Donnerstag, 14. November 2019


Viktoria Mullova (Violine), James Hall (Countertenor) und die Academy of Ancient Music, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 13.11.2019 (Eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)
Vorne mit Blumen v.l.:Richard Egarr (Leitung und Cembalo), James Hall (Countertenor), Viktoria Mullova (Violine), Academy of Ancient Music, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt (Foto: Frankfurter Bachkonzerte e.V.)


Fünfzig Jahre Musik aus dem 18. Jahrhundert

Ein großes Potpourri bot das dritte Konzert der Frankfurter Bachkonzerte e. V. im Großen Saal der Alten Oper. Acht Werke von vier KomponistInnen aus dem 18. Jahrhundert, die sich alle durchaus kannten. Ausgenommen vermutlich die einzige Komponistin unter ihnen und wohl die erste überhaupt, nämlich Maria Margherita Grimani, von der, außer ihrer wiederum vermutlich 1715 im Wiener Hoftheater gespielten Oper Pallade e Marte, nichts weiter nennenswertes bekannt ist. Die anderen sind Johann Sebastian Bach (1685-1750), sein Sohn Carl Philipp Emanuel (1714-1788) und Josef Haydn (1732-1809).


Die Academy of Ancient Music, ein von Christopher Hogwood (1941-2014) im Jahre 1873 gegründetes Ensemble, das, spezialisiert auf Originalinstrumenten des Barock, seit 2006 von Richard Egarr (*1963) geleitet wird, präsentierte gemeinsam mit Viktoria Mullova (*1959) und dem jungen Counter James Hall drei Sinfonien (Sinfonia aus Pallade e Marte von Grimani, 1715, Sinfonie Nr. 4 A-Dur H 660, 1773, von Carl Philipp Emanuel Bach und die 4. Sinfonie D-Dur, Hob. I:4, 1757-60 von Josef Haydn) zwei Violinkonzerte (Violinkonzert Nr. 1 a-Moll, BWV 1041, 1730 von Johann Sebastian Bach, Violinkonzert Nr. 4 G-Dur, Hob VIIa:4, 1769 von Josef Haydn) eine Kantate, BWV 200, 1735, „Bekennen will ich seinen Namen“, eine Arie aus J. S. Bachs Matthäus Passion, BWV 244, 1727, „Erbarme Dich, mein Gott“, sowie eine Arie aus Haydns Stabat Mater, Hob XXa:1, „Lass mich wahrhaft mit dir weinen“ von 1767.

Alle Werke in einem Zeitraum von 50 Jahren komponiert, sind noch eng an die barocken Traditionen italienischer Prägung geknüpft: Generalbass und Basso Continuo (Cembalo und tiefe Streicher) dominieren, die solistische Virtuosität ist noch nicht ausgeprägt, das Klangfarbenspektrum noch wenig entwickelt. Dennoch konnte man im Vergleich der einzelnen Werke gerade in Haydns selten gespielten  Stabat Mater Arie – sehr an den neapolitanischen Stil eines Pergolesi (1710-1736) erinnernd – wie auch in dessen Violinkonzert die Gesanglichkeit und den Sturm und Drang des ausgehenden 18. Jahrhunderts spüren.

Viktoria Mullova (Foto: youtube.com)

Gerade das Violinkonzert, von Mullova mit großer Routine vom Blatt gespielt, fiel bereits durch sehr virtuose Partien, bei dem das Ensemble lediglich begleitend mitwirkte, sowie zwei Kadenzen auf, die Mullova vermutlich selbst verfasste, da sie in Komplexität und Tonumfang doch weit in die romantische Spielweise hineinreichten. Bachs hinreichend bekanntes und oft gespieltes Violinkonzert in a-Moll steht hingegen noch ganz im Zeichen der Gleichberechtigung des Orchesters mit dem Solisten (es gibt nur wenige Solostellen und gleich gar keine virtuose Kadenz).

Mullova konnte aber gerade bei  Johann Sebastian Bach beeindrucken, nicht allein, weil sie dieses Werk im Gegensatz zu Haydns Violinkonzert auswendig spielte, sondern vor allem wegen ihrer schwungvollen, höchst dynamischen, sehr virtuosen und farbenreichen Interpretation. Durchaus ein Höhepunkt dieser ansonsten ereignisarmen Vorstellung.

Viel Abwechslung ohne Struktur und Entwicklung

Warum das? Die Zusammenstellung des Programms wurde nie so recht einleuchtend. Warum musste der Countertenor, James Hall, unbedingt eingebaut werden? Dreimal sang er Arien, die aus dem musikalischen Zusammenhang gerissen, wohl lediglich seiner Stimme geschuldet waren. Einzig die Kantate, die vermutlich nicht von Bach, sondern von Gottfried Heinrich Stölzel (1690-1749) stammt, war vollständig, besteht sie doch lediglich aus einer sechszeiligen Arie, Violinbegleitung mit Basso Continuo. Hall sang mit sehr heller, lyrischer Stimme, wobei seine Artikulation zu wünschen übrig ließ. Auch in den unteren Stimmlagen klang sein Timbre eher farblos und konnte den mitunter zu energischen Streichern kaum standhalten.

James Hall (Foto: Athole Still)

Die Academy – dreizehn Streicher und fünf Bläser – spielte durchweg im Stehen (heute üblich bei Ensembles dieser Größenordnung) und bestach durch Werktreue, große Erfahrung im Umgang mit sogenannter Alter Musik und perfekte technische Versiertheit. Leider allerdings muss einschränkend eingeräumt werden, dass das Zusammenspiel mit den beiden Solisten nicht immer den höchsten Anforderungen an ein vielfach preisgekröntes Ensemble entsprach: mal zu laut und zu schnell bei James Hall (Stabat Mater), oder im Tempo hinterlaufend bei Victoria Mullovas Haydn Violinkonzert, was allerdings eher dem am Cembalo spielenden musikalischen Leiter, Richard Egarr, anzulasten ist.  

Die unstrukturierte Zusammenstellung der Werke wirkte zwar auf den ersten Blick sehr abwechslungsreich, vermittelte aber in der Praxis keine oder nur geringe Aufklärung über die musikalische Entwicklung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Man wurde den Eindruck nicht los, dass Johann Sebastian Bach der Fortschrittlichste unter den genannten KomponistInnen war (seine Kompositionen gehörten zum Besten des Abends). Auch der Einstieg mit der „ersten amtlich bekannten Komponistin überhaupt“ war wenig nachvollziehbar, da ihre Sinfonia – eine Art Ouvertüre – auch von Händel hätte stammen können, aber keinerlei Bezug zu den drei hier vorgestellten Komponisten aufwies.

Ein Konzert mit James Hall oder Viktoria Mullova oder gar eines mit der Academy of Ancient Music allein wäre da vielleicht die besser Option gewesen. Der Beifall war, trotz einer wunderbaren Zugabe Mullovas aus Johann Sebastian Bachs reichhaltigem Partitenarsenal, recht verhalten.


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