Samstag, 29. Februar 2020


CRESC … Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main, 28.02 – 07.03.2020

Music Discovery Project – MaschinenWerk, Auftaktveranstaltung des Festivals in der Jahrhunderthalle Frankfurt, 28.02.2020

Music Discovery Project: hr-Sinfonieorchester (Fotos: hr/Tim Wegner)

Hip Hop, Theremin und hr-Sinfonieorchester –  geht das?

Mensch und Maschine (human_machine) lautet das Motto des diesjährigen cresc … Festivals, das vom Ensemble Modern und dem hr-Sinfonieorchester gestaltet und durchgeführt wird. Entsprechend der ursprünglichen Idee, alle zwei Jahre Neuestes aus dem aktuellen Musikleben einem aufgeschlossenen Publikum vorzustellen, geht es in diesem Jahr um das Verhältnis von Mensch und Technologie, das auf seine musikalische Vielfalt abgeklopft werden soll. An zwei Wochenenden trifft zeitgenössische Musik auf die unterschiedlichsten Genres und Gattungen wie Rap, Hip Hop, Heavy Metal, Noise, Turntables und selbstverständlich auch auf Live Elektronik.

Music Discovery Projekt als Eröffnungskonzert hat es sich in diesem Sinne zur Aufgabe gestellt, klassische Musik in Einklang mit dem Theremin – einem im Jahre 1920 von dem russischen Physiker Leon Theremin erfundenes erstes elektronisches Instrument (hier gespielt von der ausgezeichneten Interpretin Carolina Eyck) – und dem Hip Hop des erfolgreichsten deutschen Rappers Samy Deluxe, zu bringen. Ein  scheinbar brutaler Clash, vor allem dann, wenn das über 100-köpfige hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Steven Sloane den Versuch startet, diesen „wilden Ritt durch die Genres, Stile und Musiksprachen“ (Anmoderation: Johannes Sassenroth von youfm) zusammenzuhalten.

Dass dieser Versuch aber bei näherer Betrachtung völlig problemlos über die Bühne ging, lag vor allem an der Choreographie des Abends, das die 20 Nummern (zehn davon gehörten dem hr-Sinfonieorchester, neun dem Rapper Deluxe und zwei der Carolina Eyck, die gerechterweise aber bei mehreren Stücken wie Dancefloor with Pulsing von Régis Campo oder dem Song Gewinne mit Samy Deluxe mitwirkte und wunderbare Improvisationen produzierte) geschickt zusammenstellte, bei viel Licht-, Sound-, Video- und Bühneneffekten

Es wurde tatsächlich ein Abend der harmonischen Klangbilder und weitgehend weichgespülten Rhythmen. Man wechselte geschickt zwischen dem Orchester, das, vollkommen verkabelt, eine sehr technisch nahezu leblose Musik darbot, der fünfköpfigen Band um den Rapper Samy Deluxe (drei Background-Sängerinnen, zwei Musiker und dazu zwei Gastsängerinnen) und der Theremin-Virtuosin Carolina Eyck.
Carolina Eyck am Theremin, hr-Sinfonieorchester (Foto: hr/Tim Wegner)

Zauberin mit Tönen


Sie gehörte zum eigentlichen Höhepunkt dieser sehr überfrachteten, nahezu zweieinhalb Stunden pausen- und atemlos sich hinziehenden Vorstellung. In roter Robe und schwarzen Leggings gekleidet wirkte sie wie eine märchenhafte Zauberin und verstand es, in wenigen Worten und enigmatisch eleganten Bewegungen das Instrument vorzustellen und nie gehörte Töne aus dieser lediglich sichtbaren Stange zu entlocken. Geschickt gesampelt und elektronisch präpariert changierte es zwischen Violoncello und singender Säge. Glaubt man ihren Worten, so ließe sich sogar ihre körperliche und seelische Befindlichkeit auf das Instrument übertragen.

Mit zwei Stücken Remembrance und For Anne, aber auch ihre Improvisationen gemeinsam mit Orchester und Rapper Deluxe waren absolut sehens- und hörenswert. Diese Performance bot nicht allein die Neuentdeckung eines elektronischen Instruments, das seit vielen Jahren kaum noch eine Rolle im Musikbetrieb spielt, sondern auch die einer wunderbaren Beherrscherin dieses einzig auf der Welt berührungslos zu spielenden Instruments.

Hochkultur für die Generation Y

Samy Deluxe war natürlich der Star dieses Abends. Viele junge Leute kamen wohl hauptsächlich wegen ihm, denn er repräsentiert mit seinen Songs ein Lebensgefühl der Generation  Y (diejenigen zwischen 1980 und 1995 geborenen) und sang überwiegend Stücke aus seinem neuesten Soloalbum Hochkultur.
Samy Deluxe (Foto: hr/Tim Wegner)

Songs wie Muttersprache: „So redet man nicht über Mama“, Abendlicht (mit Orchesterarrangement von Peter Hinterthür), Requiem: „Es geht hoch … die Hochkultur“, oder Weck mich auf: „Menschen sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr“, thematisierten die deutsche „Hochkultur“ und stellten sie in den Kontext seiner afro-deutschen Herkunft. Deluxe präsentierte sich als Selbstdarsteller (viele Videos zeigten ihn in verschiedenen Posen) und hat eine große „JüngerInnenschar“, die alles von ihm aufsaugt (kreischender Beifall nach jedem Song). Digame – „Sag es mir was ich nicht versteh“ mit der spanischen Sängerin Laura López Castro und Maskenball: „Du hast eine Maske auf, ich kann dich sehen“ mit der Berliner Sängerin Celina Bostic (übrigens mit sehr warmer Mezzostimme) belegten einmal mehr, den machohaften Grundtenor von Hip Hop und ihren Vertretern. Beide Sängerinnen bildeten eher den Klangteppich für den Star, konnten aber keine eigene Note entfalten.



Klangwelt des technischen Zeitalters


Das hr-Sinfonieorchester spielte Werke von John Adams, Anton Bruckner, Antonin Dvořák, Arvo Pärt, Steve Reich, Régis Campo und – Alexander Mossolow (1900-1973). Sein Werk Eisengießerei von 1920 gehörte zum eindrücklichsten des Abends. Dem russischen Futurismus der 1920er Jahre verschrieben erwies sich diese Nummer als bravouröses Orchesterstück: stürmisch, krachend, stampfend und hämmernd (Richard Wagners Nibelheim lässt grüßen). Die Klangwelt des technischen Zeitalters ist in seiner ganzen Brutalität in diesem Stück vereint. Es war das Beste, was das hr-Sinfonieorchester bot.

Steven Sloane und das hr-Sinfonieorchester (Foto: Tim Wegner)

Durchgestylt mit Gefahr zur Hyperventilation


Ein durchgestylter Abend, abwechslungsreich gestaltet mit ablenkenden, aber wenig störenden Hintergrundvideos, vielen Lichteffekten und nahtlosen Übergängen. Atemlosigkeit war angesagt, aber die Gefahr zur Hyperventilation war groß – allzu groß. Ein 14-köpfiges Team (vielleicht auch mehr) hat sich große Mühe gegeben, 20 Nummern in zweieinhalb Stunden so zu takten und zu präsentieren, dass keine Längen und Spannungsabfälle entstehen. Eineinhalb Stunden, wie ursprünglich im Programm angegeben, hätten allerdings durchaus gereicht: weniger Songs (Samy Deluxe wiederholt sich oft), weniger Orchesterstücke (warum Anton Bruckners Scherzo aus seiner 3. Sinfonie oder Dvořáks gleichnamiges Scherzo aus dessen 9. Sinfonie?), dafür mehr Zeit zu hören, aufzunehmen und zu verarbeiten. Einzig der Theremin-Virtuosin Carolina Eyck gelang es ausgezeichnet, ihre Musik zugänglich zu machen. Ihr Erscheinen war die „Rettung“ des Music Discovery Project 2020.
v.l.: Laura López Castro, Celina Bostic, zwei Background-Sängerinnen, Carolina Eyck, Steven Sloane, Samy Deluxe, Background Sängerin, Bandmitglieder (Foto: hr/Tim Wegner) 

Die unaufgeregte musikalische Leitung von Steven Sloane konnte zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Nummern sehr statisch wirkten, fast leblos, in konsumfreundliche Häppchen aufgeteilt.
Der Eindruck, weniger lebendige Live-Music, dafür technisch aufbereitete Musikkonserven zu hören und dies medial noch verstärkt, machte dem Motto des Abends: MaschinenWerk zwar Ehre, aber der Musik und ihrem Verständnis half das wenig.  


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