CRESC … Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main,
28.02 – 07.03.2020
Ballet Mécanique
(1924/1953) von George Antheil (1900-1959) und Rundfunk (2018) von Enno Poppe (*1969), LAB Frankfurt, 29.02.2020
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| Ballet mécanique: Ensemble Modern, Dirigent Enno Poppe (Fotos: EM/Walter Vorjohann) |
Noch heute kritisch
und provokativ
„Plötzlich explodierte der erste Donnerschlag der Musik – ein fürchterliches Dröhnen von Schlagzeug – gefolgt von einem Wirrwarr von schroffen und misstönenden Rhythmen.“ So beschreibt 1987 der amerikanischer Journalist Hugh Ford seinen ersten Höreindruck dieser legendären Skandalmusik: Ballet Mécanique. Ursprünglich gedacht als Filmmusik für sechzehn mechanische Klaviere, vier Xylophone, zwei elektrische Klingeln, zwei Flugzeugpropeller, Sirenen und vieles Andere mehr an Geräuschinstrumenten, erfuhr dieses Werk wegen seiner damaligen Unaufführbarkeit mehrere Bearbeitungen, von denen das Publikum im vollbesetzten Saal des Frankfurt-LAB die letzte von 1953 zu Ohren bekam.
Ballet mécanique (1924/1953) ist die bekannteste Komposition
des Enfant terrible (man nannte George Antheil, 1900-1959, nicht umsonst den Bad Boy of Music wegen seiner Konzerte,
die nicht selten in Tumulten und Saalschlachten endeten, und seines exzentrischen
Lebensstils – so trug er immer eine Pistole bei sich, um zur Not einen
Fluchtweg freischießen zu können) und wohl auch seine umstrittenste.
Sicher wird Ballet mécanique
heute keine Saalschlachten mehr provozieren können, aber mit vier Klavieren,
zwei Xylophonen, drei Propeller ähnlichen Holzrädern, die wegen die
Absplitterungen nur mit Schutzbrille zu bearbeiten waren, sowie Sirenen, Telefonen,
Tamtams, und insgesamt zwölf Perkussionisten konnte dieses Werk, was auch der
Federführung von Enno Poppe (*1969) zu
verdanken ist, seinen provokativen Charakter voll zur Geltung bringen.
Es stampfte wie eine Lokomotive durch den Saal. Dann glaubte
man eine Deutschen Tanz oder einen Marsch zu vernehmen. Cluster und Patterns
wechselten bei stoischem Vierer-Rhythmus,
dann wieder das extrem schwirrende Reiben der Propeller bei abruptem
Tempowechsel, um bis zu ohrenbetäubender Lautstärke anzuwachsen. Man war unweigerlich
an Edgar Varèses Ionisation, die Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti und Luigi
Russolo sowie auch an die musique concrète eines Pierre Schaeffer erinnert.
Einerseits die ästhetisch musikalische Verarbeitung der Geräusche der modernen
Maschinen- und Technikwelt, andererseits aber auch das Bewusstmachen der
Negativseiten der gnadenlosen Industrialisierung, die alle menschlichen Ressourcen
in ihren unersättlichen Rachen zu verschlingen droht.
Tatsächlich gelang es dem Ensemble Modern, diese unglaublich vitale Musik von knapp 18
Minuten Dauer unter Höchstspannung zu präsentieren und eine Vorstellung darüber
zu erzeugen, welch gewaltigen Protest diese Musik in sich birgt. Keine Musik,
die man nur hört, sondern eine, die unter die Haut geht, die alle Sinne zum Beben
bringt. Und das noch heute.
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| Ballet mécanique: Ensemble Modern (Foto: EM/Walter Vorjohann) |
Zwischen Nostalgie und Futurismus
Rundfunk für neun
Synthesizer (2018), von Enno Poppe,
erlebte seine Erstaufführung in Frankfurt. Was aber bedeutet dieses Werk, das
doch so gar nicht in das Spektrum des Komponisten zu passen scheint? Sind doch
seine Kompositionen, die sich oft an realen Stoffen, wie „Holz“, „Salz“, „Brot“
etc. orientieren, überwiegend für herkömmliche Instrumente geschrieben. Poppe weicht dennoch nicht von seinem Stil ab. Rundfunk
ist eine Reverenz an die Geschichte der elektronischen Musik und eine an ihre Pioniere
wie Karlheinz Stockhausen, Gottfried Michael Koenig, Henry Pousseur oder auch
Herbert Eimert, die in den 1950er Jahren der Elektroakustischen Musik
bedeutende Schübe verliehen und direkt wie indirekt das musikalische Schaffen
Poppes beeinflussen.
