Ensemble Modern
(Leitung: Pablo Rus Broseta) mit Holger Falk (Bariton) und Hermann Kretschmar (Klavier), Mozart
Saal der Alten Oper Frankfurt, 26.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“,
15.09.-28.09.2019
Le soldat inconny (Georges Aperghis): Am Flügel: Hermann Kretschmar, Sänger: Holger Falk, Dirigent: Pablo Rus Broseta, Ensemble Modern (Foto: Ensemble Modern/Wonge Bergmann) |
Neue Musik war immer schon Ausdruck der flüchtigen, fließenden Moderne, in der alte Systeme aufgelöst, Altbewährtes infrage gestellt und historisch gewachsene Werte immer wieder neu verhandelt werden müssen. Die drei im Rahmen des Musikfestes Eroica auf dem Programm stehenden Werke sollten dies auf eindrückliche Weise bestätigen: Liquid Symmetries für 15 Instrumente (2013) vom spanischen Komponisten Francisco Coll (*1985), locus … doublure … solus für Klavier und Ensemble (2001) von der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth (*1968) und Le soldat inconnu für Bariton und Ensemble (2013) vom französischen Komponisten Georges Aperghis (*1945).
Francisco Coll |
Francisco Coll beruft sich in seinem kompositorischen
Schaffen auf den polnischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Baumann
(1925-2017), der persönlich die Shoah erlebte und vor diesem Hintergrund die
Moderne in die leichte und die schwere (Postmoderne) einteilt, und dabei ihren Hang
zum Totalitarismus und Fundamentalismus herausstreicht. Ihre liquiden
Lebensverhältnisse führten zur permanenten Bildung und Auflösung von Normen,
zur Bildung kleiner Gemeinschaften, die sich mit universalistischem Anspruch auf
die Menschenrechte beriefen. Die Folge seien Anerkennungskriege,
Identitätskämpfe, Ausgrenzung und Fundamentalismus.
Auch Olga Neuwirth
unterstützte im Vorgespräch (Moderation: Jim Igor Kallenberg) Baumanns Ansatz
und meinte, dass heute bereits die Katastrophe präsent sei: „Der Mensch lernt
nichts!“, so ihr Fazit.
Zurück zu Coll und Liquid
Symmetries. In der Form des barocken Concerto
grosso erwies sich dieses viersätzige, knapp 13 Minuten dauernde Werk als eine
kraftvolle, aufregende Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen
Verflüssigung. Schlagkräftig, laut wie auf den Straßen der Metropole,
rhythmisch treibend und immer wieder unterbrochen durch Solo-Fragmente von
Oboe, Horn, Posaune und Trompete, dann wieder Tiergeschrei wie aus einem
Zoo-Gefängnis, schloss das dichte, höchst spannende Stück mit einem gewaltigen Tutti-Unisono
der 15 Instrumentalisten und einer doch noch versöhnlichen Coda einer Flöte mit
Violinduett und Glockenklang. Liquidität ja, aber auch Sinn für Hoffnung und Zuversicht.
Man möchte es dem noch jungen Komponisten gönnen.
Liquidität, Schattenhaftigkeit und Ungreifbarkeit
Olga Neuwirth |
Olga Neuwirths Klavierkonzert, denn das ist im eigentlichen Sinne locus … doublure … solus, entspringt ebenfalls der Idee einer fließenden Moderne. Sie allerdings beruft sich hierbei auf den fast gleichnamigen Roman Locus solus (1914) des französischen Schriftstellers Raymond Roussel (1877-1833), in dessen Werk der Sprachreichtum, das ständige Vorwärtswuchern dominiert, was sie zu dieser Komposition inspiriert habe. Statt Sprachreichtum Klangreichtum. In sieben unterschiedlichen Sätzen, deren Reihenfolge, ausgenommen der Ecksätze, beliebig ist, schafft Neuwirth für 20 Instrumentalisten und einem Klaviersolisten (Hermann Kretschmar) einen „unerbittlichen Kampf zwischen dem Verbinden und Zerstückeln, zwischen Fortsetzung und Stillstand, Kontinuität und Bruch, Bewusstsein und Vergessen, Altem und Neuem“ (Neuwirth).
Eigentlich mag sie das Klavier nicht, gibt sie im Vorgespräch zu,
weil dieser "Kasten" so unbeweglich und statisch sei. Dennoch hat sie sich für
dieses Unternehmen entschieden und dafür den „Kasten“ mit E-Bows (ein
Elektrobogen, der die Saiten endlos zum Schwingen bringt) präpariert und
zusätzlich einen Sampler installiert, der Klavier und Celesta vierteltönig „verstimmt“
zum Hören bringt. Doublure hat für
sie die Bedeutung von Liquidität, Schattenhaftigkeit und Ungreifbarkeit.
