Dresden Frankfurt Dance Company meets Ensemble Modern, Premiere im Bockenheimer
Depot Frankfurt, 12.12.2019
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Choreographie zu Johannes Motschmann: Attack Decay (2011), TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern (Fotos: Dominik Mentzos) |
Zwei außergewöhnliche Ensembles kommen zusammen
Eine Metamorphose sollte es sein, ein spannender Abend zweier außergewöhnlicher Ensembles ist es geworden. Die außergewöhnliche Tanzkompanie einer Auswahl aus sechszehn Tänzerinnen und Tänzern aus aller Welt unter der Leitung des Choreographen und ehemaligen Tänzer des Forsythe Balletts, Jacopo Godani, und fünfzehn Mitglieder des Ensemble Modern, unter der Leitung von Josep Planells Schiaffino, boten eine illustre Musikauswahl zeitgenössischer und barocker Provenienz mit bildhaft in Szene gesetzten Bewegungen von großer Eleganz, transformativer Vielfalt und faszinierender Effekte.
Eine riesige
rechteckige Bühne, eingerahmt vom Publikum und dem Ensemble Modern lässt den
insgesamt 16 TänzerInnen viel Raum für ihre raumgreifenden Bewegungen von
großer Dynamik und komplexen Gruppenwechseln.
Zuvor aber,
quasi als Ouvertüre gesellen sie sich zu den InstrumentalistInnen und dem
Dirigenten, Josep Planells Schiaffino, imitieren deren Körper und Armbewegungen und lassen so einen Dialog
zwischen Musik und Tanz entstehen. Es ist ein dreiteiliges bereits im Jahre
2011 von Johannes Motschmann (*1978)
komponiertes Orchesterstück, Attack
Decay, von feuriger Rhythmik
zwischen sprintenden Arpeggien, wilder Jagd mit Pferdegetrappel und
marschähnlichen Schrittfolgen. Höchste Anforderungen für die MusikerInnen
(nicht immer präzise, verursacht vom Dirigenten) sowie für die Arme der
TänzerInnen.
Verwirrend
schöne Armbewegungen wechselten mit Soloeinlagen im Schatten. Das helle, auf die Ensemble fokussierte Licht ließ
die in weiße Strümpfe eingehüllten Arme besonders hervorstechen und gab der
aufregenden Dynamik der elektronisch verstärkten Instrumente (Klangregie: Norbert Ommer) eine bildhafte Komponente.
Ein Pantomimenspiel, simpel gestaltet aber eindrucksvoll inszeniert.
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Choreographie zu Béla Bartók: Streichquartett Nr. 4 (1928), TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern |
Eine Augenweide und ein Ohrenschmaus
Höhepunkt
ohne Zweifel war die tänzerische Interpretation des Vierten Streichquartetts (1928) von Béla Bartók (1881-1945). In der Besetzung des Isenburg Quartetts Offenbach, wurde das fünfsätzige Werk vor allem
im zweiten Satz, dem Prestissimo con Sordino
(gespielt mit Dämpfer) und dem vierten Satz Allegretto
Pizzicato (gänzlich gezupft), vollkommen abgestimmt auf die musikalischen
Vorgänge zu einer klassisch modernen Performance umgedeutet. In ständig
wechselnden Formationen, angepasst an die Stimmführung der Satzteile, tanzten
Tänzerinnen und Tänzer mal Solo (wie im 3. Satz Non troppo Lento mit langen Solopassagen von Violoncello und
Violine), mal Pas de Deux´ (wie im 2.
Satz mit ein, zwei und drei Paaren) oder in der ganzen Gruppe (wie im 5. Satz Allegro molto) einen Mikrokosmos
slawischer, böhmischer und ungarischer Rhythmen im wechselnden Sechsachtel- und
Vierachtel-Takt. Dynamischer Komplexismus durchtrainierter Körper nebst energetischer
Streichmusik mit einem Schuss „Sexappeal“ (Godani). Eine Augenweide und ein Ohrenschmaus.
Frappierend das
abschließende Scherzando/Meno Mosso bis zum zweitaktigen Pesante. Alle verlassen die Bühne und
zurück bleibt eine Tänzerin. Das Ende ist der Anfang, ganz der Struktur der
Musik angemessen. Der Beifall zwischen den Sätzen war ein deutliches Zeichen
für die Begeisterung, die diese musikalische Interpretation und Choreographie (Metamorphers, 2016) hervorrief.
