Freitag, 21. Februar 2020


Quatuor Ébène spielt Beethoven Quartette, Zyklus 1: op. 18/1, op. 74 und op. 59/3 im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, 20.02.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museums-Gesellschaft e.V.)

Quatuor Ébène, v.l.: Marie Chilemme (Viola), Pierre Colombet (1. Violine), Raphaël Merlin (Violoncello), Gabriel Le Magadure (2. Violine)  Foto: Julie Mignot

Eine Disputation unter vier Meistern ihres Faches

Das hochdekorierte Streichquartett Quatuor Ébène (zu Deutsch: Ebenholzquartett) mit Pierre Colombet (1. Violine), Gabriel Le Magadure (2. Violine), Marie Chilemme (Viola) und Raphaël Merlin (Violoncello) hat sich zum 250. Geburtstag Beethovens viel vorgenommen. An sechs Abenden werden sie sämtliche sechszehn seiner Quartette in der Alten Oper Frankfurt vortragen und somit einen vollständigen Überblick der Entwicklung dieser besonderen musikalischen Gattung unter den Händen Beethovens verschaffen.


Drei seiner ersten Quartette bekam das Publikum am gestrigen Abend fürstlich serviert: nämlich Beethovens erstes Streichquartett op. 18/1 F-Dur (1799) – vermutlich das zweite von sechs Quartetten, denn die Autographe sind leider verloren gegangen –, dann das op. 74 Es-Dur (1809), ein Solitär aus seiner mittleren und bereits innovativen Phase, und schließlich das op. 59/3 C-Dur (1806), bekannt vor allem durch die Titelmelodie des abschließenden Allegro molto des allseits beliebten Literarischen Quartetts (1988-2001), damals unter der Federführung von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki mit Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und jeweils einem geladenen Gast.

Aber eins nach dem andern. Das F-Dur Streichquartett,  mehrere Male überarbeitet und in seiner Urform erst 1922 wiederentdeckt, steht noch ganz im Zeichen seiner Vorbilder Josef Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Das viersätzige Werk (der erste Satz gehörte nebenbei bemerkt zur Titelmusik von Musikkritiker Joachim Kaisers Rundfunksendung im BR: Kaiser´s Corner) strotzt nur so von Einfällen, synkopischen Rhythmen, metrischen Verschiebungen (Allegro con Brio), wehmütigen Stimmungen, zartesten Melodien (Adagio affettuoso ed appassionato), starker Akzentuierung, chromatischer und oktavierender Passagen (Scherzo) und heftigen Achtel-Repetitionen und wahnwitzigen Sechzehntel-Figurationen (Allegro).

Unter den Händen der vier Streicher geriet es zu einem unerhörten Hörerlebnis, zu einer Disputation unter vier Meistern ihres Faches. Mal diskursiv, mal kontrovers, mal aufbrausend, mal sachlich, von Vernunft geprägt, immer aber aus einem Guss und stimmig. Viele Passagen spielten sie auswendig, ständig vergewisserten sie sich ihrer Mitspieler, gaben sich Zeichen und zugleich jeder Note einen besonderen Ausdruck. Selbst das zwangsweise Mithören der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko im Großen Saal des Hauses konnte diese Runde nicht annähernd beeinträchtigen. Beethovens erstes (bzw. zweites Streichquartett) ließ keine fremden Töne zu, nahm sie vielmehr in ihr musikalisches Gewebe auf, ohne der Komposition zu schaden.

Unter Belagerungszuständen auf der Höhe des Ruhms


Weshalb op. 74 – genannt auch das Harfenquartett wegen seiner gezupften Passagen vor allem in ersten Satz –  dem C-Dur Quartett op. 59 zeitlich vorgezogen wurde, lag wohl eher an dem Bekanntheitsgrad der letztgenannten als an der Reifeentwicklung der Werke. Beethoven schrieb dieses Quartett zweieinhalb Jahre nach op. 59 (1806), ein Jahr, in dem Wien von Napoleons Truppen belagert wurde. Zudem entstanden sein letztes Klavierkonzert (op. 73) sowie seine Klaviersonate Les Adieux (op. 81) und last but not least besaß Beethoven bereits große Popularität außerhalb Wiens –Seine Fünfte, die Schicksalssinfonie, und Sechste, die Pastorale, waren in ganz Europa bekannt.

Auch op. 74 ist wie op.18/1 viersätzig, entfernt sich aber bereits deutlich von der Sonatensatzform. Sie beginnt mit einer beschaulichen Adagio Introduktion, ähnlich dem Grave der Pathetique-Sonate op. 13,  und endet im ersten Satz in einer Hommage an Johann Sebastian Bachs Viertem Brandenburgischem Konzert. Der zweite Satz, Adagio ma non troppo, changiert zwischen tiefer Melancholie in Moll-Farben und einer Jetzt-erst-recht-Haltung in leuchtendem Dur-Kolorit. Das folgende Presto, ein scherzhafter triolischer Hummelflug durch alle Streicherstimmen, ein typischer Beethoven der Fünften Sinfonie, endet mit einer langen Coda im Pianissimo, um dann unvermittelt in das Allegretto con variazioni des Finales zu wechseln. Eine sechsteilige Variation, die offensichtlich bei seiner Uraufführung große Verwirrung hervorrief. Überhaupt galt dieses Quartett wegen seinem Mangel an Melodien, seiner heftigen Kontraste und Dissonanzen sowie seiner Sprunghaftigkeit zwischen Düsterkeit und Jubel als wenig verständlich und eingängig (so zumindest schrieb 1811 die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung).

