Sir András Schiff,
Klavierrezital im großen Saal der Alten Oper Frankfurt, 19.09.2019
Im Rahmen des Musikfestes „Eroica – Musik als Bekenntnis“,
15.09.-28.09.2019
András Schiff (Foto: Nadia F Romanini) |
Rätsel statt Antworten
Beethovens Eroica steht bekanntlich für Bekenntnis, für Haltung und Standpunkt beziehen. Möchte man den Worten von Kristian Kabitz, der die Einführung in das Konzert gab, Glauben schenken, wonach Beethoven wohl der einzige Held unter den Komponisten sei und seine Musik in einzigartiger Weise das Heldenhafte symbolisiere, dann sollte dieser Abend mit dessen Klaviersonaten Nr. 12 As Dur op 26 (1800/01) und Nr. 21 C-Dur op. 53 (1803, „Waldstein“) und Robert Schumanns Klaviersonate Nr. 1 fis-Moll op 11 (1835) und Fantasie C-Dur op.17 (1836/38) wohl eher rätselhaft bleiben, als Antworten geben.
Denn Ludwig van Beethoven (1770-1827) war zwar ein Querkopf
und begeisterter Anhänger der bürgerlichen Revolution, gleichzeitig aber auch
ein Verächter der Massen und ein Liebling des Adels, von dem er hauptsächlich
lebte. Seine beiden Sonaten waren nicht von ungefähr Fürst Carl von Lichnowsky
(übrigens sein Kammerherr) und Graf Ferdinand von Waldheim (Mäzen und Freund)
gewidmet. Und Robert Schumanns (1810-1856) Werke, entstanden zwischen 1835 und
1838, waren innigster Ausdruck seiner
Liebe zu Clara Wieck, deren Vater den beiden heftig im Wege stand, und Ergebnis
des verhängnisvollen Sommers 1836, wo er seine Geliebte für sich verloren
glauben musste. Clara, die sich auf einer Konzerttournee befand, musste nämlich
auf Geheiß ihres Vaters die ihr gewidmete Sonate Nr. 1 an Schumann zurücksenden,
was diesen natürlich in tiefste Verzweiflung und Selbstmordgedanken stürzte.
Seine Fantasie, erst 1838
fertiggestellt, sollte dann zum monumentalsten Liebesbeweis an Clara und seine
Heimat werden. Nicht von ungefähr widmete er sie seinem Freund Franz Liszt.
András Schiff rahmte die eng zusammengehörigen Schumann
Stücke in die beiden doch sehr heroischen, aber auch höchst emotionalen
Beethoven Sonaten. Zwei Bekenntnisse der unterschiedlichsten Art, die sich
allerdings in seiner Interpretation wenig voneinander unterschieden.
Er begann mit der bereits 1801 entstandenen As-Dur Sonate Beethovens. Ein
viersätziges Werk, außerhalb der Sonatenform und mit gänzlich neuen Klangideen.
Bekannt vor allem durch den Marcia Funebre
mit dem Zusatz „Über den Tod eines Helden“ (sulla
Morte d´un Eroe), ein Abgesang auf die Heroen dieser Welt, die sich, so
Beethoven, über die anderen stellen, nicht besser als die gewöhnlichen Menschen
sind und sich mit zunehmender Macht als Tyrannen erweisen. Gemeint ist
natürlich Napoleon. Verzweifelt war er
aber auch über die bittere Kenntnis seiner unheilbaren Krankheit (die Taubheit
stellt sich bereits zu dieser Zeit ein). In seinem 1802 verfassten Heiligenstädter Testament schloss auch
er einen Suizid nicht aus.
Schiff gelang es leider in weiten Stecken nicht, das
zutiefst widersprüchliche Werk auf seine Kontradiktionen abzuklopfen. Abgesehen
von technischen Fehlern im Scherzo,
die er dreimal wiederholte (ein Blackout womöglich) wirkte diese Sonaten doch eher
wie ein „milder Regen“ (Edwin Fischer) als ein Manifest der Wut, Verzweiflung
und der jetzt-erst-recht-Haltung eines 30-jährigen Heißsporns, der Beethoven ja
gewesen sein soll. Das Rondo-Finale Allegro
glich in Schiffs Interpretation mehr einem Gesang der Geister über den Wassern in Schubertscher Manier als einem: Ich bin
ein Geschöpf des Prometheus und will den Tyrannen trotzen, wie es Beethoven
wohl eher gewollt hätte.
András Schiff (Foto: Yutaka Suzuki/Konzerthaus Berlin) |
Viel Florestan und Eusebius
Schumanns Sonate Nr. 1
fis-Moll, seiner geliebten Clara gewidmet, steckt voller „Florestan und
Eusebius“ (aus Jean Pauls Flegeljahre von 1804 entnommen). Heute würde man von Yin und Yang, von Vernunft und
Leidenschaft oder vom Dionysischen und Apollinischen sprechen. Beide Werke sind,
wie gesagt eng verknüpft und widerspiegeln in fantastischer Weise den inneren
Seelenzustand bzw. Seelennotstand des Komponisten. Zwar pflegt Schumann in
diesem viersätzigen Werk noch die Form des Sonatenhauptsatzes, spickt es aber
bereits mit frei-assoziierenden Elementen und diversen Stilelementen, wie Tänze
(ein Fandango im 1. Satz) und
Liedzitate (in der Aria: An Anna nach
Gedichten von Justus Kerner).
