Tanzfestival Rhein
Main vom 31.10 bis zum 17.11.2019, Motto: Moving Beyond
Dance of the Sun,
Geneva Camerata & Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola (Choreograph), Marti
Corbera
(Tanz), Staatstheater Darmstadt, 01.11.2019
Zweiter von links: David Greilsammer (Dirigent), Mitte: Marti Corbera (Tänzer), Geneva Camerata (Fotos: Kronos Pictures) |
Ein kurzweiliges Orchesterballett aus der Zeit des Sonnenkönigs
Die Bühne ist schlicht gestaltet. Ein Kontrabass, eine Trommel und ein Cembalo vor einer riesigen grauen Leinwand. Mehr nicht. Dann trudeln die etwa 30 MusikerInnen der Geneva Camerata herein. Allein oder in kleinen Grüppchen mit ihren Instrumenten, in angeregtes Palavern und Diskutieren vertieft. Plötzlich tritt der Dirigent und musikalische Leiter, David Greilsammer, aus dem Ensemble und ein Tänzer, Marti Corbera, barfuß mit weißem T-Shirt und schwarzer weiter Hose, mischt sich in die unstrukturierte Musikeransammlung. Er stupst, drängt, schiebt und ordnet. Ein Zeichen des Dirigenten, die Musik setzt ein. Es ist die berühmte Le Bourgeoise gentilhomme (Der Bürger als Edelmann) Orchestersuite (1670) von Jean Baptiste Lully (1632-1687).
Bekanntlich ist der Bürger
als Edelmann eine bitterböse Satire auf die Audienz des türkischen
Gesandten beim Sonnenkönig Ludwig XIV. (hier liegt wohl auch die Themengebung
der Veranstaltung: Dance of the Sun),
auf der er seinen Gastgeber dadurch kränkte, indem er den überlegenen Glanz des
türkischen Hofes gegenüber dem französischen beteuerte, worauf ihm der König jeden
weiteren Besuch in Versailles untersagte. Jean Baptiste Moliére (1622-1673) und
Lully machten aus dieser Episode eine Charakterkomödie, die im Oktober 1670
eine prunkvolle Uraufführung auf Schloss Chambord erlebte, indem
es als Persiflage auf das Türkenereignis die Anmaßungen und Heucheleien des Bürgertums wie die
Adels beißend auf die Schippe nahm.
Das Werk ist in die Geschichte eingegangen. Konzipiert als Comédie-Ballet (Ballett mit gesprochenen
Dialogen) sind Zwischenspiele und Tänze als witzige musikalische Beilagen gedacht,
die der Komödie die nötige Würze geben. Lully soll übrigens die Rolle des türkischen
Gesandten übernommen haben.
Ein Tänzer als Animateur der Geneva Camerata
Die Geneva Camerata
spielte die unterschiedlichsten Tänze nicht nur auswendig, sondern verstand es
auch, zwischen Ouvertüre mit Fuge, Menuett, Gavotte, Bourrée, Marsch, Ecossaise
oder auch Ländler und Deutscher Tanz rhythmisch und tänzerisch zu
differenzieren. Mannigfaltige Formationen hatte sich Juan Kruz Diaz de Garaio
Esnaola für die Camerata ausgedacht, mit eingebautem Stierkampf (Bourrée), Reihentanz
(Passepied), Paartänzen (Ländler, Menuett), Gruppentänzen (Gavotte, Rigaudon)
oder abschließendem von Trommel und Tamburin begleitetem Abmarsch (Marche) von
der Bühne.
Der Tänzer, Marti
Corbera, mischte sich permanent unter die Spieler (mal solistisch, mal als
Stör- oder Antriebsfaktor), der Dirigent und musikalische Leiter, David Greilsammer (in scheinbarer Konkurrenz
mit dem Tänzer, zwischendurch tanzte er ein Pas
de Deux mit Corbera, ohne allerdings selbst zu tanzen), wirkte zwar als
Teil des Ensembles, aber ohne wirkliche Funktion: Eine Orchestersuite voller
Bewegung und lebendigen, den spielerischen Möglichkeiten MusikerInnen
angepassten choreographischen Elementen. Kurzweilig mit interessanten
Kombinationen ohne allerdings wirklich „neue wilde Ideen“, wie es Greilsammer
formulierte, auf die Bühne zu bringen. Lullys Le Bourgeoise de Gentilhommes ist für sich genommen schon eine
musikalische Satire. Warum nicht daran anknüpfen?
