Hoffmanns Erzählungen,
Musiktheater à trois mit Michael Quast, Sabine Fischmann und Markus Neumeyer
(Piano), Alte Schlosserei der EVO-Offenbach, Offenbach, 23.10.2019
Offenbach am Main feiert seinen Enkel Jacques Offenbach zum 200. Geburtstag, 15.09. – 05.11.2019
Sabine Fischmann, Michael Quast (Foto: Burgfestspiele Dreieichenhain) |
Ein höchst unterhaltsames Feuerwerk
Jacques Offenbachs (1819-1880) einzige Oper, Hoffmanns Erzählungen (1881), auch Fantastische genannt, wurde weder zu Ende gebracht noch zu Lebzeiten des Komponisten aufgeführt. Auch stand sie von Anfang an unter einem unglücklichen Stern, denn ein furchtbarer Brand während der zweiten Vorstellung in der Wiener Hofoper (08. Dezember 1881) mit mehreren hundert Toten nährte den Aberglauben, dieses Werk, in der böse Geister, Gespenster und teuflische Kräfte das Sagen haben, bringe nur Unglück über die Menschen. Erst zum 100. Geburtstag Offenbachs kam sie wieder auf die Bühne und das mit bleibendem Erfolg.
Hoffmann erzählt
eher eine tragisch-komische Geschichte, geht es doch um einen unglücklich
verliebten Künstler Hoffmann (vermutlich E.T.A. Hoffmann selbst), der zwischen
Muse und Liebesbegehren schwankt, dabei allerdings an allerlei zwielichtige
Damen und Herren gerät, die ihm den Genuss der Liebe zur einzigen Enttäuschung
werden lassen.
Michael Quast, Sabine Fischmann und Markus Neumeyer (Flügel), ließen in der
vollbesetzten Alten Schlosserei im EVO Gelände Offenbach, ein höchst unterhaltsames
Feuerwerk abbrennen, ein Volkstheater, modernes Vaudeville und Commedia
dell’arte in einem, das Chansons, Arien, Balladen, Schlager und Songs in einer wilden
Mischung präsentierte und dabei die hohe Kunst des Melodrams zu keinem
Zeitpunkt ins Banale oder Kitschige abgleiten ließ.
Drei Tische, eine Puppe und ein Klavier
Sabine Fischmann |
In drei Akten, Prolog
und Epilog, erzählten, sangen und spielten die Drei das Drama Hoffmanns (der übrigens
als Puppe fungierte) mit den Geliebten Stella (Primadonna, Opernsängerin),
Olympia (Automate), Antonia (schwindsüchtige Sängerin) und Giulietta
(Kurtisane) und dazu das perfide Spiel des teuflischen Lindorf, des Zauberers
Spalanzani, des Betrügers Coppelius, des dämonischen Arztes Dr. Mirakel sowie
des hinterlistigen Satans Dapertutto.
Rollen, die unterschiedlicher kaum sein können. Dazu die Illusion
diverser Örtlichkeiten, mal Lutters Weinkeller am Gendarmenmarkt in Berlin, dann
das Arbeitszimmer des Professors Spalanzani mit Bildern von Dr. Barnard, Albert
Einstein und R2-D2 aus Star Wars, die Wohnung Dr. Crespels mit dem großen Bilderrahmen
der Mutter Antonias, oder die Gassen Venedigs mit fauligem Wasser der Kanäle, Mord
auf der Rialtobrücke bei O-Sole-Mio-Gesang
und Edelbordell. Tatsächlich aber befanden sich lediglich drei Tische, eine Hoffmann-Puppe
und ein Flügel auf der Bühne. Nicht zu vergessen die ausgeleuchtete Offenbach
Büste in 3-D, die immer mit schelmischem Blick das Geschehen auf der Bühne zu
kommentieren schien.
Viele Pointen und Slapsticks
Jeder der fünf Akte hatte seine Pointe: Im Prolog die
Ballade vom „Klein Zack“, einem buckligen Zwerg, die zur Hymne an die
Primadonna Stella (die gerade in der angrenzenden Oper die Rolle der Donna Anna
aus Mozarts Don Giovanni singt) gerät
und schließlich Hoffmanns Erzählungen
einleitet. Höchst amüsant, wie Quast mit wirklich gutem Bariton die schlafende
Puppe Hoffmann zum Leben erweckte und seine Muse Niklaus, „der nicht von seiner
Seite weicht, wenn er um die Häuser streicht“ – wer anders als Sabine Fischmann – , mit kehligem Sopran die saufenden Kneipenkumpane
besang.
Ein absoluter Slapstick die Koloraturarie der Automate Olympia.
Hier bewies Fischmann vor allem ihr komisches und komödiantisches Talent. Im Habitus
einer Meryl Streep als Florence Forster Jenkins trällerte sie mit mechanischen
Bewegungen und unglaublich schrägen Tönen das „Les Oiseaux dans la Charmille“ (die Vögel in der Hecke), während Hoffmann,
durch die Brille des Coppelius verblendet, in hoffnungslose Liebe zu ihr
verfällt. Sowohl Fischmann als auch Quast mit bebrillter Puppe Hoffmann liefen
hier zu ungeahnter Meisterschaft auf. Die Zertrümmerung der Olympia von
Coppelius (von den Lehman Brothers
verschaukelt) kommentierten sie abschließend mit einem Schuss Ironie: „Ein Automat
kann man nicht lieben, wie übertrieben, ein´ Automat zu lieben!“ Der gelungene Klamauk wurde mit lautem Gejohle des Publikums goutiert.
