Samstag, 8. Februar 2020

Matter of Facts, Musiktheater von Diego Ramos Rodriguez (Musik), Gregor Glogowski und Benjamin Hoesch (Regie), Uraufführung im Künstlerhaus Mousonturm, 08.02.2020

Yuka Ohta und Yu-Ling Chiu am "überdimensionierten Klangobjekt" (Fotos: Christian Schuller)

Perkussion pur mit überdimensioniertem Klangobjekt

Mehr als 30 Perkussionsinstrumente stehen oder liegen verteilt im großen Saal des vollbesetzten Mousonturms und obendrein ein alles überragendes, riesiges, an einen Roulette Tisch erinnerndes Instrument: Ein kreisrundes Xylophon, oder eine Kreismarimba, oder …? Sein Erfinder, Friedrich Hartung, nannte es im Vorgespräch einfach ein „überdimensioniertes Klangobjekt“, zusammengesetzt aus zwei Marimbas, einem Xylophon und einem Vibraphon mit 172 Tasten und einem Tonumfang von fünf Oktaven. Jedenfalls ein fantastisches Gerät mit außergewöhnlicher Klangfarbe und vielseitiger Verwendung, wie sich später herausstellte.

Es beginnt mit einer sprichwörtlichen Luftnummer. Die zwei Perkussionistinnen, Yu Ling Chiu und Yuka Ohta, beide Ensemble Modern erfahren, glänzen mit einer äußerst eleganten Luftperformance. Man hört lediglich das Schwingen der Luft, wenn sie ihre Schlägel von Holzsticks zu Metallbesen oder diversen Ruten wechseln. Und zwischendurch heftiges Atmen sowie elektronische Geräuscheinspielungen.

Lu-Ling Chiu am Lautsprecher mit Snare

Dann einer von insgesamt vier Instrumentenwechsel. Zwei Lautsprecher spielen scheinbar selbstständig mit Snare Drums (kleine Trommeln), die direkt vor ihnen stehen und zwischen Marsch und Rockrhythmen wechseln. So noch nie gehört. Eine ganz eigenwillige Klangfarbe, vor allem dann, wenn die beiden Musikerinnen anfangen, mit Drum und Lautsprecher zu jonglieren und quasi tänzerisch Instrumente und Lautsprecher in einen Dialog einzubinden.

Der Wechsel zum Schlagzeug mit E-Gitarre, Bremstrommel, Autofeder, Murmeln und Unterlegscheiben wird zu einer Hommage an die 1970er Rock/Pop Szene. Man glaubt die legendären Cream (Ginger Baker) oder Jimy Hendrix (Mitch Mitchell) zu hören. Wilde Improvisationen und ein gehöriger Groove zeichneten die beiden, bestens gestimmten Mädels aus. Zwischendrin unterhielten sie sich mit viel Gelächter über dubiose Gerichte und vor allem Spinat, den sie offensichtlich nicht mögen.


Kein Musiktheater, dafür ein neues Klangerlebnis

Der Wechsel zum „überdimensionierten Klangobjekt“ vollzieht sich, nachdem alle Kugeln auf den Saiten der E-Gitarre mit Getöse in eine Blechschale gestürzt sind. Die beiden Aktricen stehen sich gegenüber und beginnen mit einer motivischen Einlage, wobei die Klangvielfalt dieses Instruments erstmals zu vernehmen war.

Die unterschiedliche Tastatur, mal Holz, mal Metall, wurde noch durch Samples, Delays und Modulatoren erweitert, verfremdet und verstärkt und – das besondere an diesem Gerät – bei seiner Drehung machte es knarrende bis donnernde Geräusche, eine beeindruckende kontrastierende Mischung zum hellen Klang der Tasten. Auch ein ausgeklügeltes Lichtspiel setzte der Performance neue Akzente. Mit präparierten Klangschalen, Crotales und diversen Gummischlägel, Reibestöcken, Stricknadeln sowie elektronischen Einspielungen von Blitz, Donner und Wasser wurden die Möglichkeiten dieses noch weitgehend unerforschten Geräts bis an seine Grenzen ausgelotet. Spannend mit großen experimentellem Elan der Perkussionistinnen wie der Klangregie (Robin Bös) und dem Komponisten höchstpersönlich (Diego Ramos Rodriguez)
Yuka Ohta im Finale

Der Wechsel zum mit Tüchern verdeckten Schlagwerk im Rückraum des Saales, zusammengesetzt aus Bongos, großer Trommel, Kick Drum und Kuhglocken (viel mehr konnte man nicht erkennen) bestand aus einer Version lateinamerikanischer Rhythmen. Auch hier wieder Anlehnungen an bekannte Größen der 1970/80er Jahre wie Bob Marley oder Santana. Dazu ein grelles Farbenspiel und rhythmische Feinheiten in einem nicht enden wollenden Schlag-Dialog. Der letzte Wechsel war denn auch nur ein symbolischer. Man packte zusammen, stellte die Lautsprecher ab und ging. Kurze Zeit Verwirrung im Publikum. Dann tosender Beifall und viele lachende Gesichter.

Ein fünfteiliges Werk, in dem der Komponist lediglich einen Rahmen vorgegeben hat und den beiden Perkussionistinnen eine Labor-Arena bot, die beide virtuos und mit großem experimentellem Elan ausfüllten. Matter of Facts ist im eigentlichen Sinne kein Musiktheater, eher ein Suchen nach rhythmischer Vielfalt, ein Ausloten diverser Schlaginstrumente und Schlägel mit choreographischen Ansätzen. Viel Elektronik und Lichteffekte machten aus dem 80-minütigen Werk ein großes Perkussions-Opus mit einem visuell wie auditiv beeindruckendem neuem Ring-Instrument, das durchaus Zukunft haben könnte.   

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