Le Concert des Nations mit Beethovens Eroica und Schicksalssinfonie,
Leitung Jordi Savall, Großer Saal
der Alten Oper Frankfurt, 22.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“,
15.09.-28.09.2019
"Musikfest Eroica - Musik als Bekenntnis" (Foto: akg-image) |
Die Heroische im Geiste
53 junge MusikerInnen auf ihren historischen Instrumenten und ihr musikalischer Leiter, Jordi Savall (*1941), Musikwissenschaftler, Gambist und edle spanische Erscheinung, führten mit zwei Schlägen und einer eindringlichen Dreiklangsmelodik in die Eroica, die Dritte Sinfonie (1803/04) Ludwig van Beethovens (1770-1827) ein, und das mit treibendem Tempo, martialischem Tanz, ungeheurer Dynamik, synkopischer Rhythmik und gewaltigen Ausbrüchen. Fünfzehn Minuten allein dauerte der Kopfsatz dieser wohl wichtigsten Sinfonie Beethovens und das Publikum des vollbesetzten großen Saales der Alten Oper Frankfurt war gleich mittendrin in einem denkwürdigen Konzertabend im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“.
Auch wenn Beethoven im eigentlichen Sinne keine
Bekenntnismusik geschrieben hat, so gilt doch seine Eroica, die Heroische, als Kampfansage gegen Gewalt und
Unterdrückung. Ursprünglich seinem Heroen Napoleon Bonaparte gewidmet – Beethoven
trug sich mit dem Gedanken, vom feudalistisch geprägten Wien ins freiheitlich
bürgerliche Paris zu wechseln – benannte er sein Werk nach Bekanntwerden der
Kaiserkrönung Bonapartes in „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il
sovvenire di un grand´ uomo“ (zu Deutsch: Heroische Sinfonie, komponiert, um
die Erinnerung an einen großen Mann zu feiern) um, womit er sehr wahrscheinlich
seinem Freund und Gönner, den Prinzen Louis Ferdinand (1772-1806), der mit
jungen 44 Jahren im Kampf gegen die französischen Truppen bei Saalfeld in Thüringen
den Tod gefunden hatte, eine letzte Ehre erweisen wollte.
Zudem fand die Uraufführung
1804 im Palais des Fürsten und Mäzens, Josef Lobkowitz (1772-1816), statt, der
sich auch die Rechte für die weiteren Aufführungen der folgenden eineinhalb
Jahre erkaufte. Erst im Jahre 1806 fand diese Sinfonie den Weg in die bürgerliche Öffentlichkeit.
Dennoch, diese Sinfonie strahlt die Kraft des „erhabenen
Geistes“ aus. Und das gelang diesem Orchester, mit anfänglichen Abstimmungsproblemen,
in ausgezeichneter Manier. Gegründet von Jordi
Savall und Montserrat Figueras (1942-2011)
im Jahre 1989 mit Sitz im spanischen Saline Royale d´Arc-et-Selans, zunächst eher
als Projekt gedacht, entwickelte es sich im Laufe der Jahre zu einer Formation, deren Repertoire
sich von der Renaissance bis zu Romantik spannt und das ausschließlich auf historischen-
bzw. Originalinstrumenten. Mehrheitlich aus dem südeuropäischen und
südamerikanischen Raum stammend, erweisen sich die ständig wechselten
Mitglieder (abgesehen von einer Kerntruppe) als ausgewiesene Spezialisten in
der historisch fundierten Interpretation. Jordi Savall sowie die beiden
Konzertmeister Jakob Lehmann (der
unglaublich virtuose, antreibende und „heimliche“ Leiter des Ensembles) und Manfredo Kraemer brannten gemeinsam mit dem Orchester ein Feuerwerk
Beethovenscher Musik ab, das sowohl unter die Haut als auch in den Kopf ging.
Les Concert des Nations mit Jordi Savall (am Pult) sowie links daneben: Manfredo Kraemer und Jakob Lehmann Foto: Tibor Pluto |
Musik, die unter die Haut und in den Kopf geht
Schon der Marche
funebre des Zweiten Satzes, die
Klage über den Tod des Helden, mit Hinweis auf den seit 1789 in Frankreich
üblichen Brauch, die Kriegstoten zu ehren, war an Schicksalsergebenheit und
freudiger Erwartung kaum noch zu überbieten. Auch das „sempre pianissimo e
staccato“ in der Einleitung des Scherzos
(Beethoven ersetzte hier das sonst übliche Menuett) bekam durch die barocken Streichinstrumente
eine ganz besondere Klangfarbe, samten weich, aber trotzdem markant und vorwärtstreibend.
Großartig das Naturhörnerterzett in der
Mitte, ein Ruf zur Jagd, feierlich und nobel.
Das Finale, ein
Variationensatz, bot Anklänge aus Beethovens Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, ein Kontretanz, der zu Zeiten Beethovens zu einem beliebten Gesellschaftstanz
avancierte, da er, als Gruppenpaartanz, auch Quadrille oder Square Dance
genannt, ein bisschen Fraternité und Egalité symbolisierte, sowie Bachsche
Kontrapunktik und Fugentechnik (Beethoven galt als großer Liebhaber Johann Sebastian
Bachs) wie auch virtuose Leidenschaft: All das machte das Finale zu einer
prometheischen Gesamtsicht. Nicht allein als Bringer des Lichts an die
Menschheit, sondern vor allem als Widersacher der Götter, die Prometheus
erzürnte, da er die Menschen zu eigenständigen, selbstbewussten Wesen erhob, den
Apfel der Erkenntnis reichte.
