Samstag, 2. November 2019


Tanzfestival Rhein Main vom 31.10 bis zum 17.11.2019, Motto: Moving Beyond

Dance of the Sun, Geneva Camerata & Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola (Choreograph), Marti 
Corbera (Tanz), Staatstheater Darmstadt, 01.11.2019

Zweiter von links: David Greilsammer (Dirigent), Mitte: Marti Corbera (Tänzer), Geneva Camerata (Fotos: Kronos Pictures)


Ein kurzweiliges Orchesterballett aus der Zeit des Sonnenkönigs

Die Bühne ist schlicht gestaltet. Ein Kontrabass, eine Trommel und ein Cembalo vor einer riesigen grauen Leinwand. Mehr nicht. Dann trudeln die etwa 30 MusikerInnen der Geneva Camerata herein. Allein oder in kleinen Grüppchen mit ihren Instrumenten, in angeregtes Palavern und Diskutieren vertieft. Plötzlich tritt der Dirigent und musikalische Leiter, David Greilsammer, aus dem Ensemble und ein Tänzer, Marti Corbera, barfuß mit weißem T-Shirt und schwarzer weiter Hose, mischt sich in die unstrukturierte Musikeransammlung. Er stupst, drängt, schiebt und ordnet. Ein Zeichen des Dirigenten, die Musik setzt ein. Es ist die berühmte Le Bourgeoise gentilhomme (Der Bürger als Edelmann) Orchestersuite (1670) von Jean Baptiste Lully (1632-1687).

Bekanntlich ist der Bürger als Edelmann eine bitterböse Satire auf die Audienz des türkischen Gesandten beim Sonnenkönig Ludwig XIV. (hier liegt wohl auch die Themengebung der Veranstaltung: Dance of the Sun), auf der er seinen Gastgeber dadurch kränkte, indem er den überlegenen Glanz des türkischen Hofes gegenüber dem französischen beteuerte, worauf ihm der König jeden weiteren Besuch in Versailles untersagte. Jean Baptiste Moliére (1622-1673) und Lully machten aus dieser Episode eine Charakterkomödie, die im Oktober 1670 eine prunkvolle Uraufführung auf Schloss Chambord erlebte, indem es als Persiflage auf das Türkenereignis die Anmaßungen und Heucheleien des Bürgertums wie die Adels beißend auf die Schippe nahm.

Das Werk ist in die Geschichte eingegangen. Konzipiert als Comédie-Ballet (Ballett mit gesprochenen Dialogen) sind Zwischenspiele und Tänze als witzige musikalische Beilagen gedacht, die der Komödie die nötige Würze geben. Lully soll übrigens die Rolle des türkischen Gesandten übernommen haben.

Ein Tänzer als Animateur der Geneva Camerata


Die Geneva Camerata spielte die unterschiedlichsten Tänze nicht nur auswendig, sondern verstand es auch, zwischen Ouvertüre mit Fuge, Menuett, Gavotte, Bourrée, Marsch, Ecossaise oder auch Ländler und Deutscher Tanz rhythmisch und tänzerisch zu differenzieren. Mannigfaltige Formationen hatte sich Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola für die Camerata ausgedacht, mit eingebautem Stierkampf (Bourrée), Reihentanz (Passepied), Paartänzen (Ländler, Menuett), Gruppentänzen (Gavotte, Rigaudon) oder abschließendem von Trommel und Tamburin begleitetem Abmarsch (Marche) von der Bühne.

Der Tänzer, Marti Corbera, mischte sich permanent unter die Spieler (mal solistisch, mal als Stör- oder Antriebsfaktor), der Dirigent und musikalische Leiter, David Greilsammer (in scheinbarer Konkurrenz mit dem Tänzer, zwischendurch tanzte er ein Pas de Deux mit Corbera, ohne allerdings selbst zu tanzen), wirkte zwar als Teil des Ensembles, aber ohne wirkliche Funktion: Eine Orchestersuite voller Bewegung und lebendigen, den spielerischen Möglichkeiten MusikerInnen angepassten choreographischen Elementen. Kurzweilig mit interessanten Kombinationen ohne allerdings wirklich „neue wilde Ideen“, wie es Greilsammer formulierte, auf die Bühne zu bringen. Lullys Le Bourgeoise de Gentilhommes ist für sich genommen schon eine musikalische Satire. Warum nicht daran anknüpfen?
 