Tatsächlich schien kein Ton zum anderen zu passen,
clusterähnlich wirkten die Klavierpassagen und dennoch hörte man Tänze (1.Satz),
Märsche, martialische Tonfolgen mit Militärtrommelbegleitung (5. Satz) und unglaublich
virtuose Pianopartien, von flirrenden Glissandi der Streicher und Mundharmonika
begleitet (3. Satz). Ein March funèbre
mit Tempowechsel voller Ironie und Witz (6. Satz) sowie eine Klavierkadenz mit
langem Trommelwirbel und aufreizendem Tutti im dreifachen Forte (7. Satz)
beendete mit einem höllisch lauten Tamtam-Schlag die Attaca auf die Moderne und die Postmoderne. Großes musikalisches Theater
mit einem sichtlich begeisterten Ensemble Modern und einem Pianisten, Hermann
Kretschmar, der wieder einmal seine perfekte Tastentechnik und exorbitante Musikalität
bewies.
Wechselspiel zwischen Schrecken und Burleske
Georges Aperghis |
Georges Aperghis´ Le
soldat inconnu (Der unbekannte Soldat) für
Bariton und Ensemble (hier elf an der Zahl) hat ebenfalls eine literarische
Grundlage. Einerseits bezieht es sich auf Franz Kafkas Babel (1917), woraus Aperghis zitiert, andrerseits auf Igor Strawinskys
Die Geschichte des Soldaten (1916), an
deren Form und Idee der Komponist sich weitgehend orientiert.
Elf InstrumentalistInnen des Ensemble Modern kommunizieren
mit dem Soldaten (Holger Falk,
Bariton), der die Zerstörung des Turms zu Babel beweint, beschreit und belacht.
Er scheint überrascht davon, noch am leben zu sein und beginnt mit einem Sprachsalat,
fragmentierte Worte, Silben und Phoneme in mehreren Sprachen. Dann verfällt er
in einen Trauergesang, man hört: „I lost my body“, begleitet von zwei
Bassklarinetten und Kontrabass, und dann ein lautes Rufen: „Vivo!“.
Holger Falk lieferte ein beeindruckendes Portrait eines von
den Kriegserfahrungen gezeichneten Soldaten. Sein Gesang, seine Theatralik,
sein schauspielerischer Einsatz ließ die Verzweiflung des Traumatisierten
lebendig werden. Instrumente und Gesang lieferten ein psychologisches Wechselspiel
zwischen Schrecken und Burleske. Das wilde "Ha, Ha, Ha!" und das laut gerufene "Survival!“
ließ die Adern erstarren. Keine Befreiung, keine Hoffnung, nur blanker Überlebenstrieb.
Babel, ein Sinnbild Europas?
Ist es die Geschichte Europas, die hier erzählt wird? Aperghis,
der diese Frage in einem Interview mit Francine Lajournade-Bosc nach der Uraufführung
dieses Werks 2014 gestellt bekam, antwortete dazu: Wir wissen wenig über Europa
auch darüber, wohin dieses Europa gehen wird. „Hier ist es nur ein Soldat, der
verrückt geworden ist und sich an den Bau von Babel erinnert.“ Tatsächlich erscheint diese unglaublich
emotionale ausdrucksstarke Komposition zunächst eine zeitlose Allegorie auf die
Absurdität aller Kriege zu sein, die lediglich Trümmer und Traumata
hinterlässt. Gleichzeitig erzählt sie auch viel von Europa, von einem Babylon á
la Kafka, das zunächst mit Notwendigkeit erbaut wurde, dann immer mehr Eifersucht
weckte, zu Kriegen und Kämpfen führte und Generationen später die Gründe des
Baus in Vergessenheit gerieten ließ. Man kämpfte immer noch um das Bessere, Höhere,
Fortschrittlichere, wusste aber nicht mehr warum. „Es sind ganze Generationen junger Menschen,
die singend in den Krieg gezogen
sind und heute die Friedhöfe des Planeten bevölkern“ (Aperghis).
Ein beeindruckender Abend mit geistreichen Komponisten,
einem wunderbaren Ensemble Modern unter der unauffälligen aber einfühlenden
Leitung Pablo Rus Brosetas, und sehr
bewegenden Werken. Das Publikum dankte es mit langem Beifall.
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