Nemanja Radulović (Violine) und das staatliche
Sinfonieorchester Russland (musikalische Leitung. Andrey Boreyko), Alte Oper
Frankfurt, 16.02.2020 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
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| Andrey Boreyko (Dirigent), Nemanja Radulovic (Violine), Staatliches Sinfonieorchester Russland (Fotos: PRO ARTE/Michaela Brosi) |
Ein russisches Programm und ein serbisch-französischer Geiger
Ein wahrhaft großes Programm hatte sich das älteste und beste Sinfonieorchester Russland, das sich zurzeit auf Europatournee befindet, unter ihrem Gastdirigenten und künstlerischen Innovator, Andrey Boreyko, vorgenommen und dazu einen der herausragendsten Violinisten, den der Globus zu bieten hat, in ihre Reihen aufgenommen: Nemanja Radulovic. Ein junger, hochdekorierter serbisch-französischer Geiger, geboren 1985 im damals jugoslawischen Niš, den man mit Fug und Recht als Wiedergänger Niccolo Paganinis bezeichnen könnte, wäre er nicht ein so außerordentlicher Sympathieträger seiner Generation, was der Teufelsgeiger Paganini bekanntlich nicht war.
Das durchweg russische Konzert wurde mit einem Komponisten
eingeleitet, dessen Ruf einer „katastrophalen Faulheit“ und „genialen Begabung“
vorauseilte und der Igor Strawinsky seinerzeit durchaus Konkurrenz geboten hätte,
wäre, ja wäre ihm da nicht seine absolute Unzuverlässigkeit im Wege gewesen. Es ist der
weitgehend unbekannte Anatoli Ljadow (1855-1914), der mit zwei seiner Werke,
die Andrey Boreyko, der es liebt,
unbekannte Komponisten seiner Heimat auszugraben, dem Frankfurter Publikum
vorgestellt wurde.
Zwei kurze Stücke: Der verzauberte See. Märchenbild für Orchester op.62, quasi als
Entrée und Kikimora. Legende für
Orchester op. 63 als Einstieg in den zweiten Teil des Konzerts. Wie die Titel schon sagen, liebte der Komponist das
Märchenhafte, die Stimmung, das Malerische wie auch das Fantastische, worin er
sich durchaus mit Komponisten wie Claude Debussy, Maurice Ravel oder auch Paul Dukas
vergleichen ließe. Seine Musik, höchst sensibel und mit impressionistischer wie
auch expressionistischer Attitüde – Kikimora symbolisiert eine hexenhafte
Frauengestalt und steht Dukas´ Zauberlehrling sehr nahe – vom Orchester
vorgetragen bietet wenig Spezielles, Eigenes und liegt eher in der Tradition
seiner Zeitgenossen Nicolai Rimski Korsakow und Modest Mussorgsky.
Ein Wiedergänger Niccolo Paganinis
Dann der absolute Knaller des Konzertabends. Nach einer
spannungsgeladenen Pause erschien Nemanja Radulović im schwarzen Anzug,
Lederhose, T-Shirt und wildem, zusammengebundenem Haar – Aushängeschild seines
Charakters. Er spielte Peter Tschaikowskys D-Dur
Violinkonzert (1878), schon damals umstritten und von Eduard Hanslick, dem sakrosankten
und wichtigsten Musikkritiker des 19. Jahrhunderts, als „schauerliche Idee“ …
die man stinken hört“ abgespeist.
Tatsächlich strotzt dieses Violinkonzert vor
Gefühlsschwankungen, wechselt zwischen herzzerreißender Lyrik, Lebensfreude und
wilden Explosionen. Aber für Tschaikowsky, er schrieb dieses weltbewegende Werk
in weniger als vierzehn Tagen, bedeutete es nach einer langen Depressionsphase,
„eine Lust, sich wieder dem Leben zuzuwenden“.
Radulović gelang es prächtig, dem Werk das Leben des
Komponisten einzuflößen wie auch die moderne Interpretation eines romantischen
Seelenlebens musikalisch zu übersetzen. Nach schwelgender Lyrik des
Eingangsthemas folgte eine kraftvolle Passage des Seitenthemas, immer
dialogisierend mit dem Dirigenten und dem Orchester. Mit aufmunterndem Lächeln,
ständiger Kommunikation mit den einzelnen Instrumentengruppen, perfekter
Technik bei größter Variabilität des Strichs, wunderbaren Rubati und
schmelzenden Übergängen, schaffte es der Hexer auf den Saiten ein Lachen,
Weinen und Schluchzen herauszufordern, ja alle Seelen der Welt aus der Reserve
zu locken.
