Montag, 17. Februar 2020


Nemanja Radulović (Violine) und das staatliche Sinfonieorchester Russland (musikalische Leitung. Andrey Boreyko), Alte Oper Frankfurt, 16.02.2020 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)

Andrey Boreyko (Dirigent), Nemanja Radulovic (Violine), Staatliches Sinfonieorchester Russland
(Fotos: PRO ARTE/Michaela Brosi)

Ein russisches Programm und ein serbisch-französischer Geiger

Ein wahrhaft großes Programm hatte sich das älteste und beste Sinfonieorchester Russland, das sich zurzeit auf Europatournee befindet, unter ihrem Gastdirigenten und künstlerischen Innovator, Andrey Boreyko, vorgenommen und dazu einen der herausragendsten Violinisten, den der Globus zu bieten hat, in ihre Reihen aufgenommen: Nemanja Radulovic. Ein junger, hochdekorierter serbisch-französischer Geiger, geboren 1985 im damals  jugoslawischen Niš, den man mit Fug und Recht als Wiedergänger Niccolo Paganinis bezeichnen könnte, wäre er nicht ein so außerordentlicher Sympathieträger seiner Generation, was der Teufelsgeiger Paganini bekanntlich nicht war.



Das durchweg russische Konzert wurde mit einem Komponisten eingeleitet, dessen Ruf einer „katastrophalen Faulheit“ und „genialen Begabung“ vorauseilte und der Igor Strawinsky seinerzeit durchaus Konkurrenz geboten hätte, wäre, ja wäre ihm da nicht seine absolute Unzuverlässigkeit im Wege gewesen. Es ist der weitgehend unbekannte Anatoli Ljadow (1855-1914), der mit zwei seiner Werke, die Andrey Boreyko, der es liebt, unbekannte Komponisten seiner Heimat auszugraben, dem Frankfurter Publikum vorgestellt wurde.

Zwei kurze Stücke: Der verzauberte See. Märchenbild für Orchester op.62, quasi als Entrée und Kikimora. Legende für Orchester op. 63 als Einstieg in den zweiten Teil des Konzerts. Wie die Titel schon sagen, liebte der Komponist das Märchenhafte, die Stimmung, das Malerische wie auch das Fantastische, worin er sich durchaus mit Komponisten wie Claude Debussy, Maurice Ravel oder auch Paul Dukas vergleichen ließe. Seine Musik, höchst sensibel und mit impressionistischer wie auch expressionistischer Attitüde – Kikimora symbolisiert eine hexenhafte Frauengestalt und steht Dukas´ Zauberlehrling sehr nahe – vom Orchester vorgetragen bietet wenig Spezielles, Eigenes und liegt eher in der Tradition seiner Zeitgenossen Nicolai Rimski Korsakow und Modest Mussorgsky.  

Andrey Boreyko (Dirigent), Nemanja Radulovic (Violine)

Ein Wiedergänger Niccolo Paganinis


Dann der absolute Knaller des Konzertabends. Nach einer spannungsgeladenen Pause erschien Nemanja Radulović im schwarzen Anzug, Lederhose, T-Shirt und wildem, zusammengebundenem Haar – Aushängeschild seines Charakters. Er spielte Peter Tschaikowskys D-Dur Violinkonzert (1878), schon damals umstritten und von Eduard Hanslick, dem sakrosankten und wichtigsten Musikkritiker des 19. Jahrhunderts, als „schauerliche Idee“ … die man stinken hört“ abgespeist. 

Tatsächlich strotzt dieses Violinkonzert vor Gefühlsschwankungen, wechselt zwischen herzzerreißender Lyrik, Lebensfreude und wilden Explosionen. Aber für Tschaikowsky, er schrieb dieses weltbewegende Werk in weniger als vierzehn Tagen, bedeutete es nach einer langen Depressionsphase, „eine Lust, sich wieder dem Leben zuzuwenden“.