Schiff machte aus diesem sehr komplexen und nahezu unübersichtlichen
Werk großes Gesangstheater. Vor allem im 3. Satz, dem Scherzo e Intermezzo, worin das Tänzerische dominiert und das mit
vielen Rhythmuswechseln und ständig sich ändernden Vortragsbezeichnungen – mal burlesk,
mal wichtigtuerisch – gespickt ist, konnte
er glänzen. Es gelang ihm mit wissenschaftlicher Akribie, die melodischen und
rhythmischen Linien herauszusezieren und dem Ganzen einen großen inhaltlichen
Bogen zu verleihen, den Schwankungen zwischen dem ungestüm-leidenschaftlichen
Florestan und dem bedächtig lyrischen Eusebius fruchtbaren Ausdruck zu
verleihen.
Die Fantasie C-Dur
gehört charakterlich zur Sonate Nr. 1 fis
Moll, keine Frage. Aber dennoch ist sie in ihrer Dreiteiligkeit und klaren
Gliederung (Leidenschaft, Energie und Versöhnung) ein beeindruckenderes Zeugnis
von Schumanns Genialität und Eingebunden sein in das Denken seiner Zeit.
Gespickt mit poetischen und musikalischen Bezügen ist diese Fantasie nach Friedrich
Schlegel ein „bunter Erdentraum“, dem man heimlich lauschen möchte.
Schiff verstand es, leidenschaftliche Klage im ersten Satz,
wuchtige Marschklänge mit einer sieghaften Stretta im zweiten Satz, und
ruhevolle Versöhnlichkeit im dritten Teil, zu einer allgemeinen Botschaft der
Liebe und Hoffnung auf Besserung zu erklären. Hier zeigte der Pianist seine
gesamte Meisterschaft der Klanganalyse und Werkdeutung. An dieser Stelle sei
noch bemerkt, dass er im Schlussteil nicht das Original, sondern die „Budapester
Fassung“, (von ihm 1970 auf Hinweis von Charles Rosen gefunden) spielte, eine
Schlussversion (letzte Seite der Partitur), die Schumann unwiderruflich durchstrich. Schiff zum Publikum: „Erlauben sie mir, das Verbrechen zu
begehen, diesen durchgestrichenen Schluss zu spielen.“ Ein Schluss, wie sich dann zeigte, der die verspielte,
romantische Innerlichkeit des Komponisten noch einmal zu einem Höhepunkt
führte. Eine gute Entscheidung des Maestros am Flügel.
András Schiff (Foto: Independent.co.uk) |
Beethoven Rätsel: Brillanz, Harmonik, Grenzen des Machbaren?
Leider konnte die Waldstein
Sonate nur teilweise gefallen. Das lag vor allem an der doch sehr
gesanglichen und wenig kontroversen Auslegung dieser „Sonata grande“, dem Wendepunkt
in Beethovens Musikschaffen. Schiffs Neigung, aus allem ein gesangliches Artefakt
zu machen (auch seine Bach-Interpretationen gehören dazu), konnte hier nicht
gelingen, zumal das Werk von starker Dynamik, extremen Lautstärkewechseln und
großer Dramaturgie lebt.
Technisch nicht immer auf dem höchsten Niveau
schleifte Schiff die zweiteilige Sonate zu einem doch insgesamt geglätteten
Gesamtkunstwerk, das vor allem im Schlussrondo, Allegretto moderato, ein wenig Expressivität vermissen ließ. Mit
gemäßigtem Tempo, Pianissimo und lang
anhaltender Pedalierung verschaffte er dem Rondo
zwar einen fast schon sphärischen Charakter, konnte aber den abrupten
Stimmungswechsel nicht aufbauen. Auch hier wieder einige technische Mängel vor
allem in den wichtigen arpeggiosen Partien mit ihren extremen Wechseln vom Fortissimo
zum Pianissimo. Das Prestissimo der
Coda wiederum geriet zu einem musikalischen Gedicht, wobei die langen Tremoli kaum hörbar,
dafür die melodische Linie umso dominanter den Raumklang füllte.
Schiff spielte als Zugaben das Italienische Konzert von Johann Sebastian Bach und die Arabeske op.15 von Robert Schumann. Auch
hier wäre weniger ein bisschen mehr gewesen. Ein Großteil des Publikums hatte bereits
den Saal verlassen. Zurück bleiben
gemischte Gefühle und das Rätsel, warum Sir András Schiff so viele persönliche „Grenzen
des Machbaren“ auf seinem eigenen Flügel (ein Steinway von 1958) erlebte.
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