Tanzfestival Rhein
Main vom 31.10 bis zum 17.11.2019, Motto: Moving Beyond
Variation(s) for a Few, Choreografie Cyril Baldy,
Frankfurt LAB, Uraufführung 08.11.2019
Variation(s) for a Few, v.l.: Audrey Dionis, Ashley Wright, Joel Small, Louella May Hogan (Foto: Künstlerhaus Mousonturm) |
Vier Solisten dekonstruieren ihre Körper
Eine große rechteckige weiße Fläche in Halle-1 des Frankfurt-LAB, darauf vier Tänzer, drei Frauen und ein Mann (Ashley Wright, Audrey Dionis, Louella May Hogan und Joel Donald Small) bunt gekleidet, unauffällig mit normalen Turnschuhen an den Füßen. Das Publikum sitzt um die Matte herum. Absolute Stille.
Keine Musik, man würde das Fallen einer Stecknadel hören,
als Audrey Dionis ihre ganz eigene Performance
beginnt, während die anderen drei an der Seite verharren. Kaum hörbar auch ihre
Figuren, die so gar nicht den Skelett- und Muskelfunktionen der menschlichen
Motorik entsprechen.
Ihre Verwringungen und Gelenkdrehungen bewegten sich an der
Grenze des Möglichen, einer Schlange ähnlich schlich sie, krümmte und wand sich
über den Boden, nie aber dynamisch, eher gebrochen, kontrastierend und dekonstruierend.
Sieben Minuten lang, dann der Wechsel zu Ashley
Wright. Auch sie beherrschte die Figuren wie ihre Vortänzerin, bestach aber
durch unglaubliche Bewegungsvielfalt und Leichtigkeit. Pure Improvisation und Introversion nach Handlungsanweisungen.
Zwischendurch, immer noch absolute Stille im Saal wie auf
der Matte, unterbrochen durch ein unvermitteltes „How are you?“ von Joel Small, dessen Tanz – er ist groß
gewachsen – tatsächlich dem entsprach, was er während seiner Performance mehrere
Male ausrief: I´m a cake!“
Wieder ganz speziell die letzte der vier TänzerInnen, Louella May Hogan. Mit einem leicht anschwellenden Geräuschpegel im
Hintergrund, und gedämpfterem Licht, tanzte sie ihren Part sehr sportlich. Man
hörte ihre Schritte, ein wenig Dynamik in ihrem Bewegungsablauf war ebenfalls
ihr Markenzeichen.
Variation(s) for a Few: Joel Small (Foto: Künstlerhaus Mousonturm) |
Ein Mikromodell zeitgemäßer Harmonie
Nach ca. 45 Minuten parallel getanzter Soli kam das Quartett
endlich zusammen. Der Background Sound erhielt einen meditativen Puls, ein gleichmäßiges
Metrum mit warm gelber Lichtunterstützung, den die vier in eigenen Scores kontrastierten.
Tatsächlich war man an einen Kontrapunkt erinnert, in dem Note gegen Note
steht, hier allerdings Tänzer gegen Tänzer. Jetzt erst kam zehn Minuten lang Gruppenleben in die
Performance. Die Bewegungen wurden abgestimmter, ohne ihre Selbstständigkeit zu
verlassen. Gegenseitige Beobachtung und
räumliche Abstimmung ließen die vier Solisten trotz gewaltiger Komplexität ihrer
Bewegungsmuster zu einer harmonischen Gruppe transformieren.
Cyril Baldy (Choreograph, Tänzer und Dozent) Foto: STRUT_WA |
Radikaler Bruch mit den Sehgewohnheiten
Cyril Baldy
(*1980), verantwortlich für Choreografie, Sound und Kostüme von Variation(s) for Few, ist in Frankfurt kein Unbekannter. Die ersten
Sporen als Tänzer hatte er bereits bei Jiří Kilian im Nederlands Dans Theatre verdient, wechselte dann 2002 nach
Frankfurt zur William Forsyhte Company,
die über 20 Jahre lang die Stadt zum weltweiten Mittelpunkt der Tanzszene
machte, und arbeitet seit 2014 selbstständig als freier Tänzer, Dozent und
Choreograf mit Lebensmittelpunkt in der Main-Metropole. Seine Choreografien sind beeinflusst
von den beiden Tanzgiganten und stehen in ihrer Tradition.
Gemeinsam mit dem
Lichtdesigner Matthias Rieker hat diese
Uraufführung Erinnerungen an die Zeit William Forsythe´ in Frankfurt
wachgerufen. Baldy hat dazu vier wirklich außergewöhnliche TänzerInnen
engagieren können. Bestens ausgebildet im klassischen wie modernen Tanz, realisierten
die vier Ausnahmetänzer seine Vorstellung von „going beyond“, von Bewegung, die so gar nicht in das übliche Muster
passt, und dennoch menschenmöglich ist, in beeindruckender Weise.
Auf die Frage, ob er in Variation(s)
for a Few Grenzen überschreitet, antwortet Baldy hintergründig: „Ja,
selbstverständlich. Wir sind dabei den Punkt unserer Anerkennung zu überschreiten.“
Und sinngemäß weiter: Auch wenn unser Tanz die üblichen Sehgewohnheiten radikal
durchbricht, ist er doch ein wunderbares Medium, über die permanenten Wechsel der
Weltenläufe nachzudenken. (“Dance
and Choreography are both wonderful mediums to think about to change the world”).
Dem gibt es nichts hinzuzufügen.
Nächste Vorstellungen: 09.11. warm up und 10.11. im Anschluss mit
KünstlerInnen im Gespräch
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen