Quatuor Ébène spielt
Beethoven Quartette, Zyklus 1: op. 18/1, op. 74 und op. 59/3 im Mozart Saal der
Alten Oper Frankfurt, 20.02.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museums-Gesellschaft
e.V.)
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| Quatuor Ébène, v.l.: Marie Chilemme (Viola), Pierre Colombet (1. Violine), Raphaël Merlin (Violoncello), Gabriel Le Magadure (2. Violine) Foto: Julie Mignot |
Das hochdekorierte Streichquartett Quatuor Ébène (zu Deutsch: Ebenholzquartett) mit Pierre Colombet (1. Violine), Gabriel Le Magadure (2. Violine), Marie Chilemme (Viola) und Raphaël Merlin (Violoncello) hat sich zum 250. Geburtstag Beethovens viel vorgenommen. An sechs Abenden werden sie sämtliche sechszehn seiner Quartette in der Alten Oper Frankfurt vortragen und somit einen vollständigen Überblick der Entwicklung dieser besonderen musikalischen Gattung unter den Händen Beethovens verschaffen.
Drei seiner ersten Quartette bekam das Publikum am gestrigen
Abend fürstlich serviert: nämlich Beethovens erstes Streichquartett op. 18/1 F-Dur (1799) – vermutlich das zweite von
sechs Quartetten, denn die Autographe sind leider verloren gegangen –, dann das
op. 74 Es-Dur (1809), ein Solitär aus
seiner mittleren und bereits innovativen Phase, und schließlich das op. 59/3
C-Dur (1806), bekannt vor allem durch die Titelmelodie des abschließenden Allegro molto des allseits beliebten Literarischen Quartetts (1988-2001), damals
unter der Federführung von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki mit Hellmuth Karasek,
Sigrid Löffler und jeweils einem geladenen Gast.
Aber eins nach dem andern. Das F-Dur Streichquartett, mehrere
Male überarbeitet und in seiner Urform erst 1922 wiederentdeckt, steht noch
ganz im Zeichen seiner Vorbilder Josef Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Das
viersätzige Werk (der erste Satz gehörte nebenbei bemerkt zur Titelmusik von Musikkritiker
Joachim Kaisers Rundfunksendung im BR: Kaiser´s
Corner) strotzt nur so von Einfällen, synkopischen Rhythmen, metrischen Verschiebungen
(Allegro con Brio), wehmütigen
Stimmungen, zartesten Melodien (Adagio
affettuoso ed appassionato), starker Akzentuierung, chromatischer und
oktavierender Passagen (Scherzo) und
heftigen Achtel-Repetitionen und wahnwitzigen Sechzehntel-Figurationen (Allegro).
Unter den Händen der vier Streicher geriet es zu einem
unerhörten Hörerlebnis, zu einer Disputation unter vier Meistern ihres Faches.
Mal diskursiv, mal kontrovers, mal aufbrausend, mal sachlich, von Vernunft
geprägt, immer aber aus einem Guss und stimmig. Viele Passagen spielten sie
auswendig, ständig vergewisserten sie sich ihrer Mitspieler, gaben sich Zeichen
und zugleich jeder Note einen besonderen Ausdruck. Selbst das zwangsweise
Mithören der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko im Großen Saal des
Hauses konnte diese Runde nicht annähernd beeinträchtigen. Beethovens erstes
(bzw. zweites Streichquartett) ließ keine fremden Töne zu, nahm sie vielmehr in
ihr musikalisches Gewebe auf, ohne der Komposition zu schaden.
Unter Belagerungszuständen auf der Höhe des Ruhms
Weshalb op. 74 – genannt
auch das Harfenquartett wegen seiner
gezupften Passagen vor allem in ersten Satz – dem C-Dur
Quartett op. 59 zeitlich vorgezogen wurde, lag wohl eher an dem
Bekanntheitsgrad der letztgenannten als an der Reifeentwicklung der Werke. Beethoven
schrieb dieses Quartett zweieinhalb Jahre nach op. 59 (1806), ein Jahr, in dem Wien von Napoleons Truppen belagert
wurde. Zudem entstanden sein letztes Klavierkonzert (op. 73) sowie seine
Klaviersonate Les Adieux (op. 81) und
last but not least besaß Beethoven bereits große Popularität außerhalb Wiens –Seine
Fünfte, die Schicksalssinfonie, und Sechste, die Pastorale, waren in ganz
Europa bekannt.
Auch op. 74 ist wie op.18/1 viersätzig, entfernt sich aber
bereits deutlich von der Sonatensatzform. Sie beginnt mit einer beschaulichen Adagio Introduktion, ähnlich dem Grave der Pathetique-Sonate op. 13, und endet im ersten Satz in einer Hommage an
Johann Sebastian Bachs Viertem
Brandenburgischem Konzert. Der zweite Satz, Adagio ma non troppo, changiert zwischen tiefer Melancholie in
Moll-Farben und einer Jetzt-erst-recht-Haltung in leuchtendem Dur-Kolorit. Das folgende
Presto, ein scherzhafter triolischer
Hummelflug durch alle Streicherstimmen, ein typischer Beethoven der Fünften Sinfonie, endet mit einer langen
Coda im Pianissimo, um dann
unvermittelt in das Allegretto con
variazioni des Finales zu wechseln. Eine sechsteilige Variation, die
offensichtlich bei seiner Uraufführung große Verwirrung hervorrief. Überhaupt
galt dieses Quartett wegen seinem Mangel an Melodien, seiner heftigen Kontraste
und Dissonanzen sowie seiner Sprunghaftigkeit zwischen Düsterkeit und Jubel als
wenig verständlich und eingängig (so zumindest schrieb 1811 die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung).
