Samstag, 30. November 2019


Ensemble Modern spielt Frank Zappa, Alte Oper Frankfurt, 29.11.2019

Jonathan Stockhammer mit dem Ensemble Modern
(Fotos: Alte Oper Frankfurt/Wonge Bergmann)

Der „Yellow Shark“ geht um

Viel Nostalgie schwebte über dem prall gefüllten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Vor gut 27 Jahren (nämlich am 17.09.1992) fand hier in Anwesenheit des Multikünstlers Frank Zappa (krankheitsbedingt im Wechsel mit Peter Rundel), die spektakuläre Uraufführung des Gesamtwerks Yellow Shark statt. Mit witzigen Einlagen zu Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter, bitterbösen Bemerkungen (damaliges Motto: „Auf der Suche – Fallende Grenzen – Grenzfälle“) über amerikanische Umweltsünden und Einwanderungsschikanen, Ironisches zur Mainzer Fastnacht (von Hermann Kretzschmar höchst persönlich moderiert) sowie einer kämpferischen Performance zweier Mitglieder des kanadischen Balletts LaLaLa Human-Steps.


Damals ein Highlight in der alternativen Musikszene, in allen Belangen schräg und skurril, wählte das Ensemble Modern dieses Mal aus dem 19-teiligen Suitenwerk sechs beeindruckende Stücke aus: das zweite: Dog/Meat, das vierte: Outrage Valdez, das siebente: The Girl in the Magnesium Dress, das neunte: Ruth is Sleeping, das achtzehnte: Get Whitey und das letzte: G-Spot Tornado.
Ein kurzweiliger Mix, der das ungeheure Spektrum und die grenzenlose Vielfalt Zappas unter Beweis stellte.

Bekanntlich hatte Zappa nie Probleme, bei guten Komponisten abzuschauen, Musikzitate zu  erstellen, Collagen zu basteln und Stilanleihen aus diversen Genres zu übernehmen, Werke zu dekonstruieren und mit eigenen Ideen, Parodien und schrägen Tonsetzungen zu verzieren. Kurzum: Zappas großes Maß an Respektlosigkeit im Umgang mit vorhandenem Material gilt bis heute als legendär und ist sein ureigenstes Markenzeichen.  

Das trifft selbstverständlich auch auf Yellow Shark zu. So ist Dog/Meat rhythmisch stark geprägt von Igor Strawinskys Sacre du Printemps; Outrage Valdez, übrigens eine Persiflage auf das Exxon Valdez Unglück 1989, von Anleihen an die Sinfonien Roy Harris´ (1898-1979) oder auch Aaron Coplands (1900-1990). Arnold Schönbergs Zwölftontechnik vermeint man in The Girl n the Magnesium Dress, ein Quintett für Banjo, Harfe, Marimbaphon, E-Gitarre und Klavier, herauszuhören. Pierre Boulez Structures für zwei Klaviere dienten mit Sicherheit als Vorbild für Ruth is Sleeping (meisterhaft interpretiert von Hermann Kretzschmar und Ueli Wiget). Sehr amerikanisch mit Minimal-Techno das Get Whitey, ebenso auch G-Spot Tornado: Hier könnten Edgar Varèse (1883-1965) und Charles Ives (1874-1954) Pate gestanden haben. Ein durchgehendes Riff-Ostinato quer durch alle Instrumente, ungeheuer vital mit einer finalen Steigerung, ähnlich der aus Maurice Ravels Boléro Tanzsuite für Orchester mit einem Schluss-Tamtam, riss das Publikum aus den Sesseln und löste Beifallsstürme aus.

Ensemble Modern, links vorne: Yellow Shark Skulptur 

Die Abenteuer des Greggery Peccary in Orchestersprache


Geht der Titel von Yellow Shark auf ein Geschenk zurück, das Zappa von seinem Freund und Surfer, Mark Beam, erhielt, der aus einem gebrauchten Surfbrett einen Hai schnitzte (die gelbe Skulptur stand übrigens während des gesamten Konzerts am Rande der Bühne), so ist der Titel Greggery Peccary & Other Persuations nicht so eindeutig.  Eigentlich werden hier die Abenteuer des Greggery Peccary (The Adventures of Greggery Peccary hieß der ursprüngliche Titel) erzählt.

