Khatia Buniatishvili (Klavier)
und das London Symphony Orchestra (Leitung:
Gianandrea Noseda), Großer Saal der
Alten Oper Frankfurt, 02.12.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
Khatia Buniatishvili (Klavier), Gianandrea Noseda (Dirigent), London Symphony Orchestra (Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon) |
Ein schillerndes und irritierendes Hörerlebnis
Allein das London Symphony Orchestra (zurzeit ist Simon Rattle ihr Chefdirigent) gehört zu den zugkräftigsten Klangkörpern weltweit. Mit Khatia Buniatishvili am Klavier und das gleich mit dem wohl bekanntesten und beliebtesten b-Moll Klavierkonzert op.23 (1875) von Peter Tschaikowsky (1840-1893) und dessen 5. Sinfonie (1888), ebenfalls zu den glanzvollsten Orchesterwerken zählend, wurde dieser Konzertabend zu einem schillernden wie auch irritierenden Hörerlebnis.
Khatia Buniatishvili
(*1987) erschien nicht ganz so exzentrisch wie gewohnt - mit schulterfreiem Schwarzem
und pfauenhaftem Federkleid mit Schleppe - ließ aber bereits in der
Konzerteröffnung in Begleitung der schmetternden Hörner ihre akkordische
Einleitung wie Peitschenhiebe auf das Publikum niederprasseln. Ein Einstieg
ganz nach ihrem Temperament zwischen Vulkanausbruch und Springbrunnengeplätscher.
Wenn man bedenkt, dass der erste Widmungsträger und weltweit
anerkannteste Pianist seiner Zeit, Nikolai Rubinstein (1835-1881), dieses Werk
brüsk ablehnte – es sei „wertlos und
völlig unspielbar“– und Hans von Bülow
(1830-1894), ebenfalls weltweit anerkannter Pianist und Dirigent, dieses
Klavierkonzert als herrliches Kunstwerk bezeichnete, „in jeder Hinsicht
hinreißend“, dann kann man sich sehr gut vorstellen, welche Erregung dieses bis
dahin alle Grenzen sprengende Werk hervorrief. Heute gehört es zu den
meistgespielten auf der Welt und vor allem junge PianistInnen versuchen sich an
diesem virtuosen Glanzstück – nicht immer von Erfolg gekrönt.
Was allerdings Khatia Buniatishvili aus diesem dreisätzigen,
mehrmals umgeschriebenen Meisterstück Tschaikowskys machte, war schlicht eine
ganz eigene, ja eigenwillige Interpretation, bei der ihr das London Symphony Orchestra unter der überragenden
Leitung ihres Ersten Gastdirigenten, Gianandrea
Noseda (*1964), bestmögliche Unterstützung leistete.
Khatia Buniatishvili (Klavier), London Symphony Orchestra (Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon) |
Buniatishvili intimissimi
Nach der Einleitung folgten zwei Seitenthemen mit
unglaublichen Kontrasten. Zarteste Lyrik im ausladenden Largo (!) wechselte mit
hämmernden Repetitionen im Prestissimo, wenn überhaupt diese Bezeichnung für
sie noch zutreffend ist. Denn wie ein Derwisch fegte sie über die Tasten und
die Akkordfolgen wirkten wie Donnerschläge unter denen der Flügel in die Knie
zu gehen schien.
Volksliedhaftes und Melodisches dagegen gerieten unter ihren
Händen zu innigen Liedern und melancholischen Arien. Ihre permanenten Tempowechsel
und dynamischen Extremkontraste wurden vom Orchester souverän aufgefangen und man
hatte nie den Eindruck, Buniatishvili würde einen solistischen Alleingang durch
die Partitur anstreben. Im Gegenteil, denn vor allem im Zweiten Satz, der von
einer Des-Dur Melodie der Flöte, der Celli und Oboen wie aus einer Feenwelt
getragen wird, wurde zu einem wunderbaren Dialog zwischen ihr und den
Orchestersolisten. Das sehr moderne, wie eine jazzige Improvisation anmutende Scherzo im Mittelteil, ein perlend
dahingleitendes französisches Chansonette „Il faut s´amuser, danser et rire („Man
muss sich vergnügen tanzen und lachen), geriet ihr so leichtgängig und
gesanglich, dass erstmals auch die enge Verbindung zwischen erster und zweiter
Melodie, quasi spiegelbildlich herauszuhören war. Eine Interpretation, ganz Buniatishvili
intimissimi.
Das Rondo des dritten
Satzes, eine Ansammlung von ukrainischen Volksliedern, bot alles, was die Pianistin
an Vielfalt aufzuweisen hatte. Es zwitscherte vom Klavier wie aus allen Ecken
des Orchesters. Die Tastatur bebte unter den wieselflinken Händen Buniatishvilis.
Herrliche Melodien mit viel Witz und Humor vorgetragen und ein unglaublich
gewaltiges Finale mit unmenschlich schnellen Akkordläufen beendeten ein b-Moll Konzert, das zwar nicht gegen den
Strich gebürstet, aber dennoch einen eigenwilligen, manchmal befremdenden Anstrich
unter den Händen der Pianistin erhielt. Ein kontrastierendes Farbenspiel mit
ständigen Spannungs- und Stimmungswechseln, wie es wohl nur eine Buniatishvili
möglich und erlaubt ist.
