Die Stadt ohne Juden
(1924), Stummfilm von Hans Karl
Breslauer, Musik von Olga Neuwirth
mit der Formation PHACE (Leitung: Nacho Paz), Mozart Saal der Alten Oper
Frankfurt, 24.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“,
15.09.-28.09.2019
Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt: Filmszene mit Lotte und Vater Karl; Ensemble PHACE mit Dirigent Nacho de Paz Foto: Alte Oper Frankfurt/Wonge Bergmann |
Bitterböse Analyse mit
versöhnlichem Abschluss
Als eine „bitterböse Analyse der Zeitumstände“ beschreibt Olga Neuwirth (*1968) in ihrem Programmbeitrag den Stummfilm Die Stadt ohne Juden (1924), für den sie die Musik geschrieben hat. Diese sei ihr eine ganz persönliche Herzensangelegenheit gewesen. Mit „ironischer Distanz“, „bitterer Ironie“ und „klangmächtiger Wut“ habe sie diesen Film mit diversen Montagetechniken versehen und eine Musik komponiert, die „zugleich anrührend und hart ist, herzenswarm und offen, amüsant und wütend, beteiligt und distanziert, humorvoll und traurig“. Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen, denn sie hat diesen Anspruch im besten Sinne verwirklicht.
Die Stadt ohne Juden
in der Regie von Hans Karl Breslauer (1888-1965) nach
dem gleichnamigen Roman (1922) von Hugo Bettauer
(1872-1925) beschreibt ein visionäres Utopia (alias Wien), wo Hunger und Elend,
Ausbeutung und Unterdrückung herrschen. „Wir wollen Arbeit!“ ruft das Volk auf
den Straßen, die Waren auf dem Markt sind unerschwinglich teuer, die
Hyperinflation hat die Masse verarmt und die reichen Nutznießer dieser Not (man
vergnügt sich auf der Tanzfläche und im Séparée) kommen auf die perfide Idee,
den Juden die Schuld dafür zuzuschieben. Man schreit: „Es sind die Juden, die
uns die Arbeit wegnehmen!“ oder: „Die Juden sind am Elend schuld!“.
Das Parlament entscheidet im Interesse des Volkes, die
Juden als „Rosenkäfer“ zu vertilgen: Sie sind zwar schön, aber schädlich für
die Rosen. Am 25. Dezember, mitten im Winter, müssen die Juden die Stadt
verlassen, wofür die herrschende Clique, organisiert bei den „Vereinigten Christen“
sogar noch einen Kredit von 100 Millionen Dollar vom amerikanischen Antisemiten Dr.
Huxable erhält.
Viel Leid und Elend wechseln mit Groteske und Slapstick. Die
Szenerie wandelt sich in ein Liebesdrama. Leo (Johannes Riemann) und Lotte
(Anne Milety), sie Arierin und er Jude, müssen sich trennen. Er geht nach Paris, wird steinreich und kommt unerkannt als Henri Dufresne und „wahrhaftiger Christ“
zurück in die Stadt, kauft gleich ein Hotel und beginnt, quasi im Untergrund, eine Kampagne zur Rücknahme des Ausweisungsgesetzes. Er gründet den Bund wahrhaftiger Christen, verteilt heimlich
Flugblätter und erreicht binnen kurzer Zeit – seine Lage ist günstig, da die Kredite
ausbleiben, die Menschen weiterhin darben und vor allem die Hilfsgelder des
Antisemiten Dr. Huxable storniert werden –, dass das Gesetz zur Ausweisung der Juden neu vor
dem Parlament verhandelt werden soll. Man braucht eine Zweidrittel-Mehrheit,
die aber durch die Person Hans Mosers, er mimt den Erz-Antisemiten Rat Bernart, vereitelt
werden könnte. Also entschließt sich Leo zu einer List. Er gibt dem notorischen
Säufer und Lebemenschen ein Schlafmittel, damit er die Abstimmung verpasst.
Die Rücknahme des Ausweisungsgesetzes wird mit knapper Mehrheit
beschlossen. Der Rat Bernart landet im Irrenhaus (hier ist viel Science Fiction
im Spiel) und die Juden kommen zurück und werden vom Bürgermeister Karl Maria Laberl (Ferdinand Mayerhofer) mit den
Worten empfangen: „Wir sind alle Brüder und alle aus demselben Lehm geschaffen.
Wir müssen zusammenleben!“ Ach ja, die Liebesgeschichte: Leo gibt sich
natürlich seiner Geliebten Lotte zu erkennen und beide treiben ein lustiges Verwirrspiel mit den windigen Honoratioren.
