Samstag, 21. September 2019


Tetzlaff Quartett, Alte Oper Frankfurt, 20.09.2019

Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“, 15.09.-28.09.2019

Tetzlaff Quartett im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, v. l.: Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff (mit Rückenansicht), Elisabeth Kufferath, Hanna Weinmeister (Foto: Achim Reissner) 

Nachhaltiges Erlebnis mit Meisterwerken der gesellschaftlichen Übergangszeiten

Aus Beethovens letzten fünf Streichquartetten, entstanden zwischen 1822 und 1826, wählte das Tetzlaff Quartett die Werke Nr. 13 in B-Dur op. 130 (1825/26) und Nr. 15  a-Moll op. 132 (1825). Beide absolute Bekenntniswerke des Komponisten und dazu noch von außerordentlich avanciertem, in die Moderne weisenden Charakter, sowie als Pendent oder gar als Vergleich dazu Anton Weberns Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 (1909).

Keine leichte Kost, die dem Publikum im Mozart Saal der Alten Oper von einem bestens eingespielten, technisch auf höchstem Niveau agierenden Tetzlaff Quartett (Christian Tetzlaff, 1. Violine, Elisabeth Kufferath, 2. Violine, Hanna Weinmeister, Viola, Tanja Tetzlaff, Violoncello) geboten wurde. Dafür aber ein nachhaltiges Erlebnis mit Meisterwerken der gesellschaftlichen Übergangszeiten, der Sprengung alter Hör- und Formgewohnheiten, der Grenzüberschreitungen und Ausblicke in neue, ganz neue Kunst- und Musikgestaltung.

Beethovens Streichquartette Nr. 13 und 15 sind an Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit kaum zu überbieten, sprengen sie doch alle Regeln und Gesetze des Kunstschaftens. Allein die Anzahl der Sätze (sechs für op.130 und fünf für op 132) machen schon deutlich, dass Beethoven die Gattungsregeln nichts mehr bedeuten. Auch finden sich noch selten altbekannte Formvorgaben wie Sonaten- oder Rondosätze, dafür aber detaillierte Angaben zu den Spielweisen wie „beklemmt“ im Schlussteil der Cavatine (op.13), „neue Kraft fühlend“ und  „von innigster Empfindung“ in der Canzona di ringraziamento, oder „immer geschwinder“ im Alla marcia, assai vivace (beide op.15).

Das kompositorische Subjekt outet sich durch seine Musik


Die Stimmung schwankt zwischen Düsterkeit und Nachdenklichkeit, vor allem im 3. Satz, der, überschrieben mit: Heiliger Danksagung eines Genesenden an die Gottheit, in der lydischen Tonart, zu allerlei Spekulationen Anlass gab. Tatsächlich schrieb Beethoven diesen Satz als Dank der Genesung nach einer schweren Krankheit. Dieses Kernstück seines op. 132 mit choralartigen Sequenzen im lydischen Modus auf F gehört zum Innigsten seines Schaffens und wird zu Recht als Herzstück seines a-Moll Quartetts bezeichnet. 
Aber Beethoven verstand es auch, tänzerische Leichtigkeit und Volkstümlichkeit, wie im zweiten und vierten Satz des op. 13 – das Presto gerät zum ausgelassenen Gassenhauer –, und auch überirdisch Schönes, wie in der Cavatine desselben Quartetts zu vermitteln. Nicht von ungefähr gehörte letztgenannte zu seinen Lieblingsstücken, ja er zählte sie sogar zur "Krone" all seiner Quartettsätze. Tatsächlich gelang der Tetzlaff-Crew gerade hier eine zum Weinen schöne Interpretation. Beethoven soll sie selbst „unter Thränen und Wehmuth“ komponiert haben.

Bekanntlich hat Beethoven den sechsten Satz seines op.13 – ursprünglich eine Fuge, die er dann im op. 133 separat veröffentlichte –, in ein Rondo-Finale in Gassenhauer-Manier umgearbeitet. Ein Kampf der Titanen mit lyrischem Intermezzo (ein kantables As-Dur) und Erinnerungsmomenten an die vorausgegangenen Sätze, das in der Interpretation des Quartetts zu einer furiosen Apotheose führte.

Dauert die heilige Danksagung an die Gottheit (op.15.) nahezu 25 Minuten, sind die darauf folgenden zwei Sätze, der Marsch (alla marcia, allegro assai) und der Schlusssatz (Allegro appassionato), nur wenige Minuten lang. Wieder im ursprünglichen a-Moll aber von großer Frische und treibendem Tempo wechselt die Coda in die A-Dur Tonart und versprüht Freude wie Erhabenheit. Dennoch bleibt bis zum gewaltigen A-Dur Schlussakkord alles in der Schwebe zwischen Pianissimo und Fortissimo und ständigem Tonartwechsel.

Tetzlaff Quartett im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, v. l.: Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff (mit Rückenansicht), Elisabeth Kufferath, Hanna Weinmeister (Foto: Achim Reissner)

Expressivität auf engstem Raum


Wie aber passen die Fünf Sätze für Streichquartett von Anton Webern in diese Mammutwerke Beethovens von zusammen mehr als 95 Minuten, während die Sätze Weberns lediglich einen Umfang von 13 bis max. 55 Takten haben und zusammen kaum mehr als 12 Minuten in Anspruch nehmen? Die Antwort ist einfach. Beide Komponisten stehen an der Schwelle einer neuen Zeit. Beethoven leitet quasi die Subjektivität der Romantik mit all ihren Ausschweifungen ein, bereits mit Ausblick auf die Anfang des 20. Jahrhunderts beginnende Moderne, während Webern die Moderne nach vorne treibt, in die klärende Kürze der Dodekaphonie und später in den Serialismus, deren Protagonist er posthum werden wird.

Zu den Sätzen: Auch sie entbehren jeglicher Vorbilder, sprengen also Form- wie Stilvorgaben. Auch hier stellen die Fünfsätzigkeit alle klassischen Konventionen in Frage und Weberns Spielanweisungen („col legno“, „pizzicato“, „am Steg“, „mit dem Holz des Bogens gestrichen“ etc.) erschließen darüber hinaus völlig neue Klangfarben.

Die einzelnen Sätze waren sehr unterschiedlichen Charakters. Den ersten, ausgedehntesten Satz beispielsweise beherrschte eine eher hektische Stimmung, die an eine Wiener Straßen-Atmosphäre erinnerte. Der zweite, sehr kurze Satz (13 Takte) wurde von der Bratsche beherrscht und endete in einem Hauch von Nichts, während der dritte Satz mit treibenden Pizzicati des Violoncellos sehr lebendig daherkam. Dem vierten sehr lyrischen Satz mit ab- und aufsteigenden Flageoletts und Tritonus-Intervallen folgte ein eher undurchsichtiger fünfter Satz mit freitonalen Passagen und einem Tutti mit langgezogenen Tremoli.  

Überhaupt bevorzugt Webern hier bereits Tritonus-, Sekund- und Septimintervalle, die zu jener Zeit höchste Dissonanz, ja Brutalität verkörperten. Webern selbst faszinierte besonders die entwickelnde Variation, ein Form, mittels der er glaubte, extrem konzentriert, in knappster Form komponieren zu können. Ganz im Gegensatz zu Beethoven, der die Länge und Ausgedehntheit seiner thematischen Arbeit bevorzugte, strebte er eher nach dem engsten Raum, um seiner Expressivität Ausdruck zu verleihen.

Tetzlaff Quartett (Foto: Georgia Bertazzi)


Beethoven, Webern, Tetzlaff Quartett: Eine lebendige Einheit


Zwei scheinbare Gegensätze, die sich aber in der Dichte und thematischen Kreativität durchaus ähnlich sind. So könnte das Urteil Karlheinz Stockhausens (1928-2007), ein begeisterter Anhänger von Weberns Kompositionen durchaus auch für Beethoven gelten, wenn er schreibt: „ … mit wieviel Sorgfalt und Kunst Webern mit seinem Material umgegangen ist; wie er nichts unbeachtet lässt und zu einer stilistischen Reinheit gelangt, die zeitlos für große Kunst Vorbedingung ist.“ (aus dem Programmheft)

Ähnliches lässt sich auch zum Tetzlaff Quartett sagen. Es ist in seiner Interpretation den Ansprüchen der Komponisten sehr nahe gekommen und hat darüber hinaus noch über diesen äußerst sperrigen, mitunter enigmatischen Werken ein helles Licht der Erkenntnis geworfen. Ein langer, spannender und höchst kurzweiliger Abend mit vier AusnahmekünstlerInnen, die Beethovens letzte Lebensjahre, dessen Ausblicke wie auch Weberns Aufbruchsstimmung in ein neues musikalisches Zeitalter lebendig vor Augen führten. 



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