Zappa verspottet in diesem nie fertiggestellten Werk die Rockopern, die in den 1970er Jahren wie Pilze aus der Erde schossen und seinen Unmut erregten. Drei Jahre nach seinem Tod machte sich Ali N. Askin, ein ehemaliger Mitarbeiter Zappas, Zappa-Fan und Komponist, daran, mithilfe von Zappas Witwe Gail, die Partituren, Bänder und Reste dieser Anti-Rockoper aus der unendlichen Materialsammlung herauszufischen, und, da keine fertige Partitur existiert, daraus eine 15-teilige Suitenfolge mit Erzählungen und Gesängen aus der Oper zusammenzustellen. Ein Arrangement, das er Greggery Peccary & Other Persuations (2000) nannte und  exklusiv  für das Ensemble Modern (mit Gesang und Sprecher) zusammengestellte.

Das Ensemble Modern bot auch hieraus lediglich eine Auswahl aus sieben Stücken, ohne Gesang und Sprecher. Mit What is Rumi Do (1), Night School (2), Revisted Music for Low Budget Orchestra (3), The Beltway Bandits (5), A Pig with Wings (neu), Put a Motor in Yourself (8) und Moggio (7).

Askin verstand es ausgezeichnet, Zappas Musik in eine orchestrale Sprache zu übersetzen. Er selbst hat in einem Interview mit Thomas Fichter einmal festgestellt, dass er mit seinen Greggery-Arrangements beweisen möchte, „wie es Zappa verstanden habe, Genregrenzen zu überschreiten“ und trotzdem Unterhaltsames und Humorvolles daraus zu machen, ganz nach seiner Devise: „Alles ist Unterhaltung.“

Keine Frage. Diese Auswahl hätte auch der hr-Bigband gut gestanden. Ein Feuerwerk zwischen Ragtime, Bebop, Swing, Cool- Rock- und Free-Jazz – zwischen Gershwin (High School), Scott Joplin (What is Rumi Do), Ornette Coleman (The Beltway Bandits), Igor Strawinsky (A Pig with Wings) mit dessen unendlich komplexen Rhythmen, und wiederum ganz amerikanisch im Sinne eines Charles Ives oder auch eines Kurt Weill in Hollywood-Zeiten das Schlussstück Moggio. Ein ostinates Sechston Motiv mit eingebauten Countrysongs, virtuosen Tuba und Gitarren Solos, und beeindruckendem Finale des gesamten Orchesters.

Schlussovationen des Frankfurter Publikums

Frank Zappa ist Mothers (of Invention)


Das Publikum wollte mehr von dieser fantastischen Klangperformance eines hochmotivierten und begeisterungsfähigen Ensemble Modern, einem ausgewogenen Klangdesign von Norbert Ommer, und einem musikalischen Leiter, Jonathan Stockhammer, der tänzerisch-elegant, mit großer Empathie und listigem Humor durch das Programm führte.

Nach drei Zugaben aus der Programmauswahl (A Pig with Wings, G-Spot Tornado und Put a Motor in Yourself) wollte immer noch niemand den Saal verlassen. Das Ensemble Modern, zwischenzeitlich von der Bühne gegangen, musste wieder erscheinen. Erst als Stockhammer seinen verschwitzten Sakko auszog, ihn herumwirbelte (er hätte ihn fast ins Publikum geworfen) wurde die Botschaft verstanden.

Ein großes Fest für Publikum und  Akteure sowie eine wirklich beeindruckende Hommage an einen Musiker, Komponisten und Kritiker des American Way of Life, der als Bandleader und Gitarrist der Mothers (of Invention) die Jugendbewegung der 1960 und 70er Jahre mit seinen Texten, seiner nonkonformen politischen Haltung und seiner anspruchsvollen Jazzrock-Musik nachhaltig beeinflusste und noch heute in allen künstlerischen Belangen höchst aktuell ist.
Eine Gesamtschau des Multikünstlers wäre durchaus angebracht. Immerhin würde er 2020 seinen 80. Geburtstag feiern.

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