Freitag, 13. Dezember 2019


Dresden Frankfurt Dance Company meets Ensemble Modern, Premiere im Bockenheimer Depot Frankfurt, 12.12.2019

Choreographie zu Johannes Motschmann: Attack Decay (2011), TänzerInnen:
Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern
(Fotos: Dominik Mentzos)

Zwei außergewöhnliche Ensembles kommen zusammen

Eine Metamorphose sollte es sein, ein spannender Abend zweier außergewöhnlicher Ensembles ist es geworden. Die außergewöhnliche Tanzkompanie einer Auswahl aus sechszehn Tänzerinnen und Tänzern aus aller Welt  unter der Leitung des Choreographen und ehemaligen Tänzer des Forsythe Balletts, Jacopo Godani, und fünfzehn Mitglieder des Ensemble Modern, unter der Leitung von Josep Planells Schiaffino, boten eine illustre Musikauswahl zeitgenössischer und barocker Provenienz mit bildhaft in Szene gesetzten Bewegungen von großer Eleganz, transformativer Vielfalt und faszinierender Effekte.


Eine riesige rechteckige Bühne, eingerahmt vom Publikum und dem Ensemble Modern lässt den insgesamt 16 TänzerInnen viel Raum für ihre raumgreifenden Bewegungen von großer Dynamik und komplexen Gruppenwechseln.
Zuvor aber, quasi als Ouvertüre gesellen sie sich zu den InstrumentalistInnen und dem Dirigenten, Josep Planells Schiaffino, imitieren deren Körper und Armbewegungen und lassen so einen Dialog zwischen Musik und Tanz entstehen. Es ist ein dreiteiliges bereits im Jahre 2011 von Johannes Motschmann (*1978) komponiertes Orchesterstück, Attack Decay, von feuriger Rhythmik zwischen sprintenden Arpeggien, wilder Jagd mit Pferdegetrappel und marschähnlichen Schrittfolgen. Höchste Anforderungen für die MusikerInnen (nicht immer präzise, verursacht vom Dirigenten) sowie für die Arme der TänzerInnen.

Verwirrend schöne Armbewegungen wechselten mit Soloeinlagen im Schatten. Das  helle, auf die Ensemble fokussierte Licht ließ die in weiße Strümpfe eingehüllten Arme besonders hervorstechen und gab der aufregenden Dynamik der elektronisch verstärkten Instrumente (Klangregie: Norbert Ommer) eine bildhafte Komponente. Ein Pantomimenspiel, simpel gestaltet aber eindrucksvoll inszeniert. 

Choreographie zu Béla Bartók: Streichquartett Nr. 4 (1928),
TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company,
MusikerInnen: Ensemble Modern 


Eine Augenweide und ein Ohrenschmaus


Höhepunkt ohne Zweifel war die tänzerische Interpretation des Vierten Streichquartetts (1928) von Béla Bartók (1881-1945). In der Besetzung des Isenburg Quartetts Offenbach, wurde das fünfsätzige Werk vor allem im zweiten Satz, dem Prestissimo con Sordino (gespielt mit Dämpfer) und dem vierten Satz Allegretto Pizzicato (gänzlich gezupft), vollkommen abgestimmt auf die musikalischen Vorgänge zu einer klassisch modernen Performance umgedeutet. In ständig wechselnden Formationen, angepasst an die Stimmführung der Satzteile, tanzten Tänzerinnen und Tänzer mal Solo (wie im 3. Satz Non troppo Lento mit langen Solopassagen von Violoncello und Violine), mal Pas de Deux´ (wie im 2. Satz mit ein, zwei und drei Paaren) oder in der ganzen Gruppe (wie im 5. Satz Allegro molto) einen Mikrokosmos slawischer, böhmischer und ungarischer Rhythmen im wechselnden Sechsachtel- und Vierachtel-Takt. Dynamischer Komplexismus durchtrainierter Körper nebst energetischer Streichmusik mit einem Schuss „Sexappeal“ (Godani). Eine Augenweide und ein Ohrenschmaus.

Frappierend das abschließende Scherzando/Meno Mosso bis zum zweitaktigen Pesante. Alle verlassen die Bühne und zurück bleibt eine Tänzerin. Das Ende ist der Anfang, ganz der Struktur der Musik angemessen. Der Beifall zwischen den Sätzen war ein deutliches Zeichen für die Begeisterung, die diese musikalische Interpretation und Choreographie (Metamorphers, 2016) hervorrief.
 
