Montag, 4. November 2019


Lady Macbeth von Mzensk (1934), Oper in vier Akten und neun Bildern von Dimitri D. Schostakowitsch (1906-1975), Oper Frankfurt, Premiere am 03.11.2019

Anja Kampe (Katerina Ismailowa), Dmitry Golovnin (Sergei)
Fotos: Barbara Aumüller

Ein Stoff für einen Tatort-Krimi

Die Oper Lady Macbeth von Mzensk (1934), vom 26-jährigen Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) im Zuge der Aufbruchsstimmung der russischen Avantgarde komponiert, beginnt mit der Klagearie einer einsamen, gelangweilten Frau, Katerina, und endet nach zwei von ihr begangenen Morden mit ihrer Verzweiflungsarie auf dem Weg nach Sibirien in die Zwangsarbeit: „Tief im Wald, im Dickicht ist ein schwarzer See“ singt sie, um sich dann selbst in diesem zu ertränken und ihre Rivalin Sonjetka gleich mit. Ein Stoff, der große Dramatik verspricht und durchaus einem all sonntäglichen Tatort-Krimi den Rang ablaufen könnte.

Schostakowitsch fand den Stoff für diese gut dreistündige Oper in der Erzählung des Gerichtsreporters Nikolai Leskow (1831-1895), der nach einer wahren Begebenheit im Jahre 1854 eine Novelle veröffentlichte, die die Tragödie einer zum Leben in einer lieblosen und gewalttätigen Umgebung verdammten Frau schildert, die aus purer leidenschaftlicher Liebe zu einem vulgären Mann eine Reihe von Morden begeht, zur Verbannung nach Sibirien verurteilt wird, bei der Deportation entdeckt, dass ihr Geliebter fremdgeht, und nach tiefer Demütigung Suizid begeht. Von der Bevölkerung wurde sie deshalb auch Lady Macbeth von Mzensk genannt.

Keine aufrichtige Liebe in einer falschen Welt


Dmitry Golovnin (Sergei), Anja Kampe (Katerina)

Schostakowitsch und der Librettist Alexander Preis (1905-1942) machten daraus eine Frauenfigur auf der bedingungslosen Suche nach Liebe und Menschlichkeit, eine von Reue und Gewissensbissen geplagte, die trotz ihrer Morde das Mitgefühl der Menschen verdient. Sie benutzten dazu alle musikalischen und dramaturgischen Mittel, um ihre Taten als Notwehr in einer grausamen Gesellschaft verständlich zu machen. Dem marxistischen Motto folgend, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt und die Liebe in einer falschen Welt keine Chance hat.

Anselm Weber (Regie), in Frankfurt bereits geschätzt durch seine exorbitanten Inszenierungen von Weinbergs Die Passagierin und Korngolds Die tote Stadt, interpretierte diese, in ihrer Historie wegen ihrer gnadenlosen Verknüpfungen von Sex und Gewalt und der aufreibenden polystilistischen Musik heftig gescholtenen, während der Stalinzeit gar verbotenen und erst seit 1979 in der Urfassung (Mstislaw Rostopowitsch schmuggelte die Partitur aus der UdSSR) wieder aufgetauchten Oper, in betont „politischer Manier“. Auch heute, so sein Plädoyer, lebten wir in einer repressiven Gesellschaft voller patriarchalischer, korrupter Systeme und inhaltsleerer Ideologien. In einer Welt der totalen medialen Entindividualisierung neigten wir dazu, uns in Scheinwelten zu flüchten, um dieser Düsternis zu entkommen – eindrucksvoll dargestellt über die immer wieder von Katerina aufgesetzte Virtual-Reality-Brille.

Gesellschaft ohne Hoffnung auf Besserung


Katerina also als Spiegelbild einer von „smarter Diktatur“ (Harald Melzer) bedrohten postmodernen Gesellschaft, ohne Hoffnung auf Besserung? Ja, so ist es, könnte man antworten.

