Manon Lescaut
(1893), Dramma Lirico in vier Akten von Giacomo Puccini (1858-1924), Premiere an der Oper Frankfurt,
06.10.2019
4. Akt: Joshua Guerrero (Chevalier Renato des Grieux), Asmik Grigorian (Manon) alle Fotos: Barbara Aumüller |
Liebe, Liebe, nichts als Liebe
Absolut großes Kino bot die Oper Frankfurt mit der Neuinszenierung von Giacomo Puccinis (1858-1924) Oper Manon Lescaut (1893), die zuletzt vor 20 Jahren in Frankfurt aufgeführt wurde. Mit der Sopranistin Asmik Grigorian als Manon und dem Tenor Joshua Guerrero (Rollendebütant und Deutschlanddebüt) als Chevalier Renato des Grieux, standen zwei Shootingstars auf der Bühne, die nur mit den Kategorien der Superlative zu beschreiben sind. Ein Paar, das in seiner Unterschiedlichkeit prächtig harmonierte und moderne Beziehungen sehr realistisch auf die Bühne projizierte.
Das Regieteam unter Alex
Ollé, Gründer des Theaterkollektivs La
Fura del Baus, mit Valentina
Carrasco, Regiemitarbeit, Alfons
Flores, Bühnenbild, Lluc Castells,
Kostüme, Emmanuel Carlier, Video sowie
dem bewährten Beleuchtungsmeister des Hauses, Joachim Klein, hat „Die Geschichte des Chevalier Des Grieux und
der Manon Lescaut“ (1731) – so der Titel der Romanvorlage von Abbé Prévost
(1697-1763) – zu einem „illegalen Einwanderungssdrama“ umfunktioniert, um so
den Bezug auf unsere Gegenwart zu legen, was, auf den Stoff bezogen, nicht
unbedingt gelingen konnte, durchaus aber diskussionswürdig erscheint.
Denn eigentlich geht es hier um Liebe, Liebe, nichts als
Liebe. So stand das Wort LOVE auch
in großen Lettern immer im Mittelpunkt eines jeden der vier Akte. Eine
wunderschöne Frau, für das Kloster vorgesehen (hier ist sie Flüchtling und soll
auf Wunsch ihres Vaters wieder zurück nach Hause kommen), entscheidet sich für
das weltliche Leben, das nach ihrem Gusto zwischen Liebe und Reichtum
changiert, wobei ihr ihre Schönheit und Raffgier zum Verhängnis wird.
1. Akt: Joshua Guerrero (Des Grieux), Asmik Grigorian (Manon), Ensemble und Statisterie der Oper Frankfurt |
Spielball der Begierde
Sie gerät in die Hände des romantischen Antihelden Des Grieux (er liebt sie abgöttisch und
verliert dabei den Boden unter seinen
Füßen) sowie in die des in dieser Inszenierung reichen Schleppers und Zuhälters Geronte di Ravoir (Donato di Stefano, Bassbariton). Sie schwankt zwischen dem Begehren
der Männer und ihrer Sucht nach materiellem Wohlstand. Mal flieht sie mit ihrem
armen Geliebten, Des Grieux, mal lebt
sie in Saus und Braus bei dem reichen Geronte,
der ihr alles bietet, nur keine echte Liebe.
Manon, die Schöne, möchte Beides, Reichtum und Liebe, wird
aber in diesem unauflösbaren Widerspruch aufgerieben. Ist sie weitgehend ein
Spielball der Begierde, wozu auch ihr
Bruder Lescaut (Jurii Samilov,
Bariton), der sie aus eigennützigen Gründen mal hierin und mal dahin verschachert,
so ist ihre einzige wirklich autonome, selbstbewusste Tat der Diebstahl am Eigentum Gerontes, der
nichts Eiligeres zu tun hat, als sie bei der Polizei anzuzeigen. Sie landet im Knast, wird
ausgewiesen (heute: zurückgeführt) und findet in einer Wüste, gedacht als Metapher der
geistigen und realen Leere, den Tod.
