Donnerstag, 24. Oktober 2019


Hoffmanns Erzählungen, Musiktheater à trois mit Michael Quast, Sabine Fischmann und Markus Neumeyer (Piano), Alte Schlosserei der EVO-Offenbach, Offenbach, 23.10.2019

Offenbach am Main feiert seinen Enkel Jacques Offenbach zum 200. Geburtstag, 15.09. – 05.11.2019
Sabine Fischmann, Michael Quast (Foto: Burgfestspiele Dreieichenhain)

Ein höchst unterhaltsames Feuerwerk

Jacques Offenbachs (1819-1880) einzige Oper, Hoffmanns Erzählungen (1881), auch Fantastische genannt, wurde weder zu Ende gebracht noch zu Lebzeiten des Komponisten aufgeführt. Auch stand sie von Anfang an unter einem unglücklichen Stern, denn ein furchtbarer Brand während der zweiten Vorstellung in der Wiener Hofoper (08. Dezember 1881) mit mehreren hundert Toten nährte den Aberglauben, dieses Werk, in der böse Geister, Gespenster und teuflische Kräfte das Sagen haben, bringe nur Unglück über die Menschen. Erst zum 100. Geburtstag Offenbachs kam sie wieder auf die Bühne und das mit bleibendem Erfolg.

Hoffmann erzählt eher eine tragisch-komische Geschichte, geht es doch um einen unglücklich verliebten Künstler Hoffmann (vermutlich E.T.A. Hoffmann selbst), der zwischen Muse und Liebesbegehren schwankt, dabei allerdings an allerlei zwielichtige Damen und Herren gerät, die ihm den Genuss der Liebe zur einzigen Enttäuschung werden lassen.

Michael Quast, Sabine Fischmann und Markus Neumeyer (Flügel), ließen in der vollbesetzten Alten Schlosserei im EVO Gelände Offenbach, ein höchst unterhaltsames Feuerwerk abbrennen, ein Volkstheater, modernes Vaudeville und Commedia dell’arte in einem, das Chansons, Arien, Balladen, Schlager und Songs in einer wilden Mischung präsentierte und dabei die hohe Kunst des Melodrams zu keinem Zeitpunkt ins Banale oder Kitschige abgleiten ließ.

Drei Tische, eine Puppe und ein Klavier

Sabine Fischmann 


In  drei Akten, Prolog und Epilog, erzählten, sangen und spielten die Drei das Drama Hoffmanns (der übrigens als Puppe fungierte) mit den Geliebten Stella (Primadonna, Opernsängerin), Olympia (Automate), Antonia (schwindsüchtige Sängerin) und Giulietta (Kurtisane) und dazu das perfide Spiel des teuflischen Lindorf, des Zauberers Spalanzani, des Betrügers Coppelius, des dämonischen Arztes Dr. Mirakel sowie des hinterlistigen Satans Dapertutto.

Rollen, die unterschiedlicher kaum sein können. Dazu die Illusion diverser Örtlichkeiten, mal Lutters Weinkeller am Gendarmenmarkt in Berlin, dann das Arbeitszimmer des Professors Spalanzani mit Bildern von Dr. Barnard, Albert Einstein und R2-D2 aus Star Wars, die Wohnung Dr. Crespels mit dem großen Bilderrahmen der Mutter Antonias, oder die Gassen Venedigs mit fauligem Wasser der Kanäle, Mord auf der Rialtobrücke bei O-Sole-Mio-Gesang und Edelbordell. Tatsächlich aber befanden sich lediglich drei Tische, eine Hoffmann-Puppe und ein Flügel auf der Bühne. Nicht zu vergessen die ausgeleuchtete Offenbach Büste in 3-D, die immer mit schelmischem Blick das Geschehen auf der Bühne zu kommentieren schien.


Viele Pointen und Slapsticks


Jeder der fünf Akte hatte seine Pointe: Im Prolog die Ballade vom „Klein Zack“, einem buckligen Zwerg, die zur Hymne an die Primadonna Stella (die gerade in der angrenzenden Oper die Rolle der Donna Anna aus Mozarts Don Giovanni singt) gerät und schließlich Hoffmanns Erzählungen einleitet. Höchst amüsant, wie Quast mit wirklich gutem Bariton die schlafende Puppe Hoffmann zum Leben erweckte und seine Muse Niklaus, „der nicht von seiner Seite weicht, wenn er um die Häuser streicht“ – wer anders als Sabine Fischmann – , mit kehligem Sopran die saufenden Kneipenkumpane besang.

Ein absoluter Slapstick die Koloraturarie der Automate Olympia. Hier bewies Fischmann vor allem ihr komisches und komödiantisches Talent. Im Habitus einer Meryl Streep als Florence Forster Jenkins trällerte sie mit mechanischen Bewegungen und unglaublich schrägen Tönen das „Les Oiseaux dans la Charmille“  (die Vögel in der Hecke), während Hoffmann, durch die Brille des Coppelius verblendet, in hoffnungslose Liebe zu ihr verfällt. Sowohl Fischmann als auch Quast mit bebrillter Puppe Hoffmann liefen hier zu ungeahnter Meisterschaft auf. Die Zertrümmerung der Olympia von Coppelius (von den Lehman Brothers verschaukelt) kommentierten sie abschließend mit einem Schuss Ironie: „Ein Automat kann man nicht lieben, wie übertrieben, ein´ Automat zu lieben!“ Der gelungene Klamauk wurde mit lautem Gejohle des Publikums goutiert.


