Ensemble
Modern spielt Frank Zappa, Alte Oper Frankfurt, 29.11.2019
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Jonathan Stockhammer mit dem Ensemble Modern (Fotos: Alte Oper Frankfurt/Wonge Bergmann) |
Der „Yellow Shark“ geht um
Viel Nostalgie schwebte über dem prall gefüllten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Vor gut 27 Jahren (nämlich am 17.09.1992) fand hier in Anwesenheit des Multikünstlers Frank Zappa (krankheitsbedingt im Wechsel mit Peter Rundel), die spektakuläre Uraufführung des Gesamtwerks Yellow Shark statt. Mit witzigen Einlagen zu Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter, bitterbösen Bemerkungen (damaliges Motto: „Auf der Suche – Fallende Grenzen – Grenzfälle“) über amerikanische Umweltsünden und Einwanderungsschikanen, Ironisches zur Mainzer Fastnacht (von Hermann Kretzschmar höchst persönlich moderiert) sowie einer kämpferischen Performance zweier Mitglieder des kanadischen Balletts LaLaLa Human-Steps.
Damals ein Highlight in der alternativen Musikszene, in allen Belangen schräg
und skurril, wählte das Ensemble Modern dieses Mal aus dem 19-teiligen Suitenwerk
sechs beeindruckende Stücke aus: das zweite: Dog/Meat, das vierte: Outrage
Valdez, das siebente: The Girl in
the Magnesium Dress, das neunte:
Ruth is Sleeping, das achtzehnte: Get Whitey und das letzte: G-Spot Tornado.
Ein kurzweiliger Mix, der das ungeheure Spektrum und die grenzenlose
Vielfalt Zappas unter Beweis stellte.
Bekanntlich hatte Zappa nie Probleme, bei guten Komponisten abzuschauen,
Musikzitate zu erstellen, Collagen zu
basteln und Stilanleihen aus diversen Genres zu übernehmen, Werke zu
dekonstruieren und mit eigenen Ideen, Parodien und schrägen Tonsetzungen zu
verzieren. Kurzum: Zappas großes Maß an Respektlosigkeit im Umgang mit
vorhandenem Material gilt bis heute als legendär und ist sein ureigenstes Markenzeichen.
Das trifft selbstverständlich auch auf Yellow Shark zu. So ist Dog/Meat
rhythmisch stark geprägt von Igor Strawinskys Sacre du Printemps; Outrage
Valdez, übrigens eine Persiflage auf das Exxon Valdez Unglück 1989, von Anleihen
an die Sinfonien Roy Harris´ (1898-1979) oder auch Aaron Coplands (1900-1990). Arnold
Schönbergs Zwölftontechnik vermeint man in The
Girl n the Magnesium Dress, ein Quintett für Banjo, Harfe, Marimbaphon,
E-Gitarre und Klavier, herauszuhören. Pierre Boulez Structures für zwei Klaviere dienten mit Sicherheit als Vorbild für
Ruth is Sleeping (meisterhaft interpretiert
von Hermann Kretzschmar und Ueli Wiget). Sehr amerikanisch mit Minimal-Techno
das Get Whitey, ebenso auch G-Spot Tornado: Hier könnten Edgar
Varèse (1883-1965) und Charles Ives (1874-1954) Pate gestanden haben. Ein
durchgehendes Riff-Ostinato quer durch alle Instrumente, ungeheuer vital mit
einer finalen Steigerung, ähnlich der aus Maurice Ravels Boléro Tanzsuite für Orchester mit einem Schluss-Tamtam, riss das
Publikum aus den Sesseln und löste Beifallsstürme aus.
Die Abenteuer des Greggery Peccary in Orchestersprache
Geht der Titel von Yellow Shark
auf ein Geschenk zurück, das Zappa von seinem Freund und Surfer, Mark Beam,
erhielt, der aus einem gebrauchten Surfbrett einen Hai schnitzte (die gelbe Skulptur
stand übrigens während des gesamten Konzerts am Rande der Bühne), so ist der
Titel Greggery Peccary & Other
Persuations nicht so eindeutig. Eigentlich
werden hier die Abenteuer des Greggery Peccary (The Adventures of Greggery Peccary hieß der ursprüngliche Titel)
erzählt.
