Ensemble Modern,
Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr 2020, Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt,
13.01.2020
Die Nummer Null, ein Auftakt nach Maß
Wie sagte doch der Geschäftsführer und Moderator dieser Veranstaltung, Christian Fausch, der, gemeinsam mit dem Intendanten der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort, durch den schillernden Abend führte: „Im Rahmen des Mottos des 40-jährigen Jubiläums: 1-2-3-4-zig Jahre Ensemble Modern gehört dieses Konzert im eigentlichen Sinne zur Nummer Null. Es soll einen Einblick auf den Facettenreichtum des Ensemble Modern bieten und Lust auf die weiteren vier geplanten Konzertreihen machen.“
Eins plus alle. Das bezeichnet das Wesen eines Ensembles, in
dem jeder Einzelne Teil einer Gemeinschaft und gleichzeitig Solist ist. In
diesem Sinne hatte man sechs Kompositionen, darunter drei Uraufführungen,
ausgesucht, in denen die Ensemblemitglieder ihr außergewöhnliches Können
präsentieren, in kurzen Interviews über ihre Zusammenarbeit mit den Komponisten
berichten konnten und las but not least die engen Bande zwischen den
InstrumentalistInnen und KomponistInnen deutlich wurden. Keine Interpretation
ohne das Zusammenspiel beider Seiten.
Viele alte Freundschaften wurden reaktiviert, Vergangenheit
und Zukunft beschworen, Erinnerung und Hoffnung zum Ausdruck gebracht. So mit Holz (2000) von Enno Poppe (*1969), der dieses Stück für Soloklarinette Jaan Bossier wie auf den Leib
geschnitten hat. Es versteht sich von selbst, dass er viele seiner Werke im Auftrag
des Ensembles und für das Ensemble geschrieben hat und seit vielen Jahren in
einem engen Kontakt zum Ensemble Modern
steht. Leider konnte er am gestrigen Abend nicht persönlich anwesend sein.
Das gilt ebenso für Hans
Zender (1936-2019), dem Mitbegründer der Happy New Ears-Reihe im Jahre 1993
und Förderer sowie kompositorischer Berater des Ensemble Modern seit seinem Bestehen. Sein Issei No Kyȏ.
Gesang von einem Ton für Sopran, obligate Piccoloflöte und Ensemble (2009)
wurde denn auch im Gedächtnis an seinen Tod im Oktober des vergangenen Jahres
aufgeführt. Ein dem Zen-Buddhismus nahestehendes Werk, das die kalte
Ichlosigkeit der Postmoderne bekämpft und für die Entfaltung der Vielfalt
wirbt.
![]() |
Hans Zender (br-klassik.de) |
Drei Uraufführungen, ein Blick in die Zukunft
Von drei Uraufführungen war die Rede. Ein Zeichen dafür, wie
eng das Ensemble mit der jungen Komponistengeneration verbunden ist. Da ist das
Klavierkonzert des jungen Kaliforniers Anthony
Cheung (*1982), A Line Go Anywhere
(2019). Ein klassischer Dreiteiler, schnell-langsam-schnell, der zu einem von
25 vergebenen Auftragswerken des Kölner Non-Beethoven-Projekts
gehört, so vermittelte es zumindest Louwrens Langevoort. Mit dem Solisten Ueli Wiget am Klavier konnte eigentlich
nichts schief gehen. Große Dramatik mit Anklängen eher an Tschaikowski als an Beethoven,
starke Anbindung an skulpturale Drahtfiguren der japanisch-amerikanischen
Bildhauerin Ruth Asawa (1926-2013) sowie das nahtlose Zusammenspiel der übrigen
16 InstrumentalistInnen (darunter der wirklich exzellente Keyboarder Vitaliy Kyianytsia) gaben dem Werk eine
positive Sicht in die Zukunft.