Choreographie zu Béla Bartók: Streichquartett Nr. 4 (1928), 
TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company,
MusikerInnen: Ensemble Modern 

Zwischen Farbenpracht und Düsterkeit


Johannes Schöllhorns (*1962) Anamorphoses (2001-2004) bildeten den dritten Teil dieses Tanzabends. Schöllhorns kompositorische „Transformation“ basiert auf Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge (BWV 1080, 18 an der Zahl) von denen Godani insgesamt sechs (1, 2 und 4 aus den einfachen Fugen, 8 und 11 aus den mehrstimmigen Fugen, sowie die 12. aus den kanonischen Fugen, Canon in Hypodiapason oder auch Canon alla Ottava genannt) für seine Choreographie ausgewählt hat. Alle sechs Werke zeichnen sich durch ihre Getragenheit aus.

Schöllhorn, der bis heute 10 der "Kunstfugen" Bachs „transformiert“ hat, ändert, eigenen Aussagen zufolge, keine Note, sondern koloriert, betont, verdoppelt verkürzt und fragmentiert. Das alles für vier bis 20  Instrumente (in dieser Aufführung waren es zwölf), darunter Akkordeon, Tuba, Bleche und Hölzer sowie Perkussion. Die Struktur aber bleibt erhalten. Herausgekommen ist ein wunderbares Klangerlebnis, eine tänzerische, bodenständige und farbenprächtige Synthese der höchst experimentellen Bachschen Contrapunkti, zu denen Jacopo Godani allerdings eine düstere und mythenreiche Choreographie entwickelte.

Choreographie zu Johannes Schöllhorn: Anamorphoses (2001-2004),
TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company,
MusikerInnen: Ensemble Modern 

Zwar betont er, dass es ihm ausschließlich um Tanz und Bewegungen gehe, Konzepte und Handlungen ihn wenig interessierten. Doch mit dieser Choreographie versetzte er das Publikum in eine Welt der Mystik, der Geister, der Religionen sowie der unterschiedlichsten Narrative. Plastikplanen, Leuchtstäbe, Atemgeräte, Rolltisch und Masken zwischen Tier und Mensch gehörten zum Equipment dieser dreiviertelstündigen Show in ziemlicher Dunkelheit (abgesehen von den spärlichen Leuchten und Lichteffekten).
War es die Geburt der Menschheit, das Entstehen der Religionen – ein Vierklang zwischen Shiva, Ra, Buddha und Christus? Waren es lediglich Reaktionen auf die musikalischen Vorgänge, die vor allem in der Schlussfuge, dem Canon, flächig, langgezogen wirkte und bildhaft bei Blaufärbung des Hintergrunds und ikonographischen Bewegungsmustern an die Renaissance-Malerei eines Raffael, Michelangelo oder gar an die Phantasmagorien von Hieronymus Bosch erinnerten?

Nein. Wohl nichts von alledem. Denn Godani verzichtet, eigenen Aussagen zufolge, bewusst auf Inhalte. Es gehe ihm um die Überwindung menschlicher Grenzen, um die Erfahrung des eigenen, des menschlichen Potenzials, um Auslotung von tänzerischen Grenzen. Ausgedehnt mit wenig Bezug zur Musik wirkte diese Performance dann doch eher wie ein work in progress, voller experimenteller Ideen, aber ohne wirklichen Spannungsbogen. Konnte die Musik absolut überzeugen, so war der tänzerische Fundus der Kompanie bereits in Metamorphers mit Bartóks Streichquartett im positiven Sinne ausgereizt. Viel Brimborium, durchaus dekorativ und virtuos, aber mit geringem Aha-Effekt.
 
Choreographie zu Johannes Schöllhorn: Anamorphoses (2001-2004), 
TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company,
MusikerInnen: Ensemble Modern 

Dennoch ein Abend mit zwei Weltklasse Ensembles. Das Ensemble Modern überzeugte wieder einmal durch glänzende Musikalität und frappierende Einfühlsamkeit in die tänzerische Performance. Die Dresden Frankfurt Dance Company wiederum glänzte mit klassisch modernem Style, ausgesuchter Ästhetik und faszinierend anzuschauenden Akteuren. Dass Tanz Musik braucht ist eine Binsenwahrheit. Eine Metamorphose allerdings zwischen den Ensembles braucht es nicht. Dafür entstand ganz herkömmlich und vielfach bewährt ein künstlerischer Austausch zweier Ensembles, die jedes für sich genommen wohl einmalig auf dieser Welt sind.  

Die nächsten Vorstellung: 13., 14., 15., 18., 19. und 22.12.2019

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