Samstag, 9. November 2019


Tanzfestival Rhein Main vom 31.10 bis zum 17.11.2019, Motto: Moving Beyond

Variation(s) for a Few, Choreografie Cyril Baldy, Frankfurt LAB, Uraufführung 08.11.2019
Variation(s) for a Few, v.l.: Audrey Dionis, Ashley Wright, Joel Small, Louella May Hogan (Foto: Künstlerhaus Mousonturm)

Vier Solisten dekonstruieren ihre Körper

Eine große rechteckige weiße Fläche in Halle-1 des Frankfurt-LAB, darauf vier Tänzer, drei Frauen und ein Mann (Ashley Wright, Audrey Dionis, Louella May Hogan und Joel Donald Small) bunt gekleidet, unauffällig mit normalen Turnschuhen an den Füßen. Das Publikum sitzt um die Matte herum. Absolute Stille.

Keine Musik, man würde das Fallen einer Stecknadel hören, als Audrey Dionis ihre ganz eigene Performance beginnt, während die anderen drei an der Seite verharren. Kaum hörbar auch ihre Figuren, die so gar nicht den Skelett- und Muskelfunktionen der menschlichen Motorik entsprechen.

Ihre Verwringungen und Gelenkdrehungen bewegten sich an der Grenze des Möglichen, einer Schlange ähnlich schlich sie, krümmte und wand sich über den Boden, nie aber dynamisch, eher gebrochen, kontrastierend und dekonstruierend. Sieben Minuten lang, dann der Wechsel zu Ashley Wright. Auch sie beherrschte die Figuren wie ihre Vortänzerin, bestach aber durch unglaubliche Bewegungsvielfalt und Leichtigkeit. Pure Improvisation und Introversion nach Handlungsanweisungen.

Zwischendurch, immer noch absolute Stille im Saal wie auf der Matte, unterbrochen durch ein unvermitteltes „How are you?“ von Joel Small, dessen Tanz – er ist groß gewachsen – tatsächlich dem entsprach, was er während seiner Performance mehrere Male ausrief: I´m a cake!“

Wieder ganz speziell die letzte der vier TänzerInnen, Louella May Hogan. Mit einem leicht anschwellenden Geräuschpegel im Hintergrund, und gedämpfterem Licht, tanzte sie ihren Part sehr sportlich. Man hörte ihre Schritte, ein wenig Dynamik in ihrem Bewegungsablauf war ebenfalls ihr Markenzeichen.
Variation(s) for a Few: Joel Small (Foto: Künstlerhaus Mousonturm)

Ein Mikromodell zeitgemäßer Harmonie

Nach ca. 45 Minuten parallel getanzter Soli kam das Quartett endlich zusammen. Der Background Sound erhielt einen meditativen Puls, ein gleichmäßiges Metrum mit warm gelber Lichtunterstützung, den die vier in eigenen Scores kontrastierten. Tatsächlich war man an einen Kontrapunkt erinnert, in dem Note gegen Note steht, hier allerdings Tänzer gegen Tänzer. Jetzt erst kam zehn Minuten lang Gruppenleben in die Performance. Die Bewegungen wurden abgestimmter, ohne ihre Selbstständigkeit zu verlassen. Gegenseitige Beobachtung und räumliche Abstimmung ließen die vier Solisten trotz gewaltiger Komplexität ihrer Bewegungsmuster zu einer harmonischen Gruppe transformieren.

Cyril Baldy (Choreograph, Tänzer und Dozent) Foto: STRUT_WA

Radikaler Bruch mit den Sehgewohnheiten


Cyril Baldy (*1980), verantwortlich für Choreografie, Sound und Kostüme von Variation(s) for Few,  ist in Frankfurt kein Unbekannter. Die ersten Sporen als Tänzer hatte er bereits bei Jiří Kilian im Nederlands Dans Theatre verdient, wechselte dann 2002 nach Frankfurt zur William Forsyhte Company, die über 20 Jahre lang die Stadt zum weltweiten Mittelpunkt der Tanzszene machte, und arbeitet seit 2014 selbstständig als freier Tänzer, Dozent und Choreograf mit Lebensmittelpunkt in der Main-Metropole. Seine Choreografien sind beeinflusst von den beiden Tanzgiganten und stehen in ihrer Tradition.


Gemeinsam mit dem Lichtdesigner Matthias Rieker hat diese Uraufführung Erinnerungen an die Zeit William Forsythe´ in Frankfurt wachgerufen. Baldy hat dazu vier wirklich außergewöhnliche TänzerInnen engagieren können. Bestens ausgebildet im klassischen wie modernen Tanz, realisierten die vier Ausnahmetänzer seine Vorstellung von „going beyond“, von Bewegung, die so gar nicht in das übliche Muster passt, und dennoch menschenmöglich ist, in beeindruckender Weise.


Auf die Frage, ob er in Variation(s) for a Few Grenzen überschreitet, antwortet Baldy hintergründig: „Ja, selbstverständlich. Wir sind dabei den Punkt unserer Anerkennung zu überschreiten.“ Und sinngemäß weiter: Auch wenn unser Tanz die üblichen Sehgewohnheiten radikal durchbricht, ist er doch ein wunderbares Medium, über die permanenten Wechsel der Weltenläufe nachzudenken. (“Dance and Choreography are both wonderful mediums to think about to change the world”). Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Nächste Vorstellungen: 09.11. warm up und 10.11. im Anschluss mit KünstlerInnen im Gespräch

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