Die Coda, eine
Wahnsinnsstretta mit teuflischem Impetus riss das Publikum von den Sitzen und
forderte es gleich nach dem ersten Satz zu frenetischem Beifall heraus.
Nebenbei bemerkt riss bei so viel Energie und Ausdruckskraft mit lautem Knall
eine Saite des ersten Kontrabassisten. Ein ergänzender Nebeneffekt dieser
nervenzerreißenden Interpretation.
Ungeheure Wucht und schwindelige Raserei
Es folgte eine Canzonetta
Andante voller Poesie. Ein Lied im
Wechsel zwischen Geige, Klarinette und Flöte. Ein Dreiklang der abrupt vom
feinsten Pianissimo ins schroffe Doppelforte wechselte. Ein Rondo Finale von ungeheurer Wucht und
schwindeliger Raserei. Hanslick meinte dazumal von lauten, wüsten und gemeinen
Gesichtern umgeben und in eine brutale schaurige Lustigkeit eines russischen
Kirchweihfestes versetzt zu sein. Nicht ganz zu unrecht. Denn dieses Finale
ging an die Grenzen des Machbaren. Nie den romantischen Impetus verlassend
kratzten Orchester, Dirigent und Solist an den musikalischen und physischen
Möglichkeiten menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Alles Bestens, möchte
man abschließend urteilen, aber es verschlug die Sprache darüber, was diese
Musik heute noch an Neuem, nie Gehörten bieten konnte. Radulović strahlte dabei
eine Gelassenheit, lächelnde Lockerheit aus, die auf Dirigent wie Orchester
inspirierend wirkte und ein perfektes Gesamtbild bot, das sowohl Solist wie
auch Dirigent und Orchester zu einer absoluten Einheit zusammenschweißte.
Vom Beifall muss nicht gesprochen werden. Außer Rand und Band. Die
Zugabe, eine Sarabande aus Johann
Sebastian Bachs Solosuite Nr. 2 d-Moll konnte lediglich noch einmal das Ausnahmekönnen dieses
Künstlers unter Beweis stellen. Ein Strich zum Weinen schön.
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| Staatliches Sinfonieorchester Russland (Foto: PRO ARTE/Michaela Brosi) |
Die feinen Töne – besondere Klangfarbe
Bei so viel Emotion hatte es das Orchester nicht leicht, noch
einmal große Musik, nämlich den Feuervogel
(1910/1945) von Igor Strawinsky vorzustellen. Ursprünglich für das Ballet
Russes unter der Leitung von Sergej Diaghilew geschrieben (eigentlich war
Anatoli Ljadow vorgesehen), hier in der Fassung von 1945 aus dem Ballett von
Michail Fokin, bedeutete diese Komposition den Durchbruch Strawinskys in der
europäischen Musikszene.
Ein zwölfteiliges Ballett nach einem russischen Volksmärchen, in dem
der Prinz Iwan einen Feuervogel fängt, ihm die Freiheit schenkt und dafür eine
Feder bekommt, mit deren Hilfe er dreizehn vom bösen Zauberer Kastschej
gefangene Prinzessinnen befreit. Was soll man sagen. Noch steckt viel
Mussorgsky und russische Volksseele in dieser Musik. Doch der umtriebige Andrey Boreyko liebt die feinen Töne,
die besondere Klangfarbe, den ziseliert geflochtenen Teppich. Als beliebter
Gastdirigent, der er offensichtlich ist, verstand er es im wahrsten Sinne, die
letzen Muskelfibrillen der InstrumentalistInnen zu innervieren.
Mit eine großartigen Maestoso,
die Schlusshymne des Balletts endete ein denkwürdiger Abend im nicht ganz voll
besetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Die Zugabe, ein russischer Tanz aus Tschaikowskys Ballettsuite Der Nussknacker galt dann eher als Aufforderung, frohen Gemüts in die Realität des
Alltags zurückzukehren.




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