer zu verstehenden Sprache) sukzessive
in den Hintergrund treten. Kassandra litt zwar zunehmend unter dem Gerede der
beiden. Schlussendlich saß sie auf einem der historischen Sessel, die die
beiden Diskutanten nie besetzten, und lamentierte über die Erkenntnisarmut der
Menschen. Ihre Warnungen blieben ungehört: Nur welche Warnungen das sind, das blieb unklar.
Ramos dazu: Hier geht es nicht um Inhalte des Gesagten,
sondern darum, dass Wissen oft nutzlos ist, dass Konflikte keine Lösungen
beinhalten müssen und dass unterschiedliche Sprachen, einschließlich des
Griechischen der Kassandra, auch nicht unbedingt zum gegenseitigen Verständnis
beitragen müssen. Ein Aufruf ans Publikum, das Gesagte, Gemeinte auch in die
Tat umzusetzen?
Miljenko Turk (Kassandra), Julia Mihály (Foucault), Hintergrund: Statisten |
Ein mediales Musiktheaterexperiment mit vielen guten choreographischen
Ideen, sehr gutem Gesang, genialer
perkussiver Begleitung, zwei Sprecherinnen, die sich zu sehr an den beiden
Philosophen orientierten (warum nicht eine eigene Performance?) und eine insgesamt
zu enge Anbindung an den Diskurs von Chomsky und Foucault. Warum nicht Textkürzungen mit Konzentration auf Schlagworte und Kernbegriffe? So aber lief
die Musik weitgehend selbstständig, ohne wirkliche Anbindung an die Debatte,
was vor allem am Schluss unnötige Längen erzeugte.
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