![]() |
Elena Mendoza (Foto: villamassimo.it) |
Auch das instrumentale Theater der Elena Mendoza (*1973) unter dem Titel Zwei Szenen (2019) und der erfrischenden Solistin Megumi Kasakawa an der Viola konnte neue Wege der Musik aufzeigen. Mal ging es um Sprache, um das Verhältnis von Instrument und Spieler, um die sprichwörtliche Heirat zwischen beiden (Megumi Kasakawa konnte dem im Interview durchaus zustimmen), dann wieder um gruppendynamische Prozesse nach einer Kurzgeschichte von Franz Kafka: Gemeinschaft. Nicht durchweg schlüssig, aber bewegungsreich und unglaublich agil. Die Schlussapotheose (übrig bleiben fünf Streicher die anderen sind ausgeschlossen) bestand aus einem Schieben und Scharren, einem Blasen und scharfen Reiben auf Styropor, Steg, Holz oder Trommel. Frank Ollu? Übrigens ein ausgezeichneter Leiter durch diesen Abend.
![]() |
Blai Soler (blaisoler.com) |
Das Katalane Blai Soler (*1977) hatte es mit der Violine. Seit vielen Jahren befreundet mit Jagdish Mistry, den ersten Geiger des Ensembles, hat er ihm ein Solokonzert gewidmet, das sich vorwiegend auf den leeren Saiten des Instruments bewegt. Soler hält wenig von den üblichen Violinkonzerten mit allzu großer Besetzung. Er liebt das Kleine, überschaubare und hat deshalb auch lediglich zehn MusikerInnen für sein Off The Spring (2019) vorgesehen. Ein Steigerungslauf mit akzentuierter Rhythmik von der G- über die D-, die A- bis zur hohen E-Saite verlieh dem elfminütigen Werk einen großen Spannungsbogen, wobei die Violine virtuos brillierte während das Ensemble lediglich als Klangteppich, als „homogener Korpus“ (Soler) fungierte. Eine Kammermusik, die in dieser Form ein wenig an Chopins Klavierkonzerte erinnert, die ja auch durchaus mit kleiner Besetzung aufzuführen sind.
Rundherum bewegt
Zum absoluten Höhepunkt gehörte das bereits 2014 entstandene
Werk Runaround von Vito Žuraj
(*1979). Auch er arbeitet seit Langem mit dem Ensemble zusammen, das viele
seiner Werke uraufgeführt hat. Runaround
ist Ergebnis seiner Begeisterung für die „Improvisationskunst der Blechbläser
des Ensembles“. Allen voran Saar Berger,
ein Ausnahme-Hornist und mittlerweile enger Freund von Zuraj. Als passionierter
Tennisspieler zeichnen sich seine Werke durch viel Bewegung und Rhythmus aus.
Berger spricht im gemeinsamen Interview mit Langevoort von „sportlichen
Melodien“, die er an ihm so schätze.
Vier Blechbläsersolisten standen nebst sechszehn
MusikerInnen auf der Bühne (eigentlich sollten sie im Raum verteilt auftreten,
was wohl in der Enge des vollbesetzten Mozartsaals nicht machbar war) und
präsentierten ein Feuerwerk ihres Könnens. William
Forman, Trompete, Stephen Menotti,
Posaune, Saar Berger, Horn, sowie Sava Stoianov, Trompete, (die beiden
Erstgenannten sind Freunde des Ensembles) zeigten im wahrsten Sinne, was man
alles aus diesen Blechen herausblasen kann. In Freejazz-Manier präparierten und
demontierten sie ihre Geräte, brummten, grunzten, plapperten und schmetterten
sie was das Zeug hergab und endeten schließlich bei Mundstück und Lippenblasen.
Großer Lacher, als Witzbold Saar Berger schließlich an Franck Ollu herantrat
und ihm provozierend ins Gesicht prustete.
Drei Stunden Vielfalt, neue und neueste Musik, viele
Umarmungen, große Freundschaftsbezeugungen, schmerzhafte Erinnerungen, viele
Widmungen und Wohlfühlatmosphäre im besten Sinne. Das Jahr fängt bestens an. Es
kann nur gut werden. Man wünscht es von Herzen dem Ensemble Modern und seinem
Umfeld.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen