Tetzlaff Quartett,
Alte Oper Frankfurt, 20.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“,
15.09.-28.09.2019
Tetzlaff Quartett im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, v. l.: Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff (mit Rückenansicht), Elisabeth Kufferath, Hanna Weinmeister (Foto: Achim Reissner) |
Nachhaltiges Erlebnis mit Meisterwerken der gesellschaftlichen Übergangszeiten
Aus Beethovens letzten fünf Streichquartetten, entstanden zwischen 1822 und 1826, wählte das Tetzlaff Quartett die Werke Nr. 13 in B-Dur op. 130 (1825/26) und Nr. 15 a-Moll op. 132 (1825). Beide absolute Bekenntniswerke des Komponisten und dazu noch von außerordentlich avanciertem, in die Moderne weisenden Charakter, sowie als Pendent oder gar als Vergleich dazu Anton Weberns Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 (1909).
Keine leichte Kost, die dem Publikum im Mozart Saal der Alten
Oper von einem bestens eingespielten, technisch auf höchstem Niveau agierenden Tetzlaff
Quartett (Christian Tetzlaff, 1. Violine, Elisabeth Kufferath, 2. Violine, Hanna Weinmeister, Viola, Tanja
Tetzlaff, Violoncello) geboten wurde. Dafür aber ein nachhaltiges Erlebnis mit
Meisterwerken der gesellschaftlichen Übergangszeiten, der Sprengung alter Hör-
und Formgewohnheiten, der Grenzüberschreitungen und Ausblicke in neue, ganz
neue Kunst- und Musikgestaltung.
Beethovens Streichquartette
Nr. 13 und 15 sind an Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit kaum zu
überbieten, sprengen sie doch alle Regeln und Gesetze des Kunstschaftens. Allein
die Anzahl der Sätze (sechs für op.130
und fünf für op 132) machen schon deutlich,
dass Beethoven die Gattungsregeln nichts mehr bedeuten. Auch finden sich noch selten
altbekannte Formvorgaben wie Sonaten- oder Rondosätze, dafür aber detaillierte
Angaben zu den Spielweisen wie „beklemmt“ im Schlussteil der Cavatine (op.13), „neue Kraft fühlend“
und „von innigster Empfindung“ in der Canzona di ringraziamento, oder „immer
geschwinder“ im Alla marcia, assai vivace (beide op.15).
Das kompositorische Subjekt outet sich durch seine Musik
Die Stimmung schwankt zwischen Düsterkeit und
Nachdenklichkeit, vor allem im 3. Satz, der, überschrieben mit: Heiliger Danksagung eines Genesenden an die
Gottheit, in der lydischen Tonart, zu allerlei Spekulationen Anlass gab.
Tatsächlich schrieb Beethoven diesen Satz als Dank der Genesung nach einer
schweren Krankheit. Dieses Kernstück seines op.
132 mit choralartigen Sequenzen im lydischen Modus auf F gehört zum
Innigsten seines Schaffens und wird zu Recht als Herzstück seines a-Moll Quartetts bezeichnet.
Aber
Beethoven verstand es auch, tänzerische Leichtigkeit und Volkstümlichkeit, wie
im zweiten und vierten Satz des op. 13 – das Presto gerät zum
ausgelassenen Gassenhauer –, und auch überirdisch Schönes, wie in der Cavatine desselben Quartetts zu
vermitteln. Nicht von ungefähr gehörte letztgenannte zu seinen
Lieblingsstücken, ja er zählte sie sogar zur "Krone" all seiner Quartettsätze. Tatsächlich
gelang der Tetzlaff-Crew gerade hier eine zum Weinen schöne Interpretation.
Beethoven soll sie selbst „unter Thränen und Wehmuth“ komponiert haben.
Bekanntlich hat Beethoven den sechsten Satz seines op.13 – ursprünglich eine Fuge, die er
dann im op. 133 separat veröffentlichte
–, in ein Rondo-Finale in Gassenhauer-Manier
umgearbeitet. Ein Kampf der Titanen mit lyrischem Intermezzo (ein kantables
As-Dur) und Erinnerungsmomenten an die vorausgegangenen Sätze, das in der
Interpretation des Quartetts zu einer furiosen Apotheose führte.
Dauert die heilige
Danksagung an die Gottheit (op.15.)
nahezu 25 Minuten, sind die darauf folgenden zwei Sätze, der Marsch (alla marcia, allegro assai) und der
Schlusssatz (Allegro appassionato),
nur wenige Minuten lang. Wieder im ursprünglichen a-Moll aber von großer
Frische und treibendem Tempo wechselt die Coda in die A-Dur Tonart und versprüht
Freude wie Erhabenheit. Dennoch bleibt bis zum gewaltigen A-Dur Schlussakkord
alles in der Schwebe zwischen Pianissimo und Fortissimo und ständigem
Tonartwechsel.
Tetzlaff Quartett im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, v. l.: Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff (mit Rückenansicht), Elisabeth Kufferath, Hanna Weinmeister (Foto: Achim Reissner) |
Expressivität auf engstem Raum
Wie aber passen die Fünf
Sätze für Streichquartett von Anton Webern in diese Mammutwerke Beethovens
von zusammen mehr als 95 Minuten, während die Sätze Weberns lediglich einen Umfang von 13 bis max. 55 Takten haben und
zusammen kaum mehr als 12 Minuten in Anspruch nehmen? Die Antwort ist einfach.
Beide Komponisten stehen an der Schwelle einer neuen Zeit. Beethoven leitet
quasi die Subjektivität der Romantik mit all ihren Ausschweifungen ein, bereits mit Ausblick auf die Anfang des 20.
Jahrhunderts beginnende Moderne, während Webern die Moderne nach vorne
treibt, in die klärende Kürze der Dodekaphonie und später in den Serialismus, deren Protagonist er
posthum werden wird.
Zu den Sätzen: Auch sie entbehren jeglicher Vorbilder,
sprengen also Form- wie Stilvorgaben. Auch hier stellen die Fünfsätzigkeit alle
klassischen Konventionen in Frage und Weberns Spielanweisungen („col legno“, „pizzicato“,
„am Steg“, „mit dem Holz des Bogens gestrichen“ etc.) erschließen darüber hinaus völlig neue
Klangfarben.
Die einzelnen Sätze waren sehr unterschiedlichen Charakters.
Den ersten, ausgedehntesten Satz beispielsweise beherrschte eine eher hektische
Stimmung, die an eine Wiener Straßen-Atmosphäre erinnerte. Der zweite, sehr
kurze Satz (13 Takte) wurde von der Bratsche beherrscht und endete in einem Hauch
von Nichts, während der dritte Satz mit treibenden Pizzicati des Violoncellos
sehr lebendig daherkam. Dem vierten sehr lyrischen Satz mit ab- und aufsteigenden Flageoletts und Tritonus-Intervallen folgte ein eher undurchsichtiger fünfter
Satz mit freitonalen Passagen und einem Tutti mit langgezogenen Tremoli.
Überhaupt bevorzugt Webern hier bereits Tritonus-, Sekund-
und Septimintervalle, die zu jener Zeit höchste Dissonanz, ja Brutalität
verkörperten. Webern selbst faszinierte besonders die entwickelnde
Variation, ein Form, mittels der er glaubte, extrem konzentriert, in knappster
Form komponieren zu können. Ganz im Gegensatz zu Beethoven, der die Länge und
Ausgedehntheit seiner thematischen Arbeit bevorzugte, strebte er eher nach dem
engsten Raum, um seiner Expressivität Ausdruck zu verleihen.
Tetzlaff Quartett (Foto: Georgia Bertazzi) |
Beethoven, Webern,
Tetzlaff Quartett: Eine lebendige Einheit
Zwei scheinbare Gegensätze, die sich aber in der Dichte und
thematischen Kreativität durchaus ähnlich sind. So könnte das Urteil Karlheinz Stockhausens (1928-2007),
ein begeisterter Anhänger von Weberns Kompositionen durchaus auch für Beethoven
gelten, wenn er schreibt: „ … mit wieviel Sorgfalt und Kunst Webern mit seinem
Material umgegangen ist; wie er nichts unbeachtet lässt und zu einer stilistischen
Reinheit gelangt, die zeitlos für große Kunst Vorbedingung ist.“ (aus dem
Programmheft)
Ähnliches lässt sich auch zum Tetzlaff Quartett sagen. Es ist in seiner Interpretation den Ansprüchen
der Komponisten sehr nahe gekommen und hat darüber hinaus noch über diesen
äußerst sperrigen, mitunter enigmatischen Werken ein helles Licht der
Erkenntnis geworfen. Ein langer, spannender und höchst kurzweiliger Abend mit
vier AusnahmekünstlerInnen, die Beethovens letzte Lebensjahre, dessen Ausblicke wie auch Weberns
Aufbruchsstimmung in ein neues musikalisches Zeitalter lebendig vor Augen
führten.
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