Fidelio (1814),
Oper von Ludwig van Beethoven (1770-1827) und musikalische Bearbeitung des Finales von
Annette Schlünz (*1964), Premiere im Staatstheater Darmstadt, 26.10.2019
2. Akt: Wieland Satter (Florestan), Katrin Gerstenberger (Leonore), Statisten Fotos: Nils Heck |
Eine Zeitreise im Parforceritt
Ein anstrengender Parforceritt durch die Geschichte dieser „Rettungsoper“, Folgeerscheinung der Französischen Revolution unter dem Leitspruch von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, mit Gastmahl für etwa 60 Personen aus dem Publikum statt Kerkerszene und Finale des Finales mit kompositorischen Verfremdungen von Annette Schlünz. Eine Einladung zum Nachdenken statt Freiheitsjubel. Eine Inszenierung unter dem Motto: „Bewegt es Dich?“
Ludwig van Beethoven (1770-1827) brauchte allein zwölf
Jahre, bis die Oper mit unterschiedlichsten Libretti (nach einer wahren
Begebenheit von dem Dramatiker Jean Nikolas Boully, 1763-1842, erzählt), drei
Fassungen, vier Ouvertüren und unzähligen Skizzen und Veränderungen endgültig
stand. Warum nicht noch eine weitere Fassung, fragte sich das Regieteam unter Paul Georg Dittrich in Darmstadt und
präsentierte eine Premiere von außerordentlicher Vielfalt der Bühnenbilder (Lena Schmid), der Kostüme (Anna Rudolph) und Videoeinblendungen (Kai Wido Meyer), mit ständigen dramaturgischen
Wechseln (Carolin Müller-Dohle),
gewaltiger musikalischer Kraft (Daniel
Cohen) und katalysatorischen Beigaben der Komponistin Annette Schlünz.
Vielfach gebraucht und missbraucht geht es in dieser Oper – ein
Zwischending von Singspiel, Verismus und Sinfonie – um ein Liebes- und
Freiheitsdrama in einem. Die Ehefrau Florestans, Leonore, sucht ihren Gatten,
der, zu Unrecht eingekerkert, nur noch auf seinen Tod wartet. In der
Verkleidung eines Mannes, sie nennt sich Fidelio, schafft es Leonore mithilfe
des Kerkermeisters Rocco in das Verlies zu gelangen. Pizarro, Gouverneur des Staatsgefängnisses,
dem Florestan sein Schicksal zu verdanken hat, trachtet nach dessen gewaltsamen
Tod, den er allerdings von Rocco und Leonore verrichtet haben möchte. Beide
weigern sich, die Tat zu begehen und erst das Erscheinen des Ministers, Don Fernando,
lässt die Ungeheuerlichkeiten ans Tageslicht treten. Florestan wird gerettet,
Leonore und ihr Gatte fallen sich in die Arme und alle feiern den Triumph der
Freiheit. Soweit so knapp.
1. Akt, 3. Bild: Katrin Gerstenberger (Leonore/Fidelio), Dong-Won Seo (Rocco) |
Eine Rettungs- und
Befreiungsoper als Feigenblatt der Propaganda
Da die Oper von Beethoven als Rettungs- und Befreiungsoper
konzipiert ist, nutzte man sie in ihrer Aufführungsgeschichte immer wieder als
Feigenblatt politischer Propaganda. In diesem Sinne wählte das Regieteam Darmstadt
– eine erweiterte Übernahme der Bremer Aufführung von 2018 unter der
Federführung Dittrichs – acht historische Aufführungen: Davon die erste vom 23.
Mai 1814 im Theater am Kärtnertor in Wien (Beethovens dritte Überarbeitung
übrigens), als Napoleon geschlagen und die alten Mächte den Wiener Kongress vorbereiteten,
um das alte Feudalregime zu restaurieren. Hier feierte die Oper ihren ersten
Erfolg als Plädoyer gegen die Tyrannenmacht.
