Gregor Praml
trifft Ludwig van Beethoven, LOKAL Listener-Jahresabschlussveranstaltung
im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt, 15.12.2019
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Gregor Praml (Foto: Künstlerhaus Mousonturm) |
„Beethoven, mein unsterblich geliebter Held“
Gregor Praml betritt die Bühne, bunt gekleidet mit Hut, setzt sich an den Flügel und spielt, wie könnte es anders sein aus dem berühmten 1. Satz der cis-Moll Sonate op. 27/2, genannt auch die „Mondschein“-Sonate, die ersten Takte des düster verhangenen Nachtstücks. Kann er auch Klavier?, war die allgemeine Frage, denn als versierter Kontrabassist hat er sich bereits einen Namen erobert. Aber als Pianist? Er steht auf und die Musik setzt sich fort. Alles lacht – erleichtert und verwundert. Praml beruhigt: „Ja, Beethoven ist mein unsterblich geliebter Held. Ich kann auch ein wenig Klavier spielen, aber immer wenn ich vorspielen sollte, zitterten mir derart die Knie, dass ich vor Aufregung nichts auf die Tasten brachte.“
Ein idealer Übergang zu Oliver
Augst, singender Performer, wie er sich nennt, und einer der sechs geladenen
Gäste dieses Abends. Er gibt gleich einige Interna aus dem Leben des Meisters
preis. So soll Beethoven sich allmorgendlich mit einer Gießkanne überschüttet
und dann 60 Bohnen für seinen Kaffee gezählt haben. Auch sei er Teil der Voyager I, die seit 1977 im Weltall nach
Außerirdischen sucht. Seine Neunte
Sinfonie von 74 Minuten Dauer soll überdies die Größe der LP´s bis in die
1980er Jahre bestimmt haben.
Augst, den Praml, ganz in der Tradition der Beethovenschen
Etikette, mit seinem französischen Namen „Olivier Auguste“ ansprach, bot mit Texten (Briefe Beethovens und
Grabrede) und Gesang (dazu später) einen erfrischenden Rahmen durch das
ausgedehnte Programm von fast vier Stunden mit lediglich einer Pause bei freien
Getränken und Snacks. Eine großartige Gastfreundschaft.
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J. Peter Schwalm (Foto: Detlef Kinsler) |
Beethoven als Themensplitter
Nach einem Auszug aus dem Heiligenstädter Testament von 1802, worin Beethoven seine
unheilbare Taubheit anspricht und mit Selbstmordgedanken spielt, begrüßt Praml
seinen ersten Gast, den Elektroniker und Komponisten J. Peter Schwalm. Schwalm, selbst mit einem Gehirntumor belastet, hat eigentlich
„keine besondere Affinität zu Beethoven“ (Schwalm). Allerdings bewundert er
dessen kompositorische Vielfalt und die Fähigkeit, trotz Taubheit bis zu seinem
Tode weiter komponiert zu haben.
Seine Komposition, von einem Sampler abgespielt, soll eine Bearbeitung aus dem Adagio von Beethovens Sinfonie Nr. 4 B-Dur (1806) sein. Stattdessen hört man aus dem Soundsampler Hammerschläge, dreimal kurz einmal lang (wer denkt nicht an die Fünfte?), aber auch fünfmal, siebenmal oder auch neunmal kurz und einmal lang. Dazu Nebengeräusche, donnernd wie Kanonenschüsse, und selten, aber doch herauszuhören, einige Themensplitter wohl aus der „Vierten“. Dem Publikum gefiel es, auch wenn der Wiedererkennungswert äußerst gering war. Dennoch eine kurzweilige und eindrückliche Art und Weise, Beethoven unter Soundaspekten zu interpretieren. Sein Set-up stammte übrigens, eigenen Aussagen zufolge, aus einer alten Aufnahme der Berliner Symphoniker unter der Leitung von Herbert Karajan.
Weiter ging es mit einem Brief an die „unsterbliche
Geliebte“ von 1812, gemeint ist wohl Josephine von Brunsvik, die Beethoven als
Klavierschülerin kennenlernte, abgöttisch liebte und vermutlich als verheiratete Frau von Stackelberg in Karlsbad wiedertraf. Alles das ist Spekulation.
Tatsächlich gebar sie neun Monate nach ihrem Zusammentreffen eine Tochter und
die Achte Sinfonie Beethovens
entstand als Reaktion darauf. Ebenso vermachte er dieser (Josephine
stirbt 1821) 5000 Gulden aus seinem reichen Erbe.