Mozarts Sinfonie voll tragischem Pessimismus
Kompliziert wurde es bei Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-Moll (KV 550). Im Jahre 1788 komponiert zählt sie
doch zu seinen schönsten und erhabendsten Werken. Allerdings auch zu den am
unterschiedlichsten interpretierten. Mal spricht man von Grazie, mal vergleicht
man sie mit Rossinis Ouvertüre zu seiner Oper Der Barbier von Sevilla, andere wiederum sprechen von tragischem
Pessimismus.
Der Choreograph Juan
Kruz Diaz de Garaio Esnaola scheint sich für letzter Version entschieden zu
haben. Zunächst steht das gesamte Orchester in den Gängen des Großen Saals des
Staatstheaters und betritt die Bühne nach der Exposition des Molto Allegro,
der berühmten Folge des zweitaktigen Frage und Antwortspiels. Während der durchführenden
Materialverarbeitung stehen alle auf den Stühlen. Auch der Tänzer, der seine
Arme in den Äther reckt. Künstlicher Nebel umwabert die MusikerInnen.
Tanzende InstrumentalistInnen an der Grenze des Kitschs
Der zweite Satz, das Andante
im 6/8-Takt gehört dem Solotänzer. Unter einem Lichtspot wischt er sich den
Schweiß von seinem Körper, das Orchester spielt dazu im Dunkeln ein
schwärmerisches, sehr kantables Es-Dur. Ein ruhiger schreitender Rhythmus des
Orchesters begleitet von einem offenbar leidenden Tänzer, dessen clownesk
angemaltes Gesicht die komödiantische Tragik ahnen lässt.
Nach einer langen Pause zwischen dem dritten Satz, einem Menuetto Allegretto, übrigens thematisch
ähnlich der von Schuberts 5. Sinfonie,
legt der Tänzer den größten Teil des jetzt sitzenden Ensembles über die
Stuhllehnen auf den Boden. Ein mühsamer Akt, der der Musik nicht gerade gut
tut, denn sie wird dünn, zaghaft und viele technische Fehler schleichen sich
ein.
Der Schlusssatz, ein Allegro
assai, zwischen Sonaten- und Rondoform angesiedelt, beginnt feurig mit
einer sogenannten Mannheimer Rakete und endet musikalisch wie tänzerisch in einem
unheilvollen Menetekel. Tänzer und zwei MusikerInnen aus dem Ensemble sterben
in regelmäßigen Abständen den Künstlertod, mal die Musiker, mal der Tänzer (immer entsprechend der thematischen
Wiederholungen oder der Modulationen im Durchführungsteil). Eine lediglich vor
dem Hintergrund des „tragischen Pessimismus“ zu verstehende Handlung überhaupt.
Drohend wie komödiantisch dann das Finale: Der Schlusston
ist erfolgt, das Ensemble schart sich um den von den vielen Toten geschwächten,
halbnackten Tänzer und hebt ihn in Kreuzform theatralisch über ihre Köpfe. Wem
kommt da nicht die Assoziation von der Kreuzabnahme Jesu in diversen Hollywoodfilmen
oder den Passionsspielen von Oberammergau. Wenn dann auch noch Lichteffekte
hinzukommen, die an die Licht und Schatten Architektur der Gemälde Rembrandts
erinnern, dann wird der Theatralik denn doch
zu viel zugemutet und die Grenze des Kitschs angekratzt.
Mitte über dem Stuhl: Marti Corbera (Tänzer), Geneva Camerata |
Experiment mit Risiken
Mozarts vorletzte Sinfonie gehört zu seinen besten
überhaupt. Leider konnte die Geneva Camerata
den musikalischen Gehalt der Sinfonie nicht vermitteln, denn Tanz und Musik
lassen sich gerade bei diesem Werk nicht vereinbaren. Auch die Choreographie überzeugte
nicht recht, denn vor allem das ausgedehnte Sterben des sehr geschmeidigen
Tänzers im Allegro Assai oder die Schweißszene
des Andante wie auch die Licht- und
Nebeleffekte gehörten doch eher in die Soap
opera denn auf die experimentelle und innovative (Tanz) Bühne. Schade, denn
das Engagement dieses Orchesters war unglaublich intensiv und ein so vielseitiges
Programm ohne Partituren über mehr als eine Stunde zu realisieren, da muss man
schon den Hut ziehen. Chapeau!
Dem Publikum hat es gefallen, wenngleich der Applaus nicht
annähernd vergleichbar war mit dem vom Vortag bei Omphalos.
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