Es folgten der 05. Mai 1860, im Théâtre Lyrique Paris: In Frankreich
regierte das reaktionäre Kaiserreich unter Napoleon III.; 1928 Leningrad, der
Proletkult der russischen Revolution war in vollem Gange und Sergei Eisensteins
Panzerkreuzer Potemkin galt als
Vorbild für diese Operninszenierung; der 20. April 1938, Fidelio wird zur Geburtstagsfeier
Hitlers im Staatstheater Aachen aufgeführt, Freiheit der arischen Rasse lautete
die Regieanweisung; 1945 in Berlin, Nie wieder Krieg statt Jubelfeier; 1968 in Kassel,
die Studentenrevolte forderte die Befreiung vom kapitalistischen System; 1989 in
der Semper Oper Dresden, die Mauer ist gefallen, „Wir sind das Volk“ lautet der
Slogan; 1997 in Bremen, Bezugnahme auf
die Schließung der Bremer Vulkan AG und
Fördermittelskandal der EU, Freiheit statt Arbeitslosigkeit und Bürokratie.
Und schließlich Fidelio in der
Version Darmstadt, am 26.10.2019.
1. Akt, 4. Bild: Katrin Gerstenberger (Leonore/Fidelio), Wieland Satter (Pizarro) Opernchor des Staatstheaters Darmstadt |
Viele überbordende Ideen des Think-Tanks-Darmstadt
Historisch orientierte Bühnenbilder, eingebettet in einen
Rahmen auf der Bühne, wechselten mit entsprechenden Kostümen. Man musste sich
schon historisch auskennen, um ihre Symbolik zu verstehen, denn Handlung und
Gesang orientierten sich an der klassischen Vorgabe – im Ersten Akt eine Aneinanderreihung aus Soloarien, Duetten, Terzetten
und Quartetten die durch Sprechszenen verbunden werden –, während die
historisierende Bühnengestaltung, verbunden mit einer Unmenge von
Videoeinblendungen und nicht immer verständlichen Zwischendialogen aus dem Off,
es äußerst schwierig machte, beide Ebenen zu verknüpfen, wenngleich die
Inszenierung dies durchaus versuchte.
Die Figur der Leonore (Katrin Gerstenberger, Sopran), zwischen
Germania und Femme Fatale mit tätowierten Städtenamen auf ihrer freien linken Schulter, diente in diesem Sinne als Bindeglied dieser turbulenten Zeitreise.
Dennoch darf die Frage gestattet sein, ob der Ideenreichtum des Regieteams nicht
ein wenig überbordete und man mit einem Weniger an Ausstattung durchaus einen
Mehrwert hätte erreichen können.
Hochbrisant dann der Zweite Akt. Statt der erwarteten Kerkerszene
ein üppig gedeckter Tisch mit ca. 60 Gästen aus dem Publikum. Mitten auf dem
Tisch liegend und darbend Florestan (Heiko Börner, Tenor). Eine bewegliche
Kamera lässt die Doppelbödigkeit des Geschehens wirken. Man sieht in die
Gesichter und gleichzeitig die Totale der Szenerie.
Florestans Arie: „Oh grauenvolle Stille“, die im Wunsch
gipfelt, Leonore wiederzusehen und beide „zur Freiheit in das himmlische Reich“
zu führen, gehörte zum ergreifendsten dieser Szene. Auch der herabgelassene
Flügel mit zerborstenem Deckel, worauf Florestan Leonore (sie singt: „In den
Lebens Frühlingstagen ist das Glück mir nun geflohen“) begleitet, gehörte mit abstrakten
Videoeinblendungen zu den Highlights des Ideen-Think-Tanks-Darmstadt.
2. Akt: Heiko Börner (Florestan), Gäste aus dem Publikum (Foto: Nils Heck) |
„Bewegt es dich?“ - Freiheit heute!
Dramaturgisch ebenso wirkungsvoll die Brot und Wein
Szene, die ans letzte Abendmahl Christi erinnerte und die Ballonköpfe der
Protagonisten aus Pappmaché, die, der Tischgesellschaft übergestülpt, symbolisch
den Handlungsrahmen auf das Publikum erweiterte. Spiegelbildlich sollte hier der
Freiheitsbegriff als problematische Metapher vorgeführt werden. Was ist
Freiheit, wer definiert Freiheit was bedeutet Freiheit heute?
