Viktoria Mullova (Violine),
James Hall (Countertenor) und die Academy of Ancient Music, Großer Saal
der Alten Oper Frankfurt, 13.11.2019 (Eine Veranstaltung der Frankfurter
Bachkonzerte e. V.)
Fünfzig Jahre Musik aus
dem 18. Jahrhundert
Ein großes Potpourri bot das dritte Konzert der Frankfurter Bachkonzerte e. V. im Großen Saal der Alten Oper. Acht Werke von vier KomponistInnen aus dem 18. Jahrhundert, die sich alle durchaus kannten. Ausgenommen vermutlich die einzige Komponistin unter ihnen und wohl die erste überhaupt, nämlich Maria Margherita Grimani, von der, außer ihrer wiederum vermutlich 1715 im Wiener Hoftheater gespielten Oper Pallade e Marte, nichts weiter nennenswertes bekannt ist. Die anderen sind Johann Sebastian Bach (1685-1750), sein Sohn Carl Philipp Emanuel (1714-1788) und Josef Haydn (1732-1809).
Die Academy of
Ancient Music, ein von Christopher Hogwood (1941-2014) im Jahre 1873
gegründetes Ensemble, das, spezialisiert auf Originalinstrumenten des Barock,
seit 2006 von Richard Egarr (*1963) geleitet
wird, präsentierte gemeinsam mit Viktoria
Mullova (*1959) und dem jungen Counter James
Hall drei Sinfonien (Sinfonia aus
Pallade e Marte von Grimani, 1715, Sinfonie Nr. 4 A-Dur H 660, 1773, von
Carl Philipp Emanuel Bach und die 4. Sinfonie
D-Dur, Hob. I:4, 1757-60 von Josef Haydn) zwei Violinkonzerte (Violinkonzert Nr. 1 a-Moll, BWV 1041,
1730 von Johann Sebastian Bach, Violinkonzert Nr. 4 G-Dur, Hob VIIa:4, 1769 von
Josef Haydn) eine Kantate, BWV 200, 1735, „Bekennen will ich seinen Namen“,
eine Arie aus J. S. Bachs Matthäus
Passion, BWV 244, 1727, „Erbarme Dich, mein Gott“, sowie eine Arie aus
Haydns Stabat Mater, Hob XXa:1, „Lass
mich wahrhaft mit dir weinen“ von 1767.
Alle Werke in einem Zeitraum von 50 Jahren komponiert, sind
noch eng an die barocken Traditionen italienischer Prägung geknüpft:
Generalbass und Basso Continuo (Cembalo und tiefe Streicher) dominieren, die
solistische Virtuosität ist noch nicht ausgeprägt, das Klangfarbenspektrum noch
wenig entwickelt. Dennoch konnte man im Vergleich der einzelnen Werke gerade in
Haydns selten gespielten Stabat Mater Arie – sehr an den
neapolitanischen Stil eines Pergolesi (1710-1736) erinnernd – wie auch in dessen Violinkonzert die Gesanglichkeit und den
Sturm und Drang des ausgehenden 18. Jahrhunderts
spüren.
Viktoria Mullova (Foto: youtube.com) |
Gerade das Violinkonzert,
von Mullova mit großer Routine vom Blatt gespielt, fiel bereits durch
sehr virtuose Partien, bei dem das Ensemble lediglich begleitend mitwirkte, sowie zwei Kadenzen auf, die Mullova vermutlich selbst verfasste, da sie in Komplexität
und Tonumfang doch weit in die romantische Spielweise hineinreichten. Bachs
hinreichend bekanntes und oft gespieltes Violinkonzert
in a-Moll steht hingegen noch ganz im Zeichen der Gleichberechtigung des
Orchesters mit dem Solisten (es gibt nur wenige Solostellen und gleich gar
keine virtuose Kadenz).
Mullova konnte aber gerade bei Johann Sebastian Bach beeindrucken, nicht
allein, weil sie dieses Werk im Gegensatz zu Haydns Violinkonzert auswendig spielte, sondern vor allem wegen ihrer
schwungvollen, höchst dynamischen, sehr virtuosen und farbenreichen
Interpretation. Durchaus ein Höhepunkt dieser ansonsten ereignisarmen
Vorstellung.
Viel Abwechslung ohne Struktur und Entwicklung
Warum das? Die Zusammenstellung des Programms wurde nie so
recht einleuchtend. Warum musste der Countertenor, James Hall, unbedingt eingebaut
werden? Dreimal sang er Arien, die aus dem musikalischen Zusammenhang gerissen,
wohl lediglich seiner Stimme geschuldet waren. Einzig die Kantate, die vermutlich nicht von Bach, sondern von Gottfried
Heinrich Stölzel (1690-1749) stammt, war vollständig, besteht sie doch
lediglich aus einer sechszeiligen Arie, Violinbegleitung mit Basso Continuo.
Hall sang mit sehr heller, lyrischer Stimme, wobei seine Artikulation zu
wünschen übrig ließ. Auch in den unteren Stimmlagen klang sein Timbre eher farblos und
konnte den mitunter zu energischen Streichern kaum standhalten.
James Hall (Foto: Athole Still) |
Die Academy –
dreizehn Streicher und fünf Bläser – spielte durchweg im Stehen (heute üblich
bei Ensembles dieser Größenordnung) und bestach durch Werktreue, große
Erfahrung im Umgang mit sogenannter Alter Musik und perfekte technische
Versiertheit. Leider allerdings muss einschränkend eingeräumt werden, dass das
Zusammenspiel mit den beiden Solisten nicht immer den höchsten Anforderungen an
ein vielfach preisgekröntes Ensemble entsprach: mal zu laut und zu schnell bei
James Hall (Stabat Mater), oder im Tempo hinterlaufend bei Victoria Mullovas
Haydn Violinkonzert, was allerdings eher
dem am Cembalo spielenden musikalischen Leiter, Richard Egarr, anzulasten ist.
Die unstrukturierte Zusammenstellung der Werke wirkte zwar
auf den ersten Blick sehr abwechslungsreich, vermittelte aber in der Praxis keine
oder nur geringe Aufklärung über die musikalische Entwicklung der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Man wurde den Eindruck nicht los,
dass Johann Sebastian Bach der Fortschrittlichste unter den genannten
KomponistInnen war (seine Kompositionen gehörten zum Besten des Abends). Auch
der Einstieg mit der „ersten amtlich bekannten Komponistin überhaupt“ war wenig
nachvollziehbar, da ihre Sinfonia –
eine Art Ouvertüre – auch von Händel hätte stammen können, aber keinerlei Bezug
zu den drei hier vorgestellten Komponisten aufwies.
Ein Konzert mit James Hall oder Viktoria Mullova oder gar
eines mit der Academy of Ancient Music allein wäre da vielleicht die besser
Option gewesen. Der Beifall war, trotz einer wunderbaren Zugabe Mullovas aus
Johann Sebastian Bachs reichhaltigem Partitenarsenal, recht verhalten.
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