Da ist die aufs grausamste seelisch misshandelte Katerina Ismailowa (von der Sopranistin Anja Kampe in allen Situationen zwischen Hass und Liebe, Leidenschaft und Selbstmitleid ausdrucks- und charakterstark gesungen und gespielt); der abgrundtief böse, herrsch- und kontrollsüchtige Schwiegervater, Boris Ismailow (eine bissige Charakterrolle für den bassgewaltigen Dmitry Belosselskiy, der später in der Doppelrolle als Alter Zwangsarbeiter mit väterlicher Zuneigung zu Katerina brilliert - die übrigens einzige wirklich moralische Figur.); der attraktive Schürzenjäger, Schmeichler, Karrierist und Falschspieler Sergei (dem Heldentenor und Debütanten an der Oper Frankfurt, Dmitry Golovnin, wie auf den Leib geschnitten. Man hasste, bewunderte und verachtete ihn.) sowie Evgeni Akimov (Debütant an der Oper Frankfurt) in der Rolle des Sinowi. Als impotenter Ehemann Katerinas, unter der Fuchtel seines Übervaters leidend und kaum zu Atem kommend (Asthmaspray hilft ihm dabei), glänzte er mit starker Tenorstimme vor allem im Ehestreit, der seine sadistische Neigung enthüllte. Die Gürtelschläge gegen seine Frau Katerina besiegelten sein Todesurteil. Sergei und Katerina morden ihn gemeinsam.

Dmitry Belosselskiy (Boris Ismailow/Alter Zwangsarbeiter im 4. Akt), Anja Kampe (Katerina Ismailowa)

Alle übrigen 15 Sänger und Sängerinnen überzeugten in ihren Rollen: Darunter Alfred Reiter (Bass) als Pope, der während des Trauungsakts von Katerina und Sergei lüstern die Kleidung Katerinas anlegt, ein vielsagender dunkler Slapstick. Julia Dawson (Sopran), als Hausangestellte Axinja, die von Sergei und den Leibeigenen sexuell missbraucht, mit frech-frischer Stimme die Büchse der Pandora öffnet. Der frustrierte notgeile Polizeichef, Iain MacNeil (Bariton). Der immer besoffene und Katerina begehrende Schäbige, Peter Marsh (Tenor), dessen witzige Hicks-Arie leider an der musikalischen Orchesterbegleitung vorbeischrammte. Und last but not least Zanda Švéde (Sopran) als Sonjetka, die aus der Not heraus nur dann mit Sergei kopuliert, wenn er ihr Strümpfe besorgt. Ihre Hohnarie auf Katerina (Sergei hatte Katerina ihre Strümpfe abgeluchst und Sonjetka geschenkt), strotzte nur so vor Ironie und Schadenfreude.

Wieder einmal brillierte der Chor und Extrachor der Oper Frankfurt (Tilman Michael), der den folkloristischen wie auch den schwierigen polyphonen Partien vollauf gerecht wurde. Herausragend der abschließende Gefangenenchor aus dem Publikum, der die Verzweiflung der Massen im Stil der Volkschöre Modest Mussorgskis zum Ausdruck brachte: „Unsere Gedanken sind freudlos und die Wachen sind herzlos.“

v.l.: Julia Dawson (Axinja), Anja Kampe (Katerina), Theo Lebow (Vorarbeiter, mit Spaten), Dmitry Belosselskiy
(Boris Ismailow), Evgeny Akimov (Sinowi Ismailow), Chor und Extrachor der Oper Frankfurt

Trostlose Leere, Käfig, Kontamination und groteske Gewalt


Drei Morde (dem Schwiegervater Boris mischt Katerina Rattengift unter die Pilze, ihr Ehemann stirbt den Messertod, ihre Rivalin Sonjetka reißt sie mit in die Tiefe des Sees) und ein Suizid sind das traurige Fazit dieser Oper. Sex und Gewalt beherrschen die Szene. Die Männer sind Triebtäter, die Frauen auf die Fortpflanzung reduziert. Der Chor singt von „brünstigen Stuten“ und „turtelnden Tauben“. Alles scheint Sex besessen. Allein das wäre allerdings zu billig und würde dem Charakter der Oper kaum gerecht.