In Dr. Crespels Wohnung sitzt Antonia, alias Sabine Fischmann, am Klavier und singt das Chanson „Oui Cherie“, ein Bekenntnis ihrer Liebe zu Hoffmann. Vater Crespel ist besorgt – seine Frau (Quast schaut dabei durch einen goldenen Rahmen) musste bereits wegen ihres Gesangs frühzeitig das Zeitliche segnen –, dass auch seine Tochter, sie leidet an Schwindsucht, das Gleiche widerfahren wird.  

Michael Quast (Foto: Bürgerhäuser Dreieich)

"Wirf dein Talent nicht in den Hausmüll"

Dabei herrliche Doppel- und dreifach Rollen von Quast. Der taube Diener Franz, Dr. Crespel und Hoffmann im Wechsel zwischen hessischem Dialekt, Hochdeutsch und dem Gestus eines Gehörlosen, einfach genial. Und Fischmann, mal als Antonia, dann wieder als mahnender Niklaus, „der nicht von seiner Seite weicht, wenn er um die Häuer streicht“. Erster Höhepunkt hier das Chanson d´amour zwischen Hoffmann und Antonia, mit abschließendem theatralischen Schwächeanfall. Dann Quast in der Rolle des dämonischen Dr. Mirakel, der das Unglück Antonias herausfordert, indem er sie verhöhnt: „Du wirfst dein Talent in den Hausmüll, für Haus, Kinder und Wellnessurlaub?“

Dr. Mirakel/Quast verführt die schwer kranke Antonia zum Gesang, indem er das Bildnis ihrer Mutter zum Leben erweckt und aus dem Rahmen singt: „Hörst du mich, ich rufe dich!“ Antonia kann das Singen nicht lassen und stirbt mit rollenden Augen und heraushängende Zunge. Antonia/Fischmann und Mutter /Quast  erscheinen als Doppelporträt im Bilderrahmen. Ein Todesszene, an der selbst der leibhaftige Sensenmann seinen Spaß hätte.

Die Liebe fährt dir in die Glieder


Die berühmte Barcarole aus Offenbachs Oper Die Rheinnixen (1864), rahmte den vierten Akt. Nicht etwa im lyrischen Duett gesungen, sondern schräg mit Glockenspiel und Glasharfenbegleitung. Die Kurtisane Giulietta ist ein Werkzeug des Teufels. Niklaus, „der nicht von seiner Seite weicht, wenn er um die Häuser streicht“, warnt ihren Schützling vor ihr, aber ohne Erfolg. Giulietta fängt nicht nur das Spiegelbild, sondern auch die Seelen ihrer Liebhaber ein, um sie Dapertutto, der Verkörperung des Bösen, zu übergeben. 

Dapertutto verlangt die Seele Hoffmanns und den Mord an Schlemihl, ihrem hörigen Geliebten. Hoffmann besorgt das, ohne aber Giulietta zu erobern, die verschwindet. Höhepunkt hier die Arie: „Wach auf, die Liebe ruft, sie fährt dir in die Glieder!“, eine laszive Nummer von Fischmann und einer begeisternden Lach-Coda. 

Nicht zu vergessen der tödliche Zweikampf (Quast schlug zwei Löffel gegeneinander) bei Barcarolenmelodie, eine Lachpartie par excellence. Giulietta will weder Hoffmanns Spiegelbild noch seine Seele, noch ihn: „Noch in dieser Nacht soll er haben, was er will. Er wird mir gehören, ich aber nicht ihm!“

Markus Neumeyer (Foto: eigene Website)

Dichter auf den Plan, Frauen sind passé

Die Moral von der Geschichte: Man befindet sich wieder in Lutters Weinkeller, Mozarts Don Giovanni ist beendet. Stella, die Primadonna, erscheint in der Kneipe und wird gefeiert. Hoffmann, betrunken und unzurechnungsfähig erinnert sich der drei Frauen und kommt zum bitteren Schluss: „Die eine ist zerbrochen, die andere verreckt und die dritte ging zum Teufel.“  Stella, die nichts versteht, verschwindet mit Lindorf.

Kein Happy End also? Doch, es gibt ein Happy End! In der abschließenden Klein-Zack-Ballade „scheißen“ alle auf die Liebe und loben allein die Muse der Dichtkunst, also Niklaus, „der nicht von Hoffmanns Seite weicht, wenn er um die Häuser streicht.“ 
Mit der Hymne: „Hebt die Liebe dich hoch, hebt dich höher das Leid!“, ein bisschen wie die Rule Britannia mit geschwungener englischer Flagge (Brexit lässt grüßen), sowie der Aufforderung an das Publikum mitzusingen, endete dieser ausgelassene Volksspaß, eine Mischung aus Commedia dell´arte, Revue und Vaudeville voller Ironie, guter Musik, großer Schauspielkunst und einigen herrlichen Chansons. Beste Unterhaltung im Rahmen des Offenbach-Festivals. Auch die 3-D Büste konnte ein Lachen nicht verkneifen.

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