Freitag, 20. September 2019


Sir András Schiff, Klavierrezital im großen Saal der Alten Oper Frankfurt, 19.09.2019

Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“, 15.09.-28.09.2019

András Schiff (Foto: Nadia F Romanini)

Rätsel statt Antworten

Beethovens Eroica steht bekanntlich für Bekenntnis, für Haltung und Standpunkt beziehen. Möchte man den Worten von Kristian Kabitz, der die Einführung in das Konzert gab, Glauben schenken, wonach Beethoven wohl der einzige Held unter den Komponisten sei und seine Musik in einzigartiger Weise das Heldenhafte symbolisiere, dann sollte dieser Abend mit dessen Klaviersonaten Nr. 12 As Dur op 26 (1800/01) und Nr. 21 C-Dur op. 53 (1803, „Waldstein“) und Robert Schumanns Klaviersonate Nr. 1 fis-Moll op 11 (1835) und Fantasie C-Dur op.17 (1836/38) wohl eher rätselhaft bleiben, als Antworten geben.

Denn Ludwig van Beethoven (1770-1827) war zwar ein Querkopf und begeisterter Anhänger der bürgerlichen Revolution, gleichzeitig aber auch ein Verächter der Massen und ein Liebling des Adels, von dem er hauptsächlich lebte. Seine beiden Sonaten waren nicht von ungefähr Fürst Carl von Lichnowsky (übrigens sein Kammerherr) und Graf Ferdinand von Waldheim (Mäzen und Freund) gewidmet. Und Robert Schumanns (1810-1856) Werke, entstanden zwischen 1835 und 1838,  waren innigster Ausdruck seiner Liebe zu Clara Wieck, deren Vater den beiden heftig im Wege stand, und Ergebnis des verhängnisvollen Sommers 1836, wo er seine Geliebte für sich verloren glauben musste. Clara, die sich auf einer Konzerttournee befand, musste nämlich auf Geheiß ihres Vaters die ihr gewidmete Sonate Nr. 1 an Schumann zurücksenden, was diesen natürlich in tiefste Verzweiflung und Selbstmordgedanken stürzte. Seine Fantasie, erst 1838 fertiggestellt, sollte dann zum monumentalsten Liebesbeweis an Clara und seine Heimat werden. Nicht von ungefähr widmete er sie seinem Freund Franz Liszt.

András Schiff rahmte die eng zusammengehörigen Schumann Stücke in die beiden doch sehr heroischen, aber auch höchst emotionalen Beethoven Sonaten. Zwei Bekenntnisse der unterschiedlichsten Art, die sich allerdings in seiner Interpretation wenig voneinander unterschieden.

Er begann mit der bereits 1801 entstandenen As-Dur Sonate Beethovens. Ein viersätziges Werk, außerhalb der Sonatenform und mit gänzlich neuen Klangideen. Bekannt vor allem durch den Marcia Funebre mit dem Zusatz „Über den Tod eines Helden“ (sulla Morte d´un Eroe), ein Abgesang auf die Heroen dieser Welt, die sich, so Beethoven, über die anderen stellen, nicht besser als die gewöhnlichen Menschen sind und sich mit zunehmender Macht als Tyrannen erweisen. Gemeint ist natürlich Napoleon. Verzweifelt war er aber auch über die bittere Kenntnis seiner unheilbaren Krankheit (die Taubheit stellt sich bereits zu dieser Zeit ein). In seinem 1802 verfassten Heiligenstädter Testament schloss auch er einen Suizid nicht aus.

Schiff gelang es leider in weiten Stecken nicht, das zutiefst widersprüchliche Werk auf seine Kontradiktionen abzuklopfen. Abgesehen von technischen Fehlern im Scherzo, die er dreimal wiederholte (ein Blackout womöglich) wirkte diese Sonaten doch eher wie ein „milder Regen“ (Edwin Fischer) als ein Manifest der Wut, Verzweiflung und der jetzt-erst-recht-Haltung eines 30-jährigen Heißsporns, der Beethoven ja gewesen sein soll. Das Rondo-Finale Allegro glich in Schiffs Interpretation mehr einem Gesang der Geister über den Wassern in Schubertscher Manier als einem: Ich bin ein Geschöpf des Prometheus und will den Tyrannen trotzen, wie es Beethoven wohl eher gewollt hätte.
András Schiff (Foto: Yutaka Suzuki/Konzerthaus Berlin)

Viel Florestan und Eusebius


Schumanns Sonate Nr. 1 fis-Moll, seiner geliebten Clara gewidmet, steckt voller „Florestan und Eusebius“ (aus Jean Pauls Flegeljahre von 1804 entnommen). Heute würde man von Yin und Yang, von Vernunft und Leidenschaft oder vom Dionysischen und Apollinischen sprechen. Beide Werke sind, wie gesagt eng verknüpft und widerspiegeln in fantastischer Weise den inneren Seelenzustand bzw. Seelennotstand des Komponisten. Zwar pflegt Schumann in diesem viersätzigen Werk noch die Form des Sonatenhauptsatzes, spickt es aber bereits mit frei-assoziierenden Elementen und diversen Stilelementen, wie Tänze (ein Fandango im 1. Satz) und Liedzitate (in der Aria: An Anna nach Gedichten von Justus Kerner).