Das Ges-Dur Impromptu
(D 899 op. 90) von Franz Schubert (1797-1828) als einzige Zugabe sollte die aufgewühlten Gemüter beruhigen. Leider verkürzt und ein wenig zu theatralisch
vorgetragen konnte es am überragenden Gesamteindruck dieser außergewöhnlichen Pianistin
nicht rütteln. Man wünscht sich sehnlichst ein Rezital von ihr in Frankfurt.
Khatia Buniatishvili (Klavier), London Symphony Orchestra (Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon) |
Ein Sinfonieorchester einmal ganz persönlich
Ganz anders verhält es sich beim London Symphony Orchestra. Es wird unter der Leitung von Sir Simon
Rattle bereits am 24. Januar 2020 wieder in die Alte Oper kommen, wie es
überhaupt regelmäßiger Gast in Frankfurt ist. Zuletzt am 28. April 2018 unter der
Leitung von Sir Simon Rattle. Und das zu
recht. Denn auch mit Tschaikowskys 5.
Sinfonie e-Moll op. 64 (1888) bot sie unter der kompetenten Hand von Gianandrea Noseda ein „Seelenbekenntnis“
in eigener Sache.
Fühlte sich Tschaikowsky nach seiner 4. Sinfonie, die er parallel zu seiner Oper Eugen Onegin schrieb, „ausgeschrieben“ – heute würde man von Burnout sprechen –, so beendete er die Fünfte zehn Jahre später in wenigen Wochen. Zwar gefiel sie ihm nicht sonderlich, weil sie „zu persönlich geraten“ sei. Aber die Uraufführung in Sankt Petersburg wurde zu einem einzigen Triumphzug. Bis heute.
Fühlte sich Tschaikowsky nach seiner 4. Sinfonie, die er parallel zu seiner Oper Eugen Onegin schrieb, „ausgeschrieben“ – heute würde man von Burnout sprechen –, so beendete er die Fünfte zehn Jahre später in wenigen Wochen. Zwar gefiel sie ihm nicht sonderlich, weil sie „zu persönlich geraten“ sei. Aber die Uraufführung in Sankt Petersburg wurde zu einem einzigen Triumphzug. Bis heute.
Klaus Mann (1906-1949) charakterisierte sie in seinem Buch „Symphonie Pathétique“ (1949) folgendermaßen: „Sie hatte Schwermut und Glanz und dazwischen eine ganz entrückte
Leichtigkeit und am Ende den stolzen und heftigen Überschwang dessen, der sich
höchst tapfer wehrt.“
Zwischen Schicksal und Selbstbestimmtheit
In diesem Sinne präsentierte das Orchester dieses von einem
schicksalhaften Leitmotiv durchzogene, viersätzige und gut 50 Minuten dauernde
Monumentalwerk. Ein satter, runder, stimmiger Klangkörper legte die russische
Seele eines Heimatlosen offen, der sich nicht in sein Schicksal ergeben möchte.
Das Zwischen Allegro des Ersten
Satzes, „ein Murren, Zweifeln, Klagen und Vorwerfen“ mit Walzereinlage á la Eugen Onegin, lässt Tschaikowskys
Widerständigkeit erahnen. Seinen Glauben an das selbstbestimmte Leben erwachen,
das er auch im Zweiten Satz bekräftigt. „Soll ich mich dem Glauben in die Arme
werfen???“, schreibt er und lässt dazu die Bassstreicher mit den Hörnern
einen resoluten Marsch spielen. Keine Trauer, eher ein Donnern gegen das
Schicksal, vor allem im Allegro ma non
troppo, ehe das Schicksalsmotiv wieder die Oberhand bekommt.
Khatia Buniatishvili (Klavier), Gianandrea Noseda (Dirigent), London Symphony Orchestra (Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon) |
Ein Walzer wie aus einem Wiener Heurigenlokal leitet das
Finale ein, das an das Schicksalsmotiv des Ersten Satzes anknüpft. Diese Mal
allerdings in einem majestätischen Vivace mit militärischer, ja
martialischer Gangart. Man ist unweigerlich an Tschaikowskys Ouvertüre solenelle „1812“ op. 49 als
Reaktion auf den Sieg Russlands gegenüber die Napoleonischen Truppen erinnert.
In strahlendem E-Dur, und nicht wie eigentlich vorgesehen in e-Moll, endet
diese Sinfonische Dichtung, triumphierend und mit großer Zuversicht und
Strahlkraft, auch wenn immer wieder das Schicksalsmotiv durchscheint.
Eine fantastische, in allen Belangen überzeugende
Interpretation dieser außergewöhnlichen Sinfonie wurde noch mit einer Zugabe,
der Polonaise aus Tschaikowskys Oper
Eugen Onegin gekrönt.
Keiner wollte den Saal verlassen. Erst als der athletische,
mit Albatros-Armen und großen Händen ausgestattete Gianandrea Noseda ein eindeutiges Zeichen zum Schlafengehen
machte, verstand man seine Geste und verließ den immer noch klangerfüllten Großen
Saal der Alten Oper.
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