Aus heutiger Sicht eher ein harmloser und in der Quintessenz
versöhnlicher Film, wenn, ja wenn nicht der Holocaust zur bitteren Realität
geworden wäre. Tatsächlich schwankt dieser Film zwischen Fiktion und Realität: Realität sind die handelnden Personen, die es tatsächlich gegeben hat sowie der sozialhistorische
Hintergrund mit teilweise dokumentarischem Charakter. Fiktion dagegen sind
die bedrückend amüsanten Traumszenen des Rat Bernat, alias Hans Moser, und
natürlich die unbestechliche Liebe zwischen Lotte und Leo, die beide das friedliche Zusammenleben aller Menschen,
gleich welcher Religion und Herkunft personifizieren. Grund genug, um diesen
Film als einen Versuch der Kritik der "Verdrängungskunst der österreichischen Seele“
(Thomas Ballhausen) zu klassifizieren.
Ensemble PHACE mit künstlerischem Leiter Reinhard Fuchs (3.von links stehend) Foto: PHACE |
Eine grandiose Filmmusik, absolut empathisch
Dr. Nikolaus Wostry,
Geschäftsführer des Filmarchivs Austria und verantwortlich für die
Konservierung dieses Filmes, hob denn auch im Nachgespräch mit Frau Dr. Margit Frölich hervor, dass dieser Film, in einer Art Crowd Fund entstanden, von Anfang an
unter Beschuss stand: Bettauer, als Nestbeschmutzer, wurde ein Jahr nach der Premiere
des Films in Wien von einem NS-Schergen ermordet und viele der
Schauspieler (u.a. Ferdinand Mayerhofer) mussten nach der Machtergreifung das Land verlassen. Andererseits
machte er auch deutlich, dass der österreichische Antisemitismus, mit Hinweis
auf den Bürgermeister Laberl, alias Dr. Karl Lueger (1844-1910) und den „Bund der Wahrhaftigen Christen“, sehr katholisch geprägt war.
Die Musik von Olga Neuwirth kann nur als grandios und absolut
empathisch bezeichnet werden. Das Ensemble PHACE
mit zehn Instrumentalisten, unter
der präzise abgestimmten Leitung von Nacho
Paz, verstand es vorzüglich, diese Komposition, mit großer technischer und klanglicher
Vielfalt den Verläufen der Handlung und Stimmung anzupassen. Mal Heuriger-Gassenhauer,
dann wieder Richard Wagner (Tristan)
und Richard Strauss (Also sprach
Zarathustra) oder gar Hans-Moser-Lieder, wenn dieser als Rat auftrat, dazu ein
ihr sehr wichtiges Zitat eines Liedes, das auch heute noch von den Rechten
Österreichs frenetisch gesungen wird: „Immer wieder Österreich!“.
Ein Filmabend mit prophetischer Voraussicht und aktueller
Bedeutung. Möge sich die „Schmach des Jahrhunderts“ (Karl Kraus) niemals
wiederholen.
Filmplakat von R. Leidreiter, Kruger Druck Berlin, 1926 |
Der Schrei der Geschändeten
Das selten aufgeführte Bühnenwerk Luigi Nonos (1924-1990): Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz
(Denken sie daran, was Sie ihnen in Auschwitz angetan haben) von 1966 ist eigentlich als
Begleitmusik von Peter Weiss´ Theaterstück Die
Ermittlung (1965) geschrieben worden. Ein Auftragswerk von Erwin Piscator
(1893-1966). In Anlehnung an die Frankfurter Ausschwitz-Prozesse (1963-1965),
die in Ermittlung geschildert werden,
versucht Nono darin, die Millionen von Toten in den Konzentrations- und
Vernichtungslagern musikalisch zu fassen, was er mit stimmlicher Vielfalt,
Maschinengeräuschen aus der Leichenfabrik Auschwitz und menschlichen
Verzweiflungsschreien elektronisch auf Tonband (Monotape) festhält. Die
ursprünglich elf Gesänge als Begleitmusik fürs Theater arbeitete er ein Jahr
später zu einem einsätzigen Werk um.
Das im Anschluss der Filmvorführung präsentierte knapp
zwanzig-minütige Werk, in der Klangregie von Lennart Scheurer, der durch technische Bearbeitung des Tonbandes den
gesamten Saal mit Nonos greller Anklage
füllte, geriet zu einem beklemmenden Mahnmal der Erinnerung und zu einem sinnergänzenden
Abschluss des Filmabends. Viel Beifall für alle.
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