Dienstag, 14. Januar 2020


Ensemble Modern, Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr 2020, Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, 13.01.2020

Mitglieder des Ensemble Modern (Foto: Vincent Stefan)

Die Nummer Null, ein Auftakt nach Maß

Wie sagte doch der Geschäftsführer und Moderator dieser Veranstaltung, Christian Fausch, der, gemeinsam mit dem Intendanten der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort, durch den schillernden Abend führte: „Im Rahmen des Mottos des 40-jährigen Jubiläums: 1-2-3-4-zig Jahre Ensemble Modern gehört dieses Konzert im eigentlichen Sinne zur Nummer Null. Es soll einen Einblick auf den Facettenreichtum des Ensemble Modern bieten und Lust auf die weiteren vier geplanten Konzertreihen machen.“

Eins plus alle. Das bezeichnet das Wesen eines Ensembles, in dem jeder Einzelne Teil einer Gemeinschaft und gleichzeitig Solist ist. In diesem Sinne hatte man sechs Kompositionen, darunter drei Uraufführungen, ausgesucht, in denen die Ensemblemitglieder ihr außergewöhnliches Können präsentieren, in kurzen Interviews über ihre Zusammenarbeit mit den Komponisten berichten konnten und las but not least die engen Bande zwischen den InstrumentalistInnen und KomponistInnen deutlich wurden. Keine Interpretation ohne das Zusammenspiel beider Seiten.
Enno Poppe (Foto: Harald Hoffmann)

Viele alte Freundschaften wurden reaktiviert, Vergangenheit und Zukunft beschworen, Erinnerung und Hoffnung zum Ausdruck gebracht. So mit Holz (2000) von Enno Poppe (*1969), der dieses Stück für Soloklarinette Jaan Bossier wie auf den Leib geschnitten hat. Es versteht sich von selbst, dass er viele seiner Werke im Auftrag des Ensembles und für das Ensemble geschrieben hat und seit vielen Jahren in einem engen Kontakt zum Ensemble Modern steht. Leider konnte er am gestrigen Abend nicht persönlich anwesend sein.

Das gilt ebenso für Hans Zender (1936-2019), dem Mitbegründer der Happy New Ears-Reihe im Jahre 1993 und Förderer sowie kompositorischer Berater des Ensemble Modern seit seinem Bestehen. Sein Issei No Kyȏ. Gesang von einem Ton für Sopran, obligate Piccoloflöte und Ensemble (2009) wurde denn auch im Gedächtnis an seinen Tod im Oktober des vergangenen Jahres aufgeführt. Ein dem Zen-Buddhismus nahestehendes Werk, das die kalte Ichlosigkeit der Postmoderne bekämpft und für die Entfaltung der Vielfalt wirbt.

Hans Zender (br-klassik.de)
Die langjährige Freundin des Ensemble, Juliet Fraser, schlüpfte dafür in verschiedene Charaktere und sang nach einem von Gertrud Zender übersetzten japanischen Text aus dem 15. Jahrhundert in vier Sprachen (darunter auch chinesisch). Ein vierundzwanzig-minütiges Werk von großer Ausdruckskraft und philosophischer Nachdenklichkeit (das, nebenbei bemerkt, klanglich untermalt wurde durch das 3. Klavierkonzert Beethovens mit Rudolf Buchbinder im Großen Saal). Nicht zu vergessen der Mitbegründer des Ensembles und das dienstälteste Mitglied, Dietmar Wiesner, der auf seiner Piccoloflöte, ganz im Stile der alten buddhistischen Bettlerorden, durch die Reihen des Publikums wanderte, und den Leuten die Flötentöne ins Ohr blies. Ursprünglich ein Akt zwischen Karneval und tiefer Religiosität. Dazu Zender: „Ich verdanke der japanischen Kultur unendlich viel an geistiger Anregung.“

Drei Uraufführungen, ein Blick in die Zukunft

Anthony Cheung (Foto: music.columbia.edu)

Von drei Uraufführungen war die Rede. Ein Zeichen dafür, wie eng das Ensemble mit der jungen Komponistengeneration verbunden ist. Da ist das Klavierkonzert des jungen Kaliforniers Anthony Cheung (*1982), A Line Go Anywhere (2019). Ein klassischer Dreiteiler, schnell-langsam-schnell, der zu einem von 25 vergebenen Auftragswerken des Kölner Non-Beethoven-Projekts gehört, so vermittelte es zumindest Louwrens Langevoort. Mit dem Solisten Ueli Wiget am Klavier konnte eigentlich nichts schief gehen. Große Dramatik mit Anklängen eher an Tschaikowski als an Beethoven, starke Anbindung an skulpturale Drahtfiguren der japanisch-amerikanischen Bildhauerin Ruth Asawa (1926-2013) sowie das nahtlose Zusammenspiel der übrigen 16 InstrumentalistInnen (darunter der wirklich exzellente Keyboarder Vitaliy Kyianytsia) gaben dem Werk eine positive Sicht in die Zukunft.