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Oliver Augst alias Olivier Auguste (Foto: Künstlerhaus Mousonturm) |
Beethoven als Liederkomponist
„Auguste“ singt jetzt aus Beethovens reichem Liederschatz
(er hat mehr als einhundert Lieder
komponiert): „An die Hoffnung“ (Text von
Christoph August Tiedge), eine tränenreiche Liebespoesie, in der ein unglückliches Schicksal beklagt wird. Ebenso einen witzigen Kanon: Avec que la Marmotte (An das
Murmeltier), mit Text von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahre 1790, das
Praml an seinem elektronisch verfremdeten Kontrabass mit Möwenschreigeräuschen und
langgezogenem Strich begleitet.
Drei Jodlerinnen
(Johanna Milz, Liese Lyon, Elisabeth Gabriel) direkt aus Österreich angereist, ergänzten das Duo Speziale und brillierten mit einem
Tiroler-Lied: „Du dapperter Hecht“, das Augst mit „Da fällt mir nix mehr ein,
ich törichter Laff“ in heurigem Tonfall aufmischte.
Mit viel Holdrio und Hallodri bekennen sich die drei Frauen
zu Beethoven: „Er gehört uns! Es heißt nicht umsonst Wiener Klassik, wenn man von Beethovens Stil spricht.“ Fast sein
ganzes Leben habe er in dieser Stadt
verbracht sei mehr als 60-mal umgezogen und hier auch beerdigt. „Das Gute
wollen die Deutschen immer für sich beanspruchen, das Schlechte aber, wie Adolf
Hitler, können wir Österreicher
behalten. So geht’s nicht!“, rufen sie unisono. Klamauk und Ernst in einem Atemzug,
worauf „ein echter“ Beethoven, nämlich die Interpretation seiner letzten Sonate Nr. 32 in c-Moll op 111 (1822) folgt.
Eingeladen dazu war der Pianist Leonhard Dering (*1991), der sein Metier an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in Frankfurt bei Lev Natochenni erlernte und 2019 sein Masterstudium in Luzern abschloss. Bevor er sich an dieses sperrige und schwierigste aller Beethoven Sonaten wagte, verlas „Auguste“ noch einen Brief Beethovens an seinen Freund Andreas Streicher, der in die Klavierbauerfamilie Stein eingeheiratet hatte. Bekanntlich war Beethoven einer derjenigen Komponisten, die die Entwicklung des Pianofortes stark förderten. Als Avantgardist auf den Tasten verlangte er ständige Verbesserungen. So auch bei seiner Bestellung eines neuen Flügels im Jahre 1810. Der aber kam und kam nicht, was er aufs Heftigste kritisierte. Entsprechend beendete er den Brief an Streicher mit den Worten: „Leben sie wohl wenn sie das Piano schicken, leben sie übel, wenn nicht!“ Glücklicherweise erhielt er das Instrument kurze Zeit später und alles war gut.
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Leonhard Dering (Foto: Süddeutsche Zeitung) |
Die letzte Sonate
Dering hatte nicht seinen besten Tag erwischt. Nervös und
fehlerhaft geriet ihm vor allem das Allegro
con brio ed appassionato. Erst das Arietta des zweiten Satzes ließ ihn zur
Ruhe kommen. Hier zeigte er seine kantable Seite und verstand es, wenn auch
nicht immer mit sicherer Hand, die Bewegungen der 6/16, 9/16 und 12/32-Taktierung
fließend umzusetzen. Seine Triller im Leggiermente
und sein Espressivo am Schluss des
sehr ausgedehnten Zweiten Satzes
konnten für viele Hudeleien und Unsauberkeiten entschädigen. Vielleicht hätte
er sich ein etwas leichteres Werk Beethovens aussuchen sollen. Der freundliche
Beifall des Publikums war ihm allerdings gewiss. Im Gespräch mit Praml stellte
sich heraus, dass es seine Premiere war, was zumindest seine Aufgeregtheit
entschuldigt.
Ein Beethoven in C
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Oliver Leicht (Foto: Künstlerhaus Mousonturm) |
Oliver Leicht,
Saxophonist und Klarinettist aus der hr-Bigband sampelte eine Sinfonie
Beethovens mit viel Witz, Swing und Klarinettentönen in den vollbesetzten
Zuschauerraum. Skalen rauf und runter mit viel begleitendem Farbenlicht von
Blau bis Orange sollte die Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 (1799) symbolisieren.
