Montag, 23. September 2019


Le Concert des Nations mit Beethovens Eroica und Schicksalssinfonie, Leitung Jordi Savall, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 22.09.2019

Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“, 15.09.-28.09.2019

"Musikfest Eroica - Musik als Bekenntnis" (Foto: akg-image)

Die Heroische im Geiste

53 junge MusikerInnen auf ihren historischen Instrumenten und ihr musikalischer Leiter, Jordi Savall (*1941), Musikwissenschaftler, Gambist und edle spanische Erscheinung, führten mit zwei Schlägen und einer eindringlichen Dreiklangsmelodik in die Eroica, die Dritte Sinfonie (1803/04) Ludwig van Beethovens (1770-1827) ein, und das mit treibendem Tempo, martialischem Tanz, ungeheurer Dynamik, synkopischer Rhythmik und gewaltigen Ausbrüchen. Fünfzehn Minuten allein dauerte der Kopfsatz dieser wohl wichtigsten Sinfonie Beethovens und das Publikum des vollbesetzten großen Saales der Alten Oper Frankfurt war gleich mittendrin in einem denkwürdigen Konzertabend im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“.

Auch wenn Beethoven im eigentlichen Sinne keine Bekenntnismusik geschrieben hat, so gilt doch seine Eroica, die Heroische, als Kampfansage gegen Gewalt und Unterdrückung. Ursprünglich seinem Heroen Napoleon Bonaparte gewidmet – Beethoven trug sich mit dem Gedanken, vom feudalistisch geprägten Wien ins freiheitlich bürgerliche Paris zu wechseln – benannte er sein Werk nach Bekanntwerden der Kaiserkrönung Bonapartes in „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand´ uomo“ (zu Deutsch: Heroische Sinfonie, komponiert, um die Erinnerung an einen großen Mann zu feiern) um, womit er sehr wahrscheinlich seinem Freund und Gönner, den Prinzen Louis Ferdinand (1772-1806), der mit jungen 44 Jahren im Kampf gegen die französischen Truppen bei Saalfeld in Thüringen den Tod gefunden hatte, eine letzte Ehre erweisen wollte. 
Zudem fand die Uraufführung 1804 im Palais des Fürsten und Mäzens, Josef Lobkowitz (1772-1816), statt, der sich auch die Rechte für die weiteren Aufführungen der folgenden eineinhalb Jahre erkaufte. Erst im Jahre 1806 fand diese Sinfonie den Weg in die bürgerliche Öffentlichkeit.

Dennoch, diese Sinfonie strahlt die Kraft des „erhabenen Geistes“ aus. Und das gelang diesem Orchester, mit anfänglichen Abstimmungsproblemen, in ausgezeichneter Manier. Gegründet von Jordi Savall und Montserrat Figueras (1942-2011) im Jahre 1989 mit Sitz im spanischen Saline Royale d´Arc-et-Selans, zunächst eher als Projekt gedacht, entwickelte es sich im Laufe der Jahre zu einer Formation, deren Repertoire sich von der Renaissance bis zu Romantik spannt und das ausschließlich auf historischen- bzw. Originalinstrumenten. Mehrheitlich aus dem südeuropäischen und südamerikanischen Raum stammend, erweisen sich die ständig wechselten Mitglieder (abgesehen von einer Kerntruppe) als ausgewiesene Spezialisten in der historisch fundierten Interpretation. Jordi Savall sowie die beiden Konzertmeister Jakob Lehmann (der unglaublich virtuose, antreibende und „heimliche“ Leiter des Ensembles) und Manfredo Kraemer brannten gemeinsam mit dem Orchester ein Feuerwerk Beethovenscher Musik ab, das sowohl unter die Haut als auch in den Kopf ging.

Les Concert des Nations mit Jordi Savall (am Pult) sowie  links daneben: Manfredo Kraemer und Jakob Lehmann
Foto: Tibor Pluto

Musik, die unter die Haut und in den Kopf geht


Schon der Marche funebre des Zweiten Satzes, die Klage über den Tod des Helden, mit Hinweis auf den seit 1789 in Frankreich üblichen Brauch, die Kriegstoten zu ehren, war an Schicksalsergebenheit und freudiger Erwartung kaum noch zu überbieten. Auch das „sempre pianissimo e staccato“ in der Einleitung des Scherzos (Beethoven ersetzte hier das sonst übliche Menuett) bekam durch die barocken Streichinstrumente eine ganz besondere Klangfarbe, samten weich, aber trotzdem markant und vorwärtstreibend. Großartig das Naturhörnerterzett in der Mitte, ein Ruf zur Jagd, feierlich und nobel.

Das Finale, ein Variationensatz, bot Anklänge aus Beethovens Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, ein Kontretanz, der zu Zeiten Beethovens zu einem beliebten Gesellschaftstanz avancierte, da er, als Gruppenpaartanz, auch Quadrille oder Square Dance genannt, ein bisschen Fraternité und Egalité symbolisierte, sowie Bachsche Kontrapunktik und Fugentechnik (Beethoven galt als großer Liebhaber Johann Sebastian Bachs) wie auch virtuose Leidenschaft: All das machte das Finale zu einer prometheischen Gesamtsicht. Nicht allein als Bringer des Lichts an die Menschheit, sondern vor allem als Widersacher der Götter, die Prometheus erzürnte, da er die Menschen zu eigenständigen, selbstbewussten Wesen erhob, den Apfel der Erkenntnis reichte.