Anselm Weber und sein Team um Sebastian Glarner (Bühne und Kostüme), Olaf Winter (Licht), Bibi Abel (Video) und Sebastian Weigle (musikalische Leitung) kreieren eine Welt der trostlosen Leere mit grauer Bühnenwand, einem zylindrischen Käfig, vielleicht auch ein Grablaterne, im Bühnenzentrum als Ort der Träume, Selbstliebe, Liebesakte und Selbsttäuschung. Intimität auf dem Präsentierteller der öffentlichen Kontrolle. Die Außenwelt wirkt öd, grau und bedrohlich, wie auch die Kleidung der Massen (Chöre), die sowohl an proletarische Einheitskleidung im Mao-Look, aber auch Schutzkleidung für kontaminierte Orte, und, wie im Falle der Polizisten und Aufseher, an paramilitärische Kampfeinheiten erinnert.

Eine Bühne im äußersten Kontrast zur Musik, die jegliche Gefühle zu konterkarieren scheint. Jeder Charakter hat sein Instrument (Katerina die Altflöte und die Klarinette, Sergei das Violoncello und Boris das Kontrafagott), jedes Gefühl sein Motiv (Angst-, Beischlaf- und Gewaltmotive). Schärfste Parodie und Satire im Grenzbereich von Zirkusnummern wechseln mit Lyrik und empathischer Anteilnahme (darunter die Arie Wanderung nach Sibirien des alten Zwangsarbeiters und die Klagearie Katerinas). Eine Musik, die menschliche Emotionen aufgreift und schonungslos paraphrasiert, aber auch gerade wegen ihrer extrem satirischen Seite der tragischen Handlung oft groteske Gewalt antut.

Das Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle meisterte die ungeheure Polystilistik und Vielfalt dieser Partitur in großartiger Manier, wenngleich das komplizierte Zusammenwirken zwischen SängerInnen, Chor und Instrumentalisten noch nicht in allen Belangen (Tempo, Lautstärke, Einsätze) zufrieden stellen konnte.

Dmitry Belosselskiy (Alter Zwangsarbeiter, mit Stock), Chor, Extrachor und Statisterie der Oper Frankfurt

Negative Dialektik als Unversöhntheit mit den herrschenden Verhältnissen

Ob die Oper heute noch so tief greift und die Gemüter bewegt wie einst, muss bei dieser Inszenierung allerdings bezweifelt werden. Sicher stimmt der Adornosche Satz immer noch: In einer falschen Gesellschaft kann man kein richtiges Leben führen. Auf Katerina bezogen ist er unter heutigen eher libertären Bedingungen allerdings fragwürdig. Katerina kämpft zwar um die wahre, von allen Zwängen befreite Liebe, ein primäres Anliegen der damaligen russischen Avantgarde als Antwort auf die feudale Unterdrückung (nicht von ungefähr hat Schostakowitsch diese Oper seiner Braut Nina Warsar gewidmet). Aber sexuelle Befreiung als Zeugnis der Liebe kann heute nicht mehr wirken, da sie bereits Markenzeichen der Postmoderne ist.

Katerina, die leidenschaftlich, aber hier eher bieder nach aufrichtiger Liebe, Zuneigung und Humanität dürstet und deswegen vor Mord nicht zurückschreckt, eignet sich zudem kaum als Lichtfigur in der Finsternis des Bösen, sondern eher als hoffnungsloser Kriminalfall. Auch ihr Selbstmord als Metapher der Unüberwindbarkeit der falschen, schlechten Gesellschaft erzeugt nicht gerade Zuversicht.

Eine radikale Gesellschaftskritik droht heute unter den Bedingungen neoliberaler Manipulation an der Metapher der VR-Brille (eine treffende Idee dieser Inszenierung) zu scheitern, denn die Medien sind dabei, unbemerkt charmante diktatorische Macht über die Individuen zu erlangen. Ob man dies mit bitterböser Satire gegen das Gefängnis Gesellschaft, so zumindest lässt sich diese Operninszenierung deuten, beantworten kann? Es fällt zumindest schwer. Zurück bleiben Hoffnungslosigkeit und die negative Dialektik der Unversöhntheit mit den herrschenden Verhältnissen. Freudlose Gedanken.

Eine Opernpremiere, die offensichtlich gut ankam, eher für Amüsement und Spannung als ernste Gedankenspiele sorgte und wohl erst nach einiger Zeit ihre künstlerische und politische Wirkung erzielen sollte. 



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