Schiff machte aus diesem sehr komplexen und nahezu unübersichtlichen Werk großes Gesangstheater. Vor allem im 3. Satz, dem Scherzo e Intermezzo, worin das Tänzerische dominiert und das mit vielen Rhythmuswechseln und ständig sich ändernden Vortragsbezeichnungen –  mal burlesk, mal wichtigtuerisch – gespickt ist, konnte er glänzen. Es gelang ihm mit wissenschaftlicher Akribie, die melodischen und rhythmischen Linien herauszusezieren und dem Ganzen einen großen inhaltlichen Bogen zu verleihen, den Schwankungen zwischen dem ungestüm-leidenschaftlichen Florestan und dem bedächtig lyrischen Eusebius fruchtbaren Ausdruck zu verleihen.

Die Fantasie C-Dur gehört charakterlich zur Sonate Nr. 1 fis Moll, keine Frage. Aber dennoch ist sie in ihrer Dreiteiligkeit und klaren Gliederung (Leidenschaft, Energie und Versöhnung) ein beeindruckenderes Zeugnis von Schumanns Genialität und Eingebunden sein in das Denken seiner Zeit. Gespickt mit poetischen und musikalischen Bezügen ist diese Fantasie nach Friedrich Schlegel ein „bunter Erdentraum“, dem man heimlich lauschen möchte.

Schiff verstand es, leidenschaftliche Klage im ersten Satz, wuchtige Marschklänge mit einer sieghaften Stretta im zweiten Satz, und ruhevolle Versöhnlichkeit im dritten Teil, zu einer allgemeinen Botschaft der Liebe und Hoffnung auf Besserung zu erklären. Hier zeigte der Pianist seine gesamte Meisterschaft der Klanganalyse und Werkdeutung. An dieser Stelle sei noch bemerkt, dass er im Schlussteil nicht das Original, sondern die „Budapester Fassung“, (von ihm 1970 auf Hinweis von Charles Rosen gefunden) spielte, eine Schlussversion (letzte Seite der Partitur), die Schumann unwiderruflich durchstrich. Schiff zum Publikum: „Erlauben sie mir, das Verbrechen zu begehen, diesen durchgestrichenen Schluss zu spielen.“  Ein Schluss, wie sich dann zeigte, der die verspielte, romantische Innerlichkeit des Komponisten noch einmal zu einem Höhepunkt führte. Eine gute Entscheidung des Maestros am Flügel.

András Schiff (Foto: Independent.co.uk)

Beethoven Rätsel: Brillanz, Harmonik, Grenzen des Machbaren?

Leider konnte die Waldstein Sonate nur teilweise gefallen. Das lag vor allem an der doch sehr gesanglichen und wenig kontroversen Auslegung dieser „Sonata grande“, dem Wendepunkt in Beethovens Musikschaffen. Schiffs Neigung, aus allem ein gesangliches Artefakt zu machen (auch seine Bach-Interpretationen gehören dazu), konnte hier nicht gelingen, zumal das Werk von starker Dynamik, extremen Lautstärkewechseln und großer Dramaturgie lebt. 

Technisch nicht immer auf dem höchsten Niveau schleifte Schiff die zweiteilige Sonate zu einem doch insgesamt geglätteten Gesamtkunstwerk, das vor allem im Schlussrondo, Allegretto moderato, ein wenig Expressivität vermissen ließ. Mit gemäßigtem Tempo, Pianissimo und lang anhaltender Pedalierung verschaffte er dem Rondo zwar einen fast schon sphärischen Charakter, konnte aber den abrupten Stimmungswechsel nicht aufbauen. Auch hier wieder einige technische Mängel vor allem in den wichtigen arpeggiosen Partien mit ihren extremen Wechseln vom Fortissimo zum Pianissimo. Das Prestissimo der Coda wiederum geriet zu einem musikalischen Gedicht, wobei die langen Tremoli kaum hörbar, dafür die melodische Linie umso dominanter den Raumklang füllte.

Schiff spielte als Zugaben das Italienische Konzert von Johann Sebastian Bach und die Arabeske op.15 von Robert Schumann. Auch hier wäre weniger ein bisschen mehr gewesen. Ein Großteil des Publikums hatte bereits den Saal verlassen. Zurück bleiben gemischte Gefühle und das Rätsel, warum Sir András Schiff so viele persönliche „Grenzen des Machbaren“ auf seinem eigenen Flügel (ein Steinway von 1958) erlebte.

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