Heute trifft das mitnichten noch zu. Vor allem überzeugte das Quatuor Ébène auch hier mit großer Hingabe an die Komposition, jeden Ton erfühlend, die Stimmung des Komponisten nachvollziehend, eines Mannes, der im Keller seines Bruders Karl Schutz vor den Feinden suchte und sich vor dem Lärm des Kanonendonners Kissen auf die Ohren drückte, um seine Taubheit nicht verschlimmern zu lassen. Zwei Schlussakkorde im Pianissimo ließen dennoch Beethovens Humor aufblitzen. Auf der Höhe seines Schaffens und Erfolgs und zudem ein gern gesehener und beliebter „Partylöwe“ stand er doch mitten in der Gesellschaft und konnte trotz Napoleonischer Kriegszüge durch Europa heiter in die Zukunft schauen.
Quatuor Ébène, v.l.: Raphaël Merlin (Violoncello), Pierre Colombet (1. Violine),  Gabriel Le Magadure (2. Violine) 
Marie Chilemme (Viola)   Foto: Julie Mignot 

Die Auslotung der Grenzen menschlichen Vermögens


Das Streichquartett op. 59/3 C-Dur (1806), parallel zu seinen berühmten Klaviersonaten op. 53 (Waldstein) und op. 57 (Appassionata) entstanden, gehört zum letzten dieser Triade und markiert tatsächlich den Wendepunkt von Beethovens Schaffen: „Von heute an will ich einen neuen Weg einschlagen!“ schreibt er bereits im Jahre 1802 an seinen Lehrer Carl Czerny. Mit diesen drei Werken (Nr. 1, F-Dur, Nr. 2, E-Moll) gelingt Beethoven der Quantensprung in einen neuen Musikkosmos.
Die Gattung Streichquartett, bis dahin eher eine Angelegenheit für den privaten Salon, wird jetzt zu einer Angelegenheit der Öffentlichkeit. Mit op. 59 beginnt die Steigerung der spieltechnischen Anforderungen, die Ära der Professionalisierung der Streichquartette (Das Schuppanzigh-Quartett wurde 1808 das erste von Fürst Rasumowsky bezahlte Streichquartett überhaupt) und das Heraustreten hervorragender Einzelkünstler zur Bewältigung der Schwierigkeiten.

Beethoven lotet hier bereits die Grenzen der Form und der technischen Möglichkeiten der Instrumente vollständig aus. Bereits der erste Satz beginnt mit einer getragenen Introduktion in Moll mit vermindertem Septakkord, eine seiner Spezialitäten. Auch die Sonatenform existiert nur noch rudimentär und wird von der entwickelnden Variation ersetzt. Da dieses Quartett seinem Freund und Gönner Fürst Rasumowsky, einem russischen Gesandten, gewidmet ist, lassen sich vor allem im zweiten Satz, einem lyrischen Adagio, Anklänge an russische Volksmelodien feststellen, die er auch für seine Siebte Sinfonie (1812) verwendete.  Ein fast ans Ironische grenzendes Menuetto grazioso, ein polternder Schreittanz im dreiviertel Takt, leitet dann unverhohlen in den Finalsatz über, ein stürmisches Fugato von ungeheurer Kraft und Leidenschaft.

Wie oben bereits erwähnt gehörte dieser krönende Schlusssatz zur Erkennungsmelodie des Literarischen Quartetts unter der Ägide von Marcel Reich-Ranicki. Ein streitbarer, charismatischer Literaturkritiker, der polarisierte, das Glatte mied und das Konträre Unangepasste liebte. Ganz so auch dieses Allegro molto, das vom Quatuor Ébène in einem rasenden Wettstreit, einem Quadrolog von überschäumender Emotionalität an die Grenze der Spielbarkeit geführt wurde. Atemlos, einem Orkan ähnlich, und trotzdem mit einer Grandezza und Sicherheit, die sogar noch eine Stretta, eine Satzcoda von über 100 Takten, vertrug, ein wahrhafter Hurrikan auf den Instrumenten, die, das versteht sich von selbst, allesamt von berühmten Geigenbauern wie Stradivari, Tononi und Hollmayr stammen – möglicherweise auch Hintergrund der Namensgebung.

Ein Beethoven-Zyklus, den man nicht versäumen sollte


Quatuor Ébène ist in Frankfurt kein unbekanntes Ensemble mehr, ist es doch seit ihrer Gründung im Jahre 1999/2000 bereits fünfmal im Rahmen der Museumskonzerte aufgetreten. In diesem Jahr feiert es sein 20-jähriges Bestehen und hat sich dazu sämtliche 16 Streichquartette Beethovens vorgenommen. In einem Zyklus von sechs Konzerten tritt es abwechselnd in Paris, New York, Wien, München, Hamburg und Frankfurt auf. Eine Mammutaufgabe, die mit den drei Quartetten aus der frühen und mittleren Schaffenszeit Beethovens bereits einen ersten Höhepunkt erfahren hat.

In Frankfurt sind die nächsten Termine: 12. März (op.18/6 und op.132),  04. Juni (op.18/5, op.18/4, op. 172), 08.Oktober (op.59/1, op.130), 22. Oktober (op.18/2, op.135, op.131) sowie 26. November (op.18/3, op.95, op.59/2).
Termine, die man nicht versäumen sollte, denn in dieser Qualität wird man diese Quartette wohl kaum wieder hören und erleben können.
  

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