Heute trifft das mitnichten noch zu. Vor allem überzeugte
das Quatuor Ébène auch hier mit
großer Hingabe an die Komposition, jeden Ton erfühlend, die Stimmung des Komponisten
nachvollziehend, eines Mannes, der im Keller seines Bruders Karl Schutz vor den
Feinden suchte und sich vor dem Lärm des Kanonendonners Kissen auf die Ohren
drückte, um seine Taubheit nicht verschlimmern zu lassen. Zwei Schlussakkorde
im Pianissimo ließen dennoch Beethovens
Humor aufblitzen. Auf der Höhe seines Schaffens und Erfolgs und zudem ein
gern gesehener und beliebter „Partylöwe“ stand er doch mitten in der
Gesellschaft und konnte trotz Napoleonischer Kriegszüge durch Europa heiter in
die Zukunft schauen.
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| Quatuor Ébène, v.l.: Raphaël Merlin (Violoncello), Pierre Colombet (1. Violine), Gabriel Le Magadure (2. Violine) Marie Chilemme (Viola) Foto: Julie Mignot |
Die Auslotung der Grenzen menschlichen Vermögens
Das Streichquartett op. 59/3 C-Dur (1806), parallel zu seinen
berühmten Klaviersonaten op. 53 (Waldstein) und op. 57 (Appassionata)
entstanden, gehört zum letzten dieser Triade und markiert tatsächlich den
Wendepunkt von Beethovens Schaffen: „Von heute an will ich einen neuen Weg
einschlagen!“ schreibt er bereits im Jahre 1802 an seinen Lehrer Carl Czerny.
Mit diesen drei Werken (Nr. 1, F-Dur, Nr. 2, E-Moll) gelingt Beethoven der
Quantensprung in einen neuen Musikkosmos.
Die Gattung Streichquartett, bis dahin eher eine
Angelegenheit für den privaten Salon, wird jetzt zu einer Angelegenheit der
Öffentlichkeit. Mit op. 59 beginnt die Steigerung der spieltechnischen Anforderungen,
die Ära der Professionalisierung der Streichquartette (Das Schuppanzigh-Quartett wurde 1808 das erste von Fürst Rasumowsky bezahlte Streichquartett
überhaupt) und das Heraustreten hervorragender Einzelkünstler zur Bewältigung
der Schwierigkeiten.
Beethoven lotet hier bereits die Grenzen der Form und der
technischen Möglichkeiten der Instrumente vollständig aus. Bereits der erste Satz
beginnt mit einer getragenen Introduktion in Moll mit vermindertem Septakkord,
eine seiner Spezialitäten. Auch die Sonatenform existiert nur noch rudimentär
und wird von der entwickelnden Variation ersetzt. Da dieses Quartett seinem
Freund und Gönner Fürst Rasumowsky, einem russischen Gesandten, gewidmet ist,
lassen sich vor allem im zweiten Satz, einem lyrischen Adagio, Anklänge an russische Volksmelodien feststellen, die er auch
für seine Siebte Sinfonie (1812)
verwendete. Ein fast ans Ironische
grenzendes Menuetto grazioso, ein
polternder Schreittanz im dreiviertel Takt, leitet dann unverhohlen in den Finalsatz
über, ein stürmisches Fugato von
ungeheurer Kraft und Leidenschaft.
Wie oben bereits erwähnt gehörte dieser krönende Schlusssatz
zur Erkennungsmelodie des Literarischen Quartetts
unter der Ägide von Marcel Reich-Ranicki. Ein streitbarer, charismatischer
Literaturkritiker, der polarisierte, das Glatte mied und das Konträre Unangepasste
liebte. Ganz so auch dieses Allegro molto,
das vom Quatuor Ébène in einem
rasenden Wettstreit, einem Quadrolog von überschäumender Emotionalität an die
Grenze der Spielbarkeit geführt wurde. Atemlos, einem Orkan ähnlich, und
trotzdem mit einer Grandezza und Sicherheit, die sogar noch eine Stretta, eine
Satzcoda von über 100 Takten, vertrug, ein wahrhafter Hurrikan auf den Instrumenten,
die, das versteht sich von selbst, allesamt von berühmten Geigenbauern wie
Stradivari, Tononi und Hollmayr stammen – möglicherweise auch Hintergrund der
Namensgebung.
Ein Beethoven-Zyklus, den man nicht versäumen sollte
Quatuor Ébène ist
in Frankfurt kein unbekanntes Ensemble mehr, ist es doch seit ihrer Gründung im
Jahre 1999/2000 bereits fünfmal im Rahmen der Museumskonzerte aufgetreten. In
diesem Jahr feiert es sein 20-jähriges Bestehen und hat sich dazu sämtliche 16 Streichquartette
Beethovens vorgenommen. In einem Zyklus von sechs Konzerten tritt es abwechselnd
in Paris, New York, Wien, München, Hamburg und Frankfurt auf. Eine Mammutaufgabe,
die mit den drei Quartetten aus der frühen und mittleren Schaffenszeit
Beethovens bereits einen ersten Höhepunkt erfahren hat.
In Frankfurt sind die nächsten Termine: 12. März (op.18/6 und op.132),
04. Juni (op.18/5, op.18/4,
op. 172), 08.Oktober (op.59/1,
op.130), 22. Oktober (op.18/2,
op.135, op.131) sowie 26. November (op.18/3,
op.95, op.59/2).
Termine, die man nicht versäumen sollte, denn in dieser Qualität
wird man diese Quartette wohl kaum wieder hören und erleben können.


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