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Choreographie zu Béla Bartók: Streichquartett Nr. 4 (1928), TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern |
Zwischen Farbenpracht und Düsterkeit
Johannes Schöllhorns (*1962) Anamorphoses (2001-2004) bildeten den
dritten Teil dieses Tanzabends. Schöllhorns kompositorische „Transformation“ basiert
auf Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge
(BWV 1080, 18 an der Zahl) von denen Godani insgesamt sechs (1, 2 und 4 aus den
einfachen Fugen, 8 und 11 aus den mehrstimmigen Fugen, sowie die 12. aus den
kanonischen Fugen, Canon in Hypodiapason
oder auch Canon alla Ottava genannt) für seine
Choreographie ausgewählt hat. Alle sechs Werke zeichnen sich durch ihre
Getragenheit aus.
Schöllhorn,
der bis heute 10 der "Kunstfugen" Bachs „transformiert“ hat, ändert, eigenen Aussagen zufolge, keine Note,
sondern koloriert, betont, verdoppelt verkürzt und fragmentiert. Das alles für
vier bis 20 Instrumente (in dieser
Aufführung waren es zwölf), darunter Akkordeon, Tuba, Bleche und Hölzer sowie Perkussion.
Die Struktur aber bleibt erhalten. Herausgekommen ist ein wunderbares
Klangerlebnis, eine tänzerische, bodenständige und farbenprächtige Synthese der
höchst experimentellen Bachschen Contrapunkti,
zu denen Jacopo Godani allerdings eine düstere und mythenreiche Choreographie
entwickelte.
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Choreographie zu Johannes Schöllhorn: Anamorphoses (2001-2004), TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern |
Zwar betont er,
dass es ihm ausschließlich um Tanz und Bewegungen gehe, Konzepte und Handlungen
ihn wenig interessierten. Doch mit dieser Choreographie versetzte er das Publikum
in eine Welt der Mystik, der Geister, der Religionen sowie der
unterschiedlichsten Narrative. Plastikplanen, Leuchtstäbe, Atemgeräte, Rolltisch
und Masken zwischen Tier und Mensch gehörten zum Equipment dieser dreiviertelstündigen
Show in ziemlicher Dunkelheit (abgesehen von den spärlichen Leuchten und
Lichteffekten).
War es die Geburt
der Menschheit, das Entstehen der Religionen – ein Vierklang zwischen Shiva, Ra,
Buddha und Christus? Waren es lediglich Reaktionen auf die musikalischen
Vorgänge, die vor allem in der Schlussfuge, dem Canon, flächig, langgezogen wirkte und bildhaft bei Blaufärbung des
Hintergrunds und ikonographischen Bewegungsmustern an die Renaissance-Malerei eines Raffael, Michelangelo
oder gar an die Phantasmagorien von Hieronymus Bosch erinnerten?
Nein. Wohl
nichts von alledem. Denn Godani verzichtet, eigenen Aussagen zufolge, bewusst
auf Inhalte. Es gehe ihm um die Überwindung menschlicher Grenzen, um die
Erfahrung des eigenen, des menschlichen Potenzials, um Auslotung von
tänzerischen Grenzen. Ausgedehnt mit wenig Bezug zur Musik wirkte diese
Performance dann doch eher wie ein work
in progress, voller experimenteller Ideen, aber ohne wirklichen Spannungsbogen.
Konnte die Musik absolut überzeugen, so war der tänzerische Fundus der Kompanie
bereits in Metamorphers mit Bartóks Streichquartett im positiven
Sinne ausgereizt. Viel Brimborium, durchaus dekorativ und virtuos, aber mit
geringem Aha-Effekt.
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Choreographie zu Johannes Schöllhorn: Anamorphoses (2001-2004), TänzerInnen: Dresden Frankfurt Dance Company, MusikerInnen: Ensemble Modern |
Dennoch ein
Abend mit zwei Weltklasse Ensembles. Das Ensemble
Modern überzeugte wieder einmal durch glänzende Musikalität und
frappierende Einfühlsamkeit in die tänzerische Performance. Die Dresden Frankfurt Dance Company wiederum
glänzte mit klassisch modernem Style, ausgesuchter Ästhetik und faszinierend
anzuschauenden Akteuren. Dass Tanz Musik braucht ist eine Binsenwahrheit. Eine Metamorphose
allerdings zwischen den Ensembles braucht es nicht. Dafür entstand ganz
herkömmlich und vielfach bewährt ein künstlerischer Austausch zweier Ensembles,
die jedes für sich genommen wohl einmalig auf dieser Welt sind.
Die nächsten
Vorstellung: 13., 14., 15., 18., 19. und 22.12.2019
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