Samstag, 26. Oktober 2019


Antoine Tamestit (Viola) und Masato Suzuki (Cembalo) spielen Johann Sebastian Bach (1685-1750), Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, 25.10.2019 (Eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V)

Masato Suzuki, Antoine Tamestit (Foto: Frankfurter Bachkonzerte e.V.)


Ein Zyklus mit ungewöhnlicher Besetzung


Es sind die drei Sonaten für Viola da Gamba (BWV 1027/1028/1029), die Johann Sebastian Bach wohl in seiner Zeit in Köthen um die 1720er Jahre geschrieben hat, die Antoine Tamestit (*1979) und sein Masato Suzuki (*1981) für das Programm des denkwürdigen Abends in der Alten Oper ausgewählt haben. Eine ungewöhnliche Besetzung in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist das Cembalo, weit entfernt vom ursprünglichen Gebrauch als Generalbass, jetzt ein selbstständiges geführtes Instrument im gleichwertigen Dialog mit der Melodiestimme der Viola, damals ein Novum. Und zweitens spielt Tamestit nicht auf einer Viola da Gamba (sie müsste, wie der Name schon sagt, zwischen den Beinen gehalten werden), sondern auf seiner Bratsche: eine Stradivari aus dem Jahr 1672.  

Was aber kein Problem ist, denn selbst Johann Sebastian Bach war ja bekannt für seine Neufassungen und das buchstäbliche Recyceln älterer Kompositionen. So sind diese drei Sonaten auch für Violine, Flöten und Klavierbegleitung vorhanden. Allerdings in der Kombination Bratsche und Cembalo wohl einmalig zumindest in dieser personellen Zusammensetzung.

Denn was das Künstlerduo – sie stellten sich abwechselnd in äußerst charmanter Weise vor – musikalisch auf die Bühne zauberte, gehörte schon in die Kategorie außergewöhnlich, unerhört und erstaunlich. Eine perfekte Dreistimmigkeit (die Drei galt zu Bachs Zeiten noch als göttliche Zahl), an der selbst Bach, der bekanntlich die Bratsche in seiner Leipziger Zeit zu schätzen begann, seine Freude gehabt hätte. Dazu passend die Bemerkung Tamestits, der übrigens die Violine wie das Violoncello beherrscht, er sehe beim Spiel nicht nur Farben, sondern verbinde die Tonarten auch mit Ereignissen: das G-Dur (BWV 1027) mit der Geburt, das g-Moll (BWV 1029) mit dem Lebenskampf, das D-Dur (BWV 1028) mit der Sonne und das d-Moll (die Suite Nr. 2 für Violoncello solo) mit Trauer, Schmerz und Tod.

Tonarten, die das Leben zwischen Geburt und Tod beschreiben


Masato Suzuki (Foto: Marco Borggreve)
Insofern hätten er und sein Freund Masato das Programm in einer Weise zusammengestellt, das eine Lebensphase Bachs (seine erste Frau Barbara starb bereits 1720 in Köthen) in allen Facetten beschreibt. Wie schon erwähnt, traten beide auch noch solistisch auf die Bühne.

Masato Suzuki, quirlig und immer freundlich lächelnd, präsentierte die Französische Suite Nr. 5 (BWV 816), die vorletzte der insgesamt sechs Suiten, die Bach übrigens seiner zweiten Frau Anna Magdalena (er heiratete sie 1722) widmete und die, nicht von ungefähr, in G-Dur, der Tonart der „Geburt“, gesetzt ist. Von Allemande bis Gigue, zwischen Zwei- und Vierstimmigkeit, zwischen Tänzen und Fuge (die abschließende Gigue enthält sogar noch eine vierte Stimme) zog Suzuki auf seinem zweimanualigen Cembalo – ein Nachbau von Willem Kroesbergen aus dem Jahre 1650 – im wahrsten Sinne alle Register und verstand es vorzüglich, Metrik und Rhythmus melodisch zusammenzufügen und lebendig werden zu lassen. 
Die abschließende Gigue allerdings, äußerst flott vorgetragen, geriet ihm ein wenig außer Kontrolle. Melodisch und mit feinen Figuren ausgedeutet dagegen die Courante und die Bourrée. Suzuki verstand es feinfühlig, die Tücken des Cembalos gegenüber dem Klavier – letzteres verzeiht eher mal Fehler – durch atmende Fermaten zu meistern und die sehr schwierige Suite mit Eleganz und Kompaktheit vorzustellen.

Von tiefer Trauer in höchste Verzückung


Antoine Tamestit (Foto: Birkenholz.web)
Antoine Tamestit wagte sich an Bachs Suite Nr. 2 d- Moll für Violoncello (BWV 1008). Erinnern wir uns an seine Assoziation von Trauer, Schmerz und Tod. Bekanntlich gibt es zu dieser Suite keinen Autograph, lediglich Abschriften mit eigenen Phrasierungen und Notenauslassungen in den Menuetten. Tamestit transponierte das äußerst schwierige Werk zusätzlich noch auf seine Stradivari und machte aus der Zweiten von insgesamt sechs Cellosuiten ein interpretatorisches Meisterstück voller  Kraft und Hingabe. Oft mit geschlossenen Augen ließ er sein Instrument mit seidigem Glanz in den Farben des Rokoko brillieren. Seine Interpretation der beiden Menuette erinnerte an liedhafte Volkstänze und die abschließende Gigue mit ihrer punktierten Notierung und komplexen Doppelgriffigkeit an ein melancholisches Rondo. Bach soll die Cellosuiten für den eigenen Gebrauch komponiert haben. Tamestit hätte ihn mit seiner Bratsche vermutlich aus tiefer Trauer in höchste Verzückung versetzt.



Ein Werk und ein Duo, die in die Zukunft schauen


Die abschließende Sonate Nr. 2  in D-Dur (BWV 1028) schaute schon in die Zukunft des modernen, galanten Stils, der erst mit Bachs Söhnen zum Tragen kommen wird. Vierteilig angelegt mit ausdrucksstarkem Zwiegespräch im Adagio, virtuosem Siciliano im Allegro, Schreittanz im Andante sowie abschließendem Allegro mit schwierigen Solokadenzen beider Instrumente, bewies das Duo-Tamestit-Suzuki noch einmal seine interpretatorische und musikalische Ausnahmestellung: eine einmalige und zukunftsweisende Zusammensetzung.   

Die Zugabe, das Largo aus Bachs c-Moll Sonate für Violine und obligates Cembalo (BWV 1017), zeigte einmal mehr, welch hinreißende Farben die Bratsche zu erzeugen vermag. Die Begeisterung des Publikums im gut besuchten Mozartsaal war denn auch entsprechend.


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