Gemeinsam mit dem Berliner ensemble mosaik, neun Synthesizern aus den 1960er und 1970er Jahren
(allerdings von Wolfgang Heiniger auf acht Computer programmiert, Poppe selbst
bedient ein Keyboard) und neun Boxen, begegnet dem Hörer ein Klangkonvolut, das
man mit Fug und Recht als „wohlwollendes Misstrauen“ (so der Klangregisseur:
Wolfgang Heiniger) gegenüber dieser Technik bezeichnen könnte.
Dreiteilig konstruiert entlockt diese bekanntermaßen experimentierfreudige
Formation die „totalitäre Pracht“ (Walter Zimmermann) der damaligen Elektronik. Man beginnt punktuell. Sinustöne fallen wie Tropfen herab oder springen wie
Protonen und Elektronen um einen Atomkern. Irgendwie scheint der Komponist
selbst die Patterns vorzugeben, die chorisch von dem Ensemble aufgenommen,
variiert und verarbeitet werden.
Was anfangs chaotisch anmutet wird immer wieder zur Ordnung,
zur Struktur geformt. Die in Rosa gekleideten Akteure an den Computern
arbeiten losgelöst von jeder physischen Anstrengung, dennoch verspürt man eine
ungeheurere Emotionalität und Empathie. Alles ist durchkomponiert und bis auf
das Kleinste ausgearbeitet und verlangt höchste Konzentration.
Endet der erste
Teil nach ca. 30 Minuten in stechenden Clustern, einer schwarzen Messe anverwandelt,
so ist der zweite sehr flächig angelegte Teil von einem Kathedralen Raumklang
beseelt. Mikrotonale Veränderungen und ein gleichbleibender tiefer Orgelton
lassen die Sinne meditativ bis weit in den Kosmos aufsteigen. Die pochende Auflösung
dieser Sequenz führt einer Reprise ähnlich, wieder zurück zum Anfang dieser Komposition.
Dieses Mal allerdings akkordisch mit vorgegebenen Patterns vom Komponisten,
eine zeitgenössische Passacaglia, die
sich variativ steigernd zu ohrenbetäubender Lautstärke von gefühlten 100
Dezibel und 20.000 Hertz steigert, um in einer fast fünf-minütigen Coda,
physisch wie psychisch extrem fordernd, zu enden.
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| im Vordergrund: Enno Poppe, ensemble mosaik (Foto: EM/Walter Vorjohann) |
Die totalitäre Pracht der Elektroakustik
Warum nennt Poppe sein gut einstündiges Werk Rundfunk? Die Synthesizerklänge aus den
ersten Entwicklungen dieser Instrumente sind historisch, wechseln zwischen
Orgel- und Flötenton bis zu heftigem Fiepen. Wie oben gesagt möchte Poppe mit
diesem Stück an die Frühzeit der Experimentalstudios der Radioanstalten
erinnern, ohne die die musikalische Avantgarde überhaupt nicht hätte arbeiten
können. Insofern ist dieses Werk irgendwie doppelbödig: einerseits nostalgische
Erinnerung andererseits die Aufforderung an die Rundfunkanstalten, doch wieder der
zeitgenössischen Musik neue experimentelle Möglichkeiten zur Verfügung zu
stellen und dem Trend zum Sparen Tschüs zu sagen.
Rundfunk ist ein
aufregender Versuch, elektronische Geräte, die heute gar nicht mehr auf dem
Markt sind, wie Commodore C 64, Atari ST oder FM-Synthesizer, wieder lebendig
werden zu lassen. Poppe ist es gelungen, die Spielfreude von neun erfahrenen
Musikern des ensemble mosaik für sein
„handgemachtes“ Werk herauszufordern und der kalten Mechanik, der 'totalitären
Pracht'
ein menschliches Leben einzuhauchen. Über die Länge von einer Stunde lässt sich
zwar trefflich streiten. Poppes wohlwollende Distanz zur der Elektroakustik
ließ dennoch ein Werk von großer Vitalität und Kraft entstehen und die Wucht
wie den klanglichen Reichtum der elektronischen Technik voll zur Entfaltung
kommen.



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