Radulović gelang es prächtig, dem Werk das Leben des Komponisten einzuflößen wie auch die moderne Interpretation eines romantischen Seelenlebens musikalisch zu übersetzen. Nach schwelgender Lyrik des Eingangsthemas folgte eine kraftvolle Passage des Seitenthemas, immer dialogisierend mit dem Dirigenten und dem Orchester. Mit aufmunterndem Lächeln, ständiger Kommunikation mit den einzelnen Instrumentengruppen, perfekter Technik bei größter Variabilität des Strichs, wunderbaren Rubati und schmelzenden Übergängen, schaffte es der Hexer auf den Saiten ein Lachen, Weinen und Schluchzen herauszufordern, ja alle Seelen der Welt aus der Reserve zu locken. 
Die Coda, eine Wahnsinnsstretta mit teuflischem Impetus riss das Publikum von den Sitzen und forderte es gleich nach dem ersten Satz zu frenetischem Beifall heraus. Nebenbei bemerkt riss bei so viel Energie und Ausdruckskraft mit lautem Knall eine Saite des ersten Kontrabassisten. Ein ergänzender Nebeneffekt dieser nervenzerreißenden Interpretation.

Andrey Boreyko (Dirigent), Staatliches Sinfonieorchester Russland

Ungeheure Wucht und schwindelige Raserei


Es folgte eine Canzonetta Andante voller Poesie. Ein Lied im Wechsel zwischen Geige, Klarinette und Flöte. Ein Dreiklang der abrupt vom feinsten Pianissimo ins schroffe Doppelforte wechselte. Ein Rondo Finale von ungeheurer Wucht und schwindeliger Raserei. Hanslick meinte dazumal von lauten, wüsten und gemeinen Gesichtern umgeben und in eine brutale schaurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes versetzt zu sein. Nicht ganz zu unrecht. Denn dieses Finale ging an die Grenzen des Machbaren. Nie den romantischen Impetus verlassend kratzten Orchester, Dirigent und Solist an den musikalischen und physischen Möglichkeiten menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Alles Bestens, möchte man abschließend urteilen, aber es verschlug die Sprache darüber, was diese Musik heute noch an Neuem, nie Gehörten bieten konnte. Radulović strahlte dabei eine Gelassenheit, lächelnde Lockerheit aus, die auf Dirigent wie Orchester inspirierend wirkte und ein perfektes Gesamtbild bot, das sowohl Solist wie auch Dirigent und Orchester zu einer absoluten Einheit zusammenschweißte.

Vom Beifall muss nicht gesprochen werden. Außer Rand und Band. Die Zugabe, eine Sarabande aus Johann Sebastian Bachs Solosuite Nr. 2 d-Moll konnte lediglich noch einmal das Ausnahmekönnen dieses Künstlers unter Beweis stellen. Ein Strich zum Weinen schön.
Staatliches Sinfonieorchester Russland (Foto: PRO ARTE/Michaela Brosi)

Die feinen Töne – besondere Klangfarbe


Bei so viel Emotion hatte es das Orchester nicht leicht, noch einmal große Musik, nämlich den Feuervogel (1910/1945) von Igor Strawinsky vorzustellen. Ursprünglich für das Ballet Russes unter der Leitung von Sergej Diaghilew geschrieben (eigentlich war Anatoli Ljadow vorgesehen), hier in der Fassung von 1945 aus dem Ballett von Michail Fokin, bedeutete diese Komposition den Durchbruch Strawinskys in der europäischen Musikszene.

Ein zwölfteiliges Ballett nach einem russischen Volksmärchen, in dem der Prinz Iwan einen Feuervogel fängt, ihm die Freiheit schenkt und dafür eine Feder bekommt, mit deren Hilfe er dreizehn vom bösen Zauberer Kastschej gefangene Prinzessinnen befreit. Was soll man sagen. Noch steckt viel Mussorgsky und russische Volksseele in dieser Musik. Doch der umtriebige Andrey Boreyko liebt die feinen Töne, die besondere Klangfarbe, den ziseliert geflochtenen Teppich. Als beliebter Gastdirigent, der er offensichtlich ist, verstand er es im wahrsten Sinne, die letzen Muskelfibrillen der InstrumentalistInnen zu innervieren.

Mit eine großartigen Maestoso, die Schlusshymne des Balletts endete ein denkwürdiger Abend im nicht ganz voll besetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Die Zugabe, ein russischer Tanz  aus Tschaikowskys Ballettsuite Der Nussknacker galt dann eher als Aufforderung, frohen Gemüts in die Realität des Alltags zurückzukehren.  

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