Zappa verspottet in diesem nie fertiggestellten Werk die Rockopern, die
in den 1970er Jahren wie Pilze aus der Erde schossen und seinen Unmut erregten.
Drei Jahre nach seinem Tod machte sich Ali
N. Askin, ein ehemaliger Mitarbeiter Zappas, Zappa-Fan und Komponist,
daran, mithilfe von Zappas Witwe Gail, die Partituren, Bänder und Reste dieser
Anti-Rockoper aus der unendlichen Materialsammlung herauszufischen, und, da keine
fertige Partitur existiert, daraus eine 15-teilige Suitenfolge mit Erzählungen
und Gesängen aus der Oper zusammenzustellen. Ein Arrangement, das er Greggery Peccary & Other Persuations (2000) nannte und exklusiv für das Ensemble Modern (mit Gesang und
Sprecher) zusammengestellte.
Das Ensemble Modern bot auch hieraus lediglich eine Auswahl aus sieben
Stücken, ohne Gesang und Sprecher. Mit What is Rumi Do (1), Night School (2), Revisted Music for Low Budget Orchestra (3), The Beltway Bandits (5), A
Pig with Wings (neu), Put a Motor in
Yourself (8) und Moggio (7).
Askin verstand es ausgezeichnet, Zappas Musik in eine orchestrale
Sprache zu übersetzen. Er selbst hat in einem Interview mit Thomas Fichter
einmal festgestellt, dass er mit seinen Greggery-Arrangements beweisen möchte, „wie
es Zappa verstanden habe, Genregrenzen zu überschreiten“ und trotzdem Unterhaltsames
und Humorvolles daraus zu machen, ganz nach seiner Devise: „Alles ist Unterhaltung.“
Keine Frage. Diese Auswahl hätte auch der hr-Bigband gut gestanden. Ein
Feuerwerk zwischen Ragtime, Bebop, Swing, Cool- Rock- und Free-Jazz – zwischen
Gershwin (High School), Scott Joplin
(What is Rumi Do), Ornette Coleman (The Beltway Bandits), Igor Strawinsky (A Pig with Wings) mit dessen unendlich
komplexen Rhythmen, und wiederum ganz amerikanisch im Sinne eines Charles Ives
oder auch eines Kurt Weill in Hollywood-Zeiten das Schlussstück Moggio. Ein ostinates Sechston Motiv mit
eingebauten Countrysongs, virtuosen Tuba und Gitarren Solos, und
beeindruckendem Finale des gesamten Orchesters.
Frank Zappa ist Mothers (of Invention)
Das Publikum wollte mehr von dieser fantastischen Klangperformance
eines hochmotivierten und begeisterungsfähigen Ensemble Modern, einem ausgewogenen
Klangdesign von Norbert Ommer, und einem
musikalischen Leiter, Jonathan
Stockhammer, der tänzerisch-elegant, mit großer Empathie und listigem Humor
durch das Programm führte.
Nach drei Zugaben aus der Programmauswahl (A Pig with Wings, G-Spot
Tornado und Put a Motor in Yourself)
wollte immer noch niemand den Saal verlassen. Das Ensemble Modern, zwischenzeitlich von der Bühne gegangen, musste wieder
erscheinen. Erst als Stockhammer seinen verschwitzten Sakko auszog, ihn
herumwirbelte (er hätte ihn fast ins Publikum geworfen) wurde die Botschaft
verstanden.
Ein großes Fest für Publikum und
Akteure sowie eine wirklich beeindruckende Hommage an einen Musiker, Komponisten
und Kritiker des American Way of Life,
der als Bandleader und Gitarrist der Mothers
(of Invention) die Jugendbewegung
der 1960 und 70er Jahre mit seinen Texten,
seiner nonkonformen politischen Haltung und seiner anspruchsvollen Jazzrock-Musik
nachhaltig beeinflusste und noch heute in allen künstlerischen Belangen höchst
aktuell ist.
Eine Gesamtschau des Multikünstlers wäre durchaus angebracht. Immerhin
würde er 2020 seinen 80. Geburtstag feiern.
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