Geneva Camerata

Mozarts Sinfonie voll tragischem Pessimismus


Kompliziert wurde es bei Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-Moll (KV 550). Im Jahre 1788 komponiert zählt sie doch zu seinen schönsten und erhabendsten Werken. Allerdings auch zu den am unterschiedlichsten interpretierten. Mal spricht man von Grazie, mal vergleicht man sie mit Rossinis Ouvertüre zu seiner Oper Der Barbier von Sevilla, andere wiederum sprechen von tragischem Pessimismus.

Der Choreograph Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola scheint sich für letzter Version entschieden zu haben. Zunächst steht das gesamte Orchester in den Gängen des Großen Saals des Staatstheaters und betritt die Bühne nach der Exposition des Molto Allegro, der berühmten Folge des zweitaktigen Frage und Antwortspiels. Während der durchführenden Materialverarbeitung stehen alle auf den Stühlen. Auch der Tänzer, der seine Arme in den Äther reckt. Künstlicher Nebel umwabert die MusikerInnen.

Tanzende InstrumentalistInnen an der Grenze des Kitschs


Der zweite Satz, das Andante im 6/8-Takt gehört dem Solotänzer. Unter einem Lichtspot wischt er sich den Schweiß von seinem Körper, das Orchester spielt dazu im Dunkeln ein schwärmerisches, sehr kantables Es-Dur. Ein ruhiger schreitender Rhythmus des Orchesters begleitet von einem offenbar leidenden Tänzer, dessen clownesk angemaltes Gesicht die komödiantische Tragik ahnen lässt.

Nach einer langen Pause zwischen dem dritten Satz, einem Menuetto Allegretto, übrigens thematisch ähnlich der von Schuberts 5. Sinfonie, legt der Tänzer den größten Teil des jetzt sitzenden Ensembles über die Stuhllehnen auf den Boden. Ein mühsamer Akt, der der Musik nicht gerade gut tut, denn sie wird dünn, zaghaft und viele technische Fehler schleichen sich ein.

Der Schlusssatz, ein Allegro assai, zwischen Sonaten- und Rondoform angesiedelt, beginnt feurig mit einer sogenannten Mannheimer Rakete und endet musikalisch wie tänzerisch in einem unheilvollen Menetekel. Tänzer und zwei MusikerInnen aus dem Ensemble sterben in regelmäßigen Abständen den Künstlertod, mal die Musiker, mal der Tänzer (immer entsprechend der thematischen Wiederholungen oder der Modulationen im Durchführungsteil). Eine lediglich vor dem Hintergrund des „tragischen Pessimismus“ zu verstehende Handlung überhaupt.

Drohend wie komödiantisch dann das Finale: Der Schlusston ist erfolgt, das Ensemble schart sich um den von den vielen Toten geschwächten, halbnackten Tänzer und hebt ihn in Kreuzform theatralisch über ihre Köpfe. Wem kommt da nicht die Assoziation von der Kreuzabnahme Jesu in diversen Hollywoodfilmen oder den Passionsspielen von Oberammergau. Wenn dann auch noch Lichteffekte hinzukommen, die an die Licht und Schatten Architektur der Gemälde Rembrandts erinnern, dann wird der Theatralik denn doch zu viel zugemutet und die Grenze des Kitschs angekratzt.
Mitte über dem Stuhl: Marti Corbera (Tänzer), Geneva Camerata 

Experiment mit Risiken


Mozarts vorletzte Sinfonie gehört zu seinen besten überhaupt. Leider konnte die Geneva Camerata den musikalischen Gehalt der Sinfonie nicht vermitteln, denn Tanz und Musik lassen sich gerade bei diesem Werk nicht vereinbaren. Auch die Choreographie überzeugte nicht recht, denn vor allem das ausgedehnte Sterben des sehr geschmeidigen Tänzers im Allegro Assai oder die Schweißszene des Andante wie auch die Licht- und Nebeleffekte gehörten doch eher in die Soap opera denn auf die experimentelle und innovative (Tanz) Bühne. Schade, denn das Engagement dieses Orchesters war unglaublich intensiv und ein so vielseitiges Programm ohne Partituren über mehr als eine Stunde zu realisieren, da muss man schon den Hut ziehen. Chapeau!

Dem Publikum hat es gefallen, wenngleich der Applaus nicht annähernd vergleichbar war mit dem vom Vortag bei Omphalos.

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