Mittwoch, 15. Januar 2020


Rudolf Buchbinder (Klavier) und die Wiener Symphoniker, Alte Oper Frankfurt, 14.01.2020 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)

Rudolf Buchbinder, Wiener Symphoniker (Foto: PRO ARTE)

Ein Marathonlauf durch alle Klavierkonzerte Beethovens


Alle Fünf Beethoven Klavierkonzerte an zwei Abenden: Ein Mammutprogramm möchte man meinen, das sich der 73-jährige „bekennende Beethoven Bewunderer“, Rudolf Buchbinder, da aufgehalst hat. Aber mitnichten. Er bot nicht allein eine sportliche Leistung der Extraklasse, sondern das auch mit außergewöhnlicher Kraft, präziser Leistung und überwältigender Routine.


Aber da gab es ja auch noch die Wiener Symphoniker, ein eingespieltes Team von ca. 60 Ausnahmemusikern und Musikerinnen, die diesem Ausnahmepianisten zur Seite standen und alles unternahmen, dass dieser Marathonlauf durch sämtliche Klavierkonzerte mit Bravour absolviert werden konnte.

Der zweite und letzte Abend des Zyklus´ bestand aus dem Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15, zwischen den Jahren 1793 und 1801 entstanden (die Kadenz erst 1809 für seinen Freund Erzherzog Rudolf), das noch stark an den Vorbildern Josef Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart orientiert ist, sowie aus dem letzten, dem Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73, das zwischen 1809 und 1810 komponiert und erstmals (Beethoven war mittlerweile nahezu taub) nicht von ihm selbst, sondern im Januar 1811 von seinem Freund, Gönner und Pianisten, dem Fürsten Lobkowitz, in kleinem Kreis uraufgeführt wurde, im November dann im Leipziger Gewandhaus mit Friedrich Schneider am Klavier die erste öffentliche Aufführung erfuhr. Der Komponist und Pianist Carl Czerny hat sie dann im Januar 1812 im Theater am Kärtnertor den Wienern zum ersten Mal zu Ohren gebracht. Alle Vorstellungen von größter Begeisterung begleitet.

Rudolf Buchbinder und sein Team wussten von Anfang an zu überzeugen. Hunderte Male gespielt verstand man sich quasi blind. Das Dirigat des Meisters vom Flügel aus war weitgehend überflüssig. Der Ton stimmte, vor allem die Abstimmung der Dynamik, der Feinheiten in der Phrasierung, in der typischen Beethovenschen Akzentuierung einzelner Noten, die plötzlichen Sforzati an unbetonten Taktteilen – kurz: Alles, was der Musik einen schwungvollen und dramatischen Zug verleiht, wurde bestens erfüllt.
Rudolf Buchbinder, Wiener Symphoniker (Foto: PRO ARTE)

Zwei in allen Belangen unterschiedliche Klavierkonzerte


Das galt vor allem für das Erste der beiden Konzerte. Eine Interpretation in allen Einzelteil stimmig: Im Allegro con brio mit großer Souveränität und klanglicher Wärme, im Largo samtweich und von majestätischer Klarheit und im abschließenden Rondo mit fantastischem Tempo, ausdrucksstarkem Kontrast und perfekten Wechseln zwischen Legato, Portato und Stakkato. Rundherum gelungen möchte man meinen, so elegant und präzise wie das unprätentiöse Auftreten des Meisters in anthrazitfarbenem Frack und wohl gelegtem grauem Haar.

Erst die Fünfte machte deutlich, dass ein Orchester in dieser Größenordnung ohne einen Dirigenten kaum auskommt. Bei aller Brillanz des Vortrags waren die Einsätze teilweise ungenau, der Deckel des Flügels verhinderte die Sicht zu den Bratschisten, Cellisten und Kontrabässen. Auch die Bläser waren davon betroffen und huschten mitunter verschreckt über ihre Einsätze. Die Doppelbelastung des Pianisten als Interpret und Dirigent schien hier seine Grenzen zu finden. Die von Beethoven geforderte „Sinfonische Einheit“ zwischen Solist und Orchester bekam einige Risse. Die quasi improvisierten Stellen vor allem im Allegro des ersten Satzes klangen etwas verschwommen, der Horneinsatz verzögert und die scharfen Akzentuierungen und spontanen Aha-Momente – leider Fehlanzeige. 
Großartige dagegen das Adagio un poco moto des zweiten Satzes. Eine Lyrik zum Dahinschmelzen. Dichtung und Wahrheit im Paket. Mit einem Hammerschlag setzte Buchbinder einen finalen Einstieg, der alles Vorherige in den Schatten stellte. Ein Rondo furioso, ganz im Sinne Beethovens, seine Helden zu loben (in Es-Dur sind auch neben seiner 3. Sinfonie auch vier seiner Klaviersonaten geschrieben) und ein Machtwort für die Zukunft (Beethoven befand sich in seiner produktivsten Schaffensphase: parallel komponierte er unter anderem die Fünfte, Sechste und Siebente Sinfonie) auszusprechen.

Rudolf Buchbinder, Wiener Symphoniker (Foto: PRO ARTE)

Routiniert und dennoch an jeglicher Novität interessiert

Zweifellos gehört Rudolf Buchbinder zu den Besten seiner Zunft. Er ist routiniert, aber immer noch auf der Suche nach Neuem und Außergewöhnlichem, er ist ein großer Denker an den Tasten, jeder Ton ist unter seinen Fingern wohldurchdacht, und dennoch fehlen ihm nicht spontane und improvisatorische Elemente. Wenn er davon spricht, dass er selbst Stücke, die er schon hunderte Male aufgeführt hat, immer noch stets wie eine Novität liest, dann nimmt man das ihm unbenommen ab. Buchbinder ist ein Phänomen und dürfte im Jahre 250 nach Beethovens Geburt einer seiner würdigsten Vertreter sein.
Die außergewöhnliche Konstellation als Interpret und Dirigent ist allerdings diskussionswürdig. Ein etwas anders besetztes Orchester (lediglich drei Celli, drei Kontrabässe und sechs Bratschen, eine gedämpfte Pauke etc. sind zu wenig für ein sinfonisches Klavierkonzert, wie das Fünfte), ein Dirigent als Vermittler zweier Klangkörper – es könnte durchaus die besonderen Qualitäten der beiden renommierten Spitzenkönner etwas mehr herausheben. Herzlicher Beifall und – natürlich – keine Zugabe.


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