Man brauchte viel Kenntnis und vor allem Fantasie, um darauf zu kommen.
Er liebe, so seine Bemerkung im Interview, den Melodienreichtum bei Beethoven, von dem er einige Schnipsel geborgt habe. Zwar sei seine Affinität zu ihm gering, weil für sein Metier in der hr-Bigband wenig brauchbar. Aber was nicht ist, könne ja noch werden. So habe er ein Beethoven-Projekt 2020 geplant, dessen Ergebnisse man im ONO 2 in der Walter Kolb Straße 16 in Sachsenhausen, seinem ganz persönliches Konzerthaus mit Kneipe, life erleben könne. Wenig Neues zu Beethoven, dafür aber möglicherweise ein neuer Fan von ihm.
Vier Fragen ans Publikum, das bei bester Laune war, sollte
die Stimmung noch einmal für den Schlussauftritt von THE OHOHOHS steigern. Keiner wusste alle Antworten, aber alle
wussten mehr danach: So zum Beispiel, dass das „Van“ in Beethovens Namen von „van der
Rübenhöfe“ herrührt, das neben Beethoven Franz Schubert zur ewigen Ruhe
gebettet liegt, dass die Trauerrede von Franz Grillparzer stammt oder Beethoven
ein Klavierspiel bei Fürst Lichnowsky, einer seiner Freunde, verweigerte, weil
französische Abgesandte im Publikum saßen. Lehrreicher Spaß für alle.
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The OhOhOhs (v. l.: Florian Wäldele. Florian Dressler) Foto: The OhOhOhs |
Nach der Trauerrede: Ein Beethoven von allen Krankheiten geheilt
Dann aber, nach dem theatralisch, zu Tränen rührendem Vortrag
der Trauerrede von „Auguste“, folgten die beiden Zauberkünstler auf den Tasten
und Schlagwerken. Nach der vorangegangenen „Mogelpackung“ (Praml) jetzt ein
Beethoven, erkennbar, im Techno-Rhythmus, dennoch klangästhetisch, ideenreich
und supermodern phrasiert. Was die beiden Künstler da boten, ließ den Saal
nicht nur grooven, sondern schier aus dem Häuschen geraten. Der Dritte Satz aus der cis-Moll „Mondscheinsonate“, das Presto Agitato mit durchgehender Sechzehntel-Notation riss das
Publikum förmlich von den Sitzen. Der Kreis schloss sich.
Man erinnere sich an den Anfang, das herrliche Adagio sostenuto, schein-gespielt von
Gregor Praml, und jetzt der Schlusssatz daraus, echt-gespielt von den THE OHOHOHS, aber unter modernster Lesart. Zwar wurden die Gemüter noch einmal
beruhigt, als Augst alias Auguste zum Abschluss noch einmal einen Bericht über
die Beerdigung Beethovens vorlas – Ganz Wien war auf den Beinen. Die Schulen
geschlossen. Man brauchte eineinhalb Stunden vom Sterbeort zum Grab an der
Alser-Gasse, nur wenige hundert Meter entfernt. Die Grabrede vom Schauspieler und
Entertainer, Heinrich Anschütz, vorgelesen, ließ offenbar „die ganze Stadt weinen“.
Doch nicht das Publikum im Mousonturm. Sie forderten eine
Zugabe des Duo Flo/Flo (beide heißen mit Vornamen Florian) und bekamen sie
auch. Ein Rondo furioso ("Rondoh") von ungeheurer Kraft, Vielfalt, Virtuosität wie Einfallsreichtum.
Beethoven hätte, da er selbst als Avantgardist alles Neue aufsog, seine
helle Freude daran gehabt und wäre möglicherweise gar von seiner Taubheit
geheilt worden. Aber das ist selbstverständlich reine Spekulation.
Gregor Praml bedankte sich tief gerührt bei allen. Ein
langer, vielleicht ein etwas zu langer, aber dafür ein vielseitiger, spannungsgeladener
und locker wie verbindlich moderierter Abend wird noch lange in Erinnerung
bleiben. Pramls LOKAL-Listener entwickelt sich langsam zum Kultur-Kultereignis in
Frankfurt. Der Mousonturm müsste bald anbauen, wenn die Beliebtheit dieses
Formats in dieser rasanten Weise voranschreitet.
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