Dies gelang der Formation in voller Frische, höchster
Spannung und mit perfekten solistischen Einlagen. Die Coda im schnellen Presto
geriet zu einem Orkan, durchsetzt mit Fanfaren und phänomenaler Virtuosität
aller MusikerInnen. Eine Pracht an musikalischer Interpretation.
Eine Schicksalssinfonie der Aufklärung
Ähnlich die Schicksalssinfonie, Beethovens Fünfte in c-Moll (1808). Nicht umsonst
ist sie Teil der beiden Voyager-Sonden, die seit 1977 im Kosmos nach bewusstem
Leben suchen. Per aspera ad astra, im wahrsten Sinne. Auch hier ein Einstieg
nach Maß.
Kurz-kurz-kurz-lang, oder g-g-g-es, so klopft das Schicksal
an die Tür, mit rhythmischer Kraft und dauerhafter Spannung. Die beiden Fermaten
und die Unentschiedenheit der Tonart, ob Es-Dur oder c-Moll, tun ihr Übriges. Der
gesamte Kopfsatz, eine Sonatenhauptsatzform, wird von der pochenden Viertonmotivik
dominiert, auch wenn das Seitenthema, eingeleitet durch eine Hornfanfare,
durchaus liedhafte Anklänge enthält. Brutal pochend und schicksalsträchtig geht
es in der Durchführung und Reprise weiter bis zur ausgedehnten, gewaltigen Coda,
die vom C-Dur des Seitenthemas in das c-Moll überleitet. Dicht und spannend vom
Orchester ausgeführt, und das bis in die letzte Haarspitze.
Warum Schicksalssinfonie, wenn doch Beethoven eher an die Tatkraft
der Menschen glaubte? Wenn ihm doch das Kantsche Postulat der Aufhebung der
selbstverschuldeten Unmündigkeit durchaus geläufig war? Leider gibt es zur
Entstehung dieser Sinfonie wenig Quellen. Vieles an der Motivation dieser
Sinfonie wird mit Beethovens Heiligenstädter
Testament von 1802, der Bewusstwerdung seiner Taubheit, zusammengebracht.
Tatsächlich scheint aber in der Fünften
lediglich der Erste Satz schicksalhaft zu sein.
Denn bereits die weiteren Satzfolgen beweisen das Gegenteil,
sind sie doch eher von außerordentlicher Widerständigkeit und Antihaltung gegen
das Establishment geprägt, selbst wenn auch die Fünfte vom Fürsten Lobkowitz erworben
und seinem Sohn Andrei Kirillowitsch Rasumowski (1752-1836) gewidmet ist.
So steht das Andante
con moto des Zweiten Satzes in
As-Dur, einer Tonart, die Sanftheit und Edelmut verkörpert, und zudem mit
hellem, fröhlichem Trompeten C-Dur ergänzt wird. Auch das Allegro des Scherzos im dritten Satz gehört nicht zu den Schicksalsträchtigen. Zwar in
c-Moll geschrieben mit einem fugierten Trio
für Streicher, treibt sie in marschähnlichem Rhythmus voran und steigert sich
zu einer gewaltigen Schlussattaca, um
dann übergangslos ins Allegro des
vierten Satzes überzuleiten. Das Finale wird zum eigentlichen Schwerpunkt
dieser Sinfonie. Sie steht in C-Dur, der Tonart des Triumphs und der Heiterkeit.
Der Gegensatz zwischen dem dramatisch düsteren c-Moll des ersten Satzes
und ihrem jubilierenden C-Dur könnte nicht größer sein.
Herausragend das Triolenthema für Kontrabässe, Violoncelli
und Kontrafagott. Mit den historischen Instrumenten ein farbenreiches
klangliches Erlebnis bei größter Perfektion. Mit einem kurzen Rückgriff auf das
Thema des Scherzos wird die Coda
eröffnet. Hier kommt zwar noch einmal das Klopfmotiv des ersten Satzes zum Tragen,
aber alles andere als schicksalsträchtig. Vielmehr triumphal und zuversichtlich.
Ein Beethoven, der in die Zukunft schaut und der bürgerlichen Aufklärung
größtes Vertrauen entgegenbringt.
Jordi Savall (Foto: Tibor Pluto) |
Kein Bekenntnis, dafür Anregung zum Nachdenken
Jordi Savall, der
diese Truppe unter aktiver Mitwirkung seiner beiden genialen Konzertmeister, Jacob Lehmann und Manfredo Kraemer, mit
sparsamem Dirigat führte, sei es gedankt, dass diese beiden Kernwerke
Beethovens (neben der Neunten selbstverständlich) noch einmal lebendig werden
konnten. Sie gehören zum musikalischen Repertoire der Aufklärung wie auch zum
musikalischen Fortschritt. Keine Bekenntnismusiken, sondern solche des
emanzipativen Geistes. Sinfonische Werke, die, in der Interpretation des international
besetzten Le Concert des Nations, Kopf und Geist beseelten und zum Nachdenken anregten.
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