Elena Mendoza (Foto: villamassimo.it)




Auch das instrumentale Theater der Elena Mendoza (*1973) unter dem Titel Zwei Szenen (2019) und der erfrischenden Solistin Megumi Kasakawa an der Viola konnte neue Wege der Musik aufzeigen. Mal ging es um Sprache, um das Verhältnis von Instrument und Spieler, um die sprichwörtliche Heirat zwischen beiden (Megumi Kasakawa konnte dem im Interview durchaus zustimmen), dann wieder um gruppendynamische Prozesse nach einer Kurzgeschichte von Franz Kafka: Gemeinschaft. Nicht durchweg schlüssig, aber bewegungsreich und unglaublich agil. Die Schlussapotheose (übrig bleiben fünf Streicher die anderen sind ausgeschlossen) bestand aus einem Schieben und Scharren, einem Blasen und scharfen Reiben auf Styropor, Steg, Holz oder Trommel. Frank Ollu? Übrigens ein ausgezeichneter Leiter durch diesen Abend.
Wer ist nun ausgeschlossen? Vielleicht gar der Dirigent,


Blai Soler (blaisoler.com)


Das Katalane Blai Soler (*1977) hatte es mit der Violine. Seit vielen Jahren befreundet mit Jagdish Mistry, den ersten Geiger des Ensembles, hat er ihm ein Solokonzert gewidmet, das sich vorwiegend auf den leeren Saiten des Instruments bewegt. Soler hält wenig von den üblichen Violinkonzerten mit allzu großer Besetzung. Er liebt das Kleine, überschaubare und hat deshalb auch lediglich zehn MusikerInnen für sein Off The Spring (2019) vorgesehen. Ein Steigerungslauf mit akzentuierter Rhythmik von der G- über die D-, die A- bis zur hohen E-Saite verlieh dem elfminütigen Werk  einen großen Spannungsbogen, wobei die Violine virtuos brillierte während das Ensemble lediglich als Klangteppich, als „homogener Korpus“ (Soler) fungierte. Eine Kammermusik, die in dieser Form ein wenig an Chopins Klavierkonzerte erinnert, die ja auch durchaus mit kleiner Besetzung aufzuführen sind.

Rundherum bewegt


Zum absoluten Höhepunkt gehörte das bereits 2014 entstandene Werk Runaround von Vito Žuraj (*1979). Auch er arbeitet seit Langem mit dem Ensemble zusammen, das viele seiner Werke uraufgeführt hat. Runaround ist Ergebnis seiner Begeisterung für die „Improvisationskunst der Blechbläser des Ensembles“. Allen voran Saar Berger, ein Ausnahme-Hornist und mittlerweile enger Freund von Zuraj. Als passionierter Tennisspieler zeichnen sich seine Werke durch viel Bewegung und Rhythmus aus. Berger spricht im gemeinsamen Interview mit Langevoort von „sportlichen Melodien“, die er an ihm so schätze.
Vito Žuraj (Foto: ndr.de)

Vier Blechbläsersolisten standen nebst sechszehn MusikerInnen auf der Bühne (eigentlich sollten sie im Raum verteilt auftreten, was wohl in der Enge des vollbesetzten Mozartsaals nicht machbar war) und präsentierten ein Feuerwerk ihres Könnens. William Forman, Trompete, Stephen Menotti, Posaune, Saar Berger, Horn, sowie Sava Stoianov, Trompete, (die beiden Erstgenannten sind Freunde des Ensembles) zeigten im wahrsten Sinne, was man alles aus diesen Blechen herausblasen kann. In Freejazz-Manier präparierten und demontierten sie ihre Geräte, brummten, grunzten, plapperten und schmetterten sie was das Zeug hergab und endeten schließlich bei Mundstück und Lippenblasen. Großer Lacher, als Witzbold Saar Berger schließlich an Franck Ollu herantrat und ihm provozierend ins Gesicht prustete.

Drei Stunden Vielfalt, neue und neueste Musik, viele Umarmungen, große Freundschaftsbezeugungen, schmerzhafte Erinnerungen, viele Widmungen und Wohlfühlatmosphäre im besten Sinne. Das Jahr fängt bestens an. Es kann nur gut werden. Man wünscht es von Herzen dem Ensemble Modern und seinem Umfeld.  

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