2. Akt: Mitte angeleuchtet: Asmik Grigorian (Manon) und Donato di Stefano (Geronte de Ravoir), Chor und Statisterie der Oper Frankfurt |
Manon und Des Grieux: ein Konflikt, der reales Leben widerspiegelt
Für Puccini, der die Rolle der Manon durchaus auch als eigenen Konflikt
zwischen sich und seiner Frau sah, einer Mischung zwischen Zuneigung,
Überdruss, Sehnsucht, Fluchtwünschen und Verlangen – was durchaus Prévosts psychologischer
Rationalisierung eines solchen Verhältnisses entsprach – konnte es nur
Verzweiflung und Verhängnis geben, weil dies für ihn das reale Leben widerspiegelte.
Manons bzw. Grigorians Arie „Sola
perduta, abandonata“ (einsam, verloren, verlassen) gehörte in
diesem Sinne zum Eindrucksvollsten der Oper.
Puccini traf mit dieser dramatischen Wendung einen Zeitgeist,
der letztendlich seinen Ruhm begründete, denn diese Oper war gleichzeitig auch
sein nationaler wie internationaler Durchbruch. Mit dieser Oper trennte er sich
auch von seinen Vorbildern Guiseppe Verdi und Richard Wagner und ging
konsequent seinen eigenen musikalischen und dramatischen Weg.
Sicher gibt es noch ein Menge Anleihen an Wagners Tristan und Isolde (2. Akt, Duett zwischen Manon und Des Grieux,
„Süßes Leiden, ich sterbe“) sowie an dessen Meistersinger
(1. Akt, das Gespräch zwischen Edmondo – gesungen von dem Tenor Michael Porter – und Des Grieux, Ende des 2. Aktes, der an die Nürnberger Festwiese
erinnert). Auch das Intermezzo, das
den zweiten zum dritten Akt überbrückt, ist durchaus im Duktus des Vorspiels
zum dritten Akt der Meistersinger geschrieben. Auch plagiiert er eigene Kompositionen. So
verwendet er im ersten und zweiten Akt seine
Drei Menuette für Streichorchester op.42. Auch ist das Geronte zugeschriebene
Madrigal im zweiten Akt das Agnus Dei aus seiner Jugendmesse Messa di
Gloria (1880). Nicht zuletzt stammt das Thema des Schlussduetts in der
Wüste aus seinem Streichquartett Crisantemi
(1890), eine Trauermusik, die er zum frühzeitigen Tode seines Freundes Herzog Amadeo
von Savoyen (1840-1890) geschrieben hat.
2. Akt: Jurii Samoilov (Lescaut), Asmik Grigorian (Manon) |
Durchbruch zum eigenen Weg
Dennoch finden wir in dieser Oper bereits einen typischen Puccini
vor, wie er sich später in La Bohème
(1896), Tosca (1900) bis hin zu Turandot (1926) zur vollkommenen Eigenständig
entwickelt. Nicht von ungefähr hat er sieben Librettisten verschlissen (übrig
geblieben sind vier) bevor Manon Lescaut fertiggestellt war. Auch bewegt er sich
in dieser Oper weg von den Nummern. Vieles ist rezitativisch und die Arien wandeln
sich zu durchkomponierten Erzählungen, zu unendlichen Melodien. Ebenso ist die
Struktur der Oper einmalig und beeinflusste bereits den Impressionismus.
In vier unzusammenhängende Akten bietet er das gesamte Spektrum seiner
dramatischen und musikalischen Welt. Das Operettenhafte und Leichte im ersten
Akt, das Pasticcio, ein Rekurs auf das Vergangene mit Madrigal, Menuett und Fuge,
im zweiten Akt, das Theatralische im
dritten und das Lyrische im vierten Akt. Leitmotive halten das Inkommensurable
zusammen.
3. Akt: v.l.: Joshua Guerrero (Des Grieux), Asmik Grigorian (Manon), rechts außen: Jurii Samoilov, Statisten und Chor der Oper Frankfurt |
Jeder Akt ein Erlebnis
Jeder Akt ist also ein Erlebnis für sich. Und was die Regie
(La Fura dels Baus), die musikalische
Leitung unter Lorenzo Viotti, das Gesangsteam, der Chor unter Tilman Michael und die Statisterie der
Oper Frankfurt dazu anbot, war vom Feinsten: Ein Video mit Flüchtlingen
(darunter Manon und ihr Bruder Lescaut), die durch einen aufgeschlitzten Zaun
steigen. Ein Briefwechsel zwischen Manon und ihrem Vater. Ein postmodernes Bühnenbild mit hip gekleideten Akteuren und allem
technisch gewohnten Schnickschnack. Eine
Busstation mit Restaurantbetrieb, ein Kleinbus der die „Flüchtlinge“ bringt, erste Tuchfühlung zwischen Des Grieux, Manon,
Geronte, Lescaut und Edmondo und Flucht der beiden. Alles in tänzerischen Rhythmen,
unglaublich vorwärts treibender feuriger Musik, witzig kommentierenden Choreinlagen und spannungsreichen
Filmschnitten.
Im zweiten Akt wandelt sich die Szenerie in einen modernen
Nachtclub mit leicht bekleideten Pole-Tänzerinnen. Manon alias Asmik Grigorian
machte auch hier eine gute Figur und zeigte neben ihren gesanglichen auch ihre tänzerischen Qualitäten. Der dritte Akt
besteht aus Gitterkäfigen á la Guantanamo, in denen die verurteilten Frauen
sitzen und auf ihre Ausweisung warten. Ein düsteres Bild mit bewaffneten Wärtern, Schäferhund, verzweifelten Frauen und einem hämischen, grellen Chor, der nur gnadenlose Verachtung gegenüber den Gefangenen übrig hat.
Der letzte Akt, eingeleitet durch ein Video, das nur Meereswellen
zeigt, besteht aus einer leeren Bühne mit spiegelverkehrtem LOVE-Lettern, die
sich während des zwanzig-minütigen Liebesduetts um 180 Grad drehen. Eine
abstrakte, existenzielle Situation (sie liegt im Sterben, er kämpft um ihr
Leben, sucht nach Wasser, das er nicht finden kann) wird zu einer einzigen Liebeserklärung.
4. Akt: Asmik Grigorian (liegend, Manon), Joshua Guerrero (Des Grieux) |
Illegale Einwanderung oder Plädoyer für die Liebe?
Allein, verloren,
verlassen, ein Monolog der Verzweiflung mit Flötenuntermalung und
Quinten-Ostinato lässt Manon zur Erkenntnis gelangen, dass ihre „verhängnisvolle
Schönheit nur Unglück gebracht“ hat. „Ich will nicht sterben“, schluchzt sie, aber
leben kann sie auch nicht. Des Grieux ist machtlos, so wie er überhaupt an den
Realitäten des Lebens gescheitert ist.
Der letzte Hauch Manons: „Ich liebe dich so sehr und ich
sterbe“, begleitet von kaum hörbaren Trommelwirbel und Tamtam mit leise tremolierenden
Geigen, wird von Des Grieux mit: „Ich will ihr folgen!“ erwidert. Die LOVE-Lettern
leuchten auf. Beide – in der eigentlichen Opernfassung lediglich Manon – sterben in gleißendes Licht gehüllt.
Der Tod scheint die einzige Möglichkeit ihres Zusammenlebens
zu sein. Ihre Liebe kann nur im Tod real werden. Ein einziges ergreifendes Liebesduett dieser
vierte Akt, ein einziges sängerisches Plädoyer für die Liebe, aber durchaus kein Problem der
illegalen Einwanderung.
Gewaltig rauschender Beifall für alle (stehende Ovationen und Fußgetrappel für die beiden Superstars) und eine solistische Besetzung,
die einfach nicht zu überbieten ist.
Nächste Vorstellungen: 10., 13., 18., 25. und 27. Oktober
sowie 02., 09., 15. und 23. November
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