Damit nicht genug. Die Trompetenfanfare der Ankunft des
Gouverneurs erklingt. Alles erstarrt. Leonore und Florestan sind gerettet, umarmen
sich und singen jubelnd das Duett: „Oh namenlose Freude, Du wieder in meinen
Armen!“ Der Tisch wird geleert, beide setzen sich an den Orchestergraben und
lauschen der Leonoren-Ouvertüre, dritte Version, (seit Gustav Mahler zur
Gewohnheit geworden), während ein Schriftzug: „Bewegt es Euch?“ (später von den
Publikumsgästen mit LED-Birnen beleuchtet) von der Decke herabgelassen wird. Ein
fünfzehn-minütiger sinfonischer Leckerbissen des Staatsorchesters Darmstadt voller
Verve und vulkanischer Sprengkraft.
Das finale Finale gehörte zur absoluten Neuheit dieser
Operninszenierung. Annette Schlünz (*1964)
trug zur Schlussbotschaft der Gefangenen und Protagonisten eine sehr moderne,
nahezu kakophone Komposition bei. Das heißt im Wechsel zwischen Hymne und
Jubelgesang erklangen herb dissonante Zwischenmusiken von Trompete, Schlagzeug,
Klarinette, Oboe und Akkordeon aus dem Zuschauerraum. Ebenso im Publikum verteilt
sangen der Opernchor und Extrachor (Sören
Eckhoff): „Preist mit hoher Freud!“, ganz im Stile der Schillerschen Ode an die Freude aus Beethovens Neunter, die allerdings erst 10 Jahre
später das Lichte der Musikwelt erblickte. Kein ausuferndes Jubilate und gerechte Strafe des Bösen
sondern ein besinnliches Ende zum Nachdenken.
2. Akt: Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 mit Staatsorchester Darmstadt und Gästen aus dem Publikum |
Freiheit zwischen Konsumismus und smarter Diktatur
Große Irritation, aber auch Respekt davor, einen kritischen
Blick auf den heutigen Freiheitsbegriff zu wagen. Beethovens erregendes Drama,
das mit schierer Löwenkraft die Freiheit im Verbund mit der Menschlichkeit einfordert,
muss immer und immer wieder neu gefasst werden, ganz im Sinne Goethes: "Nur der
verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erkämpfen muss.“
Eine Inszenierung mit
vielen guten Ideen, einer Menge überfrachtender Symbolik, mit großartigen
Chören und bestens eingestimmtem Orchester. Der GMD Daniel Cohen hat hier bemerkenswerte Arbeit geleistet. Von den
Sängern muss man vor allem Heiko Börner
als Florestan mit seinem kraftvollen lyrischen Tenor herausheben, aber auch Jana Baumeister als Marzelline. Ihr
strahlender Sopran, selbst in den höchsten Höhen mit Leichtigkeit gesungen, zählte
zum Besten dieser Premiere. Wieland
Satters Bassbariton passte ebenso hervorragend zur seiner Rolle als Bösewicht
Pizarro wie Dong-Won Seo, der den
moralisch angehauchten Kerkermeister Rocco verkörperte. Seo sang stark im
Baritonbereich konnte aber als Bassstimme weniger überzeugen. Das traf auch auf
Katrin Gerstenberger zu. Ihr
dramatischer Sopran litt vor allem in den Höhen und ließ auch ihre bekannte
Vielseitigkeit in den mittleren Lagen vermissen. Dennoch konnte sie als gestalterisches
Bindeglied und Freiheitsheroine absolut punkten.
Viele Buhrufe und mäßiger Applaus für die Premiere und
dennoch ist diese Inszenierung gerade wegen ihres außergewöhnlichen
Ideenreichtums und ihrer kritischen Ausrichtung auf den herrschenden
Konsumismus und der damit drohenden „smarten Diktatur“ (Harald Welzer) einen
Besuch wert. Man muss diese Opernproduktion unbedingt erleben und sollte sie
mehrmals besuchen.
Nächste Vorstellungen: 10. und 22. Nov., 14., 21., und 27. Dez.
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