Dies gelang der Formation in voller Frische, höchster Spannung und mit perfekten solistischen Einlagen. Die Coda im schnellen Presto geriet zu einem Orkan, durchsetzt mit Fanfaren und phänomenaler Virtuosität aller MusikerInnen. Eine Pracht an musikalischer Interpretation.

Eine Schicksalssinfonie der Aufklärung


Ähnlich die Schicksalssinfonie, Beethovens Fünfte in c-Moll (1808). Nicht umsonst ist sie Teil der beiden Voyager-Sonden, die seit 1977 im Kosmos nach bewusstem Leben suchen. Per aspera ad astra, im wahrsten Sinne. Auch hier ein Einstieg nach Maß.

Kurz-kurz-kurz-lang, oder g-g-g-es, so klopft das Schicksal an die Tür, mit rhythmischer Kraft und dauerhafter Spannung. Die beiden Fermaten und die Unentschiedenheit der Tonart, ob Es-Dur oder c-Moll, tun ihr Übriges. Der gesamte Kopfsatz, eine Sonatenhauptsatzform, wird von der pochenden Viertonmotivik dominiert, auch wenn das Seitenthema, eingeleitet durch eine Hornfanfare, durchaus liedhafte Anklänge enthält. Brutal pochend und schicksalsträchtig geht es in der Durchführung und Reprise weiter bis zur ausgedehnten, gewaltigen Coda, die vom C-Dur des Seitenthemas in das c-Moll überleitet. Dicht und spannend vom Orchester ausgeführt, und das bis in die letzte Haarspitze.

Warum Schicksalssinfonie, wenn doch Beethoven eher an die Tatkraft der Menschen glaubte? Wenn ihm doch das Kantsche Postulat der Aufhebung der selbstverschuldeten Unmündigkeit durchaus geläufig war? Leider gibt es zur Entstehung dieser Sinfonie wenig Quellen. Vieles an der Motivation dieser Sinfonie wird mit Beethovens Heiligenstädter Testament von 1802, der Bewusstwerdung seiner Taubheit, zusammengebracht. Tatsächlich scheint aber in der Fünften lediglich der Erste Satz schicksalhaft zu sein.

Denn bereits die weiteren Satzfolgen beweisen das Gegenteil, sind sie doch eher von außerordentlicher Widerständigkeit und Antihaltung gegen das Establishment geprägt, selbst wenn auch die Fünfte vom Fürsten Lobkowitz erworben und seinem Sohn Andrei Kirillowitsch Rasumowski (1752-1836) gewidmet ist.

So steht das Andante con moto des Zweiten Satzes in As-Dur, einer Tonart, die Sanftheit und Edelmut verkörpert, und zudem mit hellem, fröhlichem Trompeten C-Dur ergänzt wird. Auch das Allegro des Scherzos im dritten Satz gehört nicht zu den Schicksalsträchtigen. Zwar in c-Moll geschrieben mit einem fugierten Trio für Streicher, treibt sie in marschähnlichem Rhythmus voran und steigert sich zu einer gewaltigen Schlussattaca, um dann übergangslos ins Allegro des vierten Satzes überzuleiten. Das Finale wird zum eigentlichen Schwerpunkt dieser Sinfonie. Sie steht in C-Dur, der Tonart des Triumphs und der Heiterkeit. Der Gegensatz zwischen dem dramatisch düsteren c-Moll des ersten Satzes und ihrem jubilierenden C-Dur könnte nicht größer sein.

Herausragend das Triolenthema für Kontrabässe, Violoncelli und Kontrafagott. Mit den historischen Instrumenten ein farbenreiches klangliches Erlebnis bei größter Perfektion. Mit einem kurzen Rückgriff auf das Thema des Scherzos wird die Coda eröffnet. Hier kommt zwar noch einmal das Klopfmotiv des ersten Satzes zum Tragen, aber alles andere als schicksalsträchtig. Vielmehr triumphal und zuversichtlich. Ein Beethoven, der in die Zukunft schaut und der bürgerlichen Aufklärung größtes Vertrauen entgegenbringt.

Jordi Savall (Foto: Tibor Pluto)

Kein Bekenntnis, dafür Anregung zum Nachdenken


Jordi Savall, der diese Truppe unter aktiver Mitwirkung seiner beiden genialen Konzertmeister, Jacob Lehmann und Manfredo Kraemer, mit sparsamem Dirigat führte, sei es gedankt, dass diese beiden Kernwerke Beethovens (neben der Neunten selbstverständlich) noch einmal lebendig werden konnten. Sie gehören zum musikalischen Repertoire der Aufklärung wie auch zum musikalischen Fortschritt. Keine Bekenntnismusiken, sondern solche des emanzipativen Geistes. Sinfonische Werke, die, in der Interpretation des international besetzten Le Concert des Nations, Kopf und Geist beseelten und zum Nachdenken anregten.

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