In Dr. Crespels Wohnung sitzt Antonia, alias Sabine
Fischmann, am Klavier und singt das Chanson „Oui Cherie“, ein Bekenntnis ihrer
Liebe zu Hoffmann. Vater Crespel ist besorgt – seine Frau (Quast schaut dabei durch
einen goldenen Rahmen) musste bereits wegen ihres Gesangs frühzeitig das Zeitliche
segnen –, dass auch seine Tochter, sie leidet an Schwindsucht, das Gleiche widerfahren
wird.
Michael Quast (Foto: Bürgerhäuser Dreieich) |
"Wirf dein Talent nicht in den Hausmüll"
Dabei herrliche Doppel- und dreifach Rollen von Quast. Der taube Diener Franz, Dr. Crespel und Hoffmann im Wechsel zwischen hessischem Dialekt,
Hochdeutsch und dem Gestus eines Gehörlosen, einfach genial. Und Fischmann, mal
als Antonia, dann wieder als mahnender Niklaus, „der nicht von seiner Seite
weicht, wenn er um die Häuer streicht“. Erster Höhepunkt hier das Chanson d´amour zwischen Hoffmann und
Antonia, mit abschließendem theatralischen Schwächeanfall. Dann Quast in der Rolle
des dämonischen Dr. Mirakel, der das Unglück Antonias herausfordert, indem er
sie verhöhnt: „Du wirfst dein Talent in den Hausmüll, für Haus, Kinder und
Wellnessurlaub?“
Dr. Mirakel/Quast verführt die schwer kranke Antonia zum Gesang,
indem er das Bildnis ihrer Mutter zum Leben erweckt und aus dem Rahmen singt: „Hörst
du mich, ich rufe dich!“ Antonia kann das Singen nicht lassen und stirbt mit
rollenden Augen und heraushängende Zunge. Antonia/Fischmann und Mutter /Quast erscheinen als Doppelporträt im Bilderrahmen.
Ein Todesszene, an der selbst der leibhaftige Sensenmann seinen Spaß hätte.
Die Liebe fährt dir in die Glieder
Die berühmte Barcarole
aus Offenbachs Oper Die Rheinnixen
(1864), rahmte den vierten Akt. Nicht etwa im lyrischen Duett gesungen, sondern
schräg mit Glockenspiel und Glasharfenbegleitung. Die Kurtisane Giulietta ist
ein Werkzeug des Teufels. Niklaus, „der nicht von seiner Seite
weicht, wenn er um die Häuser streicht“, warnt ihren Schützling vor ihr, aber
ohne Erfolg. Giulietta fängt nicht nur das Spiegelbild, sondern auch die Seelen
ihrer Liebhaber ein, um sie Dapertutto, der Verkörperung des Bösen, zu übergeben.
Dapertutto verlangt die Seele Hoffmanns und den Mord an Schlemihl, ihrem hörigen Geliebten. Hoffmann besorgt das, ohne aber Giulietta zu erobern, die verschwindet. Höhepunkt hier die Arie: „Wach auf, die Liebe ruft, sie fährt dir in die Glieder!“, eine laszive Nummer von Fischmann und einer begeisternden Lach-Coda.
Nicht zu vergessen der tödliche Zweikampf (Quast schlug zwei Löffel gegeneinander)
bei Barcarolenmelodie, eine Lachpartie par excellence. Giulietta will weder Hoffmanns
Spiegelbild noch seine Seele, noch ihn: „Noch in dieser Nacht soll er haben,
was er will. Er wird mir gehören, ich aber nicht ihm!“
Markus Neumeyer (Foto: eigene Website) |
Dichter auf den Plan, Frauen sind passé
Die Moral von der Geschichte: Man befindet sich wieder in Lutters
Weinkeller, Mozarts Don Giovanni ist
beendet. Stella, die Primadonna, erscheint in der Kneipe und wird gefeiert.
Hoffmann, betrunken und unzurechnungsfähig erinnert sich der drei Frauen und
kommt zum bitteren Schluss: „Die eine ist zerbrochen, die andere verreckt und
die dritte ging zum Teufel.“ Stella, die
nichts versteht, verschwindet mit Lindorf.
Kein Happy End also? Doch, es gibt ein Happy End! In der
abschließenden Klein-Zack-Ballade „scheißen“
alle auf die Liebe und loben allein die Muse der Dichtkunst, also Niklaus, „der nicht von Hoffmanns Seite weicht, wenn er
um die Häuser streicht.“
Mit der Hymne: „Hebt die Liebe dich hoch, hebt dich
höher das Leid!“, ein bisschen wie die Rule Britannia mit geschwungener englischer Flagge (Brexit lässt grüßen), sowie der
Aufforderung an das Publikum mitzusingen, endete dieser ausgelassene Volksspaß,
eine Mischung aus Commedia dell´arte, Revue und Vaudeville voller Ironie, guter
Musik, großer Schauspielkunst und einigen herrlichen Chansons. Beste
Unterhaltung im Rahmen des Offenbach-Festivals. Auch die 3-D Büste konnte ein
Lachen nicht verkneifen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen